Corona: "Kurz spielt
den strengen Vater"

Die Corona-Krise stellt Regierungen in Europa auf die Probe. Wie schlägt sich Türkis-Grün in Österreich? Kommt die Regierung bei der Bevölkerung an? Polit-Expertin Kathrin Stainer-Hämmerle analysiert im Interview die Krisenkommunikation der Regierung und gibt zu bedenken, dass es für die Koalitionspartner auch eine Zeit nach Corona geben wird.

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den strengen Vater"

Frau Stainer-Hämmerle, wie würden Sie die Krisenkommunikation der Bundesregierung in Corona-Zeiten bewerten?
Eigentlich sehr gut, wenn man sich die ersten drei Wochen ansieht, das stützen auch die Umfrage-Ergebnisse. Die Maßnahmen sind im internationalen Vergleich sehr rasch erfolgt, sie sind erfolgreich gewesen und die Mehrheit der Bevölkerung hat der Regierung hohes Vertrauen entgegengebracht.

Es hat schon ein paar Pannen gegeben, zum Beispiel den Oster-Erlass oder die Diskussion um das Tragen von Masken. Es hat allerdings niemand wirklich Kritik geübt. Danach war die Opposition schon etwas ungeduldiger, was verständlich ist, weil die Regierung allein schon von der Dichte der Pressekonferenzen sonst niemandem Luft gelassen hat für andere Auftritte oder Interpretationen. Spätestens mit der beginnenden Rückkehr zur Normalität, also welche Geschäfte aufsperren dürfen und welche nicht, regt sich jetzt mehr Kritik und Zweifel.

Der erste wirklich gravierende Fehler war die Aussage von Sebastian Kurz, man solle juristische Fragen zu den Covid-Maßnahmen nicht überinterpretieren. Das halte ich für einen schweren inhaltlichen Fehler.

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Nahezu tägliche Pressekonferenzen sorgen für eine Präsenz der Bundesregierung, die ihr sonst in der Form nicht möglich gewesen wäre. Lässt sich beurteilen, wie viel tatsächlich notwendig gewesen wäre und wie viel möglicherweise nur politische Inszenierung war?
In so einer Situation geht es darum, keine Zweifel aufkommen zu lassen - und zwar bei niemandem. Das ist generell schon immer eine Stärke von Sebastian Kurz gewesen, die ihm in dieser Krise besonders geholfen hat. Die Dichte der Pressekonferenzen hat auch den Vorteil, dass Journalisten beschäftigt sind und etwas präsentiert bekommen, ohne dass sie viel Recherche betreiben oder sich anderweitig Informationen holen.

»Es mag lächerlich sein, dass Politiker mit Masken auftreten«

Funktioniert das auch noch mit Pressekonferenzen, die sich mit der Herstellung von Schutzmasken beschäftigen?
Das ist einfach Agenda-Setting: Man liefert viele Informationen, egal ob sie wichtig sind oder nicht, aber man setzt damit das Thema und auch das Informationslevel.

Interessant ist auch die symbolische Ebene des Maskentragens vor dem Hintergrund mit Fahnen. Wenn Sie mich vor einem halben Jahr gefragt hätten, ob grüne Politiker jemals vor Fahnen Pressekonferenzen halten oder Interviews geben, hätte ich das niemals geglaubt. Es mag lächerlich sein, dass Politiker mit Masken auftreten - das macht in anderen Regierungen, soweit ich weiß, niemand. Aber von der Symbolik her ist es nicht ungeschickt, weil man damit zeigen will, dass alle Masken tragen müssen.

Aber ist das auch glaubwürdig?
Ich glaube schon. Umgekehrt käme es sehr schnell zur Diskussion, warum die Bevölkerung Masken tragen müsse, wenn die Regierungsmitglieder keine tragen. Ich glaube, dass da viele Menschen heikel reagieren.

Die Häufigkeit öffentlicher Auftritte steht meist im Gegensatz zur Begründung der Entscheidungsfindung der Regierung. Wäre Ihrer Ansicht nach mehr Transparenz notwendig gewesen?
Ich würde mir natürlich mehr Transparenz wünschen, daraus resultiert aber die Frage, wie man Transparenz kommuniziert. Das würde ja auch bedeuten, die Widersprüche ein wenig aufzuzeigen ohne Verunsicherung entstehen zu lassen.

