Causa Wörthersee:
Keiner hat was gesehen

Der Prozess um den tödlichen Bootsunfall im Wörthersee spitzt sich zu: Heute werden neue Erkenntnisse zu Unfallhergang und Schuldfrage präsentiert. Auch ein Urteil in der Causa könnte heute bereits fallen.

von Chronik - Causa Wörthersee:
Keiner hat was gesehen © Bild: Ricardo Herrgott

Hochspannung um das Endgutachten zum tödlichen Bootsunfall am Wörthersee, bei dem am 2. Juni des Vorjahres ein Bauunternehmer aus Krems ums Leben gekommen ist. Das Gutachten wird heute im Landesgericht Klagenfurt präsentiert. Dort steht der dritte und wahrscheinlich entscheidende Tag im Prozess um das tragische Unglück an. Dabei soll geklärt werden, was an jenem frühsommerlichen Freitagnachmittag gegen 17.30 Uhr genau geschah und wer schuld am Unfall war. Eine heikle Aufgabe für Richter Matthias Polak: An den beiden bisherigen Verhandlungstagen im April hatte es teilweise widersprüchliche Aussagen über die Ereignisse gegeben.

Umstrittener Hergang

Gesteuert hatte das Boot ein prominenter 45-jähriger Medienmanager unter Alkoholeinfluss. Insgesamt waren fünf Personen an Bord – eine Freundesrunde aus Niederösterreich, die ein lustiges Wochenende am Kärntner Promisee genießen wollte, sowie ein 33-jähriger einheimischer Skipper als Vertreter des Bootseigentümers.

Was im entscheidenden Moment bei einer rasanten Kurvenfahrt nahe der Kapuzinerinsel tatsächlich geschah, hat allerdings keiner der Beteiligten gesehen, geht aus ihren Angaben vor Gericht hervor.

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Alle gaben an, während des entscheidenden Powerturns auf den Boden des Bootes geschleudert worden zu sein. Bei dieser Art von Manöver wird eine extreme Kurve gefahren, das Gas zurückgenommen bzw. der Retourgang eingelegt. Dadurch kommt das Boot mit der Bugwelle in Kontakt und Wasser spritzt ins Innere. Danach haben die Zeugen einen „Rumpler“ bzw. „Kracher“ wahrgenommen. Als sie sich wieder aufgerappelt hätten, hätten sie den Hauptangeklagten im Wasser gesehen. Das Opfer habe gefehlt.

Harte Anklage

Staatsanwalt Christian Pirker wirft dem Medienmanager vor, den Unfall bei hoher Geschwindigkeit verursacht und in der Folge falsch reagiert zu haben, indem er den Retourgang einlegte. Dabei sei der Bauunternehmer überfahren und von der Schiffsschraube tödlich verletzt worden. Der Medienmanager hingegen gab an, das spätere Unfallopfer habe ihm ins Lenkrad gegriffen und er sei bei dem Manöver selbst über Bord gefallen. Den Retourgang habe er nicht eingelegt.

Die zwei Freunde des Hauptangeklagten sagten aus, der getötete Baumeister habe zuvor schon einmal versucht, ans Steuer zu kommen. Der Skipper hingegen bemerkte davon nichts und meinte, eine derartige Aktion wäre ihm mit aller Wahrscheinlichkeit nicht entgangen. Auch Zeugen, die die Geschehnisse vom Ufer aus verfolgten (siehe Kasten), konnten zum konkreten Unfallmoment nichts sagen.

Insgesamt wurden sechs technische und medizinische Sachverständigenexpertisen über das Unglück erstellt, samt einem Endgutachten. Letzteres stammt vom Sachverständigen Hermann Steffan, einem international tätigen Fachmann für Schadens- und Unfallanalysen in den Bereichen Bootsport, Schifffahrt und Straßenverkehr. News berichtete.

