Unser Papa Niki Lauda

Vor etwas mehr als einem Jahr starb Niki Lauda. In einer neuen Biografie erinnert sich Lukas, sein Ältester, an die prägendsten Momente mit dem Vater, der Formel-1-Ikone.

von Cover - Unser Papa Niki Lauda © Bild: Imago/HOCHZWEI/Jürgen Tap

Er war nur selten zu Hause – was nichts so Ungewöhnliches war. Allerdings, und das war für uns eine wichtige Erfahrung, war er immer da, wenn wir ihn brauchten,
das stand nie infrage. Ich behelligte ihn nur in Notfällen, aber wenn es darauf ankam, konnten wir auf ihn zählen. Für seine guten Freunde galt dasselbe, wenn sie ihn um einen Gefallen baten, reagierte er sofort. Das war eine seiner Stärken. Natürlich sagte er gern, dass er keine Freunde habe. Er hatte tatsächlich zahlreiche Freunde; die Behauptung, dass er keine habe, war rein strategisch. In Wahrheit war er nicht gern allein. Er liebte es, unter Menschen zu sein – doch nur unter den richtigen und zur rechten Zeit. Aber er sagte immer, er hätte keine Freunde, denn so konnte er frei schalten und walten.

Ein Jahr nach dem Tod von Niki Lauda erinnert sich sein ältester Sohn in der neu erschienenen Biografie „Es ist nicht einfach, perfekt zu sein“ von Maurice Hamilton an seinen Vater. Lukas erzählt von den letzten Stunden des Vaters, aber vor allem von der unbeschwerten Zeit, als er und Bruder Mathias in Ibiza aufwuchsen. Als er 1984 in Estoril Weltmeister wurde, sah ich ihn im Fernsehen. Ich erinnere mich daran, weil meine Mutter nicht zu Hause war; sie war in der Früh fortgegangen, und dann sahen wir sie plötzlich im Fernsehen, wie sie zusammen mit meinem Vater auf dem Podium in Estoril stand. Es erschien mir alles sehr merkwürdig. Als er wieder auf Ibiza war, fuhren wir zum Flughafen, wo man eine Feier mit Musik und allem Pipapo organisiert hatte. Ansonsten erinnere ich mich an wenig, abgesehen davon, dass ich zu Hause mit seinem Helm und seinen Rennoveralls herumspielte.

Mein Bruder und ich wuchsen auf Ibiza auf. Wir lebten auf dem Land, und obwohl ich wusste, dass mein Vater Rennfahrer war, war ich ein Landkind, meine Freunde waren Söhne von Tischlern und so. Was Mathias und mich anbelangte, hatte unser Vater einen ganz normalen Job, so wie andere zum Beispiel Bauern waren.

Erst als wir 1988 nach Österreich zogen, dämmerte mir, wie berühmt er war. Das war ein kleiner Schock für mich, schließlich war ich erst neun. Auffallend war die Reaktion der Menschen, wenn wir in der Stadt spazieren gingen. Die Leute drehten sich um, starrten ihn an und baten um ein Autogramm. Für mich als Kind war das wohl ein bisschen lästig und auch ein bisschen schwer zu verstehen. Als wir auf Ibiza wohnten, hatte ich so etwas nie erlebt.

»Wir hatten unseren Vater erst nach dem Unfall kennengelernt, daher sah er für uns völlig normal aus«

Das erste Mal bei der Formel 1

Die Leute interessierten sich sehr für sein Aussehen. Für uns war das normal. Meine Mutter konnte sich nie Filmaufnahmen von dem Unfall (am Nürburgring) ansehen. Doch Mathias und ich hatten diese Szenen schon als Kleinkinder gesehen. Wir hatten unseren Vater erst nach dem Unfall kennengelernt, daher sah er für uns völlig normal aus. Dass es manchen Leuten anders ging, begriffen wir erst, als wir sahen, wie sie sein rechtes Ohr musterten. Es war seltsam für uns, Kinderfotos von ihm anzuschauen -das war viel seltsamer für mich, als ihn in echt zu sehen.

