Die Angst vor dem zweiten Lockdown

Auch in Österreich könnte es wieder zum totalen Stillstand kommen - die Folgen wären aber fatal

Rund um Österreich verhängen immer mehr Länder drastische Maßnahmen zur Eindämmung der steigenden Corona-Infektionszahlen. Auch in Österreich sind weitere Verschärfungen nicht auszuschließen -bis zum zweiten Lockdown. Der hätte allerdings zusätzliche fatale Folgen für die Wirtschaft.

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Corona - Die Angst vor dem zweiten Lockdown

Ganz Europa kämpft gegen steigende Corona-Infektionszahlen -und immer öfter kommt es zur Ausrufung von Notständen, regionalen Schließungen beziehungsweise Lockdowns. Auch in Österreich sind Regierung und Bevölkerung gefordert, die offenbar ungebremste Ausbreitung von Covid-19 in den Griff zu bekommen. Zuletzt gipfelten die Maßnahmen in verschärften Verordnungen für Gastronomie, Sport-und Kulturveranstaltungen sowie private Feiern. Die Abriegelung ganzer Orte wie des Salzburger Kuchl, das sich bis 1. November in Quarantäne befindet, ist bislang die Ausnahme.

Internationale Beispiele

Auszuschließen ist ein zweiter großflächiger Lockdown freilich nicht. International mehren sich die Beispiele dafür ohnehin: Im an Salzburg grenzenden Landkreis Berchtesgaden wurde am Dienstag ein zweiwöchiger Quasi-Lockdown verhängt, bei dem das öffentliche Leben weitgehend eingeschränkt ist. Vom 23. Oktober bis zum 9. November führt das britische Wales einen Lockdown durch; in Irland gilt ein solcher gar für sechs Wochen bis 1. Dezember: Wer kann, muss ins Homeoffice, nur für das tägliche Leben unverzichtbare Geschäfte wie Supermärkte dürfen noch geöffnet bleiben. In Italien wurden die Corona-Regeln extrem verschärft: Die Behörden können abends Plätze und Straßen sperren lassen, in der Lombardei gilt seit Donnerstag nächtliche Ausgangssperre zwischen 23 Uhr und fünf Uhr früh. In Slowenien sind sieben von zwölf Regionen mit den höchsten Infektionszahlen unter Quarantäne gestellt, die Bewohner dürfen ihre Region nur in Ausnahmefällen verlassen. In den Risikogebieten gilt zudem ein Versammlungsverbot, Bars und Restaurants sind geschlossen. Letztere sind auch in Belgien wegen eines vierwöchigen Lockdowns zugesperrt. Und auch dort gibt es ein nächtliches Ausgehverbot.

Drastische Maßnahmen wirken

Die drastischen Maßnahmen sind zwar unpopulär und stoßen oft auch auf Ablehnung in der Bevölkerung, aus gesundheitlicher Sicht sind sie aber wirksam. Das zeigte sich nicht nur im Frühjahr während des ersten Lockdowns in Österreich, sondern zuletzt auch in Israel: Dort sind nach der vierwöchigen Sperre des Landes kürzlich wieder erste Lockerungen in Kraft getreten, nachdem die zwischenzeitlich rapide gestiegenen Infektionszahlen wieder merkbar gesunken waren.

Hierzulande wollte schon Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck vor Kurzem einen zweiten Lockdown nicht generell ausschließen, und auch Bundeskanzler Sebastian Kurz meinte jüngst bei der Verkündung der letzten Verschärfungen, es gebe "keine punktgenauen Grenzen" dafür. Wichtig sei, dass das Contact Tracing noch funktioniere. Auch die Auslastung der Krankenhäuser und der Intensivstationen sei ein Faktor für zusätzliche Verschärfungen.

Der Tiroler Anwalt und Hotelier Christian Harisch wiederum erzeugte dieser Tage gewaltigen Wirbel, weil er explizit einen Lockdown forderte: und zwar für mehrere Wochen im November, um so die Corona-Fallzahlen zu senken und damit die wegen diverser ausländischer Reisewarnungen für Österreich schwer bedrohte Wintersaison zu retten.

