Virus-Mutationen: Wettlauf gegen die Zeit

Über 100 Millionen Menschen infizierten sich weltweit bereits mit Sars-CoV-2. Anstatt der erhofften Entspannung durch die Impfungen bringen Mutationen eine neue Dynamik in den Pandemieverlauf.

von
Coronavirus - Virus-Mutationen: Wettlauf gegen die Zeit

Es sind die Mutationen, die es den Wissenschaftlern derzeit weltweit erschweren, den weiteren Verlauf der Coronavirus-Pandemie einzuschätzen. Dabei findet Mutationen bei Viren laufend statt. Laut WHO sind bereits über 12.000 mutierte Varianten von Sars-CoV-2 bekannt - der allergrößte Teil davon hat keine Auswirkungen.

Doch kurz vor Jahreswechsel wurden in Großbritannien, Südafrika und Brasilien mutierte Sars-CoV-2-Varianten identifiziert, die den Verlauf der Pandemie stark beeinflussen. Dort, wo sie auftreten, steigen die Infektionszahlen innerhalb kurzer Zeit dramatisch an.

Leicht veränderte Symptome

"Die britische Variante B.1.1.7 wurde entdeckt, weil epidemiologische Daten darauf hingewiesen haben, dass in Südostengland deutlich mehr Infektionen als im Rest des Landes aufgetreten sind", erklärt Virologe Norbert Nowotny von der Vetmeduni Vienna. Durch Sequenzierung wurde schließlich festgestellt, dass sich diese Sars-CoV-2-Variante an 17 Stellen verändert hat. "Acht davon befinden sich im Spike-Protein, das an die menschliche Zelle andockt und sie so infiziert", sagt Nowotny. Durch diese Veränderungen wurde das Virus infektiöser. "Waren bisher etwa 500 Viruspartikel für eine Ansteckung notwendig, dann reichen jetzt möglicherweise 250 bis 300 aus", veranschaulicht er die Folgen.

Auch die Symptome verändern sich leicht. So tritt bei einer Infektion mit der britischen Variante der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinn etwas seltener, Husten, Müdigkeit, Glieder- und Halsschmerzen hingegen etwas häufiger auf.

»In den kommenden Monaten werden neue Virusvarianten auftauchen«

Wie und wann genau diese Mutationen entstanden sind, ist noch nicht vollständig geklärt. Es gibt aber laut Nowotny - zumindest für die britische Variante - bereits eine Theorie: "Normalerweise löst Sars-CoV-2 eine akute Infektion aus, die nach zehn Tagen vorbei ist. Diese Varianten könnten aber in einem Menschen, der chronisch infiziert war, entstanden sein. Das ist äußerst selten, kann aber bei immunsupprimierten Personen vorkommen. Dieser Patient hat möglicherweise mehrmals Seren von Rekonvaleszenten bekommen. Die Viren vermehrten sich aber trotzdem und sind durch die verabreichten Antikörper unter Druck gekommen. Das Ergebnis war, dass die Viren sogenannte Escape-Mutationen gebildet haben, um den Antikörpern zu entkommen."

© imago images/ZUMA Wire

B.1.1.7 breitet sich derzeit in ganz Europa aus. In einigen Ländern, etwa Großbritannien oder Portugal, drohen die Gesundheitssysteme zu kollabieren. Nowotny geht davon aus, dass sich diese Variante auch in Österreich durchsetzen wird, da die südafrikanische und die südamerikanische noch nicht so weit verbreitet sind.

