Die zwei
Seiten der FPÖ

Die FPÖ muss sich staatstragend geben, ohne die Kernklientel zu vergraulen

Die Freiheitlichen stehen vor ihrer bisher größten Herausforderung. Denn auch als Regierungsmitglieder müssen sie das Sprachrohr des kleinen Mannes und der rechten Wählerschaft bleiben. Das zu bewerkstelligen, ist allerdings ein Balanceakt. Gelingt er nicht, steht nichts weniger als die Zukunft der Partei auf dem Spiel

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Seiten der FPÖ

FPÖ einmal ganz anders. Es ist noch keinen Monat her, dass die sieben freiheitlichen Repräsentanten mit stolzgeschwellter Brust in der Hofburg vor dem Bundespräsidenten standen. Mit der Angelobung hatten die Freiheitlichen ein lange gestecktes Ziel erreicht: Sie sitzen in der Regierung und damit an den Schalthebeln der Macht. Doch damit nicht genug. Nach langwierigen, doch auf Augenhöhe geführten Verhandlungen -so betonten beide Seiten stets - hatte man der Volkspartei nicht nur mehrere prestigeträchtige Ministerien abgetrotzt, sondern auch in wesentlichen Belangen die Themenführerschaft übernommen.

»Die Partei ist bereits jetzt nichts anderes mehr als der Steigbügelhalter für die Volkspartei.«

Zumindest hatte es diesen Anschein. Denn schon in den darauffolgenden Tagen zeigte sich, dass der Sieg des Juniorpartners über die ÖVP eben doch nur ein scheinbarer war. Immerhin hatte es die Volkspartei unter Bundeskanzler Sebastian Kurz geschafft, wesentliche Veränderungen im heimischen Sozialsystem im Regierungsprogramm unterzubringen. Der Zwölf-Stunden-Tag, die Abschaffung der Notstandshilfe für Langzeitarbeitslose samt Umstellung auf Mindestsicherung (mit Vermögensverzicht) sowie der Kinderbonus, der erst ab einer gewissen Gehaltsstufe zu gelten beginnt, sind alles Anpassungen, die der Mehrheit der FPÖ-Wähler wenig Freude bereiten dürften. "Kurz fährt mit seinem freiheitlichen Vizekanzler Heinz-Christian Strache ebenso Schlitten wie ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel es im Jahr 2000 mit FPÖ-Vizekanzlerin Susanne Riess getan hat", analysiert ein früherer freiheitlicher Spitzenpolitiker: "Die Partei ist bereits jetzt nichts anderes mehr als der Steigbügelhalter für die Volkspartei."

Frei von der Leber weg

Diesen Eindruck dürften auch manche FPÖ-Wähler haben. Denn im parteieigenen Medienapparat geht es rund. Als Ausgleich zur Berichterstattung etablierter Medien - denen die FPÖ seit jeher skeptisch gegenüber steht -hat die Partei ihren eigenen Apparat aufgebaut: allen voran eine intensive Facebook-Präsenz. Straches Seite wird nahezu jeden Tag aktualisiert. Mit Privatfotos, Links zu ausgewählten Zeitungsartikeln sowie Bildern und Videos von der Arbeit der Regierung. Als Ausgleich zu diesem Wohlfühl-Programm äußern die Fans in den Kommentaren jedoch frei von der Leber weg ihre Sorgen: "Die Notstandshilfe soll bitte nicht abgeschafft werden, liebe Regierung", schreibt "der stolze FPÖ-Wähler" Christian R. "Eigentlich habe ich euch in der Hoffnung gewählt, dass endlich etwas für die Kleinen gemacht wird", ist der Kommentar von Cleopatra S. zum Kinderbonus.

Selbst die Aufhebung des Rauchverbots - angeblich einer der Knackpunkte in den Regierungsverhandlungen und von der FPÖ mit entsprechender Zufriedenheit präsentiert - sorgt bei den Facebook-Fans für Unmut. "Ihnen, Herr Strache, ist die Gesundheit vollkommen egal," schreibt Rolf P.: "Ich wähle Sie nicht mehr."

»Ihnen, Herr Strache, ist die Gesundheit vollkommen egal. Ich wähle Sie nicht mehr«

Infrastrukturminister und FPÖ-Vizeparteiobmann Norbert Hofer kontert im News-Interview: "Wir wollen für die Wirtschaft Gutes tun, aber natürlich auch für die Menschen, die es nicht so leicht haben in Österreich." Beate Hartinger-Klein sei eine "tolle" Sozialministerin, meint Hofer -und die Regierung immerhin erst seit drei Wochen im Amt.

