"Wir feierten in Ischgl ab - jetzt liegt mein Freund im Koma"

Vier Kumpels machten im "Kitzloch" Party - nun muss einer von ihnen künstlich beatmet werden. Drei Urlaubergeschichten aus Tirol, die stellvertretend für die Auswirkungen des Massentourismus in Corona-Zeiten stehen

von Coronavirus - "Wir feierten in Ischgl ab - jetzt liegt mein Freund im Koma" © Bild: Privat

1: "Highway to Hell" in Ischgl

Tag für Tag die selbe quälende Dramaturgie: Zunächst macht sich Rainer noch selbst Hoffnung, dass sich die Dinge doch endlich langsam normalisieren müssten - doch wenn ihm Jürgens Bruder dann allabendlich eine SMS mit dem aktuellen Zustand von Jürgen schickt, ist der Optimismus stets aufs Neue dahin: "Er wird beatmet und liegt im künstlichen Koma", steht da etwa zu lesen. Oder: "Jürgen hat wieder einen großen Rückschritt gemacht."

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Von 5. bis 8. März waren Rainer, der IT-Manager, und Jürgen, der Bankangestellte, auf Kurzurlaub in Ischgl. Andreas und Harald, zwei Freunde vom Karate-Verein, waren ebenfalls mit von der Partie. Am Freitag, dem 6. März feierten die vier deutschen Mittfünfziger noch gemeinsam im "Kitzloch" ab. Eine Live-Band spielte DJ-Ötzi-Hits und "Highway to Hell" von AC/DC. Ein Musiker mit Saxophon drängte sich spielend durch das dicht gedrängte Publikum. Der Abend, erzählt Rainer, sei ausgelassen gewesen und lange geworden

Montags darauf, zurück in Deutschland, bemerkten alle vier Männer erste Corona-Symptome. Allesamt wurden sie in der Folge positiv getestet und zogen sich für knapp drei Wochen in häuslich Quarantäne zurück. Husten, Fieber, Lungenschmerzen, bei dreien der Freunde brach die Krankheit aus, erreichte relativ rasch ihren Höhepunkt und klang ganz allmählich wieder ab. Nicht so bei Jürgen: Der ging am Dienstag nach seiner Rückkehr zu seinem Hausarzt, dessen Praxis nach Jürgens positiver Testung vorsorglich geschlossen wurde.

Massiver Husten, schließlich über 39 Grad Fieber -an dem Wochenende nach dem Ischgl-Wochenende musste Jürgen schließlich ins Krankenhaus, seither liegt er in künstlichem Tiefschlaf und wird - trotz zwischenzeitlicher Phasen der Selbstatmung -maschinell beatmet. Erschwerend, erzählt Rainer, sei noch eine bakterielle Lungeninfektion dazugekommen, Jürgen mussten Antibiotika verabreicht werden. "Derzeit ist er, so scheint es, nicht in Lebensgefahr, aber von stabil ist sein Zustand noch weit entfernt", sagt Rainer.

Am Montag - jenem Montag, an dem sich bei allen vier Männern die Symptome verdichteten, aber noch keine Testergebnisse vorlagen - habe Rainer sich telefonisch an die Gesundheitsbehörden in Innsbruck gewandt. "Dort meinte man, dass in Ischgl alles in Ordnung sei."

2: Zwei Freundinnen am Arlberg

Anna* kommt aus Oberösterreich, ist verheiratet, Mutter und im Gesundheitsbereich tätig. Vom 4. bis zum 8. März war sie mit einer Freundin aus Deutschland in St. Anton am Arlberg auf Skiurlaub. "Wir machen das schon seit 20 Jahren. Wir gehen Ski fahren, zum Après-Ski, tanzen etwas und haben eine schöne Zeit." Ein typischer Skiurlaub eben -heuer allerdings mit unerfreulichen Folgen.

