Lockdown: "Jede Woche kostet 1,7 Milliarden Euro"

Der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, Robert Holzmann, sieht uns bislang gut durch die Krise gekommen, bekennt sich zum Bargeld und kann in der Causa Commerzialbank Mattersburg kein Kontrollversagen der Bankenaufsicht erkennen.

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Wirtschaft - Lockdown: "Jede Woche kostet 1,7 Milliarden Euro" © Bild: iStockphoto.com
Robert Holzmann, 71, ist verheiratet, Vater zweier Kinder und mehrfacher Großvater. Er studierte Wirtschaftswissenschaften und habilitierte sich 1983 zum Dozenten an der Uni Wien. Der gebürtige Steirer leitete von 1983 bis 2005 ein Ludwig-Boltzmann-Institut in Wien, war von 1985 bis 1987 bei der OECD, dann beim IWF, danach als Professor an der Universität des Saarlandes, von 1997 bis 2011 bei der Weltbank und in der Folge an Universitäten in Kuala Lumpur und Sydney tätig. Seit September 2019 ist er Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank.
© Ricardo Herrgott/News

Herr Holzmann, wie herausfordernd ist die aktuelle Lage für Sie als Nationalbank-Gouverneur?
Die Lage ist sicher herausfordernd, ich bin aber krisenerfahren. Während meiner Tätigkeit bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gab es 1987 den sogenannten "Schwarzen Montag", den ersten Börsenkrach nach dem Zweiten Weltkrieg. Während meiner Zeit beim Internationalen Währungsfonds (IWF) kam es zu großen Veränderungen in Mittel- und Osteuropa, und zwei Monate nachdem ich 1997 zur Weltbank wechselte, begann zeitgleich die Finanzkrise in Ostasien und meine Tätigkeit endete dort nach der globalen Finanzkrise von 2008/2009.

Wie ernst ist es wirklich?
Die Gesundheitskrise hatte natürlich wirtschaftliche Auswirkungen: Weltweit kam es im Vorjahr zwar zu einer Verringerung des Wachstums, letztlich jedoch zu einem geringeren Rückgang als ursprünglich prognostiziert - minus 3,5 Prozent statt minus 4,4 Prozent. In Österreich sind es minus 7,3 Prozent, ursprünglich gab es da zum Teil auch höhere Schätzungen. Der dritte Lockdown führte im ersten Monat heuer zu einem Minus der Wirtschaftsleistung von 14 Prozent im Vergleich zum Jänner 2020. Das ist viel, aber im März letzten Jahres waren es im Vergleich zum März 2019 noch minus 25 Prozent. Es hätte viel schlimmer kommen können.

Laut jüngsten Daten war der Wirtschaftseinbruch im vierten Quartal in Österreich mit minus 7,8 Prozent am stärksten in der ganzen EU. Ist das nicht dramatisch?
Zurückzuführen ist dieses Minus sicher auch auf den Einbruch des Wintertourismus, nicht nur in den Skigebieten, sondern auch in den Städten. Österreich ist dadurch im Vergleich zu den anderen EU-Staaten überproportional betroffen. Dennoch: Österreich ist bisher sehr gut durch die Krise gekommen mit - im internationalen Vergleich gesehen - geringeren Folgewirkungen als in anderen Staaten.

Wo sind die Auswirkungen am geringsten?
Die Produktion von Gütern befindet sich weltweit nahezu auf Vorkrisenniveau. Welthandel, Exporte und Importe sind kaum negativ beeinflusst. Auch wenn rund zwei Drittel der Wirtschaftsleistung aus dem Dienstleistungssektor kommen, ist dort ebenfalls nur ein vergleichsweise kleiner Bereich - Tourismus, Beherbergung, Kultur und zum Teil der Handel - beeinträchtigt. Der Rest leidet vor allem unter der eingeschränkten Mobilität. Es zeigte sich auch, wie sehr moderne Technologien geholfen haben, den wirtschaftlichen Betrieb insgesamt aufrechtzuerhalten. Die Menschen haben sich daran gewöhnt, mit den Beschränkungen der Lockdowns umzugehen - und viele können ihren Job wie gewohnt weiter ausüben.

