USA: Österreicher
aus Liebe verhaftet

Der 18-jährige Leo* wartet nach Sex mit seiner minderjährigen Freundin in Florida auf eine Entscheidung des Staatsanwaltes. Nun reden seine Eltern über das Bangen, sein Anwalt über die Rechtslage und Leo selbst über Ablenkung im zeit- und raumbegrenzten Alltag.

von Chronik - USA: Österreicher
aus Liebe verhaftet © Bild: robertiez

Meine Hobbys sind kochen, Netflix schauen und Musik hören“, sagt Leo zu News. Am liebsten höre er EDM, also Electronic Dance Music, Rap und Alternative. Dann fügt Leo noch beiläufig hinzu: „Meine Freundin hat denselben Musikgeschmack“ – an sich eine ganz normale Aussage, die so auch von jedem anderen 18-Jährigen stammen könnte.

Doch in Leos Fall hat sie einen bitteren Beigeschmack. Denn sie zeigt: Leo hält die 15-jährige Amanda noch immer für seine Freundin, seine große Liebe. Auch wenn sie es ist, die ihn in jene Misere gebracht hat – eine, die ihn nun 15 Jahre seines Lebens in Freiheit kosten könnte.

8.300 Kilometer

Leo kommt aus einem 1.700-Seelen-Dorf im idyllischen Mühlviertel. Außer dem einen oder anderen Feuerwehrfest tut sich hier nicht viel. Leos Eltern arbeiten in der Möbelbranche, er selbst besucht eine Fachhochschule für Informationstechnologie. „Zuletzt arbeitete ich mit einem Schulfreund für das Abschlussprojekt, eine Homepage“, sagt Leo. Dass er auch abseits der Schule eine Leidenschaft für Technik, Computer und das Internet hat, beschreibt auch ein Bekannter aus dem Ort: „Ein paar Freunde und ich haben mit ihm öfters online Spiele gespielt und so und in echt war er mit ein paar Freunden von mir in der gleichen Schulklasse“, sagt der Jugendliche, der anonym bleiben möchte, „er ist aber allgemein ein zurückhaltender Mensch, der kaum Freunde hat, was schade ist.“

Was Leo „in echt“ vielleicht nicht fand, hat sich spätestens mit seiner Bekanntschaft zu Amanda geändert: Als er sie über eine Chatplattform für Videospieler namens Discord kennenlernt, steht plötzlich nicht mehr das Spielen im Vordergrund. Die beiden unterhalten sich regelmäßig über das Internet, schicken sich auch Fotos und Videos über die App Snapchat.

Doch je näher sich die beiden online kommen, desto unerträglicher wird die Distanz, die sie in der Realität trennt: Amanda lebt nämlich im rund 8.300 Kilometer entfernten Sarasota, Florida, einem Urlaubsparadies mit türkisem Meer, weißen Sandstränden, Palmen und bunten Lichtern. Dennoch ist beiden bald klar, dass sie sich treffen müssen.

Zu jung für Sex

Mit gepacktem Rucksack auf dem Rücken und rosaroter Brille auf der Nase fliegt Leo vergangenen Juli also über den Atlantik zu seiner Amanda. Woher er das Geld für den Flug und die Airbnb-Wohnung nimmt, oder welche Bedenken seiner Abreise vorangegangen sind, wollen die Eltern momentan nicht preisgeben. Jede ihrer Aussagen muss wohlbedacht sein, denn was nach Leos Ankunft in Florida passierte, erfordert nun, rund zwei Monate später, noch ihre ganze Aufmerksamkeit: Polizisten stürmen die Wohnung, in der sich Leo mit Amanda trifft, und stürzen sich auf den jungen Österreicher. Widerstand ist zwecklos. Leo wird auf die Polizeistation gebracht, vernommen und in eine Zelle gesteckt. Am nächsten Morgen wacht er mit einem blauen Auge und einer Platzwunde in seinem persönlichen Albtraum auf: Er wird verdächtigt, seine erste große Liebe misshandelt zu haben.

Leo wird „lewd or lascivious molestation“, also „anzügliche“ oder „wolllüstige“ Belästigung vorgeworfen. Denn Amanda ist erst 15 und damit laut dem Gesetz in Florida zu jung für Sex. Leo hingegen ist mit seinen gerade erst gefeierten 18 Jahren volljährig und damit einerseits alt genug, andererseits aber zu alt für Sex mit der minderjährigen Amanda.

Gefälschte Geburtsurkunde

Anders als in Österreich, wo das Schutzalter – jenes Alter unter dem Geschlechtsverkehr grundsätzlich verboten ist – mit 14 endet, liegt es in den meisten amerikanischen Bundesstaaten bei 16 Jahren. In Florida ist es sogar noch strenger geregelt: Hier endet das Schutzalter mit 18. Doch es gibt Ausnahmen: Hierzulande dürfen Jugendliche unter 14 Geschlechtsverkehr haben, wenn der Altersunterschied zum Partner weniger als drei Jahre beträgt; Minderjährige in Florida dürfen mit einem Partner, der nicht älter ist als 23 schlafen. Das Mindestalter von 16 Jahren bleibt in Florida aber trotzdem Voraussetzung – eine, die Amanda nicht erfüllte und von deren Versäumnis weder Leo noch seine Eltern wissen konnten.

