Retten wir das Gesprächsklima, dann erst das andere

Die CO2-Debatte wird zum Kampf um die Durchsetzung eines moralisch einwandfreien Lebensstils. Hört die mediale Volkserziehung nicht bald auf, droht eine Spaltung, tiefer als die Covid-Kluft.

von Leitartikel - Retten wir das Gesprächsklima, dann erst das andere © Bild: Ricardo Herrgott/News

Wer in der Zeit vor und nach der Vorstellung der ökosozial genannten Steuerreform Medien konsumierte, erhielt einen bunten Strauß an Vorgaben für die persönliche Lebensplanung. Zeuge keine Kinder (die verbrauchen Ressourcen). Bau kein Haus (klimaschädlich), pflanze einen Baum, der zumindest einen kleinen Teil deiner Klimasünden tilgt. Nebenbei wurde in Netz, Rundfunk und Zeitungen erklärt, wie das im Alltag auszusehen hat: Klimaticket statt Pkw. Fahr-statt Motorrad. Und wenn es schon sein muss, dann Carsharing statt eigenem SUV. Ein Ökonom erklärte, "warum das Leben in der Vorstadt das Klima zerstört". Eine Interviewerin sprach in diesem Zusammenhang von "falschem Wohnverhalten". Ein Psychologe schlug vor, umweltschädigendes Verhalten "gesellschaftlich inakzeptabel" zu machen. Ein TV-Moderator fragte den Bundeskanzler, wie denn der (angeblich) zu kleine Preis auf Kohlendioxid bewirken soll, "dass die Leute vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen". Und ein Leitartikler erwärmte sich für CO2-Kosten in dreistelliger Höhe pro Tonne (geworden sind es - vorerst -30 Euro). Die Österreicher des Jahres 2021 verbrauchen nicht nur mehr Energie, als sie nach Erkenntnissen der Klimaforschung sollten. Sie müssen sich vor allem mit steigender Frequenz anhören, dass ein großer Teil von ihnen einer geradezu verachtenswerten Schicht angehört. Einer Schicht, die den Planeten zerstört, den eigenen Kindern einen Scherbenhaufen hinterlässt und die man mit sanfter (?) Gewalt dazu bringen müsse, so zu leben, wie sich das gehört. Das Problem ist nur: Der Respekt vor Lebensentwürfen außerhalb journalistischer Blasen geht verloren. Das Gesprächsklima erhitzt sich schneller als der Planet. Längst geht es nicht mehr darum, Ressourcen, die man verbraucht, zu bezahlen. Das sollte selbstverständlich sein. Es geht um die Durchsetzung der eigenen Vorstellung von Moral. Und die ist dehnbar.

»Wollen wir ein Österreich, das Gut und Böse anhand des Wohnorts definiert?«

Die Mehrzahl der Leitmedien und anderer Meinungsmacher hat ihren Standort in Wien. Nicht selten in Lagen, wo die U-Bahn geradezu im Keller abfährt. Die Realität außerhalb der Großstadt, wo der nächste Bahnanschluss oft kilometerweit entfernt ist, erscheint dort als romantisches Bild aus einem Landkrimi im Hauptabendprogramm.

Dabei braucht die Landbevölkerung das "selber schuld" der Städter genauso wenig wie die Städter den Hinweis, dass ihre Infrastruktur von jenen mitfinanziert wurde, die sie in Bezug auf ihren behaupteten CO2-Ausstoß verachten. Genau darum sollte es innerhalb der Zweckgemeinschaft namens Staat nicht gehen. Nämlich: das gegenseitige Vorrechnen vermeintlicher Sünden. Wo fängt das an, wo hört das auf?

Fahren wir so fort, dann war die Spaltung der Gesellschaft im Zuge der Covid-Krise erst der Anfang, die Unterteilung in Geimpfte und Ungeimpfte nur ein Vorgeschmack auf ein Österreich, das Gut und Böse anhand des Wohnorts definiert. Bei knapp 40 Prozent Landbevölkerung ist das kein angenehmer Gedanke.

Retten wir zuerst das Gesprächsklima. Und dann das andere. Ohne gesellschaftlichen Kitt, der uns zusammenhält, ist die Aufgabe nämlich nicht zu bewältigen.

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