»Je länger die restriktiven Maßnahmen dauern, desto mehr verschiebt sich die Erholung ins Jahr 2023. Jede Woche kostet 1,7 Milliarden Euro«

Aber oft nur im Homeoffice.
Immerhin. Homeoffice war ja schon seit Jahren ein Thema, oft gab es da aber Widerstände von Arbeitgebern. Das ist jetzt anders, weil es sich gezeigt hat, dass die Mitarbeiter dadurch auch unter erschwerten Bedingungen ihre Arbeit leisten konnten.

Wie geht die Nationalbank mit diesem Thema um?
Die Personalpolitik der OeNB ist hier beispielgebend, denke ich. In der Nationalbank sind derzeit bis zu 95 Prozent unserer Mitarbeiter permanent im Homeoffice. Zwang gibt es aber keinen. Für diejenigen, die hier sein müssen, haben wir eine eigene Teststraße eingerichtet, in der sie sich zumindest einmal pro Woche testen lassen können. Bei einer Generalratssitzung etwa werden alle Anwesenden getestet und im Sitzungssaal wird auch der Zwei-Meter-Abstand eingehalten. Und es gibt natürlich Videozuschaltungen bzw. -konferenzen. Viele Veranstaltungen und Sitzungen, die wir derzeit durchführen, finden in hybrider Form statt. Wenn sich die Situation wieder verbessert, gehen wir auf eine Anwesenheit von 50 Prozent über mit sogenannten "Split-Teams". Sollte ein Team von einem Cluster betroffen sein, könnte dann das andere Team einspringen. Wir hatten auf Grund all dieser Maßnahmen bislang nur sehr wenige Covid-19-Fälle, und in der OeNB selbst hat sich niemand angesteckt.

Es gab ja jüngst wieder eine Sitzung der EZB (Europäische Zentralbank; Anm.): Muss die weitere geldpolitische Schritte setzen?
Der Rahmen des Anleiheankaufprogramms der EZB wurde im Dezember 2020 um 500 Milliarden Euro auf 1,85 Billionen Euro aufgestockt, allerdings mit einem Unterschied: Die bisherigen Volumina wurden mit einem fixen Zeitrahmen beschlossen, innerhalb dessen sie für den Ankauf von Wertpapieren durch die Nationalbanken ausgegeben werden mussten. Bei der jüngsten Erhöhung handelt es sich dagegen um eine Obergrenze, die ausgegeben werden kann, aber nicht muss. Das ist ein gewaltiger Unterschied, der bedeutet: Die Krise ist weiter fortgeschritten und noch nicht vorbei, aber es wird vielleicht nicht notwendig sein, die Mittel auch auszuschöpfen.

Der Normalbürger fragt sich da dennoch: Kann ohne Ende Geld gedruckt werden?
Sicherlich nicht (lacht)  - höchstens theoretisch. Das würde dann irgendwann in einer Hyperinflation enden, die wir alle nicht wollen. Jetzt wird Liquidität zur Verfügung gestellt, und diese findet ihren Weg zu den Staaten und in die Wirtschaft. Das heißt aber auch, dass die Staatsverschuldung ansteigt; und auch wenn die Zinsen momentan sehr gering sind, ist bei den Schulden doch eine Obergrenze gegeben.

© Ricardo Herrgott/News Robert Holzmann im Büro vor einem Porträt von Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner: "Wir hoffen auf eine schwarze Null"

Wo liegt die?
In Österreich lag die Staatsverschuldung zuletzt bei rund 85 Prozent des BIP, andere Länder haben höhere Quoten: Italien beispielsweise 160 Prozent, Japan sogar 266 Prozent. Eine von den US-Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff festgelegte Regel besagt, dass es ab einer Grenze von circa 90 Prozent zu negativen Reaktionen des Marktes kommt, die sich auf die Wirtschaftskraft eines Landes auswirken. Diese Grenze hat sich vermutlich auf Grund der extrem niedrigen Zinsen nach oben verschoben, dennoch ist Vorsicht angesagt.

»Die Möglichkeit zu Barzahlungen hat viel mit persönlicher Freiheit zu tun«

Wie sind Ihre Erwartungen für Österreichs Wirtschaft?
Nach dem BIP-Rückgang von 7,3 Prozent im Vorjahr gehen wir für heuer von einem Plus von etwa zwei bis 3,5 Prozent aus. Das hängt davon ab, wie es mit dem Lockdown weitergeht. Jede Woche des Lockdowns kostet laut WKO rund 1,7 Milliarden Euro. Die Covid-19-bedingten BIP-Verluste seit Ausbruch der Pandemie summieren sich bisher auf mehr als 30 Milliarden Euro.

