Corona-Impfung: Woran es in Österreich hakt

Die Kritik an der heimischen Corona-Impfstrategie reißt nicht ab: Verhindert der Föderalismus, dass in Österreich so schnell und effizient wie möglich geimpft wird, oder ist doch die EU schuld? Ein Überblick über neun Bundesländer und neun unterschiedliche Impfstrategien.

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Impf-Desaster - Corona-Impfung: Woran es in Österreich hakt © Bild: iStockphoto.com

Es erinnert ein bisschen an Asterix. Aber nicht eines, sondern neun gallische Dörfer - bzw. Bundesländer - gestalten derzeit die österreichische Corona-Impfstrategie. Und überall läuft es ein bisschen anders ab. Während in Wien in sieben großen Impfstraßen geimpft wird, setzt zum Beispiel Tirol auf ein kleinteiligeres System. Vorarlberg will demnächst die über 65-Jährigen zur Impfung einladen, anderswo arbeitet man sich erst langsam an die 79-Jährigen heran.

Ankündigungen und Probleme

Bundeskanzler Sebastian Kurz verspricht zwar, dass "im Sommer alle geimpft sind, die es wollen". Dennoch scheint es nicht so schnell voranzugehen wie in vielen anderen Ländern - von Impfweltmeistern wie Israel oder Großbritannien gar nicht zu reden. Seit dem Showimpfen zu Weihnachten im Beisein von reichlich Politprominenz ist nicht wirklich viel passiert. Während Impfwillige keinen Termin bekommen, ließen sich zahlreiche Bürgermeister - oft unter Angabe fadenscheiniger Gründe - impfen. Häufig werden Jüngere früher geimpft als ältere Personen mit höherem Risiko; anderswo müssen lange Anfahrtswege quer durchs Bundesland in Kauf genommen werden, um an die begehrte Injektion zu kommen. Und in Oberösterreich sollen gar Tausende Impfdosen liegen geblieben sein, weil Menschen den Impftermin einfach verstreichen ließen. Ob das mit dem Impfstoff von AstraZeneca zusammenhängt, der im Vergleich zu dem von BioNTech/Pfizer oder Moderna einen schlechteren Ruf hat? Fakt ist, dass es in Österreich bei der Corona-Schutzimpfung alles andere als rund läuft.

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Gut möglich, dass das mit dem Föderalismus zu tun hat: Der Bund hatte die Verantwortung für das Impfen Anfang Jänner an die Länder übergeben, auf Drängen einiger ÖVP-Bundesländer. Jetzt hagelt es Kritik, quer durch alle Oppositionsparteien. Neos-Gesundheitssprecher Gerald Loacker etwa fordert eine zentrale Impfstrategie wie in anderen Ländern. "Mit Gesundheitslandesräten, die alle alles richtig gemacht haben wollen, kann man keine Pandemie bekämpfen. Anschober muss sich endlich seiner Verantwortung bewusst werden und den Impfplan durchsetzen."

Doch nicht nur die Politik hat sich auf die heimische Impfstrategie und -organisation eingeschossen: Der Wissenschaftler und Geschäftsführer von Klinikum Austria, Christian Köck, plädiert für "eine nationale Logistik, die den Föderalismus ignoriert". In Dänemark oder Ungarn würden bis zu 35 bzw. bis zu 50 Prozent mehr Dosen im Vergleich zu Österreich verimpft. Jedes Bundesland gehe anders vor. Kanzler Kurz solle daher nicht länger auf die Partikularinteressen Rücksicht nehmen, sondern das Verteidigungsministerium mit der Logistik beauftragen - dann hätte man alle Impfdosen schnell verimpft, so Köck im ORF: "Wenn man schon von einem Kampf gegen das Coronavirus spricht, dann braucht es auch eine nationale Strategie."

Gesundheitsminister Rudolf Anschober freilich verteidigt gegenüber News die Art und Weise, wie hierzulande aktuell geimpft wird: Sein Ministerium habe basierend auf den Empfehlungen des Nationalen Impfgremiums, das seinerseits wieder international akkordiert ist, eine Impfstrategie festgelegt. Und die Bundesländer hätten innerhalb der einzelnen Phasen die Möglichkeit, diese Vorgaben innerhalb der für das jeweilige Bundesland bestehenden Rahmenbedingungen zu implementieren, so Anschober: "Da hier teilweise unterschiedliche Voraussetzungen bestehen, ist dies höchst sinnvoll."

Der Minister sieht die Länder aber auch "vor einer sehr großen Herausforderung" und erklärt das unterschiedliche Tempo damit, dass "die Gegebenheiten in unterschiedlichen Bundesländern nur bedingt zu vergleichen" seien. Und er ist guter Dinge, dass "anhand der Liefermengen, die wir für das zweite und dritte Quartal von den Herstellern zugesagt bekommen haben, im Sommer eine Impfung aller Impfwilligen ermöglicht" sein werde.