Steffan unterzog die polizeilichen Zeugenaussagen sowie die technischen und medizinischen Gutachten einer Plausibilitätsprüfung. Dazu absolvierte er am 14. August in Reifnitz mehrere Messfahrten mit dem Unglücksboot. Laut Fazit des Gutachters geschah der Unfall bei einer Kurvenfahrt mit einer Geschwindigkeit von um die 60 Stundenkilometer. Das liegt knapp unter der ermittelten Höchstgeschwindigkeit von 67 km/h. Der Rückwärtsgang wurde laut Gutachten „jedenfalls mit höherer Drehzahl“ eingelegt – nachdem der später tödlich Verunglückte ins Wasser gefallen war. Der Sachverständige erklärte die Rückwärtsfahrt auch mit dem Zustand und der Drehrichtung des Propellers, der „an allen drei Enden deutlich verbogen“ war. Da das Boot bis zum Unfall einwandfrei funktioniert habe, könne der Schaden an der Schiffsschraube erst durch den Unfall entstanden sein.

Entsprechend den Schäden „ergibt sich, dass sich der Propeller mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einer Rückwärtsdrehbewegung befunden hat“, so das Gutachten. Und: „Somit ergibt sich aber auch aus technischer Sicht, dass jedenfalls der Rückwärtsgang am Boot noch eingelegt werden musste, und zwar zu einem Zeitpunkt, als die tödlichen Verletzungen noch nicht eingetreten waren“

Der medizinische Gutachter Wolfgang Tributsch schloss aus, dass das – ebenfalls alkoholisierte – Opfer durch Ertrinken zu Tode gekommen sei.

Knackpunkt im Gutachten

Der Knackpunkt im Endgutachten betrifft jedenfalls den konkreten Unfallmoment: Denn da schloss Gutachter Steffan eine Variante, bei der der tödlich Verunglückte noch ins Lenkrad eingegriffen hätte, aus technischer Sicht aus. Ebenso die Möglichkeit, dass der Verunglückte selbst noch vor dem Sturz ins Wasser den Retourgang eingelegt haben könnte: „Ein Griff auf den Schalthebel selbst ist überhaupt nicht möglich – dies aus einer Sitzposition in der Mitte“, hieß es im Gutachten.

Ursprünglich hätte das Endgutachten im Landesgericht Klagenfurt bereits am zweiten Verhandlungstag, am 19. April, dargelegt werden sollen. Nach den teilweise widersprüchlichen Zeugenaussagen verschob der Richter dies jedoch. Um daraus resultierende offene Fragen zu klären und sein Gutachten zu stützen, hat der Sachverständige Steffan weitere Testfahrten durchgeführt. Ob diese am Wörthersee mit einem Boot baugleichen Typs stattfanden oder am Attersee, wo sich das Originalboot jetzt befindet, stand bis Redaktionsschluss nicht fest.

Inhaltlich ging es bei den neuen Testfahrten vor allem um die Frage, ob es unter Umständen doch möglich war, dass der Hauptangeklagte bei dem Fahrmanöver ebenfalls aus dem Boot gefallen ist. Und auch darum, warum so viel Wasser ins Boot gekommen ist. Dazu musste Steffan Powerturnmanöver mit voll eingelegtem Retourgang durchführen. Denn bei den ursprünglichen Testfahrten wurde dies lediglich mit Leerlauf bzw. leicht eingelegtem Rückwärtsgang gemacht – und zwar deshalb, um den Motor nicht zu beschädigen.

Drohende Strafen

Für Mittwoch ist bereits ein Urteil geplant: Dem bisher unbescholtenen Hauptangeklagten droht wegen grob fahrlässiger Tötung und Gefährdung der körperlichen Sicherheit eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Eine Geldstrafe ist bei diesem Delikt nicht vorgesehen. Den bislang ebenfalls nicht vorbestraften Zweitangeklagten erwartet wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassung bis zu einem Jahr Gefängnis bzw. eine Geldstrafe von bis zu 720 Tagsätzen. Er wird von Anwalt Georg Schuchlenz vertreten und bekannte sich ebenfalls „nicht schuldig“.

Spannend wird, wie der Anwalt des Hauptangeklagten, Alexander Todor-Kostic, auf die Präsentation des Endgutachtens reagiert. Immerhin hatte er seit Prozessbeginn einen eigenen Sachverständigen mit dabei, der sich die Aussagen der Zeugen und Gutachter angehört hat. Dieser dürfte wohl auch eigene Darstellungen zum Unfall in petto haben. Sollte die Verteidigung einen neuen Beweisantrag einbringen und dieser nicht behandelt werden, könnte der Prozess nochmals vertagt werden.

Dieser Artikel ist ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr.19/2018) erschienen.