Hugo Portisch: "Hörn S'auf mit dem Fürchten, sein S'froh, dass Sie leben!"

Er denkt nicht daran, sich mit 93 Jahren vom Coronavirus einschüchtern zu lassen

Er hat Generationen die Welt erklärt: Hugo Portisch denkt mit der Weisheit seiner 93 Jahre nicht daran, sich vom Virus einschüchtern zu lassen. Lernen wir von ihm!

von
Interview - Hugo Portisch: "Hörn S'auf mit dem Fürchten, sein S'froh, dass Sie leben!"

Alle aktuellen Entwicklungen zum Corona-Virus lesen Sie hier.

Herr Doktor Portisch, wie schaffen Sie es, in Zeiten wie diesen positiv zu denken?
Ich bin ein grundsätzlich positiver Mensch mit positiven Ideen, und eine solche Situation macht mich keineswegs hoffnungslos. Ich werde mit der Situation auch ganz gut fertig.

Wie darf man sich das vorstellen? Wie ist Ihre Strategie?
Ich habe keine. Ich denke nur positiv und akzeptiere die Situation. Dass ich länger zu Hause bleiben muss, bringt mir auch Zeit für Dinge, die ich sonst nicht hätte. Ich lese Bücher, die ich immer schon lesen wollte und nicht dazugekommen bin, und lasse mich täglich von allen Seiten informieren, was ich seit eh und je als aufregend und aufbauend empfinde. Ich habe eine ganze Reihe von Magazinen, die mich informieren: vom englischen "Economist" über das amerikanische "Time" bis zum deutschen "Spiegel" und zum österreichischen "Profil" und

News auch?
Das wollte ich gerade hinzufügen. Sie alle unterhalten und informieren mich. Information ist etwas sehr Hilfreiches, diese Gelegenheit soll man sich zu hundert Prozent nehmen.

Haben Sie denn keine Angst vor einem Virus, das vor allem ältere Menschen bedroht?
Nein, keine. Ich sehe, dass die zuständigen Organe, die Regierung und der Gesundheitsdienst, gut funktionieren. Gerade in Österreich haben sie diesmal sehr gut funktioniert.

Sie haben einen fast konkurrenzlosen Überblick über die Entwicklung der Weltgeschichte, vielfach aus eigenem Erleben. In welcher Größenordnung würden Sie denn diese Krise einordnen?
Am meisten erinnert mich die Situation an die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Alle haben gewusst: Jetzt kommt es darauf an, dass wir an einem Strang ziehen, dass wir einig sind - wir haben genug zu tun, um uns nicht gehen zu lassen, weil wir etwas zustande bringen müssen. Das ist eine schöne Aufgabe, die das Leben der Menschen erfüllt.

Ist das Ganze also auch eine Hoffnung? Wird die Welt nach dieser Krise etwas anders aussehen? Elfriede Jelinek hat einmal gesagt: "Der Mensch ist eine Ratte, er ändert sich nie."
Es ist zu hoffen, dass Schocks dieser Art den Menschen helfen können, zu erkennen, dass das Leben einen Wert hat und dass es schön ist, zu leben. Wenn diese Schlüsse aus der Krise von den meisten Menschen gezogen werden, habe ich sicher eine Hoffnung für die Welt.

Welche Krise war denn die schlimmste, die Sie selbst erlebt oder kommentiert haben?
Das war wohl das Erlebnis des ausgehenden Krieges. Ich war 18 Jahre alt, täglich war Bombenalarm. Die Bomben sind auf uns heruntergekommen, und wir waren mit den Folgen konfrontiert, unmittelbar. Das war sehr bedrückend, und dazu kam die damals existierende Diktatur, vor der man mindestens ebenso viel Angst haben musste wie vor dem Krieg. Diese doppelte Angst an einem Tag loszuwerden, als der Krieg vorbei war -das war eine riesige Befreiung, ein tolles, ein einzigartiges Erlebnis.

Das ist das Unglaubliche an Ihnen: Ich frage nach der schlimmsten Krise Ihres Lebens, und Sie sprechen von dem Gefühl der Befreiung und des Glücks nachher. Ist das Ihre Strategie?
Ich glaube schon, ja. Man muss froh sein, wenn man es überwindet. Ich freue mich darauf, wie das sein wird: wenn dieses Experiment, die Leute wegzusperren, um das Coronavirus auszuhungern, hoffentlich halbwegs gelingt.

