Corona-Krise: "Es gibt
keine Gegenmeinung"

Viele Menschen blicken in der Coronakrise mit Sorge in die Zukunft. Wie wird es nach Ostern weitergehen? Wie kann es weitergehen? Der renommierte deutsche Zukunftsforscher Sven G. Jànsky hält fünf Szenarien in seiner Trendanalyse für möglich. Im Interview für news.at übt er scharfe Kritik an Virologen und erklärt, was wir aus dieser Krise für die Zukunft mitnehmen sollten.

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Pandemie - Corona-Krise: "Es gibt
keine Gegenmeinung" © Bild: iStockPhoto.com

Herr Jànszky, Sie beziehen sich in Ihren Zukunftsszenarien auf Deutschland. Von konkreten Akteuren in der Politik abgesehen, auf die Sie sich beziehen: Lassen sich diese Szenarien weitgehend auch für Österreich ableiten?
Natürlich nicht bis ins kleinste Detail heruntergebrochen, aber in Grundzügen schon. Der einzige größere Unterschied in der Corona-Krise bestand in der Ausgangssituation, also mit der geografischen Nähe zu Italien. Durch das Schließen der Grenzen spielt das allerdings keine große Rolle mehr.

Sie üben in Ihrer Trendanalyse scharfe Kritik an Virologen. Vertrauen wir den falschen Experten?
Dazu muss man sagen, dass jeder Experte seine persönliche Sichtweise und Expertise hat. Deshalb müssen wir in dieser Diskussion sehr genau schauen, worum es eigentlich geht: Wenn wir über Infektionswege und -verläufe sowie Erkrankungen diskutieren, dann sind Virologen selbstverständlich die unumstrittenen Experten, das will ich gar nicht bezweifeln. Es war auch wichtig und richtig, Virologen in den letzten Wochen viel zu Wort kommen zu lassen.

»Wenn wir diese Sichtweise beibehalten, dann werden wir unsere Gesellschaft gegen die Wand fahren«

Was hat sich verändert?
Augenscheinlich hat sich die Fragestellung in der Öffentlichkeit stark verändert. Worum es jetzt geht, ist die Frage, wie wir es schaffen, unsere Gesellschaft in den nächsten Wochen und Monaten so zu steuern, dass nicht nur möglichst wenig Infizierungen erfolgen. Es geht auch darum sicherzustellen, dass große Errungenschaften unserer Gesellschaft wie Demokratie, Freiheit oder Selbstbestimmung dadurch nicht gleichzeitig verloren gehen.

Genau hier setzt meine Kritik an: Die Virologen erzählen aus ihrer Sicht die richtigen Dinge für ihr Fachgebiet. Wenn sie von Medien aber danach gefragt werden, wie die Zukunft des Landes aussehen wird, müssen sie reflektieren, dass sie dafür keine Expertise haben, und sich zurückhalten. Aus meiner Sicht haben wir in der öffentlichen Diskussion eine sehr verengte Sichtweise, die fast ausschließlich aus medizinischem oder virologischem Standpunkt auf die Dinge schaut. Wenn wir diese Sichtweise beibehalten, dann werden wir unsere Gesellschaft gegen die Wand fahren.

Stichwort Vertrauen: Verlassen sich Länder in Europa zu stark auf die Zahlen und auf schreckliche Bilder aus Italien?
Wenn man die weltweite Situation betrachtet, dann gibt es einen großen Unterschied zwischen den Zahlen, die aus Asien berichtet werden, und den Verläufen, die wir in Italien haben. Die österreichische und in Folge die deutsche Politik argumentierte die Einschränkungen in den letzten Wochen immer mit den italienischen Zahlen.

Wenn wir davon ausgehen könnten, dass es in unseren Ländern auch so schlimm werden wird wie in Italien, dann sind diese Maßnahmen alle richtig. Es gibt aber eben auch die asiatischen Zahlen und die Frage ist, wem man mehr vertraut. Das ist für die Politik keine einfache Aufgabe und ich habe totales Verständnis, dass man davon ausgeht, Italien in Europa besser einzuschätzen als beispielsweise China oder Südkorea.