Ob diese Rechnung aufgehen kann, ist freilich offen -denn aus ökonomischer Sicht wirkt sich ein Herunterfahren der Wirtschaft ausgesprochen negativ aus: Im Frühling 2020 brach in Österreich die Wirtschaftsleistung laut Daten der Bank Austria um rund 13 Prozent ein. Auf das gesamte Jahr gesehen wird das heimische BIP (Bruttoinlandsprodukt -der Gesamtwert aller Güter, Waren und Dienstleistungen, die während eines Jahres hergestellt werden) heuer laut dem Institut für Höhere Studien (IHS) um 6,7 Prozent einbrechen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) geht von minus 6,8 Prozent aus. Das heißt, das BIP geht von 397,5 Milliarden Euro auf 377,1 Milliarden Euro zurück. Inflationsbereinigt sind es sogar noch ein paar Milliarden mehr.

Alle Branchen betroffen

Betroffen von den Umsatzeinbrüchen waren und sind alle Branchen, wenngleich in unterschiedlichem Ausmaß: Am stärksten leiden unter der Pandemie und ihren Konsequenzen, wie schon berichtet, Gastronomie und Hotellerie -und damit auch alle vom Tourismus abhängigen Unternehmen. Die Industrie muss ebenso starke Einbußen hinnehmen wie der Handel. Obwohl der Lebensmittelhandel zu den wenigen Profiteuren der Corona-Krise zählt.

Wirtschaftsforscher und Experten gehen allerdings davon aus, dass die ökonomischen Folgen eines zweiten Lockdowns nicht mehr ganz so schlimm wären wie die des ersten. "Unsere Berechnungen haben ergeben, dass die Auswirkungen ungefähr halb so stark wären wie im Frühjahr", sagt IHS-Chef Martin Kocher. "Ein zweiter Lockdown würde wahrscheinlich auch nicht mehr so großflächig ausfallen und nicht mehr ganz so lange dauern wie beim ersten Mal."

Die Verantwortlichen und die Bevölkerung insgesamt hätten auch aus dem ersten Lockdown gelernt, sagt Kocher: "Damals wusste man ja nicht, welche Bereiche sicher sind und wo die Ansteckungen stattfinden. Deshalb würde bei einem zweiten Mal wohl differenzierter vorgegangen werden." So könnte diesmal der Handel ausgenommen werden -auch, weil klar sei, dass Ansteckungen momentan vor allem im privaten Bereich stattfinden würden. Ähnlich argumentiert auch Wifo-Prognoseleiter Stefan Schiman: "Man hat mittlerweile gelernt, mit dem Virus umzugehen, und weiß, wie wichtig Abstandhalten und Hygienemaßnahmen oder Händewaschen bei der Eindämmung der Übertragung von Corona sind." Deshalb könnten sich etwa Industrie und produzierende Betriebe heute besser auf die Pandemie einstellen und daher auch ihren Betrieb weiter aufrechterhalten. Schiman: "Sollte es einen zweiten Lockdown geben, so wird der sicher nicht das Ausmaß des ersten haben."

"Lockdowns in Hotspots"

Stefan Bruckbauer, Chefvolkswirt der Unicredit Bank Austria, glaubt ebenfalls nicht, dass bei einem etwaigen zweiten Lockdown Produktionsbetriebe oder Handelsgeschäfte geschlossen würden: "Man kann ja jetzt auf die Erfahrungen vom Frühjahr aufbauen und hat jetzt auch etablierte Anti-Corona-Methoden wie das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes." Bezogen auf die aktuelle Lage geht Bruckbauer daher eher davon aus, dass es zu "Lockdowns in Hotspots" kommen könnte, "aber zu keinen großflächigen". Besonders wichtig aus seiner Sicht -aber auch aus der anderer Fachleute -sei es jedenfalls, dass die Lieferketten aufrechterhalten würden und es zu keinen Produktionsstopps komme: "Sollte das passieren, wäre es wirklich schlimm und hätte noch viel stärkere wirtschaftliche Auswirkungen."