Das erste Mal bin ich in Monza bei einem Formel-1-Rennen gewesen, das war nach dem Rücktritt meines Vaters. Mein Bruder und Bertl Wimmer, ein Freund meines Vaters, begleiteten uns. Es herrschte ein großes Gedränge, überall Tifosi. Es war gigantisch, sehr eindrucksvoll. Da begann ich zu begreifen, was für ein großer Star er in der Formel 1 war. Wir mussten vom Fahrerlager bis zum Hubschrauberlandeplatz durch die Menge laufen, und ich dachte nur: "Wow! Die Leute wollten ihn berühren", es war ein großartiges Erlebnis.

Er war immer nett zu seinen Fans. Niemals wies er jemanden ab. Wenn er auf Ibiza war, gingen wir oft zum Frühstücken in ein kleines Dorf, und da wir ihn immer begleiteten, erlebten wir dann, wie Leute ihn um ein Autogramm, ein Foto oder was sonst baten. Er sagte immer Ja und war sehr geduldig mit den Menschen, er nahm sich Zeit, mit ihnen zu reden. Uns Kindern sagte er oft, das gehöre zum Leben als Sportler und zum Berühmtsein dazu. Man müsse etwas zurückgeben. Das respektierte er uneingeschränkt, was mich sehr, sehr beeindruckte. Er fand, dass das zu unserer Bildung in diesen und anderen Dingen des Lebens dazugehöre. Das war ihm immer sehr wichtig.

Schock: Absturz der "Mozart"

Ich war bei meiner Mutter, als wir die Meldung in den Nachrichten sahen. Wir wussten, dass unserem Vater eine sehr schwere Zeit bevorstand. Ich sah ihn ein Jahr lang nicht, so viel war er unterwegs. Ich erinnere mich vor allem daran, dass er sagte, er würde sein Unternehmen bereitwillig schließen, falls sich herausstellen sollte, dass der Unfall auf ein Versagen oder einen Fehler von ihm, den Piloten oder der Fluglinie zurückzuführen sei. Er sagte das von Anfang an, und ich fand das sehr mutig. Doch schon war er davon überzeugt, dass das Problem woanders lag, und er bemühte sich nach Kräften, es herauszufinden. In dieser Zeit verlor er viel Gewicht. Dieses Unglück hat ihn sehr erschüttert und ihm viel Kummer bereitet; es war der größte Schock, der härteste Schlag, der ihn jemals traf. Er war in jeder Hinsicht ein unglaublicher Perfektionist, er kämpfte immer weiter.

Mathias will Rennfahrer werden

Schon der Gedanke daran oder das Gespräch darüber, ob man Rennfahrer werden könnte, war zu Hause tabu. Mich betraf das nicht, denn das war nie mein Wunsch. Ich bin dafür zu groß und zu schwer. Ich fuhr gern Motorrad - als ich sechs Jahre alt war, schenkte mir mein Vater eine KTM 50 - und habe ein Schwäche eigentlich für alles, was nach Abenteuer riecht.

Bei Mathias lagen die Dinge anders. Als 18-oder 19-Jähriger fuhr er wie ein Berserker. Er sagte, dass er gerne eine Testfahrt machen wollte, denn er raste ständig auf den Straßen und musste ein Ventil für dieses ganze Adrenalin finden. Und so gingen wir zu Marc Piedade, dem Sohn des damaligen Teamchefs von AMG-Mercedes, Domingos Piedade. Er organisierte eine Testfahrt mit einem Formel Ford und einem Porsche. Mathias brachte eine Topleistung, aber das musste geheim gehalten werden.

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    1971

    Der Österreichische Sport hat einen seiner Größten verloren. Formel-1-Legende Niki Lauda ist tot. Wie die Familie in der Nacht auf Dienstag in einer E-Mail mitteilte, ist der 70-jährige dreifache Formel-1-Weltmeister und Flug-Unternehmer am Montag im Kreis seiner Familie verstorben.

    WEITER: Die Highlights der Karriere von Niki Lauda in Bildern!

  • Bild 2 von 70 © Bild: imago/Thomas Zimmermann

    1972

    Niki Lauda zu Beginn seiner Karriere beim GP von England der damals auch GP von Europa genannt wurde.