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Was wäre die Alternative?
Die deutsche und österreichische Politik hätte auch durchaus die Wahl, asiatische Maßnahmen zu ergreifen. Es gibt mehrere Unterschiede, aber der größte besteht in Massentests, die nicht nur einmal durchgeführt, sondern auch wiederholt werden. Mit dem Ziel, exakt diejenigen Menschen in der Gesellschaft festzustellen, die infiziert sind und im zweiten Schritt nur die infizierten Personen nachzuverfolgen. Das ist in der Strategie des Umgangs ein großer Unterschied.

Wir müssen uns in den nächsten Wochen in Europa ganz klar die Frage stellen, ob wir auf diesen asiatischen Weg umschwenken, also ob wir Kranke identifizieren und sie zusätzlich zu den Risikogruppen isolieren. Einfach aus dem Grund heraus, weil wir es uns gesellschaftspolitisch eigentlich gar nicht anders leisten können.

Sie erwähnen Südkorea als positives Beispiel in der Corona-Krise. Das Land konnte deshalb so viele Testungen machen, weil Verfahren und Herstellung dort ansässig sind. Rächt sich für Europa jetzt der Fehler, zu viel Forschung und Produktion nach Asien auszulagern?
Es gibt in unserer globalisierten Welt gar keine andere Möglichkeit, gewisse Dinge auszulagern und an Stellen zu produzieren, wo es kostengünstiger ausfällt. Sehr wohl rächt sich aus meiner Sicht aber, dass sich die Politik in Europa zu wenig gefragt hat, was strategisch wichtige Technologien für das Land sind und dort den Finger draufzulegen. Das betrifft in der jetzigen Situation natürlich medizinische Güter, die Diskussion gab es davor aber auch schon bei Künstlicher Intelligenz oder 5G.

Es wäre also ein Vorwurf, den man der deutschen und österreichischen Politik machen muss, dass sie diese Themen viel zu wenig national-strategisch behandelt und den Zugriff darauf nicht sichergestellt hat. Es muss ja nicht im eigenen Land produziert werden, aber man muss den Zugriff darauf haben.

»Wir können aber die Augen nicht davor verschließen, dass es eben auch eine andere Seite gibt«

Die jüngsten Zahlen zeigen, dass rund 96% der Corona-Erkrankungen in Österreich nicht hospitalisiert werden müssen, also einen milden Verlauf nehmen (Stand: 25.03.2020). Sind die Maßnahmen Ihrer Ansicht nach gerechtfertigt, mit denen das soziale und wirtschaftliche Leben derart abgewürgt wird?
Dieses Gefühl hat jeder, der sich das vor Augen führt. Aber ist es mehr wert möglichst viele Leben der Risikogruppen zu retten oder ist es mehr wert für die übergroße Masse der Menschen das normale Leben in Demokratie, Freiheit und Wohlstand aufrechtzuerhalten? Wenn in Deutschland ein Bundesvertreter mit dieser Frage konfrontiert wird - das wird in Österreich nicht anders sein - gibt es sofort die Antwort: „Wir müssen jedes Leben retten“. Das entspricht auch den Verfassungen und da kann man nichts dagegen sagen.

Wir können aber die Augen nicht davor verschließen, dass es eben auch eine andere Seite gibt. Die andere Seite bedeutet eben, wenn wir das über viele Wochen und Monate weitertreiben, dass wir zwar jedes mögliche Leben retten, aber auch Grundlagen demokratischer Prinzipien damit abschaffen. Wir müssen endlich anfangen, diese Problematik zu diskutieren und nicht totzuschweigen. Wir müssen einen gesellschaftlichen Konsens zu dieser Frage finden, weil es keine Pauschalantwort dafür gibt. Ansonsten ist aus meiner Sicht die Prognose relativ klar, dass ein echter Generationenkonflikt bzw. ein Konflikt zwischen Risikogruppen und Nicht-Risikogruppen entstehen wird.