Mach Sie sich Sorgen, dass jetzt die Grundrechte in Gefahr geraten, etwa durch die Überwachung von Handy-Bewegungen? Man liest jetzt so etwas.
Nein, diese Sorge halte ich für unbegründet. Sie ist lediglich die Demonstration von nach wie vor vorhandener Dummheit. Die lässt sich nicht bekämpfen.

Welche Vorkehrungen treffen Sie selbst denn? Gehen Sie gar nicht aus dem Haus?
Ich gehe aus dem Haus zum Spazieren, denn man braucht die frische Luft, und man braucht auch den Ausgang. Ich warte darauf, dass mich die Polizei irgendwann aufhält und fragt, was ich an der frischen Luft treibe.

Aber Sie bleiben den Leuten einen Meter vom Leib?
Das tue ich doch automatisch! Das gehört sich bei Fremden.

Traurig ist allerdings, was in Ihrer Wahlheimat Italien geschieht. Haben Sie Nachrichten aus der Toskana, aus Ihrem Dorf?
Wenige. Aber ich bewundere den großen Mut der Italiener. Sie haben sich von einem Tag auf den anderen entschlossen, auf die Dächer zu steigen und die italienische Hymne zu singen. Eine ganz großartige Abwehrreaktion. Und meine Freunde hier in Wien! Günther Graf, ein Hobby-Jazzer, der mit seiner Band die Welt bereist hat, geht jeden Tag um sechs Uhr Abend auf seine Hietzinger Terrasse und gibt ein Klarinettenkonzert vom Feinsten. Und die Leute schauen aus den Fenstern und klatschen und freuen sich! Das ist die richtige Reaktion: Freude bereiten!

Sie selbst erwägen nicht, auf das Dach zu steigen und italienische Lieder zu singen?
Dazu wäre ich schon bereit, wenn sich Leute finden, die mit mir hinaufsteigen und singen.

Aber auf dem Dach einen Meter Abstand halten kann gefährlich werden! Meinen Sie, dass die Schönheit und die Lebensfreude Italiens zurückkehren werden?
Aber ganz bestimmt! Sie ist gar nicht verloren gegangen! Die Lebenszeichen der Menschen zeigen dort immer ins Positive, davon bin ich überzeugt. Im Gegenteil, man wird das Leben nachher wieder zu schätzen wissen.

Sie sind eine der wenigen Autoritäten dieses Landes. Da kommt es auf Ihr Wort an. Wenn Sie nun jemand anruft und Angst hat?
Gott sei Dank ist mir noch niemand mit der Frage gekommen. Aber ich würde sagen: "Hören S'auf damit, sein S' froh, dass Sie leben, genießen Sie Ihr Leben, denn Sie sind nicht unmittelbar bedroht, und dafür sollten Sie dankbar sein. Und wenn Sie das machen, was alle anderen vernünftigen Menschen tun, sind Sie gut aufgehoben."

Gibt es eine persönliche Krise, über deren Bewältigung Sie sprechen möchten?
Nein, das ist nicht meine Art. Das machen andere zur Genüge.

Und die wirtschaftlichen Auswirkungen? Wie dramatisch werden die?
Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind wirklich dramatisch, aber man versucht auch ganz gut, sie in die Hand zu bekommen. Die riesigen Hilfspakete, die für das Auffangen der wirtschaftlichen Not geschnürt werden, finde ich gut, und wir werden das Ganze recht gut bewältigen.

Stürzt die Welt nun in eine schwere Wirtschaftskrise wie zuletzt vor zwölf Jahren?
Nein, das glaube ich nicht. Die Gegenmaßnahmen laufen früh an und werden auch überall durchgeführt werden. Die Welt und auch die Weltwirtschaft sind auf Krisen schon ganz gut getrimmt. Sie haben schon einige durchgemacht und wissen, wie das geht.

Abschließend möchte ich privat werden: Haben Sie unproportionale Vorräte an Toilettenpapier vorrätig?
Nein, das wäre mir nicht eingefallen, sicher nicht.

Wie viel haben Sie denn daheim?
In meinem Badezimmer liegen immer drei Rollen bereit.

ZUR PERSON

Hugo Portisch Geboren am 19. Februar 1927 in Bratislava, lernte Portisch bei US-Spitzenmedien, wurde Chefredakteur des "Kurier" und brachte mit dem Rundfunkvolksbegehren den freien ORF auf den Weg. Mit den TV-Serien "Österreich 1" und "Österreich 2" wurde er zur zeithistorischen Instanz.