Kindergärten - "Sicher kein Vollbetrieb wie vor Corona"

Alle reden von der Matura, aber keiner von den Kindergärten. Dabei ist die Unsicherheit unter den Eltern groß. Wie funktioniert die Übergabe? Tragen die Pädadoginnen Masken? Und warum müssen manche weiterhin Gebühren zahlen?

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Corona - Kindergärten - "Sicher kein Vollbetrieb wie vor Corona"

Die Anspannung wächst in vielen Kleinkinderfamilien. Zwei, drei, ja vielleicht vier Wochen auf mehr oder weniger engem Raum lassen sich ja noch aushalten. Aber was dann? Der Mangel an Perspektiven sorgt für immer mehr Verunsicherung. Während die Details der diesjährigen Matura-Austragung in den Regierungspressekonferenzen ein großes Thema sind, ist von den Kindergärten nie die Rede.

Zur aktuellen Corona-Situation in Österreich

Das hat vordergründig einen ganz einfachen Grund: Kleinkinderbetreuung ist in Österreich Ländersache. Man könnte aber auch polemisch sagen: Sie ist nicht Chefsache. Weder in organisatorischer, noch in pädagogischer Hinsicht. Die Bildungspsychologin Christiane Spiel kritisiert: "In der derzeitigen Pandemiediskussion steht ganz die Schule im Vordergrund, auf den Elementarbereich wird fast vergessen. Insbesondere rückt die wichtige Bildungsfunktion des Elementarbereichs im Hintergrund; es geht primär darum, dass auf die Kinder 'aufgepasst' wird, wenn die Eltern arbeiten."

Viele Unklarheiten

Ob Aufbewahrungsort oder Bildungseinrichtung, viele Eltern sind auf die Kindergärten angewiesen. Und unsicher, was die Zukunft betrifft. Denn die föderalistischen Strukturen bewirken nicht nur, dass die Krisenkommunikation in diesem Bereich deutlich schlechter funktioniert als anderswo. Sie sorgen auch für ein unübersichtliches Nebeneinander von unterschiedlichen Bedingungen. Während die meisten kommunalen Kindergärten die Gebühren komplett erlassen, heben private Betreiber weiterhin Beiträge ein. Während manche Kindergärten die Aufnahme in den Notbetrieb unkompliziert ermöglichen, bestehen andere auf Attesten. Während der Kontakt zwischen Kindern und Pädagoginnen teils intensiv gepflegt wird, findet er andernorts kaum statt.

© Irene Nagel-Rohrmoser MA-10-Leiterin Daniela Cochlár glaubt, dass es sich bei tageweisen Besuchen einpendelt

Eines haben die vielen Tausend Kleinkinderbetreuungseinrichtungen in Österreich gemeinsam: In den letzten Wochen wurden sie kaum frequentiert. Das ändert sich freilich mit dem allmählichen Wiederhochfahren der Gesellschaft. Wie kann der Kindergartenbetrieb in Zeiten von Corona aussehen? In den Kindergärten der Stadt Wien wurde von Mitte März bis Mitte April rund ein Prozent der Kinder betreut -circa 300 von insgesamt 33.700 Kindern. Am 14. April, dem Dienstag nach den Osterferien, waren es 595 Kinder, am Mittwoch schon 851. Drei Viertel aller Standorte sind inzwischen wieder geöffnet. "Wir denken, dass es nächste Woche wieder so richtig anlaufen wird", sagt Daniela Cochlár, Leiterin der für die Kindergärten zuständigen Magistratsabteilung 10, "und zwar analog zur Wiederöffnung der Unternehmen durch die Bundesregierung. Ich rechne damit, dass es auch zunehmend zu Überlastungssituationen in den Familien kommen wird, weil Homeoffice mit Kleinkindern doch sehr herausfordernd ist. Wir werden aber ganz sicher keinen Vollbetrieb wie vor der Coronakrise haben, sondern es wird sich bei einem tageweisen Besuch einpendeln."

»Das Tragen von Masken im Bildungsbereich ist schwierig«

Masken im Kindergarten

Das Tragen von Masken ist möglich, aber nicht vorgeschrieben. "Masken sind eine sehr herausfordernde Situation im Kindergarten, weil Kindergarten und Bildungsarbeit von Kommunikation und Beziehung leben und die Mimik ein ganz wichtiger Faktor ist", sagt Cochlár. "Aus pädagogischen und psychologischen Gründen ist das Tragen von Masken im Bildungsbereich schwierig, vor allem bei sehr jungen Kindern. Aber wir stellen es den Mitarbeiterinnen selbstverständlich frei und statten sie auch mit Masken aus, die in unserer Näherei angefertigt werden." Kinder können, müssen aber keine Masken tragen. Bei unter Zweijährigen wird vom Maskentragen explizit abgeraten. Darüber hinaus wird Desinfektionsmittel zur Verfügung gestellt, und es gibt genaue Hygienerichtlinien. Beim Trösten wird etwa empfohlen, die Kinder nicht im Kopfbereich an sich zu ziehen, sondern sie z. B. eher im Brustbereich zu umarmen.