Tour durch die Länder

News hat sich in den Bundesländern nach dem Stand ihrer Impfstrategien erkundigt. Und es stellt sich heraus: Der Impffortschritt sieht regional sehr unterschiedlich aus. Während Wien zum Beispiel das " Bildungspersonal" - dazu gehören, nach einem Kommunikationsfehler seitens der Stadt, auch einige Universitätslehrende - bereits mit nächster Woche durchgeimpft haben will, gibt es für Salzburger Pädagoginnen noch nicht einmal einen Termin. Auch bei Polizei und Feuerwehr ist Wien schneller dran als andere Bundesländer. Dafür hinkt die Hauptstadt bei den Älteren hinterher. Nur 30 Prozent der über 85-jährigen Wienerinnen und Wiener waren Anfang der Woche geimpft -in Kärnten und Vorarlberg waren es fast zwei Drittel. Erklärt wird dieser Rückstand mit dem verhältnismäßig großen Spitalssektor in Wien. Das absolute Schlusslicht bei der Durchimpfung der Ältesten war zuletzt Niederösterreich. Weil dort viele Ältere nicht in Heimen wohnen und daher schlecht erreichbar seien, lautet die offizielle Argumentation. Für viele Betroffene stellt das ausschließlich digitale Anmeldesystem eine Herausforderung dar -jede Woche werden Termine freigeschaltet, die nach dem Prinzip "First come, first served" vergeben werden. Für viele Ältere nicht zu schaffen. Die meisten anderen Bundesländer setzen auf Vormerklisten und kontaktieren die jeweiligen Personen, wenn sie an der Reihe sind. Vereinzelt gibt es für bestimmte Personengruppen die Möglichkeit, online einen Impftermin zu buchen (etwa in Wien für Pädagoginnen).

Unterschiedliche Prioritäten

Zwar geben fast alle Bundesländer an, sich am Impfplan des Bundes zu orientieren, dennoch gibt es Unterschiede bei der Priorisierung, die vor allem den kurzfristigen Änderungen oder Verzögerungen bei der Impfstofflieferung geschuldet seien, heißt es. Wien beschloss beispielsweise, Mitarbeiter in Bildungseinrichtungen vorzuziehen, weil vorrätiger oder in Aussicht gestellter AstraZeneca-Impfstoff nicht für über 65-Jährige zugelassen war. Niederösterreich impft engste Kontaktpersonen von Kindern mit Covid-19-Risikoattest. Oberösterreich hat bereits mehr als 4.800 Rettungsdienstmitarbeiter geimpft. Apothekenmitarbeiter waren in Salzburg schon an der Reihe, warten in anderen Bundesländern aber noch. Neun kleine Impfkönigreiche, neun unterschiedliche Abläufe. Für viele Menschen in Österreich ist nur schwer nachvollziehbar, warum zum Beispiel die Freundin aus dem Nachbarbundesland schon einen Impftermin hat und man selbst noch nicht.

© News infografik/Karin Netta

Ist es zielführend, in einem kleinen Land wie Österreich neun Impfstrategien zu verfolgen? Dass die Corona-Impfungen von den Ländern durchgeführt werden, findet man -zumindest in Salzburg, aber auch in Oberösterreich oder Vorarlberg - "sehr sinnvoll". Zurückhaltendere Töne kommen aus dem Burgenland oder aus Niederösterreich. Aus dem Büro der steiermärkischen Gesundheitslandesrätin Juliane Bogner-Strauß heißt es, dass man die Entscheidung des Bundes zu respektieren habe, die jeweils unterschiedlichen Impfstrategien würden die Unterschiedlichkeit der Länder abbilden. Auch in Niederösterreich verweist man auf die Entscheidung des Bundes, in deren Rahmen "sich nur noch die Frage stellt, wie die Sache optimal abgewickelt werden kann. Positiv ist, dass die Länder die Strukturen und Möglichkeiten vor Ort bestens kennen und auch punktgenauer planen können."

Einigkeit herrscht darüber, dass die derzeit größten Probleme der Mangel an Impfstoff und die schlechte Planbarkeit seien. "Liefermengen können sich über Nacht verändern", beklagt man etwa im Büro der oberösterreichischen Landeshauptmann-Stellvertreterin Christine Haberlander. "Hier heißt es dann, in kurzer Zeit Anpassungen bei schon geplanten Impfungen vorzunehmen." Auch in Salzburg sieht man es als größte Herausforderung, "dass wir mit so wenig Impfstoff haushalten müssen". Dazu kämen logistische Schwierigkeiten beim Handling von drei verschiedenen Impfstoffen.

