"Das Epidemiegesetz
ist nur eine Notlösung"

Erneuert, aber immer noch verstaubt: Die Corona-Krise war Anlass für eine Novellierung des österreichischen Epidemiegesetzes. Verfassungsjurist Peter Bußjäger sagt, dass daran allerdings nur "notdürftig ein bisschen herumgebastelt" wurde. Im Interview mit news.at weist er auf wesentliche strukturelle Probleme hin.

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Corona - "Das Epidemiegesetz
ist nur eine Notlösung" © Bild: iStockPhoto.com

Herr Bußjäger, zu Beginn der Krise bemängelten Sie, dass das Epidemiegesetz den Geist vergangener Epochen atmen würde. Hat sich das Ihrer Ansicht nach in der Novellierung vom 10. April verbessert?
Nein, viel verbessert hat sich nicht. Es wurde notdürftig ein bisschen herumgebastelt und ergänzend das Covid-Maßnahmengesetz erlassen. Am „Oster-Erlass“ kann man das sehr schön nachvollziehen: Der Bund hat versucht, Zusammenkünfte zu regeln und sich auf Paragraph 15 im Epidemiegesetz gestützt, wo es um „Maßnahmen gegen das Zusammenströmen größerer Menschenmengen“ geht, da ist von Untersagung von Veranstaltungen die Rede.

Für den Fall, dass man einfach auch über Ostern den Kontakt der Bevölkerung zu anderen Personen möglichst niedrig halten wollte, merkt man sofort, dass das nicht passt. Es ist schwierig, ein Familienfest als „Veranstaltung“ zu qualifizieren oder eben von einem „Zusammenströmen größerer Menschenmengen“ zu sprechen.

Das novellierte Epidemiegesetz bezieht sich lediglich drei Mal auf aktuelle Bundesgesetzblätter zur Corona-Krise. Wie darf man die rechtliche Struktur dahinter verstehen? Muss ein Gesetz wie dieses möglichst schlank und allgemein bleiben?
Das Epidemiegesetz hat das grundsätzliche Problem, dass es für eine Pandemie, wie wir sie gerade erleben, nicht wirklich passt. Dafür hat man dann das Covid-Maßnahmengesetz mit einer ganzen Reihe von Begleitgesetzen erlassen und mit einer „Sunset Clause“ versehen. Das heißt, dass es ein Ablaufdatum mit Jahresende gibt, wenn es nicht verlängert wird.

Man hat also einen Weg gewählt, das Epidemiegesetz mit dem Instrumentarium, das zur Verfügung steht, grundsätzlich bestehen zu lassen und dort, wo es nicht ausreicht, ein zeitlich befristetes „Pandemie“-Gesetz zu erlassen. Das betrifft auch eine Klarstellung hinsichtlich der Entschädigungsregelungen für Verdienstentgang.

»Der Staat hatte das Problem, dass er einen generellen Lockdown finanziell alleine nicht stemmen konnte«

In der ursprünglichen Fassung hätte der Staat ja zur Gänze entschädigen sollen…
Genau, jetzt hatte der Staat aber das Problem, dass er für einen generellen Lockdown große Bereiche der Wirtschaft lahmlegen musste, was er finanziell alleine nicht stemmen konnte. Daher erfolgte im Paragraphen 4 Absatz 2 des Covid-19-Maßnahmengesetzes die Klarstellung, dass die Entschädigungsregelungen vom Epidemiegesetz keine Anwendung finden.

Dafür habe ich Verständnis und halte es auch für verfassungskonform, weil Österreich vor einer anderen Situation steht, als es das Epidemiegesetz ursprünglich vorgesehen hatte. Da geht es nicht um einen einzelnen Unternehmer, der ausnahmsweise für alle anderen eine Einschränkung vornehmen muss, das müssen jetzt alle tun.

Die Freistellung von Risikogruppen ist auch nicht im Epidemiegesetz geregelt. Warum eigentlich nicht?
Das hat man in anderen Gesetzen untergebracht und ist auch wieder eine Begleitregelung, weil man hofft, dass das nur für Covid -19 gilt und bald wieder vorbei ist.

Besonders nachhaltig scheint das nicht, oder?
Nein, das ist es nicht. Man wird sich sicherlich Gedanken machen müssen, wie man für ähnliche Ereignisse in Zukunft rechtlich besser aufgestellt ist.

Verfassungsjurist Heinz Mayer hat gemeint, dass die Regelung verfassungswidrig sei. Sehen Sie das auch so?
Ich erachte seine Argumentation soweit sie sich auf Risikogruppen im Gesundheitsbereich bezieht, für absolut nachvollziehbar, ja.

Gibt es eigentlich überhaupt Änderungen, die Sie überrascht haben?
Nein, es ist inhaltlich wenig Neues im Epidemiegesetz enthalten und auch nichts Überraschendes dazugekommen.

»Die Weitläufigkeit der Handlungsermächtigungen müsste interpretativ eingeschränkt werden«

Welche Defizite wären für Sie zusammengefasst hervorzuheben?
Für mich ist die Unklarheit des Veranstaltungsbegriffs nach wie vor ein Problem. Auch die Weitläufigkeit der Handlungsermächtigungen müsste interpretativ eingeschränkt werden, weil man sich das Verhältnismäßigkeitsprinzip in der jetzigen Form dazu denken muss.

Der Verbraucherschutzverein vertritt tausende geschädigte Tirol-Urlauber, eine Sammelklage steht im Raum. Kann das Land Tirol im Sinne des ersten Hauptstücks des Epidemiegesetzes überhaupt zur Verantwortung gezogen werden?
Grundsätzlich ist klarzustellen, dass der Verbraucherschutz zwei Dinge machen kann: Er kann zum einen die privaten Hoteliers klagen, weil sie ihre Schutzpflichten verletzt haben oder ankommende Gäste nicht rechtzeitig gewarnt haben könnten. Zum anderen kann er eine Amtshaftungsklage gegen bestimmte Rechtsträger richten. Das Epidemiegesetz ist sogenannte „mittelbare Bundesverwaltung“. Mit Aussicht auf Erfolg kann der Verbraucherschutz sie also nur gegen den Bund einbringen. Eventuell kann der Bund in diesem Fall Regress auf den Landeshauptmann und andere Landesorgane nehmen, das bleibt aber vorerst außen vor.

Das Land Tirol kann also nicht direkt mit einer Sammelklage konfrontiert werden?
Die Amtshaftung setzt weiters voraus, dass ein rechtswidriges Handeln der Vollzugsorgane zugrunde liegt, das auch schuldhaft sein muss. Vollzugsorgane des Epidemiegesetzes sind z.B. der Landeshauptmann und die Bezirksverwaltungsbehörden. Ihnen ist nachzuweisen, dass sie rechtswidrig und zumindest fahrlässig gehandelt haben, also zum Beispiel schneller reagieren hätten müssen. Das Land Tirol sehe ich aber nicht als jemanden im Spiel, den man direkt klagen könnte.

Sie haben das moderne Schweizer Epidemiegesetz quasi als Vorbild hergenommen: Inwiefern könnte sich das österreichische Epidemiegesetz daran orientieren?
Die Gesamtstruktur des Schweizer Epidemiegesetzes an sich ist moderner. Einzelne Punkte würden also nicht ausreichen, es braucht eine grundsätzliche Überarbeitung. In der jetzigen Form ist das österreichische Epidemiegesetz nur eine Notlösung.

Die aktuellen Entwicklungen zur Corona-Krise in Österreich