Der dauerhafte Shutdown ist das düsterste der fünf Szenarien, die Sie aufzeigen. Warum ist er nicht denkunmöglich, wo er doch prinzipiell gegen fast alle demokratischen Grundsätze verstößt?
Es wäre die Fortführung der Maßnahmen und Reaktionsmechanismen, die wir bisher von europäischen Regierungen in den letzten Wochen gesehen haben. Aus theoretischer Sicht erscheint das natürlich unrealistisch.

Man muss aber nicht denken, dass die Bevölkerung das mit sich machen lässt. Selbstverständlich würden diese Regierungen nicht wiedergewählt, die ihrem Volk das antun. Nur würde es danach nicht besser, weil möglicherweise extremere Regierungen an die Macht kämen.

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In Ihren anderen vier Szenarien gehen Sie davon aus, dass gegenwärtige Maßnahmen grundsätzlich bis Herbst durchhalten könnten, ohne dass es grundlegende Einschnitte in die Gesellschaft geben wird, sofern man danach wieder zur Normalität zurückkehrt. Wie würden Sie ein halbes Jahr Krisenresistenz demokratischer Gesellschaften grundsätzlich bewerten? Was sagt das über unser System aus?
Ich glaube nicht, dass das System zusammenbrechen wird. Wir erleben im Augenblick eine recht schnelle und stringente Entwicklung in Richtung eines langfristigen Shutdowns. Aus einem einzigen Grund: Weil es in der Gesellschaft keine Gegenmeinung gibt. Von den Oppositionsparteien hört man überhaupt nichts, die tragen einfach mit, was von der Regierung entschieden wird. Auch die Bevölkerung trägt das mit Ausnahme vereinzelter „Corona-Partys“ oder Jugendlicher im Park voll mit.

Das wird aber maximal bis zum Sommer anhalten. Wenn danach keine Veränderung der Situation kommt, dann wird es - wie es sich für eine Demokratie gehört - andere Meinungen im Parlament und auf der Straße geben. Insofern gehe ich nicht davon aus, dass unser Konzept demokratischer Gesellschaften nach einem halben Jahr zu Ende gehen kann. Die Meinungsfreiheit wird im Augenblick nur einfach nicht genutzt.

»Die Corona-Krise sollte uns vor allem zeigen, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist«

Aber wie gut ist unser System, wenn es durch so ein Ereignis schon so stark ins Straucheln kommt?
Es ist natürlich schon ein massives Ereignis, das darf man nicht vergessen. Ich glaube nicht, dass das Gesellschaftssystem an sich ein Problem hat. Mit den richtigen Maßnahmen lässt es sich durchaus auch durch so eine Krise steuern.

Um diese Krise zu managen wäre es in einem Gedankenspiel womöglich einfacher, unsere demokratischen Grundsätze über den Haufen zu werfen und zentralistisch regiert zu werden, wie es Viktor Orban in Ungarn übrigens tatsächlich per Dekret machen will. Rein aus medizinischer Sicht, zur Überwindung dieser Krise mit möglichst wenig Toten, wäre das womöglich auch der effektivere Weg. Nur geht das eben nicht, weil man damit die Demokratie zerstört. Das sollte uns vor allem zeigen, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist, das haben sich unsere Vorfahren über Jahrhunderte erkämpft und das ist nicht gottgegeben. Auch wir haben dafür mit Entbehrungen zu kämpfen.

