Corona: Der neue Impfstoff

Noch vor Jahresende entscheidet die Europäische Arzneimittelagentur über die Zulassung des ersten Covid-Vakzins. Was ist über den mRNA-Impfstoff bekannt? Was sind die Risiken? Und warum gibt es immer noch keine wirksamen Medikamente?

von
THEMEN:
Covid-Vakzin - Corona: Der neue Impfstoff © Bild: Getty Images

Während es den einen nicht schnell genug gehen kann, sind andere wegen des enormen politischen Drucks alarmiert. Eine wirksame und sichere Impfung ist entscheidend, um die Coronavirus-Pandemie in den Griff zu bekommen. Das ist allen klar. Dennoch warnt etwa der Wiener Infektiologe Heinz Burgmann vor einem zu schnellen Vorgehen: "Zwar können natürlich administrative Abläufe beschleunigt werden, andere Ergebnisse brauchen aber einfach Zeit - und das ist gut investierte Zeit. Vielleicht ist der Impfstoff auch ganz toll, und das wüsste man dann genau. Aber nichts ist desaströser, als wenn etwas passiert."

Spätestens bis 29. Dezember will die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) über eine Zulassungsempfehlung für den Impfstoff von Pfizer/BioNTech entscheiden, zwei Wochen später über jenen der US-Firma Moderna. Beide Impfstoffkandidaten basieren auf der sogenannten mRNA-Technologie.

1. Was weiß man über Wirkung und Nebenwirkungen von mRNA-Impfstoffen?

Wenig. Zwar sind seit Jahren u. a. Tollwutund Krebsimpfstoffe, die auf mRNA-Technologie basieren, in Entwicklung. Keiner wurde bisher zugelassen. Dafür werden immer Risiken und Nutzen abgewogen. Bei Covid- Vakzinen überwiegt der Nutzen deutlich.

2. Was ist über die Impfstoffkandidaten von Moderna und Pfizer/BioNTech bekannt?

Ebenfalls nicht sehr viel. Bisher wurden ausschließlich Pressemitteilungen der Unternehmen veröffentlicht. Darin wurde die hohe Wirksamkeit der Impfstoffe betont. So liegt jene des Impfstoffkandidaten von Moderna bei rund 94, jene von Pfizer/BioNTech bei 95 Prozent.

Heinz Burgmann, Leiter der klinischen Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin an der MedUni Wien/AKH Wien, kritisiert, dass bisher zu wenig bekannt ist und dennoch bereits über Massenimpfungen diskutiert wird: "Es wurde noch nichts publiziert. Die Daten fehlen." Man wisse beispielsweise nicht, ob man sich trotz Impfung nach wie vor infizieren könne. Daher könne man auch nicht beurteilen, ob Geimpfte trotzdem weiterhin andere Menschen anstecken können. "Es ist auch noch nicht bekannt, in welchem Ausmaß der Impfstoff überhaupt schwere Krankheitsverläufe verhindern kann", gibt Burgmann zu bedenken.

Klar ist hingegen, dass beide Impfstoffkandidaten auf demselben Prinzip -nämlich der mRNA-Technologie -beruhen. Franz X. Heinz, Virologe an der MedUni Wien, geht davon aus, dass sich beide Impfstoffkandidaten lediglich in kleinen Details unterscheiden: "Dies betrifft z. B. Veränderungen an der RNA, um die Immunantwort besser auszubalancieren, oder auch die Art und Weise, wie die RNA in kleine Lipidpartikeln verpackt wird, um sie vor Abbau zu schützen und ihr Eindringen in Zellen zu erleichtern. Diese Faktoren können auch die Stabilität bei verschiedenen Lagertemperaturen beeinflussen."

3. Welche Nebenwirkungen können diese Impfstoffe haben?

"Das Auslösen einer Immunantwort, also der gewünschte Effekt der Impfung, ist mit Aktivierungsreaktionen unseres Immunsystems verbunden, die auch bei natürlichen Infektionen stattfinden und sich als lokale Reaktionen an der Impfstelle, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit und auch erhöhter Temperatur manifestieren können", erklärt Virologe Heinz.

In Großbritannien wurde am 8. Dezember hinderte Menschen mit dem Pfizer/Biontech-Vakzin geimpft. Dabei zeigten zwei Personen mit bekannten, starken Allergien, nach der Impfung eine allergische Reaktion und mussten behandelt werden. Die dortige Gesundheitsbehörde rät daher nun "niemanden zu impfen, der in der Vergangenheit signifikante allergische Reaktionen auf Impfstoffe, Arzneimittel oder Lebensmittel" zeigte.

Allerdings ist über die Langzeitauswirkungen nichts bekannt. Schließlich ist diese Technologie noch nicht großflächig zum Einsatz gekommen. "Beim russischen Impfstoff Sputnik haben alle aufgeschrien, weil er noch vor der Phase-3-Studien vielen Menschen verabreicht wurde", ist Burgmann alarmiert. Für ihn wäre es besser, mit den Impfungen noch ein paar Monate zu warten, um dann auch Langzeitfolgen der neuen Technologie besser abschätzen zu können. "Es ist erstmals in der Geschichte, dass eine weltweite Pandemie mit einer weltweiten Impfstrategie behandelt werden soll. Es ist geplant, Hunderte Millionen an Impfungen an Gesunden durchzuführen. Wir brauchen daher ein höchstes Maß an Sicherheit. Eine gewisse Beobachtungsperiode gehört meiner Meinung nach dazu - das kann nicht beschleunigt werden. Ein Grashalm wächst nicht schneller, wenn ich an ihm ziehe!"