Die vergangenen vier Wochen war Anna in Quarantäne, weil sie sich am Arlberg mit dem Coronavirus infizierte. "Ich hatte drei Tage lang sehr hohes Fieber mit bis zu 39,5 Grad, massive Gliederschmerzen, und mein Kreislauf war so bedient, dass ich mehrmals zusammengebrochen bin." Sie habe die ersten Tage auch erhöht schlafen müssen, um besser Luft zu bekommen, erzählt sie. Dann wurde es etwas besser, das Fieber erreichte nur noch 37,5 Grad, aber nach sechs Tagen erlitt sie einen völligen Geschmacks-und Geruchsverlust - und der hält, wenn auch vermindert, immer noch an.

"Jetzt geht es mir glücklicherweise wieder gut, obwohl ich natürlich noch nicht wieder ganz fit bin", sagt sie und schildert, wie es zu ihrer Erkrankung kam und wie mühsam es war, ihre Ansteckung herauszufinden: Anna war mit dem Zug nach St. Anton gereist und fuhr am Sonntag, dem 8. März, wieder nach Hause. Weil sie sich am Montag nicht wohl fühlte, blieb sie an dem Tag daheim, was sie als glückliche Fügung sieht: "Ich arbeite viel mit gesundheitlich beeinträchtigten Menschen. Nicht auszudenken, wenn ich einen davon angesteckt hätte und der womöglich gestorben wäre." Eine psychische Belastung, die sie in den Tagen der Ungewissheit zusätzlich mit sich herumschleppte.

Als ihr Fieber immer mehr stieg, wendete sich Anna B. an die Gesundheitshotline 1450, fragte, ob sie auf Corona getestet werden könne. Man erklärte ihr, dies sei nicht möglich, da sie aus keinem Risikoland komme. Sie solle abwarten und ihren Hausarzt kontaktieren. Der verschrieb ein fiebersenkendes Mittel. Am Dienstag, dem 10. März, erfuhr sie, dass ein Hüttenwirt aus St. Anton positiv getestet worden war, und wandte sich deshalb wieder an die Nummer 1450. Dort erklärte man ihr erneut, diesmal eher ungehalten, dass sie nicht getestet werde. Verunsichert suchte Anna tags darauf ihren Hausarzt auf und äußerte den Wunsch nach dem Test. Der Arzt bedauerte: Er könne keine Testung veranlassen. Anna versuchte es bei der Tirol-Hotline, wo man ihr am Donnerstag, dem 12. März, riet, sich mit St. Anton direkt in Verbindung zu setzen. "Zu meiner Überraschung wurde ich gleich zum Bürgermeister verbunden. Der erklärte mir zwar, er könne mir aus Datenschutzgründen nicht den Namen des Wirts nennen, ich solle ihm aber sagen, auf welchen Hütten ich gewesen sei. Das tat ich, und dann war auch klar, dass ich mit dem Hüttenwirt Kontakt gehabt hatte", schildert Anna. "Wir waren zweimal dort, wurden vom Wirt bedient und einmal hat er sich zu uns gesetzt, weil er jemanden am Tisch kannte."

In der Folge rief sie erneut 1450 an und wurde, nachdem sie zuvor mehrmals aus der Warteschlange geflogen war, doch noch getestet. Der Hausarzt kam, streifte vor der Haustür den Schutzanzug über und nahm den Nasen-und Rachenabstrich. Um 14 Uhr wurde sie getestet, am nächsten Tag um 15 Uhr bekam Anna B. das Ergebnis: positiv.

"Ich habe darauf sofort alle meine Kontaktpersonen verständigt - glücklicherweise war niemand angesteckt, auch nicht meinen Hausarzt." Und auch ihr Mann habe keine Symptome gezeigt.

»Wenn ich das damals gewusst hätte, wäre ich nicht hingefahren bzw. sofort wieder abgereist«

Bei ihrer Freundin aus Deutschland, die eine eigene Praxis betreibt, war das nicht der Fall. Sie selbst klagte zwar "nur über Schnupfen und etwas Kopfweh", steckte aber vier Personen aus dem privaten und beruflichen Umfeld an. Was Anna im Nachhinein besonders ärgert, ist vor allem die Art, wie die öffentlichen Stellen in der Angelegenheit agierten. "Die Sache mit dem Hüttenwirt wurde nie so richtig kommuniziert. Der muss sich ja auch bei wem angesteckt haben."