Als wir es schließlich unserem Vater erzählten, war er nicht sehr glücklich darüber. Damals war er Teamchef von Jaguar Racing. Er sprach mit Trevor Carlin, der ein Formel-3-Team leitete. Als Mathias nach Pembrey, einer Rennstrecke in Wales, fuhr, um mit Carlin einen Testlauf zu machen, reiste mein Vater mit dem Jaguar-eigenen Hubschrauber an. Es regnete und Trevor sagte, wenn Mathias eine bestimmte Zeit erreichte, wäre das ein sehr gutes Ergebnis. Mein Vater meinte daraufhin: "Okay, jetzt hast du ein Ziel. Wenn du es erreichst, kannst du Rennen fahren." Dass Mathias unter der vorgegebenen Zeit blieb, beeindruckte Carlin. Mein Vater sagte zu meinem Bruder: "Okay, aber jetzt musst du es allein schaffen" - was gut war.

Anfangs unterstützte er uns kaum. Doch später tat er es. Ich kümmerte mich um die Finanzierung, aber als wir am Ende Mühe hatten, das gesamte Budget aufzubringen, sorgte Vater dafür, dass einige Sponsoren Verträge mit uns abschlossen. Ich erinnere mich, dass darunter auch jener Sponsor war, dessen Name damals auf seiner Kappe stand. Das Entscheidende war, dass er jederzeit für Mathias da war.

»Ich hab noch immer seine Nummer auf meinem Telefon gespeichert«

Mathias gestand in einem TV-Interview, dass er den Vater schrecklich vermisse: "Ich hab noch immer seine Nummer auf meinem Telefon gespeichert. Man glaubt immer, er ruft an und fragt, wie es geht."

Im Vergleich zu den jungen Kerlen heutzutage stieg Mathias sehr spät in den Rennzirkus ein. Dabei war die Formel 1 nie sein Ziel. Mathias erinnerte mich ein wenig an die Rennfahrer der alten Schule: In einem nicht ganz optimalen Wagen ist er sehr schnell, aber ansonsten fehlt ihm vielleicht der letzte Biss. Mein Vater ermahnte uns immer, in solchen Dingen realistisch zu bleiben. Im Rückblick würde ich sagen, dass zwischen uns weniger eine Vater-Sohn-Beziehung als vielmehr ein freundschaftliches Verhältnis herrschte. Wir hatten viel Spass zusammen. Wir gingen zusammen aus und lachten viel. Es bereitete ihm immer Freude, mit seinen Söhnen unterwegs zu sein, einen trinken zu gehen und Blödsinn zu machen.

Die letzten Monate im Spital

Als man mich anrief und mir sagte, dass es meinem Vater schlecht ging, stieg ich gleich am nächsten Tag ins Flugzeug und blieb vier Monate lang bei ihm im Krankenhaus. Von Anfang an bis zum Ende war ich immer bei ihm. Es war sehr schwierig, er hatte viel Pech mit den Bakterien, die sich in seiner Lunge eingenistet hatten. Es gab auch einige gute Tage, aber mir war die ganze Zeit bewusst, dass es höchst unwahrscheinlich war, dass er wieder ganz gesund werden würde, nicht zuletzt wegen der verschiedenen Komplikationen und aufgrund seines Alters. Es ging ihm gar nicht gut. Nach der Lungentransplantation war er sehr geschwächt. Es war mühselig, ihn wieder etwas aufzupäppeln. Es fiel ihm sehr schwer, seine Arme und Beine zu bewegen.

Aufgrund der Umstände verbrachte ich mehr Zeit mit ihm als je zuvor und so lernten wir uns viel besser kennen. Er brauchte mich dort und es war gut, bei ihm zu sein. Ich glaube, dass ich ihm in dieser Zeit sehr geholfen habe und dass es uns beiden viel bedeutet hat.

Nach vier Monaten im Krankenhaus verstarb Niki Lauda im Kreis seiner engsten Familie in der Nacht zum 20. Mai. Drei Monate nach seinem 70. Geburtstag. Sein Operateur Walter Klepetko sagte: "Es gibt keine Todesursache. Es war ein langer Prozess, an dessen Ende der Patient gegangen ist."

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (20/20) erschienen!

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