Ich würde auch gerne wissen, auf welche Expertenmeinungen sich die politische Entscheidung stützt. Dass etwa ein Experte zuletzt hinauskomplimentiert wurde, hat mich schon auch ein wenig stutzig gemacht.

Wie würden Sie denn den Abgang von Public-Health-Experten Martin Sprenger aus dem Expertenstab der Bundesregierung beurteilen?
Das hat mich schon ein wenig verblüfft. Als Sebastian Kurz gesagt hat, er höre zum Glück nicht auf die falschen Experten, legte er nahe, dass es falsche und richtige Experten gäbe. Das hat für einen kurzen Augenblick sein Bild über Wissenschaft und Expertise entlarvt.

Kurz zeichnet als Führungspersönlichkeit aber schon aus, dass er bei seiner Linie bleibt und nicht so schnell Kritik nachgibt, nicht relativiert oder zurückrudert. In normalen Zeiten zeigt das eher einen Hang zum Autoritären, aber in Krisenzeiten kann das nützen.

»Die Österreicher scheinen sehr zugänglich für dieses paternalistische Modell«

Das stößt aber schon an die Grenzen der Demokratie?
Wenn jemand von falschen Experten und juristischen Fragen, die man nicht überinterpretieren sollte, spricht, dann sind das Grenzen, die ich auch sehe. Und auch, wenn man sich den Expertenstab so zusammensetzt, dass es einem passt.

Mit so einem autoritären Auftreten geht ja auch ein gewisser Mangel an Vertrauen für das Gegenüber einher. Was traut Kurz der Bevölkerung zu?
Kurz spielt den strengen Vater. Er sagt im Prinzip: „Wenn du schön brav bist, dann kriegst du wieder eine Belohnung“. Nach diesem Schema kommuniziert die Regierung die ganze Zeit. Sie zeichnet ein Schreckensszenario, dann aber folgen wieder Lockerungen. Die Österreicher scheinen sehr zugänglich für dieses paternalistische Modell. Es hat natürlich auch damit etwas zu tun, nicht selbst die Verantwortung übernehmen zu müssen.

Trotzdem könnte die Regierung mehr mit der Opposition kommunizieren, weil ich glaube, dass sie sie nicht jetzt, aber nach der Corona-Krise brauchen wird. Wenn es beispielsweise darum geht, Sparpakete zu schnüren, wird sie unter Umständen doch eine Zweidrittelmehrheit benötigen.

Offenbar ohne Message Control hat Vizekanzler Werner Kogler laut über eine Erbschaftssteuer nachgedacht, um die Corona-Krise mit zu finanzieren. Birgt dieses Thema Sprengstoff für die Koalition?
In der Krise ist noch nie eine Regierung zerbrochen, jetzt gibt es mit dem Virus quasi einen gemeinsamen Feind. Interne Differenzen brechen dann auf, wenn diese Zeit vorbei ist. Wenn man überlegen muss, wie man die 38 Milliarden Euro wieder reinbekommt und wer nach der Krise nicht mehr so viel Geld bekommen wird. Also wenn die Verteilungskämpfe beginnen werden und man bei Gruppen mit wenig Lobby, vor allem mit wenig Lobby in Richtung ÖVP, sparen will.

Ich bin sicher, dass die Budgets für Soziales und Kultur in den nächsten Jahren sehr knapp sein werden. Nur um ein fiktives Beispiel zu nennen: Angenommen es wären für eine Rettung der AUA 800 Millionen Euro da, aber das 1-2-3-Klimaticket würde gestrichen. Was machen dann die Grünen? Solche Debatten werden kommen, aber erst nach der Krise.

»Der Superstar der Grünen in der Krise ist Rudi Anschober, Werner Kogler sehe ich eher als Verbinder«

Wie würden Sie die Rolle von Vizekanzler Kogler in der Krise generell beurteilen?
Komisch war bei Werner Kogler schon, dass er im gesamten letzten Wahlkampf das Image der Grünen weg von einer Verbotspartei korrigiert hat und sich jetzt hinstellen muss, um ständig Verbote zu kommunizieren. Das wirkt nicht sehr schlüssig. Seine Aufgabe dürfte es im Moment auch eher sein, den Klub gemeinsam mit Sigi Maurer auf Linie zu halten. Der Superstar der Grünen in der Krise ist Rudi Anschober, Werner Kogler sehe ich eher als Verbinder.