Oft sind ansteckendere Varianten zugleich weniger tödlich. Ob das auch bei B.1.1.7 der Fall ist, ist noch nicht vollständig geklärt. Zunächst hieß es, die Krankheit an sich sei durch die Mutation nicht gefährlicher. Dann verkündete Großbritanniens Premierminister Boris Johnson, dass die Variante nicht nur ansteckender, sondern gleichzeitig um bis zu 30 Prozent tödlicher sei. Das würde bedeuten: Starben bisher zehn von 1.000 Infizierten, wären es jetzt 13 bis 16. Zu diesem Ergebnis kamen jedenfalls Studien in Großbritannien. Johnsons Aussage sorgte bei Experten dennoch für Verwunderung. Schließlich ist die Bandbreiten der Studiendaten sehr groß und eine verlässliche Aussage noch schwierig. Sicher scheint hingegen, dass die Impfstoffe auch vor B.1.1.7 schützen.

Weniger effektiv

Noch komplexer sind die beiden anderen Varianten. Sie weisen eine zusätzliche, von Wissenschaftlern als kritisch eingestufte Mutation auf. Diese sorgt dafür, dass Sars-CoV-2 von menschlichen Antikörpern nicht mehr so gut erkannt wird.

Sowohl die südafrikanische (B.1.351) als auch die brasilianische (P.1) Variante sind ebenfalls deutlich ansteckender und verbreiten sich daher in manchen Regionen rasend schnell. "Zusätzlich zur erhöhten Infektiösität wäre auch eine reduzierte Wirksamkeit der Impfstoffe möglich", sagt Nowotny. BioNTech/Pfizer gab bereits bekannt, dass das Vakzin "etwas weniger effektiv" sei. Bei Moderna bietet der Impfstoff jedenfalls einen reduzierten Schutz. Der Konzern arbeitet an einem Auffrischungsimpfstoff gegen diese Variante.

Zudem wurden Fälle von Zweitinfektionen registriert. Hier müsse, so Nowotny, erst geklärt werden, ob es sich dabei eventuell um Personen handelt, die bei der ersten Infektion keine oder nur schwache Symptome aufgewiesen haben. "Wir wissen aus Studien, dass bei diesen Menschen oft keine Antikörper gebildet werden beziehungsweise diese nicht lange nachweisbar sind", erklärt der Virologe. Anders schaut es bei jenen aus, die mittelschwer oder schwer an Covid erkrankten. "Hier ist der Immunschutz auch nach fünf Monaten noch stabil, sodass wir von einem längeren Schutz ausgehen."

B.1.1.7, B.1.351 und P.1 sind sicherlich nicht die letzte Mutationen. "Neue Virusvarianten werden auch noch in den kommenden Monaten auftauchen", sagt Nowotny. "Es muss ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung geimpft sein, damit Infektionsketten unterbrochen werden." Dies könnte in Österreich im Spätsommer oder Frühherbst der Fall sein - vorausgesetzt, es kommt nicht zu weiteren unerwarteten Lieferproblemen.

Um die Pandemie langfristig unter Kontrolle zu bringen, müsste auch die Bevölkerung der ärmeren Länder immunisiert sein. Allerdings, gab die WHO bekannt, sind zwar mittlerweile in 49 wohlhabenden Staaten 39 Millionen Impfungen verabreicht worden. In einem der armen Länder waren es hingegen gerade 25 Dosen.

Mutationen - ein Überblick

P.1 Bereits im Frühling 2020 wütete Sars-CoV-2 in Brasilien. Aufgrund der hohen Infektionszahlen gingen Forscher davon aus, dass etwa in der Stadt Manaus eine Herdenimmunität erreicht wurde. Doch das Virus mutierte -und Tausende Menschen sind derzeit erneut erkrankt.

B.1.1.7 Da die Infektionen in Südengland besonders stark zunahmen, forschten Wissenschaftler nach der Ursache und stießen auf das mutierte Virus. B.1.1.7 wird laut Experten in Europa bald die dominierende Variante sein.

B.1.351, auch bekannt als 501Y.V2 Die südafrikanische Variante ist nicht nur ansteckender, Experten befürchten zudem, dass durch die Mutationen die Wirksamkeit der Impfstoffe abnimmt. Auch Fälle von Zweitinfektionen wurden registriert.