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Darüber hinaus "gibt es die klare Vorgabe, dass die Familien telefonisch kontaktiert werden. Der Großteil der Eltern reagiert mit Freude und mit Rührung, dass sich wer um sie kümmert. Bei den Familien, die wir gar nicht erreichen und wo wir uns Sorgen machen, kooperieren wir mit der Kinder-und Jugendhilfe", sagt MA-10- Leiterin Daniela Cochlár.

Weiterhin zahlen

Während die Stadt Wien die Eltern ihrer 33.000 Kindergartenkinder finanziell komplett freistellt, heben einige private Betreiber weiterhin zumindest einen Teil der Gebühren ein. Ein schwieriger Drahtseilakt. Viele Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen, sind erbost, weil sie trotzdem zahlen müssen -und die Kindergärten leiden unter den reduzierten Einnahmen. Um ein rasches Hochfahren des Kindergartenbetriebs garantieren zu können, könne man Mitarbeiter weder kündigen noch in Kurzarbeit schicken, argumentierte etwa der unabhängige Wiener Verein Kindercompany in einem Schreiben an die Eltern: "Als gemeinnütziger Verein dürfen wir keinen Gewinn machen -und können somit auch in dieser Situation auf keine Rücklagen zurückgreifen."

Sollte man monatelang mit reduzierten Elternbeiträgen auskommen müssen, seien Kündigungen unausweichlich, heißt es aus dem Vorstand des Vereins. "Dann müssen wir uns auf die Minimalausstattung zurückziehen, die gesetzlich vorgeschrieben ist." Vor allem für kleine Betreiber könne diese Situation sehr bedrohlich werden. Zugleich fürchtet man eine zu rasche Wiederaufnahme des Normalbetriebs. Wünschenswert, finden die Verantwortlichen bei Kindercompany, wären jetzt klare Ansagen. Und mehr Anerkennung für die Arbeit, die in den Kindergärten geleistet wird. "Bei allen möglichen Leuten bedankt man sich, nur bei den Kindergärten nicht. Wir sind auch Systemerhalter. Wir sind auch ein Teil des Bildungssystems. Das haben die Pädagoginnen nicht verdient."

© Profil/Walter Wobrazek Bildungspsychologin Christiane Spiel betont die Bedeutung der Elementarpädagogik

Die Privatkindergärten von Kinder in Wien (KiWi), Diakonie, St. Nikolausstiftung und Kinderfreunden, die zusammen Hunderte Standorte betreiben, rechnen mit einem langsamen Wiederhochfahren der Kindergartenbetriebs. Dafür gibt es einige Regeln: Die Kinder müssen ganz gesund sein und werden an den Türen abgegeben und abgeholt. Es wird auf Handhygiene und kleinstmögliche Gruppengrößen geachtet. Grundsätzlich, heißt es, werde kein Kind abgewiesen. Vorrang bei der Betreuung haben aber Eltern, die nicht von zu Hause aus arbeiten können, sowie Alleinerzieherinnen. Man versuche derzeit, individuelle Lösungen zu finden - von täglicher ganztägiger Betreuung bis zu wenigen Tagen im Monat. Ein erheblicher administrativer Mehraufwand.

Egal, ob private oder städtische Kindergarteneinrichtungen, das größte Problem ist derzeit die Unsicherheit. Wann werden wie viele Kinder wieder in den Kindergarten gehen? Keiner weiß es. Die Infrastruktur muss trotzdem jederzeit bereitstehen. KiWi, Diakonie, St. Nikolausstiftung und Kinderfreunde wünschen sich -neben mehr Anerkennung für Elementarpädagoginnen -klare Vorgaben. Zum Beispiel: Wie groß sollen die Gruppen sein? Wie soll die Schutzausrüstung für die Mitarbeiterinnen und Kinder aussehen? Was passiert, wenn Corona-Verdachtsfälle im Kindergarten auftreten? Und: Wie geht es mit den Fördertöpfen weiter?

Positive Effekte

Eine andere Frage betrifft die langfristigen Folgen der Kindergartenschließungen. Bildungspsychologin Christiane Spiel warnt: "Es besteht im Elementarbereich genauso wie bei den Schulen die Gefahr, dass die Bildungsschere aufgeht. Denn Studien zeigen klar, dass der Besuch von Kindergärten, insbesondere wenn die Qualität sehr hoch ist, kurzfristig und langfristig positive Effekte hat; diese zeigen sich besonders bei Kindern, die aus benachteiligten Familien stammen. Die Erfolge in der Schule sind besser, weniger Klassenwiederholungen und später weniger Arbeitslosigkeit etc." Auch in Hinblick auf den Schulstart sei die Vorbereitung durch die Kindergärten essenziell, "denn schließlich sollen ja auch im Elementarbereich mögliche Schwächen früh identifiziert und ausgeglichen werden, um einen möglichst guten Schulstart zu ermöglichen."

Welche Folgen die derzeitigen Kindergartenschließungen haben, wird man also wohl erst in einigen Jahren sehen. Vielleicht tragen sie spät, aber doch zu einer Aufwertung der Elementarpädagogik bei.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr.16/20

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