Corona: Wie uns
die Krise verändert

Von heute auf morgen hat sich unser Leben komplett verändert. Das Coronavirus dominiert unseren Alltag. Wie verändert uns diese Krise? Welche Seiten kehrt sie an uns hervor? Und was brauchen wir, um diese Zeit gut zu überstehen?

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die Krise verändert © Bild: iStockphoto.com

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"Man muss damit rechnen, dass sich jetzt viele Leute auf besondere Art und Weise verhalten", sagt Dr. Alois Kogler. "Dass sie die Geschäfte, die Bankomaten stürmen." Weil sie Angst haben. Und Menschen, die Angst haben, setzen "Handlungen, die nicht nur rational nicht gerechtfertigt, sondern auch kontraproduktiv sind", erklärt der Grazer Verhaltenstherapeut. Via Social Media werden Nachrichten geteilt, die die Angst schüren. Darunter solche, die jeglicher Grundlage entbehren. Und während die Angst die einen zu unvernünftigen Handlungen treibt, wächst in den anderen der Ärger.

Von der Angst zum Ärger

"Die Angst wird zum Ärger über andere." Was wiederum zur Belastungsprobe für manch zwischenmenschliche Beziehung wird. Und nicht nur das. "Wird der Ärger ein Dauerbestandteil unseres Lebens, schaden wir uns selbst am meisten", mahnt Kogler. Abgesehen davon, dass Ärger keine angenehme Emotion ist, hindert er uns daran, über die Dinge, wie sie sind, nachzudenken. Er schränkt unsere Reflexionsfähigkeit ein. So kann uns nichts von der Überzeugung abbringen, dass wir im Recht sind. Eine Überzeugung, die spätestens im Zusammenleben mit anderen zum Problem wird.

Dass wir jetzt Angst haben, ist natürlich. Wobei weder ein Zuviel noch ein Zuwenig an Angst konstruktiv ist. Denn während Zweiteres dazu beiträgt, gefährliche Situationen zu unterschätzen, führt ein Übermaß an Angst zum Rückzug und dem Verlust der Handlungsfähigkeit. Die Realität sieht derzeit aber anders aus: "Was sich jetzt zeigt, ist ein äußerst positiver, nahezu entspannter, meditativer Umgang mit der Situation", stellt der Verhaltensexperte fest. Was dem Umstand geschuldet sei, dass die Gesellschaft dem Staat, in dessen Hände sie nun ihr Wohlergehen legen muss, vertraut.

Vertrauen in die Regierung

Ebendiesem Vertrauen ist es auch zu verdanken, dass derzeit viele Menschen den von der Regierung gesetzten Maßnahmen nachkommen. "Alles läuft jetzt unter dem Motto: Wir müssen lösen", sagt Kogler. Radikale Regeln werden vorgegeben. Unsere vier Wände sollen wir nur mehr in dringenden Fällen verlassen, soziale Kontakte auf ein Minimum beschränken. Bestünde kein Vertrauen in den Staat, könnte es jetzt zu einer krisenhaften Revolution, zum Aufbegehren kommen. Das Gegenteil ist aber der Fall. Die Menschen informieren sich, gewinnen dadurch ein Gefühl der Kontrolle, erachten die Informationen als wertvoll und leisten den gesetzten Maßnahmen Folge.

»Wir lernen, mit radikalen Einschränkungen umzugehen«

"Hier ist ein ungeheuer großer gesellschaftlicher Lernprozess in Gang", sagt der Experte. "Wir lernen, mit radikalen Einschränkungen umzugehen, die wir zum aktuellen Zeitpunkt in einem großen Maße befürworten, weil wir der Regierung vertrauen und wissen, dass alles andere schlecht für uns wäre." Vor kurzem hat sich manch einer noch Gedanken über den nächsten Urlaub gemacht. Das ist jetzt obsolet. Eine Reihe an persönlichen Entscheidungen muss der aktuellen Situation angepasst werden. "Das ist es, was wir lernen müssen und werden. In vielen Köpfen ist das auch schon drinnen."