Wann wird man wieder das Vorkrisenniveau erreichen?
Die bisherige Schätzung war Ende 2022, aber je länger die restriktiven Maßnahmen dauern, desto mehr verschiebt sich die Erholung ins Jahr 2023. Die Erholung könnte sich unter entsprechenden Voraussetzungen durchaus dynamischer entwickeln, als wir heute vielleicht erwarten. Wenn Handel, Restaurants und Hotels wieder öffnen und eine Corona-Infektion keine relevante Gefahr mehr darstellt, werden die Leute ihr Geld auch wieder ausgeben. Wenn sie wieder zum Heurigen gehen oder verreisen können, wird auch der Konsum wieder anspringen. Da kommt es dann zu einem Nachholeffekt auch bei dauerhaften Konsumgütern wie Autos oder Elektrogeräten.

Für 2021 wird ein deutlicher Anstieg bei den Insolvenzen erwartet. Sie haben im Vorjahr gesagt, es würde ohnehin nur angeschlagene Unternehmen erwischen. Sehen Sie das heute noch so?
Die Insolvenzen sind seit Beginn der Krise atypisch zurückgegangen, was in erster Linie mit den wirtschaftspolitischen Maßnahmen wie Stundungen oder Kreditgarantien und -moratorien zu tun hat. Deren Auslaufen wird möglicherweise zu einer Erhöhung der Insolvenzen führen. Die Frage ist nur, wie viele Unternehmen insolvent werden, die zwar ein funktionierendes Geschäftsmodell haben, denen aber mittlerweile der finanzielle Atem ausgegangen ist. Es wird auch zusätzliche Möglichkeiten zum Eigenkapitalersatz für Betriebe geben müssen. Da ist nun der Gesetzgeber gefordert, die nötigen rechtlichen und steuerlichen Voraussetzungen für solche Beteiligungsinstrumente zu schaffen. Es gibt sicher zahlreiche Personen, die bereit wären, einen Teil ihres Sparguthabens höherwertig in Unternehmen zu investieren - womit beiden Seiten gedient wäre. Eigenkapital kommt bei der Bewältigung der Krise eine extrem wichtige Rolle zu.

Könnte die Pleitewelle zu einem Problem für die Banken werden?
Wenn wir zur letzten Krise, der Finanzkrise 2008, zurückblicken, so können wir feststellen, dass diese zu einer Verbesserung der Eigenmittelquoten der Banken, ihres Verhaltens im geschäftlichen Alltag und auch der Qualität der Bankenaufsicht geführt hat. Insofern mache ich mir wenig Sorgen.

Wie ist es der OeNB 2020 wirtschaftlich ergangen und wie sieht es für heuer aus? (2019 betrug die Auszahlung an den Bund 248 Millionen Euro, Anm.)
Wir sind natürlich auch an den Kosten der unkonventionellen Geldpolitik der EZB beteiligt. Wenn sich die Banken Geld ausleihen mit Negativzinsen, so muss das jemand bezahlen. Und das bezahlen die Zentralbanken, das schlägt sich in deren Bilanzen nieder. Unsere 2020er-Bilanz wird gerade erstellt, es ist aber klar, dass insgesamt weniger als 2019 erzielt werden wird. Wir hoffen auf eine schwarze Null. Zentral ist jedoch, dass die OeNB auch im schwierigen Jahr 2020 ihre Aufgaben, insbesondere die Gewährleistung der Preisstabilität, die Sicherung der Finanzmarktstabilität und die Sicherstellung der Bargeldversorgung, vollumfänglich leisten konnte.

Die EU plant eine Beschränkung bei Barzahlungen ab einer Höhe von 10.000 Euro. Wie stehen Sie dazu?
Es gibt in Österreich keine Barzahlungsobergrenze, mit Ausnahme eines Barzahlungsverbots, nämlich beim Arbeitslohn in der Bauwirtschaft. Und es ist ganz klar, dass wir in Österreich Bargeld keinen Beschränkungen aussetzen werden. Die Möglichkeit zu Barzahlungen hat viel mit persönlicher Freiheit zu tun. Wenn jemand Schwarzgeld waschen möchte, dann gibt sehr viele andere Möglichkeiten, dies zu tun.

