"Nicht den Mut verlieren
und positiv denken"

Die Gesellschaft erlebt gefühlt eine Krise nach der anderen, doch die Coronakrise scheint die Eurokrise, Schuldenkrise, Flüchtlingskrise, Ibiza- und Regierungskrise zu toppen. Dabei hilft es nicht, den Kopf in den Sand zu stecken - das empfiehlt auch Arbeits- und Organisationspsychologe Christian Korunka.

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"Es ist jedenfalls so, dass die Gesellschaft in vielen Bereichen gleichzeitig betroffen ist", so der Psychologe. "Über das Ausmaß kann man aber nur spekulieren."

"Wir sind erst am Anfang", betont der Wissenschafter. "Derzeit hat man den Eindruck, dass das Ausmaß der Coronakrise unvergleichlich ist. Von der Wirtschaftskrise waren viele Leute nicht direkt betroffen. Daher rührten wohl kaum gesellschaftliche Änderungen."

Ängste überwinden

Was ist jetzt anders? "Die Besonderheit ist, dass diese Krise in alle Lebensbereiche eingreift. Psychologisch betrachtet greifen verschiedenste Ängste - vor einer eigenen Gesundheitsgefährdung, vor Krankheit in der Familie, vor den beruflichen und wirtschaftlichen Auswirkungen, vor einer Einschränkung der Freiheit. Da kommen viele Dinge zusammen", erläutert der Experte von der Universität Wien.

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Wie gilt es, mit solchen Ängsten umzugehen? "Nicht den Mut verlieren und positiv denken - das ist wohl das Wichtigste", so Korunka. Er verweist auch darauf, dass Ängste hilfreich für eine Sensibilisierung sind und evolutionsbiologisch Sinn machen. "Sie warnen vor Gefahren, Sie helfen, jene neuen Regeln, die jetzt ständig kommuniziert werden, zu beachten." Gegenposition zur Angst sei ein Grundvertrauen in sich selbst und in die Gesellschaft, die Situation zu überwinden.

Homeoffice als Lernerfahrung

Die Auswirkungen auf die Arbeitswelt sind auch groß, was ändert sich derzeit? "Es läuft so etwas wie ein Modellversuch zur Flexibilisierung der Arbeit", sagt Korunka. "Viele sind nun gezwungen, daheim zu arbeiten oder sich anders zu flexibilisieren. Das ist eine gesellschaftliche Lernerfahrung." Diese gelte es auch mit Studien zu untersuchen, "aber noch ist die Situation zu unübersichtlich". Jedenfalls werde es sehr spannend, die Erfahrungen zu reflektieren, die die Menschen jetzt machen: "Wie geht es den Leuten mit der Autonomie und der Organisation in einer neuen Arbeitssituation?", will der Wissenschafter beispielsweise erforschen.

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Korunka hob auch hervor, dass es gelte, jene Berufsgruppen in ihrer Rollenverantwortung zu unterstützen, die nicht Homeoffice machen können und zudem derzeit besonders gefordert sind: Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, Verkäufer und Verkäuferinnen und weitere.

Ein neuer Biedermeier?

Und gesamtheitlich? "Es kann eine positive Lernerfahrung für die Gesellschaft sein", so Korunka. Die Produktivität in der Heimarbeit etwa bleibe die gleiche.

Oft war zuletzt auch von einer Art "neuen Biedermeier" zu lesen, die Menschen würden sich mehr in die eigenen vier Wände zurückziehen. Auf die Frage ob dieser Trend durch die neuesten Entwicklungen verstärkt wird, sagte der Fachmann: "Das ist schwer zu sagen, weil die Erfahrung noch viel zu kurz ist. Als gesellschaftlicher Trend ist die Entwicklung aber sicher vorhanden." Es sei "unprofessionell", Muster abzuleiten, wenn sich die Welt erst sei zwei oder drei Tagen verändert habe, so Korunka.