Denn: Auch wenn ein zweiter Lockdown nur halb so gravierende Auswirkungen wie der erste hätte, wären die Konsequenzen für das BIP fatal. Die Wirtschaftsforscher gehen bei ihren aktuellen Prognosen von einer Erholung im kommenden Jahr aus. Demnach sollte Österreichs Wirtschaft 2021 bereits wieder um 4,7 Prozent (laut IHS) wachsen. Zu Beginn 2022 könnte die Alpenrepublik somit wieder das Vorkrisenniveau von 2019 erreichen. Vorausgesetzt, man behält die Pandemie im Griff.

Getrübte Wachstumsaussichten

Sollte das nicht gelingen und die Infektionszahlen bei einer zweiten Welle weiter zunehmen, würde das "die prognostizierten Wachstumsaussichten massiv trüben", erklärt IHS-Chef Kocher. "Käme ein zweiter Lockdown, dann würden wir - abhängig von dessen Dauer - sicher nicht über ein Prozent zulegen, wenn überhaupt. Wir schrumpfen ja heuer um fast sieben Prozent und sind jetzt schon auf einem deutlich tieferen Niveau."

Auch wenn es nur für einige Wochen um zehn oder 15 Prozent nach unten gehe, schlage das voll auf das gesamte Jahr durch. In so einem Fall würde Österreich erst 2024/25 wieder das Vorkrisenniveau erreichen. Kocher: "Das heißt, die Erholung braucht zwei bis drei Jahre länger."

Dass sich die Wirtschaft schnell wieder fängt, glaubt angesichts der allgemeinen Entwicklung eigentlich niemand. Denn dazu bräuchte es binnen kurzer Zeit - in vier bis acht Wochen -einen Impfstoff. "Und das hat momentan, glaube ich, niemand mehr auf der Rechnung", sagt Kocher, der sich von einem Impfstoff in erster Linie Optimismus erwartet: "Die Stimmung würde sich stark verbessern, und das sollte man im Gesamtkontext nicht unterschätzen."

Auch wenn sich nur 30,40 oder 50 Prozent der Bevölkerung impfen lassen würden, hätte man weniger Probleme im Gesundheitssystem oder im Reiseverkehr und damit verbunden eine Reihe weiterer Erleichterungen, so der IHS-Chef: "Das würde vieles vereinfachen."

Die psychologischen Auswirkungen weiterer Verschärfungen hätten es auch in sich, warnen die Experten: Abgesehen davon, dass Arbeitslosigkeit -die bei einem zweiten Lockdown ebenfalls steigen würde - ohnehin negative mentale Effekte habe, wären zusätzliche psychische Belastungen zu erwarten: etwa durch andauernde Kurzarbeit oder im Homoffice, wenn die Betreuung der Familie und der Beruf unter einen Hut gebracht werden müssten.

Faktor Psychologie

Optimismus sei wichtig, aber auch stark an das Infektionsgeschehen gekoppelt, sagt Kocher: "Das hat viel mit Zukunftserwartungen zu tun und mit dem Glauben, ob es bald besser wird." Derzeit sei die Stimmung zwar nicht besonders gut, sie könnte allerdings noch schlechter werden, so der IHS-Chef: "Momentan wird allgemein noch keine massive zweite Welle erwartet. Hoffentlich bleibt es dabei."

Auch für Volkswirt Bruckbauer hat der Faktor Psychologie wesentlichen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung: "Wenn die Menschen zu ängstlich und vorsichtig sind, weniger einkaufen oder essen gehen oder Unternehmen von sich aus ihre Produktivität herunterfahren, hat das fast denselben negativen Effekt wie ein Lockdown." Je länger die Krise dauere, desto vorsichtiger würden die Menschen. Was sich im Übrigen auch auf das Sparverhalten auswirkt: Obwohl es so gut wie keine Zinsen für Guthaben bei den Banken gibt, ist die Sparquote heuer extrem gestiegen. Geld, das dann im Konsum und für die Konjunkturankurbelung fehlt.

Es sei daher essenziell, dass sich die Menschen diszipliniert verhielten und das Ihre zur Bekämpfung von Covid-19 täten. Je besser sich die Pandemie eindämmen lasse, desto besser sei das für die Wirtschaft, bringt es Bruckbauer auf den Punkt: "Und je mehr Opfer es gibt, desto höher ist der BIP-Einbruch."

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 43/20