Suche nach Schuldigen

Bedeutet: Schuld an dem derzeitigen Durcheinander sind vor allem Bund, EU oder Pharmahersteller -also jene, die nicht genug Impfstoff zur Verfügung stellen. Finden zumindest die Länder. Auf die derzeitige Mangelverwaltung könnte allerdings schon in wenigen Wochen eine ganz andere Problemstellung folgen: nämlich dann, wenn endlich genug Impfstoff zur Verfügung steht. Sind die Bundesländer darauf vorbereitet, sehr große Impfaktionen durchzuführen?

Kanzler Kurz hatte das bezweifelt. Die Länder, ergab die News Umfrage, sind gerade dabei, die entsprechenden Ressourcen zu schaffen. In den meisten Fällen sollen Impfstraßen, in Kombination mit Impfungen im niedergelassenen Bereich und betrieblichen Impfungen, die zu erwartenden Spitzen bewältigbar machen. Aus dem Büro des burgenländischen Gesundheitslandesrats Leonhard Schneemann heißt esselbstbewusst: "Wir sind seit dem 11. Jänner 2021 mit der Impfinfrastruktur im Burgenland bereits so aufgestellt, dass wir bis zu 100.000 Impfungen pro Monat verabreichen und durchführen können. Derzeit sehen wir in der Vorausschau des Bundes keine solchen Mengen." Die steirische Impfstrategie sieht derzeit bis zu 8.000 Impfungen pro Tag vor, mit der Option auf Aufstockung.

Sonderfall Tirol

Einen Sonderfall stellt Tirol dar. Seit Donnerstag läuft dort eine gesonderte Impfaktion. Bewohner des Bezirks Schwaz werden mit 50.000 (inklusive Zweitstich 100.000) vorgezogenen BioNTech/Pfizer Impfdosen geimpft, um die Verbreitung der Südafrika Mutation zu verhindern. Das hat laut Gesundheitsminister Anschober "keine Auswirkungen auf den Impfplan in den anderen Bundesländern". Die 100.000 Dosen an mRNA Impfstoff seien "dankenswerterweise in der Liefermöglichkeit vorgezogen" worden und stünden so regional zur Verfügung. "Der Impfstoff wird über die Großhändler und Apothekenverteilt, damit die Gemeinden relativ kurzfristig Impfstoff bekommen. Die Verimpfung erfolgt hauptsächlich über die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten", so Anschober. Der Impfplan für das restliche Tirol werde "unabhängig davon fortgesetzt und durch die Impfaktionen im Bezirk Schwaz nicht beeinflusst". Und das Projektwird als Studie wissenschaftlich begleitet.

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Dennoch wird das Projekt in einigen Bundesländern skeptisch gesehen. Es sei zu klären, ob der Impfstoff zusätzlich beschafft worden oder Teil des österreichischen Kontingents sei, heißt es aus dem Büro des Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker. Kritisch auch die Stellungnahme aus dem Burgenland: "Regionale Sonderaktionen wecken zumeist überregionale Interessen. Hoffentlich kann der Bund diese dann auch erfüllen." Im Büro von Niederösterreichs Gesundheitslandesrätin Ulrike Königsberger Ludwig gibt man zu bedenken, dass sich, bei allen Argumenten, die für die Schwazer Impf Aktion sprechen, die Frage stelle, "wie viele Hotspots auf diese Weise vorgezogen werden können, wo aktuell jedes Bundesland auf Impfstoff wartet".

Absage an Hermagor

Bis auf Weiteres keine, sagt Gesundheitsminister Anschober und erteilt damit dem Kärntner Bezirk Hermagor, der sich ebenfalls Hoffnungen auf eine derartige Sonderbehandlung gemacht hatte, eine klare Absage: "Derzeit sind keine weiteren Regionen für eine derartige Durchimpfungsaktion geplant."

Die Impfstrategie scheint trotz aller Kritik jedenfalls vorläufig in Stein gemeißelt: Auch aktionistische Impfkooperationen, wie sie Bundeskanzler Sebastian Kurz nach seinem Besuch bei Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu in Aussicht gestellt hat, oder die Zulassung neuer Impfstoffe werden daran kaum etwas ändern, so Gesundheitsminister Anschober: "Die grundsätzliche Impfstrategie im Sinne der Priorisierung kann sich aufgrund einzelner Erkenntnisse anpassen. Größere Änderungen könnten sich durch Lieferengpässe oder unerwartete Zusatzlieferungen ergeben. In den nächsten drei Monaten ist das nicht absehbar."

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News der Ausgabe 10/2021.