Infektiologe Heinz Burgmann: "Es ist unmöglich, das Virus ganz zu unterdrücken"

Infektiologe Heinz Burgmann über die Maßnahmen im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus, die geringe Zahl an Todesopfern in Südkorea und die Probleme bei der Impfstoffentwicklung

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Coronavirus - Infektiologe Heinz Burgmann: "Es ist unmöglich, das Virus ganz zu unterdrücken" © Bild: News/Matt Observe

News: Wir erleben gerade sehr einschneidende Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Wie gefährlich ist das Virus tatsächlich?
Heinz Burgmann: An der Gefährlichkeit hat sich nach wie vor nichts geändert. Bisher weiß man, dass über 80 Prozent der Infektionen mild verlaufen. Sie äußern sich durch Fieber, Husten und Abgeschlagenheit. Dann gibt es jene Patienten, bei denen auch ein Teil der Lunge betroffen ist. Das führt zu Kurzatmigkeit und Lungenentzündung. Fünf Prozent der Infizierten werden so schwer krank, dass sie intensivmedizinische Versorgung benötigen. Das bedeutet: Das Virus ist rund fünf bis 15 Mal gefährlicher als Influenza. Vor allem auch deshalb, weil dieses Coronavirus neu ist und noch niemand in der Bevölkerung Abwehrstoffe dagegen aufgebaut hat. Daher erkranken sehr viele Menschen zur gleichen Zeit.

»Das Ziel ist es, zu erreichen, dass sich nicht so viele Menschen gleichzeitig anstecken und krank werden«

Sind die Maßnahmen aus Ihrer Sicht also übertrieben?
Nein, das sind sie nicht. Das Ziel ist es, zu erreichen, dass sich nicht so viele Menschen gleichzeitig anstecken und krank werden. Würde man nichts unternehmen, dann steckt ein Infizierter drei weitere Personen an, diese drei dann wieder jeweils drei. Es würde also innerhalb kürzester Zeit eine sehr hohe Anzahl an Infizierten geben. Und von dieser hohen Zahl müssen dann fünf Prozent auf der Intensivstation behandelt werden. Das wären einfach zu viele Kranke für unser Gesundheitssystem. Ein weiteres Problem ist, dass das Virus bereits in einer sehr frühen Phase infektiös ist. So geben Menschen den Erreger bereits weiter, obwohl sie noch gar nicht krank sind. Das ist zum Beispiel bei SARS anders. Hier stecken die Infizierten andere erst an, wenn sie Symptome haben.

Gibt es schon Hinweise, dass die Aktivität dieses Coronavirus in den Sommermonaten - so wie bei Influenza - abnehmen wird?
So wie es ausschaut, wird das nicht der Fall sein. Denn es treten derzeit weltweit und in jeder Klimazone Fälle auf.

Die aktuelle Entwicklung des Coronavirus in Österreich finden Sie hier

Großbritannien geht einen anderen Weg und isoliert die Über-70-Jährigen, also die Risikogruppe. Ist das aus ihrer Sicht richtig oder fahrlässig? (Anm. Dieser Artikel erschien bevor die britische Regierung eine dreiwöchige Ausgangssperre verordnet hat)
Diese Art und Weise, nur die Risikogruppe unter Quarantäne zu stellen, ist ein gewagtes Spiel. Das Ziel ist es, dass sich die restliche Bevölkerung in sehr kurzer Zeit ansteckt und so eine Herdenimmunität entsteht, das Virus also nicht mehr zirkulieren kann. Werden jetzt aber alle gleichzeitig für zwei Wochen krank, kommt das öffentliche Leben ebenfalls weitgehend zum Erliegen.

Wenn wir uns alle jetzt isolieren, ist dann nicht das Problem, dass das Virus sich einfach etwas später ausbreitet, aber wir genauso krank werden?
All diese Maßnahmen werden jetzt gemacht, um zu verhindern, dass die Ausbreitung zu rasch erfolgt. Das Virus damit ganz zu unterdrücken, ist jedoch unmöglich. Dazu müsste jeder Mensch alleine leben und sich selbst versorgen. Das ist komplett unrealistisch. Es ist also ein Wunschtraum, zu glauben, dass das Virus derzeit gar nicht weitergegeben wird. Es ist die Aufgabe jedes einzelnen, die Risikogruppen so gut wie möglich zu schützen. Das sind ältere Menschen und jene mit Vorerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, eingeschränktem Immunsystem oder Lungenvorerkrankungen. Raucher zählen ebenfalls zur Risikogruppe. Es wäre also ein guter Augenblick, damit aufzuhören.

