Corona: Jugend im
Ausnahmezustand

Arbeitsmarktexperten und -expertinnen sehen junge Menschen als die großen Verlierer der Coronakrise. Jugendkulturforscherin Beate Großegger erklärt, wie junge Leute die gegenwärtige Situation erleben und was es jetzt braucht. Ein Kommentar.

von Gastkommentar - Corona: Jugend im
Ausnahmezustand © Bild: iStockPhoto.com
Mag. Dr. Beate Großegger ist seit 1996 in der angewandten Sozialforschung tätig. Sie gilt über die Grenzen Österreichs hinaus als Expertin für Jugend und Generationen. Beate Großegger ist Mitbegründerin des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien und leitet seit 2001 die Forschungsabteilung des Instituts sowie seit 2016 das vom Institut für Jugendkulturforschung ins Leben gerufene generationlab. 2011 wurde Beate Großegger für gendersensitive Jugendforschung mit dem Käthe-Leichter-Preis für Frauenforschung, Geschlechterforschung und Gleichstellung in der Arbeitswelt ausgezeichnet. Zahlreiche Fachpublikationen; Lehraufträge u.a. an der Universität Wien und der Universität Innsbruck.

Mit Blick auf die beruflichen Zukunftsperspektiven der heutigen Jugend spricht manch einer gar von einer „verlorenen Generation“. Ob sich dies bewahrheiten wird, hängt davon ab, wie gut politische Maßnahmen zur Eindämmung der Gesundheitskrise wie auch zur Abfederung der drohenden sozialen Krise greifen. Fest steht jedenfalls: Die Verunsicherung der Jungen wächst. Covid-19 hat ihr Leben aus der Bahn geworfen und viele Zukunftshoffnungen zerstört. Und: Ein Ende der Krise ist derzeit noch außer Sicht.

Junge Menschen erleben die Bedrohung durch Covid-19 ein wenig anders als Erwachsene. Stichwort „gesundheitliche Risiken“. Jugendliche sehen sich selbst nicht als Risikogruppe und, sofern sie nicht in einem Mehrgenerationenhaushalt mit ihren Großeltern zusammenleben, stehen sie dem Infektionsrisiko vergleichsweise entspannt gegenüber. Die breite Mehrheit hat keine große Angst, selbst an Covid-19 zu erkranken. Apelle der Gesundheitspolitik greifen daher, wie man weiß, nicht immer ganz so wie gewünscht. Doch während Infektionsrisiken oft eher abgetan werden, sind coronabedingte Existenzrisiken bei den Jungen sehr präsent.

Im Sog der Corona-Depression

Die Generation Corona fürchtet eine Weltwirtschaftskrise. Und sie macht sich Sorgen bezüglich der drohenden Massenarbeitslosigkeit. Freilich hoffen Jugendliche, dass letztlich alles nicht ganz so schlimm wird, wie derzeit erwartet. Und sie setzen auch darauf, dass dem Staat in der Krisenbewältigung nicht das Geld ausgeht. Vor allem bemühen sie sich aber darum, den Kopf nicht allzu tief hängen zu lassen. Das heißt, sie lenken sich von möglicherweise wenig rosaroten Zukunftsaussichten ab. Ort dafür ist die Freizeit. Dies bedeutet nicht immer Corona-Party ohne Wenn und Aber. Da Jugendliche in ihrem Freizeitverhalten aber nun einmal sehr stark „outgoing“ sind, sind ihre „Ablenkungsmanöver“ jedoch eben oft nicht unbedingt infektionsrisikominimierend. Doch genau das sehen die Jungen als Waffe gegen jenes Corona-Risiko, das sie für sich selbst mittlerweile als das größte erleben: dem Sog der Corona-Depression nachzugeben und in Lethargie zu versinken.

