Natascha Kampusch:
"Weil ich es kann"

Natascha Kampusch ist immer wieder Anfeindungen im Netz ausgesetzt und kämpft mit neuem Buch dagegen an

Seit Natascha Kampusch vor 13 Jahren die Flucht aus dem Kellerverlies gelungen ist, wird sie in sozialen Medien und Online-Foren beschimpft und beleidigt. Weil sie nicht der klassischen Opferrolle entsprach, wurde sie immer wieder von Teilen der Öffentlichkeit angefeindet. Viele User hätten ihr den Tod gewünscht, sagte die 31-Jährige.

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"Cyberneider" - Natascha Kampusch:
"Weil ich es kann"

"Am meisten getroffen hat es mich immer, wenn gesagt wurde, dass meine Gefangenschaft nur ein Spaziergang gewesen wäre." In ihrem am Mittwoch (9.10.) erscheinenden Buch "Cyberneider. Diskriminierung im Internet" will Kampusch ihre Erfahrungen teilen und fordert härtere Strafen für Cyber-Mobber. Am Dienstagabend präsentiert Kampusch ihr Buch erstmals in Wien.

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"Internet-Polizei"

Eine international agierende "Internet-Polizei" schwebt Kampusch vor, die bei Vergehen sofort eingreifen und Betroffenen helfen soll. Vor allem Frauen würden im Internet häufig zum Ziel von Mobbern werden. Opfer sollten die Angriffe nicht still ertragen, sondern vielmehr dokumentieren und Behörden einschalten, rät die Wienerin.

Kampusch war als Zehnjährige auf dem Schulweg entführt und mehr als acht Jahre lang in einem Keller gefangengehalten worden. Im August 2006 gelang der damals 18-Jährigen die Flucht. Stunden später brachte sich der Entführer Wolfgang Priklopil um.

Immwer wieder Vorwürfe

Dass sie sich nicht als gebrochenes Opfer in der Öffentlichkeit zeige, werde ihr seit ihrer Selbstbefreiung immer wieder vorgeworfen. "Sie sehen mich lächeln und kommen gar nicht auf die Idee, dass ich mich, gerade weil ich so viel Schreckliches durchgemacht habe, so freue, auf der Welt zu sein und meine Freiheit zu genießen", schreibt Kampusch.

Weiteres Buch geplant

Ihr Drama will sie auch mit ihrer neuen Aufgabe als Autorin bewältigen. Ein weiteres Buch sei ebenfalls angedacht. Das Thema wollte Kampusch aber noch nicht verraten. Zudem arbeite sie mit Organisationen zusammen, die sich für Menschen einsetzen, die Diskriminierung im Netz erfahren.

»Man hat mich schon habgierig, mediengeil, verlogen oder fresssüchtig geschimpft«

"Man hat mich schon habgierig, mediengeil, verlogen oder fresssüchtig geschimpft", schreibt Kampusch in ihrem dritten Buch. Sie habe lange gebraucht, um sich von diesen Worten nicht mehr verletzen zu lassen. Wieso ihr so viel Hass entgegenschlage, habe sie aber bis heute nicht verstanden. Die Angst, von anderen instrumentalisiert zu werden, sei ein ständiger Begleiter für sie geworden. Oft bemerke sie auch, dass Passanten auf der Straße heimlich Fotos von ihr machten, die später in Medien wieder auftauchten.

Kampusch will sich nicht von sozialen Medien fernhalten

Kampusch, die selbst auf Twitter und Instagram aktiv ist, wolle sich aber trotz der negativen Seiten nicht gänzlich von sozialen Medien fernhalten. Sie erhalte auch positive Zusendungen und entdecke gerne Menschen mit interessanten Hobbys und Berufen im Internet. Zudem sehe sie ihre Herzensthemen Umwelt- und Tierschutz im Aufwind. "Ich finde es sehr positiv, dass sich jetzt so viele für Umweltschutz engagieren", sagte Kampusch.

Keine bösartigen Zitate im Buch

Auf bösartige oder verletzende Zitate ihr gegenüber aus dem Netz habe sie auf den 192 Seiten ihres Buches bewusst verzichtet. "Allerdings habe ich mich dafür entschieden, keiner dieser Hasstiraden unnötig Raum zu geben, denn den haben sich ihre Verfasser wahrlich nicht verdient."

"Ich bin auch dagegen, Trolle zu füttern. Jedoch gibt es Hass, Mobbing sowie Beleidigungen im Internet, die man einfach nicht so unkommentiert stehen lassen darf. Allein schon, um den Menschen ein solches Verhalten nicht als Norm durchgehen zu lassen", erläuterte sie gegenüber der APA. Der Rechtsstaat müsse vor allem schneller und effektiver reagieren. "In einigen Fällen wäre es enorm wichtig, mutig zu sein und Präzedenzfälle zu schaffen." Außerdem sei Aufmerksamkeit auch für Netz-Bullys selbst nicht immer von Vorteil. "Spätestens wenn herauskommt, wie abstrus die betreffenden Personen im Netz agieren." Darüber hinaus fordert sie, die Thematik an Schulen zu unterrichten.

Mundtot machen lässt sich Kampusch, die als Kind gerne Reporterin wie Superman's Freundin Lois Lane werden wollte, auch in Zukunft nicht. Sie habe ein Gefühl für Ungerechtigkeiten entwickelt und kann sich gut vorstellen, mit Hilfsorganisationen zu arbeiten.

"Die neuen Möglichkeiten und Technologien, die es nun für uns alle im Internet gibt, sowie das Bewusstsein, dass Mobbing ein großes Übel ist, beschützen mich ein wenig vor der Missgunst der Leute. Die meisten Menschen stehen aber hinter mir und das ist ein unglaublich starkes Gefühl."

»Weil ich es kann!«

Die Autorin wirkte gelöst und offen. Sie las enthusiastisch, lachte viel und das zahlreich erschienene Publikum gab sich wohlwollend. Immer wieder blitzt im Umgang mit Natascha Kampusch ein ganz eigener Schalk durch, auch wenn sie in erster Linie ernste Themen behandelt. Im Lauf des Abends wurden nicht nur diverse Aspekte des virtuellen Mobbings aufzeigt, sondern auch Fakten erwähnt wie die Begeisterung ihres Entführers für die Rechte Szene und seine Lektüre "Mein Kampf". Den 11. September 2001 habe er gefeiert.

Ein antiquiertes Frauenbild sieht sie als eine Ursache für die Ablehnung. Dazu kämen Unzufriedenheit und mangelnde Empathie. Und manchen wäre einfach sehr oft sehr fad.

Warum exponiert sich Natascha Kampusch weiterhin? Die Kräfte zehrende Buch-Tour hat sie bereits durch große Teile des deutschsprachigen Raumes geführt, überall ruft sie ihr Schicksal wieder ins Gedächtnis der Öffentlichkeit. "Weil ich es kann!", antwortete sie grinsend.