Mehrheitlich Arbeiter

Allerdings dürften die Regierungspläne ziemlich sicher einen messbaren -und nicht zwangsweise immer positiven -Einfluss auf das Gros der FPÖ-Wählerschaft haben. Immerhin stellen diese eine relativ heterogene Masse dar. Laut Untersuchungen des Instituts Sora wählten bei der Nationalratswahl 2017 überdurchschnittlich viele Männer unter 60 die Freiheitlichen. 70 Prozent der Wähler weisen zudem nur einen Pflichtschulabschluss beziehungsweise einen Lehrabschluss auf, 59 Prozent sind als Arbeiter beschäftigt.

Diese Zusammensetzung lässt vermuten, dass die von der ÖVP angedachten vermutlichen Verschlechterungen des Sozialsystems eine Auswirkung auf das Leben dieser Wählergruppe haben wird. Beim Versuch, weder die Öffentlichkeit noch die FPÖ-Wählerschaft vor den Kopf zu stoßen, absolvierte Strache daher in den vergangenen Wochen einen kommunikativen Slalomlauf.

Stichwort Bundeshymne: Kurz vor Weihnachten berichtete "Profil", dass der Vizekanzler ab sofort die aktuelle "Töchter"-Version singen werde, weil er auf die Verfassung und die Gesetze vereidigt sei und sich daran auch halten werde. Tags darauf lässt Strache jedoch via Facebook wissen, dass "ein offensichtlich sensibler Büromitarbeiter" die Anfrage beantwortet habe. Er selbst bevorzuge die traditionelle österreichische Hymne, werde sich aber an die Gesetze halten.

Solche Verrenkungen passieren auch in anderen Themenbereichen: Anfang Jänner sagte Strache in einem ORF-Fernsehinterview, dass es "durchaus überlegenswert" sei, die eine oder andere leerstehende Kaserne für die Unterbringung von Asylwerbern zu nützen. Tags darauf hieß es: alles ein Missverständnis.

Kalmierende Rolle

Es kommt auch nicht von ungefähr, dass ausgerechnet den beiden Ministerinnen der FPÖ-Riege eine kalmierende Aufgabe in der öffentlichen Darstellung zukommt. So beharrt Sozialministerin Beate Hartinger-Klein auch nach mehreren Zurufen aus der eigenen Partei und der des Koalitionspartners darauf, dass es unter ihrer Ägide keinerlei Zugriff auf das Vermögen von Arbeitslosen geben werde. Ein Versprechen, das sich vermutlich leicht einhalten lässt. Bis das entsprechende Gesetz in Kraft tritt, könnte es bereits wieder zu einer Regierungsumbildung gekommen sein.

Aber auch Außenministerin Karin Kneissl gibt sich in ihrer neuen Rolle deutlich kulanter als in ihrem bisherigen Berufsleben. Als Publizistin war vor
allem der Islam sehr häufig Ziel ihrer Kritik. Als Regierungsmitglied antwortete die Neo-Ministerin auf eine konkrete Frage im ORF, ob der Islam zu Österreich gehöre, jedoch: "Muslime gehören zu Österreich." Eine Wortwahl, die für die Mehrheit der Österreicher, aber auch für viele FPÖ-Wähler gerade noch erträglich sein dürfte.

Irritationen der Basis

Zugleich vergisst die freiheitliche Spitze aber nicht auf regelmäßige Signale an den rechten Rand ihrer Wählerschaft. "Sobald man in Regierungsverantwortung ist, muss man Konzessionen machen, weil gewisse Dinge sich in der Regierungsverantwortung nicht mehr schicken", sagt der Rechtsextremismus-Forscher Bernhard Weidinger von Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW): "Das sorgt natürlich für Irritationen bei der Basis. Ich habe schon den Eindruck, dass es den Versuch gibt, dort und dahin gleichzeitig Signale zu senden. Das gehört seit Friedrich Peter zum Aufgabenprofil freiheitlicher Parteispitzen."

Daher kommen in schöner Regelmäßigkeit Aussagen mit eindeutigem rassistischem, antisemitischem oder nationalsozialistischem Hintergrund von FPÖ-Politikern an die Öffentlichkeit. Da ist von "Umvolkung", "Knüppel aus dem Sack" und "Staatsideologie" die Rede. Aussagen, die genauso häufig, wie sie getätigt werden, danach wieder zurückgenommen werden.