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Dass depressive Verstimmungen mit dem Andauern der Krise zunehmen, bemerkt mittlerweile jeder, der sich nur ein wenig im persönlichen Umfeld umsieht. Jugendliche folgern daraus: Nur wenn ich es schaffe, mich aus dem unaufhörlichen Strom der Corona-Bad-News auszuklinken, und wenn ich zumindest in der Freizeit ein wenig loslasse, bleibe ich psychisch stabil. Nur dann komme ich gut die Krise. Vermutlich ist an dieser Überlegung durchaus etwas dran. Doch dies macht die Situation nicht einfacher.

Eine Frage der Zeit

Der Gefühlskosmos, in dem sich junge Menschen nach gut einem halben Jahr Krise wiederfinden, ist widersprüchlich. „Trotz Corona das eigene Leben leben und zugleich auch solidarisch mit Risikogruppen sein, das ist irgendwie schwierig“, so denken viele junge Menschen. Ihr Bauchgefühl sagt ihnen: Wenn sämtliche Alltagsroutinen durchbrochen werden, wenn alles jugendkulturell Gewohnte in meinem Leben wegfällt, verliere ich den Boden unter den Füßen und die Motivation durchzuhalten geht gegen Null.

Die Krise verlangt uns allen einiges ab. Wir müssen uns neu aufstellen. Und wir müssen weitermachen, auch wenn es zunehmend mühsamer wird. Die Jungen sind hier besonders gefordert. Man erwartet von ihnen, dass sie dem Virus trotzen. Und das wollen sie ja auch. Doch je länger der Ausnahmezustand dauert, desto eher geht es ihnen nicht mehr so sehr um die Frage „Wie schütze ich andere?“, sondern um „Wie rette ich mich selbst?“

Besonders verschärft erleben junge Menschen die Situation in urbanen Ballungsräumen, insbesondere in Wien. Also dort, wo der Wohnraum eng ist, wo die Bevölkerungsdichte hoch ist und Möglichkeiten zu vergleichsweise risikofreiem Outdoor-Freizeitverhalten eher spärlich sind. Unsere Forschungsdaten zeigen das deutlich. Zudem meinen 3 von 4 jungen Wienern und Wienerinnen, dass die Anforderungen in der Schule, an der Uni und im Job trotz Corona ständig steigen. Doch junge Menschen können angesichts der Krise gar nicht sicher sein, dass sich ihr Engagement in Ausbildung und Beruf auch rentieren wird. Jeder und jede zweite hat Sorge, beruflich nicht Fuß fassen zu können. 44 Prozent der jungen Wiener und Wienerinnen sagen offen: Ich habe Angst vor der Zukunft. 56 Prozent sehnen sich in der Krise vor allem nach einem: Orientierung und Halt.

Angebote gefragt

All das müssen wir sehen, wenn wir mit Blick auf die Jungen meinen, in Zeiten von Covid-19 müsse jeder und jede Einzelne einen Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten. Wir können uns nicht mit moralischen Appellen begnügen und ständig wiederholen: „Bitte seid doch solidarisch mit den Corona-Risikogruppen.“ Und wir sollten auch nicht zu sehr darauf hoffen, dass Jugendliche unsere Einschätzung der Infektionsrisiken teilen, zumal sie die Corona-Krise und damit verbunden auch die Risiken eben vielfach ganz anders erleben. Wir werden den durcheinandergeratenen Gefühlskosmos der Generation Corona ernstnehmen und uns um ihre Sorgen und Ängste kümmern müssen. Und wir sollten ihr wie zu Beginn der Krise auch (wieder) Angebote machen, ältere Risikogruppen mit informeller Hilfe zu unterstützen – angefangen bei täglichen Besorgungen bis hin zum Trouble-Shooting beim coronabedingten Einstieg der Senioren in die Welt von WhatsApp, Skype und Co. Das würde den Jugendlichen zumindest punktuell ein gutes Gefühl in der Krise geben, eben weil sie nicht nichts getan haben, sondern zumindest einen kleinen, sehr konkreten Beitrag leisten konnten.