»Eine gewisse Beobachtungsperiode gehört dazu. Das kann nicht beschleunigt werden«

Heinz Burgmann Leiter der klinischen Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin an der MedUni/AKH Wien

4. Kann ich das Virus auch noch weitergeben, wenn ich geimpft bin?

Das ist derzeit noch unklar. Daher ist es für Burgmann auch nicht nachvollziehbar, warum zum Beispiel eine Fluglinie ankündigt, nur Geimpfte zu transportieren. "Das macht keinen Sinn. Einerseits ist mir kein größerer Cluster bekannt, der in einem Flugzeug entstanden wäre. Andererseits könnten die geimpften Passagiere dann nach wie vor das Virus weitergeben und andere infizieren."

Auch wenn ein Impfstoff, der schwere Erkrankungen verhindert, das Gesundheitssystem deutlich entlasten würde, gehen Experten nicht davon aus, dass der Mund-Nasen-Schutz bereits in wenigen Wochen der Vergangenheit angehören wird. Schließlich dauert es Monate, bis die gesamte Bevölkerung die Möglichkeit zur Impfung erhält. So ist vorgesehen, dass in Österreich klarerweise zunächst die durch Covid-19 stärker gefährdeten, älteren Menschen geimpft werden. Auch Personen im Gesundheitssystem und kritische Infrastrukturen wie das Bildungssystem oder die Polizei werden schneller Zugang zur Impfung haben.

5. Wie lange hält der Impfschutz?

Das weiß man noch nicht. Allerdings: Auch bei einer durchgemachten Covid-Infektion kann noch niemand abschätzen, wie lange man sich danach nicht neuerlich anstecken kann.

6 Können Kinder geimpft werden?

Nein. Bis Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren geimpft werden können, werden zumindest noch einige Monate vergehen. Denn keiner der Impfstoffkandidaten wird zunächst für diese Bevölkerungsgruppe zugelassen.

7. Kann ich mir aussuchen, mit welchem Impfstoff ich geimpft werden möchte?

Zu Beginn wohl nicht. Schließlich ist derzeit noch kein Impfstoff zugelassen, und nur zugelassene stehen überhaupt zur Verfügung. Es ist aber davon auszugehen, dass nach und nach mehr Covid-Vakzine auf den Markt kommen werden. Nicht jeder davon ist für alle Menschen wie etwa ältere Menschen, Kinder oder Schwangere gleichermaßen geeignet. Für Burgmann ist daher vorstellbar, dass je nach Bevölkerungsgruppe ein unterschiedlicher Impfstoff verabreicht wird.

8. Wie teuer ist die Impfung?

Für alle, die sich impfen lassen wollen, wird das in Österreich kostenfrei möglich sein. Wie viel der Impfstoff tatsächlich kostet, darüber wurde mit den Herstellern Stillschweigen vereinbart. Der Virenforscher Peter Palese schätzte bei einem "Corona-Update" der Johannes-Kepler-Universität Linz die Kosten für eine Dosis der mRNA-Vakzine auf bis zu 150 Dollar.

9. Gibt es bei der Entwicklung von Medikamenten Fortschritte, die auf einen baldigen Durchbruch hoffen lassen?

Derzeit werden laut Analyse der Prüfungsund Beratungsorganisation EY 437 therapeutische Wirkstoffkandidaten erprobt. Davon 133 in Phase 3. Für zumindest drei davon werden noch heuer die für eine Zulassung relevanten Daten erwartet.

»Die Neuentwicklung von spezifischen antiviralen Medikamenten ist extrem aufwändig«

Franz X. Heinz Der Virologe (MedUni Wien) darüber, warum noch kein Medikament am Markt ist

Sowohl Burgmann als auch Heinz dämpfen hier aber die Erwartungen. "Die Neuentwicklung von spezifischen antiviralen Medikamenten ist extrem aufwändig", gibt Heinz zu bedenken. "Anfangs bestand die Hoffnung, bereits für andere Zwecke zugelassene Medikamente zu finden, die auch bei Covid-19 wirksam wären, und dass man sich dadurch das komplette Entwicklungsverfahren sparen könnte. Leider waren diese Hoffnungen zu optimistisch, und weder das Malariamedikament Hydroxychloroquin noch das für Ebola entwickelte Remdesivir haben die hochgestochenen Erwartungen erfüllen können. Auch über Ergebnisse klinischer Versuche mit dem immer wieder propagierten ACE2 hat man nichts mehr gehört."

Heinz Burgmann geht nicht davon aus, dass es ein einziges Medikament geben wird, sondern eine Therapie der unterschiedlichen Krankheitsstadien: "In der Frühphase der Krankheit muss man die Virusverteilung bekämpfen. In der Spätphase ist etwas gegen die gestörte Immunreaktion entscheidend." Wichtig wäre für den Infektiologen, dass Parameter gefunden werden, anhand derer festgestellt werden kann, in welcher Phase der Krankheit sich ein Patient gerade befindet.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News der Ausgabe 50/2020.