Wie würden Sie die Rolle der EU in Krisenzeiten wie dieser bewerten? Im Prinzip kocht ja jedes Land sein eigenes Süppchen und die Grenzen waren plötzlich schneller da, als sie verschwunden sind…
Das ist der augenblickliche Zustand der EU und das war noch nie anders. In den letzten Jahrzehnten seit der Gründung ist es nicht gelungen, die EU zu einem föderalen Staat weiterzuentwickeln. In existenziellen Fragen wie Sicherheit und Gesundheit hat es noch nie ein europäisches Handeln gegeben. In diesen Zeiten zeigt sich das verschärft. Wir haben die EU in den letzten Jahrzehnten einfach nicht so aufgebaut, wie wir darüber geredet haben, sie ist schlicht ein Abstimmungsgremium verschiedener Nationalstaaten geblieben. Das müssen wir einfach so konstatieren.

Wo besteht Ihrer Ansicht nach der größte Nachholbedarf bei der Technologisierung der Gesellschaft im Hinblick auf die Corona-Krise?
Eindeutig bei Selbst-Tests. Es ist nach dem heutigen Stand der Technologie überhaupt nicht einzusehen, warum nicht jeder Bürger einen Umschlag mit Test nach Hause bekommt, den Test macht, einschickt und nach ein paar Tagen das Ergebnis übermittelt bekommt.
Das hat natürlich seine Gründe: Das hat mit fehlenden Laborkapazitäten und nicht zuletzt der fehlenden Entwicklung dieser Tests zu tun. Dass wir diese Möglichkeit verschlafen haben, liegt an der Technologie-Aversion der herrschenden Entscheider in unseren Ländern. Technologieaffine Gesellschaften hätten das jedenfalls anders gemacht – und haben es anders gemacht, wenn man nach Asien schaut.

»Wir dürfen nicht denken, dass so etwas jetzt jedes Jahr stattfinden wird«

Die Corona-Krise bringt viel Leid und Entbehrungen – zeichnen sich derzeit auch Gewinner ab?
Gewinner sind aus wirtschaftlicher Sicht selbstverständlich die Unternehmen, die einspringen, wenn der Handel schließt. Das sind die Lieferdienste und all die „Amazons“ dieser Welt, wenn man so möchte.
Auf gesellschaftlicher Seite ist das Gesundheitswesen der Gewinner, weil da jetzt sehr viel Geld investiert wird, aber auch, weil die Wertschätzung in der Bevölkerung steigt. Und politisch stehen die Regierenden gut da, weil es ihnen am Ende des Tages anhaften wird, die Krise gemeistert zu haben.

Was können wir Ihrer Ansicht nach jetzt schon aus der Corona-Krise lernen, um für zukünftige Krisen besser gewappnet zu sein?
Wir sollten aus dieser Krise lernen, dass wir eine strategische Industrie- und Wirtschaftspolitik etablieren müssen und dass wir die wesentlichen Technologien, die wir brauchen, um solche Krisen zu überstehen, in Reichweite haben müssen.
Auch müssen wir verstehen lernen, dass so eine Pandemie wirklich eine Ausnahmesituation ist. Wir dürfen nicht denken, dass so etwas jetzt jedes Jahr stattfinden wird.

Hier nachzulesen: Die Trendanalyse zur Zukunft mit Corona von Sven Gábor Jánszky

© Roman Walczyna

Zur Person: Sven Gábor Jánszky (47) ist Zukunftsforscher und Chairman des größten Zukunftsforschungsinstituts in Europa „2b AHEAD ThinkTank“. Seine Studien und Trendanalysen zu den Lebens-, Arbeits-und Konsumwelten der Zukunft und seine Strategieempfehlungen zu Geschäftsmodellen der Zukunft bilden die Basis für die Zukunftsstrategien vieler Unternehmen. Der Zukunftsforscher lehrt an verschiedenen Universitäten. Mit seinen Management-Strategiebüchern „Rulebreaker–Wie Menschen denken, deren Ideen die Welt verändern“ (2010) und „Die Neuvermessung der Werte“ (2014) wurde er zum Sprachrohr der Querdenker und disruptiven Innovatoren in der deutschen Wirtschaft.