"Das Virus ist gekommen, um zu bleiben"

Experten fordern einen adäquaten Umgang mit bleibendem Corona-Risiko

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Corona - "Das Virus ist gekommen, um zu bleiben"

SARS-CoV-2 ist nicht mehr auszurotten. Auch Österreich muss lernen, mit einem bleibenden Risiko zu leben. Drastische Maßnahmen sind bei weitem nicht immer verhältnismäßig, aufgestaute Reformen im Gesundheitswesen notwendig, erklärten am Dienstag Experten der Ludwig Boltzmann Gesellschaft und der Plattform Patientensicherheit bei einem Hintergrundgespräch in Wien.

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"Wir haben gelernt, dass Hydroxychloroquin (Malariamittel; Anm.) nicht wirkt. Wir haben gelernt, dass Cortison wirkt. Wir haben gelernt, dass eine Antikoagulation (Blutverdünnung; Anm.) bei Covid-19-Patienten wirkt. Viel mehr haben wir nicht gelernt. Ich glaube wir sollten uns vor Augen halten, dass wir dieses Virus nicht mehr ausrotten können werden. Wir werden irgendwie lernen müssen, damit umzugehen", sagte Harald Willschke, Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für digitale Gesundheit und Patientensicherheit in Wien, vom Beruf Anästhesist und Intensivmediziner am Wiener AKH.

Versäumnisse bei Teststrategien

Was man laut dem Experten in den vergangenen Monaten in Österreich versäumt habe: Das Entwickeln einer einheitlichen Teststrategie sowie Maßnahmen, um die medizinische Versorgung in den Krankenhäusern für alle Patienten auch unter den nun wieder zusätzlichen Belastungen steigender Infektions- und Erkrankungszahlen durch SARS-CoV-2 sicherzustellen. Hier könne man bald wieder in Kapazitätsprobleme kommen. "Der Föderalismus gehört abgeschafft", sagte Willschke. Eine Pandemie-Krise könne man nur nach dem Top-Down-Prinzip managen.

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Vor Langzeitschäden und der Gefährdung der Sicherheit aller Patienten durch überzogene Lockdown-Maßnahmen im Gesundheitswesen warnte Andreas Sönnichsen, Leiter der Abteilung für Allgemein- und Familienmedizin der MedUni Wien. Die Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen sei zum Teil vorübergehend um 90 Prozent zurückgegangen. Es hätte um bis zu 40 Prozent weniger Hospitalisierungen wegen Herzinfarkten und minus 20 Prozent bei den Spitalsaufnahmen wegen Schlaganfällen gegeben. "Geplante Krebs-Chemotherapien haben nicht stattgefunden", sagte Sönnichsen.

Dabei seien die Maßnahmen zum Teil keinesfalls mehr verhältnismäßig gewesen. Der Experte: "In der ersten (SARS-CoV-2-)Welle hatten wir bei 16.000 bestätigten Fällen rund 700 Todesfälle. Jetzt hatten wir bei 27.000 weiteren bestätigten Fällen rund hundert Todesfälle. Die Infection Fatality Rate (Todesrate pro Infektion; Anm.) ist von anfänglich vier Prozent auf 0,4 Prozent zurückgegangen." Mit neun Todesfällen pro 100.000 Einwohner durch Covid-19 sei die Mortalitätslast ähnlich hoch wie durch Verkehrsunfälle in Österreich. Seit Jahren für das österreichische Gesundheitswesen kritisierte Zustände - so veraltete und zuwenige ausgebaute Versorgungsstrukturen in der medizinischen Versorgung außerhalb der Spitäler - würden jetzt schlagend werden.

Fehlende Rechtssicherheit

Weiterhin sollte man sich bei den Verantwortlichen um die Hochrisikogruppen, speziell um die Hochbetagten, die Bewohner von Pflegewohnhäusern und durch ambulante Pflege Betreuten kümmern, forderte Thomas Wochele-Thoma, ärztlicher Leiter der Caritas Wien: "Wir brauchen eine 'Rettungsgasse' für vulnerable Personen, wenn wir von der medizinischen Grundversorgung abseits der Spitäler sprechen."

»Wir brauchen eine 'Rettungsgasse' für vulnerable Personen«

Es fehle auch Rechtssicherheit über die Maßnahmen, wie man die Betreuten in den Pflegeheimen schützen müsse und wie man mit den Besuchern umgehen könne. Hier fehle es auch an den entsprechenden Regeln je nach "Ampelschaltung". Hier mangle es an den entsprechenden Vorgaben. Das Einsperren von Betreuten und das Aussperren von Besuchern sei gegen jedes moderne Prinzip der Betreuung. Doch Wissenschaft, Verantwortliche im Gesundheitswesen und Politik lege auch rund um Covid-19 viel zu wenig Augenmerk auf das Pflegewesen.

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