»Kickls jüngste Aussage war keine gezielte Provokation. Das wäre politisch extrem unklug in dieser Situation«

Innenminister Herbert Kickls jüngste Aussage, wonach Flüchtlinge "konzentriert in Lagern gehalten" werden sollten, falle für ihn aber nicht in die Kategorie "gezielte Provokation", sagt Gerhard Baumgartner, wissenschaftlicher Leiter des DÖW. "Das wäre politisch extrem unklug in dieser Situation." Letztlich gehe es in der Politik um Stimmenmaximierung, und das weit rechte Lager sei dahingehend ein "sehr begrenztes Reservoir".

Allerdings, ergänzt Weidinger, könne sich "aus einer inneren ideologischen Verbundenheit, einer Sozialisation des Einzelnen" sehr wohl ein Gefühl des Verpflichtetseins gegenüber dem rechten Rand ergeben. Und: "Unzweifelhaft ist es im Zuge des Aufstiegs der FPÖ in der politischen Auseinandersetzung wie auch im medialen Diskurs zu einer Verschiebung der Grenzen des Sagbaren und zu einer Enttabuisierung gewisser Begriffe gekommen."

Hilflosigkeit

Die FPÖ könnte sich zwischen ihren rechten Wurzeln, ihrer Rolle als neue Arbeiterpartei und den Koalitionsvereinbarungen mit der Kurz-ÖVP aufreiben. "Wir erleben derzeit die schwankende Hilflosigkeit", sagt ein freiheitlicher Mandatar. Dazu kommt, dass es als äußerst unsicher gilt, ob man den praktizierten Schlingerkurs -Regierungsverantwortung auf der einen Seite, weiterhin heimlicher Oppositionsführer auf der anderen -auf Dauer durchhalten kann. Dennoch: Ein vorzeitiges Ende der Koalition steht derzeit nicht auf dem Plan. "Natürlich wird die FPÖ irgendwann draufkommen, dass die ÖVP sie nur benutzt", so ein Politikinsider, "nur: Was soll die Partei dann tun? Ohne Regierungsverantwortung stehen sie wieder mit nichts da."

»Natürlich wird die FPÖ irgendwann draufkommen, dass die ÖVP sie nur benutzt«

Strache versucht, den Druck abzulassen, indem er sich -auch diese Methode ist gut erprobt -an einem Feindbild abarbeitet: Den "Jammersozialisten" von der SPÖ, die, so Strache, "mit Fake-News und der bewussten Verbreitung von Unwahrheit" für Unruhe sorgten. Besonders die in den vergangenen Tagen veröffentlichten Aussagen zur Zuwanderung -die in dieser Form von der Sozialdemokratie noch nicht zu hören waren -stoßen den Freiheitlichen sauer auf. "Viele machen sich Sorgen, dass sich unsere Wähler nun, da wir in der Regierungsverantwortung sind, enttäuscht abwenden und der SPÖ wieder zuwenden könnten", formuliert es ein freiheitlicher Bezirksfunktionär. Dem gilt es, etwas entgegen zu setzen. Doch was genau, scheint in der freiheitlichen Regierungsspitze nicht ganz klar zu sein.

Die FPÖ verlässt sich daher auf das, was sie gelernt hat. Und das bedeutet auch, neben sozialen Medien auf befreundete Internetplattformen wie "Unzensuriert.at" zu setzen. Diese hat schon im Wahlkampf und davor für entsprechende Stimmung beim Wählervolk gesorgt. Die Arbeit der neuen Regierung wurde bisher wohlwollend-zurückhaltend begleitet. Bei den Userkommentaren geht es dafür umso mehr zur Sache. Unter einem Artikel, der die Erregung um Kickls jüngste Äußerung als "schmutziges Spiel des linken Establishments" bezeichnet, postet ein User: "Das muss er sich gefallen lassen, den wer vor den linken Kötern kriecht, darf sich nicht wundern, wenn er gebissen wird."

Wie es in Sachen Feindbild weitergehen könnte, zeigte "Unzensuriert" Ende Dezember vor: Keine zwei Wochen nach der Regierungsbildung erschienen kritische Artikel über Vertreter der "alten" - der schwarzen, nicht türkisen - ÖVP. "Die 'gespaltene Zunge' ist innerhalb der Volkspartei offensichtlich Methode im politischen Alltag", heißt es etwa in einem Artikel über die ÖVP Wien-Margareten.

Klappern gehört eben zum Geschäft. Und noch heißt es also auch für die Regierungspartei FPÖ: "Business as usual."

Dieser Artikel erschien im News Nr.4/18