Ist jegliche Form von Vermögens- und/oder Erbschaftsteuer nicht ohnehin denkunmöglich unter einer Quasi-Alleinregierung der ÖVP?
Die Vorstellung fiele mir auch schwer, wenn ich mich in die ÖVP hineinversetzen würde. Aber wer hätte bis vor kurzem noch gedacht, dass die ÖVP ihr Nulldefizit über Nacht opfert und in der Krise finanziell stützen will, „koste es, was es wolle“.

Ein Wesenszug von Sebastian Kurz zeigt auch, dass er sehr pragmatisch und dazu bereit ist, ideologische Grundsätze über Bord zu werfen. Das hat man bei der Flüchtlingskrise gesehen, wo er vom Integrations-Staatssekretär zum Balkanrouten-Schließer geworden ist. Hätte er Experten, die ihm schlüssig berechnen, wie viel so eine Steuer bringen könnte und wie wenig Stimmen ihn das gleichzeitig kostet, dann wäre sie vielleicht auch für ihn vorstellbar.

Ich glaube allerdings, dass die Erbschaftssteuer in Österreich mehrheitlich schon abgelehnt wird. Das ist ein wenig paradox, weil sehr wenig davon betroffen wären, aber offenbar träumt doch noch jeder vom Lotto-Sechser.

Was lässt sich in der Corona-Krise aus dem Umgang der Regierungsparteien untereinander ablesen?
Eigentlich sind beide Parteien pragmatisch genug, um zumindest nach außen hin als Partner auf Augenhöhe aufzutreten. Ob es intern auch so funktioniert, werden wir erst nach der Corona-Krise sehen. Derzeit tritt man aber sehr gleichberechtigt auf, was natürlich hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, dass der Gesundheitsminister ein Grüner ist und bei ihm viel mehr Fäden zusammenlaufen als bei Kurz.

»Die SPÖ schafft es aber überhaupt nicht, moderne gesellschaftliche Visionen zu präsentieren«

Welche Rolle spielt die Opposition in Zeiten wie diesen? Macht sie einen guten Job?
Es ist in diesen Zeiten wahnsinnig schwer für die Opposition eine Rolle zu spielen, weil die Räume dafür sehr eng sind. Mit einem Partei-Hickhack jetzt hineinzugrätschen würde nicht goutiert werden. Zweifel und Kritik kommen zurzeit auch nicht an, sie kann also nur abwarten.

Ein wenig verwundert mich die SPÖ: Es liegen derzeit Begriffe wie Verstaatlichung, Grundeinkommen oder Solidarität am Tisch, die alle einem zutiefst sozialdemokratischen Weltbild entgegenkommen würden. Die SPÖ schafft es aber überhaupt nicht, diesen Ball aufzunehmen und moderne gesellschaftliche Visionen zu präsentieren als Alternative zu einem liberalen Marktmodell, das die ÖVP verfolgt.

Glauben Sie, dass es noch zu verstärkten Gegenmeinungen kommen wird?
Kurz ist unangefochten Nummer 1 in der ÖVP, solange er Wahlen gewinnt und Kurz ist unangefochten der Bundeskanzler der beliebtesten Regierung der letzten 30 Jahre, solange seine Maßnahmen funktionieren. Damit und mit der Logik der Maßnahmen steht und fällt alles. Gewisse Absurditäten müssen auch noch aus den Verordnungen genommen werden, weil sie sonst schnell in Frage gestellt werden. Solange Maßnahmen gut erklärt werden können, sie der Bevölkerung als gerecht erscheinen, und sie nicht zuletzt auch greifen, wird es keine Probleme geben.

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Wenn man über den Horizont von Corona hinausblickt: Gibt es überhaupt ein Szenario, in dem die Regierung nicht als Gewinner dastehen wird?
Ja, wenn die Maßnahmen nicht funktionieren und die Regierung die Geduld der Österreicher überstrapaziert. Es ist natürlich nicht leicht, den richtigen Zeitpunkt zu finden. Mit viel Geld kann man sich Zuspruch immer kaufen, aber auch da muss man die richtige Balance finden. Einerseits zwischen Gesundheit und Wirtschaft, andererseits aber auch, wie viel Geld man jetzt investiert und wie viel Geld nach der Krise dann möglicherweise nicht mehr zur Verfügung stehen wird.

Zur Person: Kathrin Stainer-Hämmerle ist Politik- und Rechtswissenschaftlerin sowie Fachhochschul-Professorin. Sie unterrichtet Politikwissenschaft an der Fachhochschule Kärnten in Villach.