»Wenn die Menschen wieder zum Heurigen gehen und verreisen können, wird auch der Konsum wieder anspringen«

Die EU denkt ja auch an einen digitalen Euro. Will sie ganz weg vom Bargeld?
Der digitale Euro ist etwas ganz anderes. Ob er überhaupt eingeführt, wie er genau aussehen wird und welche Eigenschaften er aufweisen soll, ist derzeit in Diskussion. Es muss auch noch ausdiskutiert werden, welche Konsequenzen für die Gesellschaft und die Geldpolitik aus einem digitalen Euro erwachsen würden. Entsprechende Diskussionen und Entscheidung dazu werden auf europäischer Ebene vorbereitet, aber die OeNB ist an der Vorbereitung voll beteiligt.

Wechsel zum Skandal um die Commerzialbank Mattersburg: Sie haben den ja als 30-jähriges Pyramidenspiel bezeichnet, das mit krimineller Energie eines Einzelnen zu tun hat. Gibt es dennoch Lehren, die man daraus ziehen kann?
Die Lehren sind ganz klar, nämlich die schon verfügbaren Instrumente auch voll auszunutzen -beginnend bei der Zusammensetzung des Aufsichtsrats, dem Funktionieren der internen Revision und wie die Wirtschaftsprüfer ihren Job erledigen. Diese drei Dinge müssen funktionieren. Denn der Fall Commerzialbank Mattersburg ist weder ein Systemversagen noch ein Versagen der Bankenaufsicht. Die Geschäftsführung der Bank war offensichtlich von allem Anfang an darauf bedacht, alle internen und externen Prüf- sowie Aufsichtsinstanzen zu täuschen beziehungsweise zu umgehen. Daher ist die Causa Commerzialbank Mattersburg auch ein in der Bankgeschichte unseres Landes ziemlich einzigartiger Kriminalfall. Noch nie haben es die österreichischen Aufsichtsbehörden mit einer Bank zu tun gehabt, deren Sinn und Zweck von Anfang an darauf ausgelegt war, zu betrügen und das österreichische Aufsichtssystem vorsätzlich zu täuschen und zu hintergehen.

Aber auch OeNB und Finanzmarktaufsicht erteilten uneingeschränkte Bestätigungsvermerke. Zu Unrecht?
Weder OeNB noch FMA erteilen uneingeschränkte Bestätigungsvermerke. Diese Aufgabe obliegt dem Wirtschaftsprüfer, der durch seine uneingeschränkten Bestätigungsvermerke die Vollständigkeit und Richtigkeit der Bilanz bestätigt hat. Wir mussten davon ausgehen, dass das alles zuvor geprüft worden ist. Wenn wir auch dies alles untersuchen müssten, müsste die Zahl der dafür abzustellenden Personen mindestens verdoppelt, verdreifacht oder vervierfacht werden. Diesen Aufwand müssten dann die Banken bezahlen, die ihn wiederum ihren Kunden verrechnen müssten. Ob das gewünscht ist? Ich möchte aber auch festhalten, dass letztlich die Prüfer der OeNB die Aufdeckung des Falles Commerzialbank Mattersburg ins Rollen gebracht und überhaupt erst möglich gemacht haben.

Dennoch klagt die Einlagensicherung jetzt die Republik, weil sie meint, FMA und OeNB hätten versagt ...
Das ist das gute Recht der Einlagensicherung. Aber die OeNB hat sich nichts vorzuwerfen. Ihre Prüfer haben letztlich den Fall aufgedeckt.

Vor einiger Zeit wurde bereits eine Totalreform der Bankenaufsicht angedacht. Wäre jetzt der richtige Zeitpunkt dafür?
Im Fall der Commerzialbank Mattersburg war die Arbeitsteilung wie in der Vergangenheit auch: Die FMA als Behörde erteilt Prüf- bzw. Analyseaufträge an die OeNB. Die OeNB ist als Gutachter beziehungsweise "fact finder" für die FMA tätig und erstellt wirtschaftliche Analysen bzw. führt Vor-Ort-Prüfungen durch. Die FMA trifft auf dieser Basis alle weiteren behördlichen Entscheidungen. Für eine Aufsichtsreform sehe ich derzeit keine Notwendigkeit.

Das Interview erschien ursprünglich im News der Ausgabe 06/2021.