»Schnupfen ist das geringste Anzeichen für Covid-19«

Welche Symptome habe ich bei Covid-19? Und wie kann ich es selbst von einem grippalen Infekt unterscheiden?
Schnupfen ist das geringste Anzeichen für Covid-19. Fieber, unproduktiver Husten und Kurzatmigkeit sprechen viel eher dafür. Aber prinzipiell ist es sehr schwer, Covid-19 von einem grippalen Infekt zu unterscheiden. Daher macht es auch bei einem Schnupfen auf alle Fälle Sinn, zu Hause zu bleiben und unterwegs einen Meter Abstand von anderen Menschen zu halten, um so die Risikogruppen zu schützen.

Die Rufnummer 1450 ist überlastet und dauernd besetzt. Kann ich zu meinem Hausarzt gehen?
Nein, das sollte man nicht tun. Der richtige Weg ist, den Hausarzt anzurufen, denn viel kann mittlerweile telefonisch erledigt werden. Jeder Arztbesuch erhöht hingegen das Risiko, sich anzustecken. In akuten Fällen ist ein Arztbesuch nach telefonischer Anmeldung natürlich nach wie vor möglich.

»Jeder Arztbesuch erhöht hingegen das Risiko, sich anzustecken«

Warum gibt es in Italien so viele Tote, nicht aber in Südkorea?
In Italien ist die Bevölkerung sehr alt und, da jetzt sehr viele Fälle auf einmal kommen, das Gesundheitssystem überlastet. Südkorea hat es hingegen geschafft, den Anstieg von Anfang an deutlich zu reduzieren. Da wurden sofort Kontaktisolierungen angeordnet, und es gab offenbar genug Möglichkeiten, die Risikopatienten zu versorgen. Das ist in Italien nicht gelungen.

Ist es möglich, dass das Virus in Italien mutiert und daher gefährlicher geworden ist?
Nein. Denn es haben sich ja auch viele Österreicher in Italien angesteckt, und bei ihnen verlief die Krankheit nicht tödlicher als bisher angenommen.

»Die Zahl der Erkrankten wird dramatisch ansteigen«

Wie werden die kommenden Wochen ausschauen?
Die Zahl der Erkrankten wird dramatisch ansteigen. Nach etwa zehn bis 14 Tagen werden wir dann sehen, wie die gesetzten Maßnahmen greifen. Denn so lange ist die maximale Inkubationszeit. Wichtig ist daher, dass sich alle an die Maßnahmen halten. Das Ziel ist es, die Übertragung des Virus weitgehend zu stoppen. Wenn nichts getan wird, ist in zwei bis drei Monaten der Peak erreicht. Mit den gesetzten Maßnahmen wird dieser Peak in die Breite gezogen. Dadurch dauert es länger, bis eine Durchseuchung erreicht wird.

Es wird viel über die Entwicklung eines Impfstoffes diskutiert. Wann könnte dieser tatsächlich verfügbar sein beziehungsweise worin liegen die Probleme bei der Entwicklung?
Dass es schnell einen Impfstoff geben wird, ist nicht realistisch. Es werden derzeit gerade erste Tests durchgeführt. Man muss schauen, ob der Impfstoff tatsächlich funktioniert. Entscheidend sind natürlich auch die Nebenwirkungen. Denn wir reden hier nicht von einer Krankheit, die zu 50 Prozent tödlich verläuft. Es besteht daher die Gefahr, dass gesunde Menschen, Kinder und auch Risikogruppen geimpft werden und die Nebenwirkungen dann mehr Probleme machen als die Krankheit selbst. Daher ist das Testen der Impfstoffe so wichtig, und das geht eben nicht schnell.

Eine große Hoffnung beruht auch auf neuen Medikamenten. Wie schaut die Entwicklung hier aus?
Das wird deutlich schneller gehen. Denn diese Medikamente sollen den Schwerkranken helfen. Jeder, der nur milde Symptome hat, braucht sie ja nicht. Daher ist ein rascherer Einsatz möglich. Auch werden viele schon bekannte Medikamente auf ihre Wirksamkeit bei Covid-19 getestet. Allerdings kann man dazu noch nicht wirklich etwas sagen, da es einfach noch zu wenige Daten gibt.

ZUR PERSON

Heinz Burgmann Er studierte Medizin in Wien und vertiefte sein Wissen bei einem Auslandsaufenthalt an der Fakultät für Tropenmedizin an der Mahidol University in Bangkok (Thailand). Seit 1. April 2018 ist Burgmann Professor für Innere Medizin mit Schwerpunkt Infektionen und Tropenmedizin an der MedUni Wien und Leiter der Klinischen Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin der Universitätsklinik für Innere Medizin

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 12/20

Information: Für allgemeine Fragen zum Coronavirus hat die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) eine rund um die Uhr erreichbare Hotline eingerichtet: 0800 555 621

Wer Symptome aufweist oder befürchtet, erkrankt zu sein, soll zu Hause bleiben. Der Kontakt zu anderen Personen soll minimiert und das Gesundheitstelefon 1450 angerufen sowie die dort erhaltenen Anweisungen genau befolgt werden.