Zudem sei Tirol bereits am 5. März von Island aus verständigt worden, dass sich 14 Urlauber im Oberland angesteckt hätten - was von den Behörden damals mit der Aussage, diese hätten sich wohl im Flugzeug infiziert -kommentiert worden war. "Wenn ich das damals gewusst hätte, wäre ich nicht nach St. Anton gefahren bzw. sofort wieder abgereist."

3: "Ignoranz und Gier"

"Wir waren eine Runde von sechs Männern und acht Frauen und haben uns auf einen tollen Skiurlaub gefreut. Hinterher waren elf von uns mit dem Virus infiziert", erzählt der 55-jährige Ludger aus Deutschland, der 30 Jahren lang regelmäßig nach Ischgl gekommen ist. Heuer hatten er und seine Freunde vom 7. bis zum 14. März gebucht. Am 13. März endete der Aufenthalt allerdings abrupt, nachdem Ischgl und das Paznauntal unter Quarantäne gestellt wurden. "Dabei war Corona in den Tagen vorher in Ischgl kein Thema. Selbst als das Kitzloch und darauf zwei andere Après- Ski-Lokale zugesperrt wurden, sind die Leute woandershin zum Feiern weitergezogen", so der Unternehmer, der die Informationspolitik vor Ort scharf kritisiert. Es habe nur lapidar geheißen, da sei jemand krank, wirkliche Informationen habe es aber keine gegeben. "In der Morgenpost im Hotel gibt es zwar die Wetteraussichten und den Witz des Tages - und wenn irgendwo Lawinengefahr herrscht, wird das sofort mitgeteilt. In puncto Corona gab es aber absolut nichts."

Informationen habe er erst erhalten, nachdem ein Teil der Frauen aus der Gruppe kurz zuvor abgereist war -und in der Folge über Social Media. Dann folgten die überstürzte Rückreise und die freiwillige Quarantäne, in die sich er und seine Freunde sofort begeben hätten, sagt Ludger. "Ich habe mich gleich nicht wohl gefühlt." Auch sie seien zuerst trotz ihrer Anstrengungen nicht getestet worden, das habe erst über eine befreundete Ärztin geklappt, erzählt der Deutsche. Fazit: drei Männer und acht Frauen positiv. Zwei Männer mit relativ leichten Symptomen wie Gliederschmerzen, Müdigkeit, zum Teil Fieber. Einer habe keine Symptome gezeigt. Bei den Frauen sei die Krankheit ähnlich verlaufen, freilich mit einer Ausnahme: "Die wurde mit schweren Symptomen ins Krankenhaus eingeliefert und musste auch beatmet werden." Glücklicherweise habe sie diese Phase überwinden können. Auch ihm selbst gehe es wieder gut: "Nach rund einer Woche war das Schlimmste vorbei und auch mein Geruchs-und Geschmacksempfinden ist zurück." Auch sein Imbiss ist wieder geöffnet.

Dass er und seine Freunde sich an der Strafanzeige mit Sammelklage des Verbraucherschutzvereins beteiligen würden, sei klar, wenn man die Ereignisse Revue passieren lasse. "Die beschäftigen uns noch immer, wir reden viel darüber. Im Nachhinein ist klar, wie groß die Gefahr eigentlich war. Wäre man nicht dabei gewesen, würde man es nicht glauben", so der Unternehmer, der den Verantwortlichen in Ischgl vor allem "die Art und Weise, wie damit umgegangen wurde", vorwirft. Die sei "fahrlässig gewesen" und habe wohl auch mit einer gewissen Ignoranz und Gier zu tun. Immerhin gebe jeder Gast viel Geld aus. "Wenn sich das alles nicht so extrem entwickelt hätte, hätten sie wohl noch eine Woche länger offen gehalten", vermutet der Deutsche. Früher sei Ischgl toll gewesen, doch der ursprüngliche Charme und die Natürlichkeit seien in den vergangen Jahren zusehends verloren gegangen, befindet Ludger, der so wie seine Freunde "nie wieder dorthin fahren" will: "Für uns ist Ischgl gestorben."

*Namen von der Redaktion geändert

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News-Ausgabe Nr. 15/20

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"Aus Datenschutzgründen", wenn ich "Datenschutz" nur höre, bekomme ich schon einen Anfall.

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