Wir ändern unser Mindset

Doch auch auf zwischenmenschlicher Ebene bewegt sich gerade sehr viel. Die Sozialen Medien laufen heiß. Es wird gepostet und gechattet, was das Zeug hält. "So viel, wie jetzt kommuniziert wird, so viel wurde noch nie kommuniziert", stellt der Verhaltenstherapeut fest. Dabei findet natürlich auch eine starke gegenseitige Beeinflussung statt. Manch einer will vielleicht nicht wahrhaben, dass die Situation eine ernste Bedrohung darstellt. Je öfter man ihn damit aber konfrontiert, desto eher wird er sein Mindset – also seine Gedanken und Gefühle – verändern. Das geht nicht von heute auf morgen. Weil sich Widerstände in uns regen. "Irgendwann wird aber selbst der Verstockteste umdenken."

Im Gegensatz zum Verleugner. Er hat das Gefühl, dass ihm die Krise nichts anhaben kann. Seine Mission lautet: Das Leben muss locker sein. Eine Einschränkung seiner persönlichen Freiheit will er nicht so einfach hinnehmen. Selbst dann nicht, wenn sie vonseiten der Regierung angeordnet wird. "Im Grunde ist das eine Lebenseinstellung", sagt der Experte. Die Person legt alles daran, sich wie bisher zu verhalten. Und ist von der Richtigkeit ihres Handelns felsenfest überzeugt. Auch dann, wenn sie den einen oder anderen Rückschlag erleidet. "Das ist das Persönlichkeitsmerkmal der Verdränger."

Wie man mit der Angst richtig umgeht

So oder so geht es jetzt aber erst einmal darum, die Krise gut zu überstehen. Dafür müsse man, so Kogler, in erster Linie die Angst akzeptieren. Sowohl die eigene als auch die der anderen. In Krisensituationen gehen Menschen sehr unterschiedlich mit Angst um. "Manche können aggressiv werden, weil sie nicht wissen, wie sie richtig reagieren sollen." Diese Personen gilt es auf wertschätzende Art und Weise zu beruhigen. Um mit der eigenen Angst besser zurechtzukommen, empfiehlt es sich, für ausreichend Struktur zu sorgen. Hier hilft ein Tagesplan.

»Jede große gesellschaftliche Veränderung hinterlässt Spuren«

Es ist wichtig, sich mit der Situation zu konfrontieren und sich Aufgaben zu suchen. Manche fangen vielleicht zum Stricken an. Andere nützen die Zeit daheim zum Ausmisten. "Vielleicht kommt jetzt ja die Zeit des großen Aufräumens in Österreich", sagt Kogler. An oberster Stelle steht aber die Beziehungspflege. Allen voran für jene, die sich ihre Wohnung nicht mit dem einen oder anderen Mitbewohner teilen. Wobei den Sozialen Medien hier eine bedeutende Rolle zukommt. Apropos Beziehungen: Vielerorts hört man jetzt davon, dass die Menschen einander ihre Hilfe anbieten. Fördert die Krise demnach die Solidarität?

Wann die Krise Solidarität fördert

"Die Krise holt all die schlechten Eigenschaften aus dem Menschen heraus, die wir aus der Geschichte kennen. Zwei davon sind Aggression und Hass", so Kogler. Das ist aber nur dann der Fall, wenn sich der Mensch um etwas, von dem er meint, dass es ihm zusteht, betrogen fühlt. In der aktuellen Situation, in der die Menschen dem Staat vertrauen, sich sicher und gut versorgt fühlen, kommt dieses Gefühl glücklicherweise nicht zum Vorschein. Unter derartigen Bedingungen kann eine Krise Solidarität tatsächlich fördern. Möglicherweise prägt uns dies auch für die Zukunft.

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"Jede große gesellschaftliche Veränderung hinterlässt Spuren." Vielleicht entstehen neue zivilgesellschaftliche Organisationen. Auf jeden Fall aber wird ein Umdenkprozess stattfinden. Manch einer wird vielleicht die Werte der Gemeinschaft neu entdecken und auch wieder aktiver pflegen. Auf wirtschaftlicher Ebene wiederum wird man wohl versuchen, sich zumindest teilweise aus der Abhängigkeiten von China zu lösen und Kerne der medikamentösen Versorgung zurück nach Österreich zu holen. Ein Umdenkprozess, der vermutlich nicht nur hierzulande stattfinden wird.

Zur Person

© Lukas Moder

Dr. Alois Kogler lehrt an der Universität Graz zu "Verhaltenstherapie" sowie "Team und Führung".