Sie haben sich nämlich vor Leos Abreise sogar mittels einer Geburtsurkunde über Amandas Alter informiert: „Die ist an die Eltern von Leo geschickt worden“, bestätigt Leos Rechtsanwalt Carl-Christian Thier, „sie weist ihr Alter darauf als älter aus, als sie ist.“ Mit anderen Worten: Amanda hat Leo und seine Eltern vor falsche Tatsachen gestellt. Dem unwissenden Leo drohen jetzt trotzdem bis zu 15 Jahre Gefängnis. Denn: „Auch wenn sie vorgegeben hat, 16 zu sein, hat das keinen Einfluss auf den Tatbestand. Für dessen Erfüllung zählt lediglich, wie alt die beiden tatsächlich waren.“ Und auch das beiderseitige Einverständnis spielt laut Anwalt keine Rolle: „Ich glaube nicht, dass an der Einvernehmlichkeit irgendein Zweifel besteht“, sagt Thier. Das Problem sei, dass es an sich schon strafbar wäre, mit einer 15-Jährigen Sex zu haben.

Oranger Albtraum

Bilder von Leos Verhaftung gehen inzwischen durch die amerikanischen Medien. Fox News zeigt den Teenager als Gefängnis­insassen mit vollem Namen und unverpixelt. Leo zupft an seinen Fingernägeln, die Handgelenke sind in Handschellen gelegt. Sein Blick ist nach unten gerichtet, die Scham ist ihm anzusehen. Ebenso die Müdigkeit, die Angst und die Fassungslosigkeit, die ihm in der vergangenen Nacht den Schlaf geraubt haben. Leos Vater Rudolf erinnert sich nur zu gut: „Ich hatte auf der Mailbox eine Nachricht von der Polizei in Sarasota, dass Leo verhaftet worden ist. Ich habe in der Firma sofort alles liegen und stehen lassen und bin nach Hause zu meiner Frau gefahren“, schildert er gegenüber News, „uns zog es den Boden unter den Füßen weg, als wir im Internet das Bild von seiner Verhaftung gesehen haben.“ Leo kennt die orangefarbene Kleidung, die er nach seiner Verhaftung tragen musste, aus Fernsehserien, aus Filmen, vielleicht auch aus Videospielen. Dass er jemals selbst darin stecken würde, hätte er sich aber nie gedacht – schon gar nicht aus dem einfachen Grund, sich zum ersten Mal so richtig verliebt zu haben. Es sollte die schönste Zeit seines Lebens werden, ein Abenteuer, Spaß. Nun sitzt Leo in einem fremden Land im Gefängnis. Wie konnte das nur passieren? Warum? Und: Wird er hier jemals wieder heraus-, jemals wieder zurück nach Hause kommen?

Auch in österreichischen Medien erregt der Fall Aufmerksamkeit. Vor allem aber im oberösterreichischen Dörfchen, in dem Leos Eltern fassungslos vom Verbleib ihres Sohnes erfahren und vor finanziellen Sorgen stehen: 200.000 Dollar (rund 170.000 Euro) werden als Kaution auf die vorläufige Freilassung von Leo ausgeschrieben – eine Maßnahme, die in den USA statt der hierzulande üblichen Untersuchungshaft verhängt wird. Es ist eine Summe, die die Eltern nicht zahlen können.

Großzügige Spende

Doch im kleinen Ort in Oberösterreich hält man zusammen: „Es haben sich viele Menschen bei den Zeitungen und der Gemeinde gemeldet, die gerne etwas spenden wollten“, sagt Leos Mutter Lena. Der Vorschlag, ein offizielles Spendenkonto einzurichten, kommt schließlich vom Bürgermeister ihrer Heimatgemeinde. Dadurch kommen schnell einige 10.000 Euro zusammen. Den entscheidenden Betrag aber stellt ein österreichischer Unternehmer, der anonym bleiben möchte.

Rechtsanwalt Thier holt Leo damit, nach zehn Tagen Haft, erst einmal aus dem Gefängnis, unter der Bedingung, dass er den Landkreis Orange County nicht verlassen darf. Leo muss außerdem seinen Reisepass abgeben und bekommt striktes Internetverbot. „Wir sind jetzt in der Phase, in der wir versuchen, einen Deal mit dem Staatsanwalt hinzubekommen“, sagt Anwalt Thier, „kommt es zu keinem Abschluss eines Deals, müssen wir in ein Verfahren einsteigen. Noch ist alles offen.“

Alltag auf Kaution

Mit dieser Ungewissheit leben Leo und seine Eltern nun schon seit fast zwei Monaten. Die Eltern sind inzwischen bei ihrem Sohn in den USA und haben eine Wohnung angemietet. Da Leo sich unweit vom Büro des Anwalts aufhalten muss, bleibt wenig Spielraum für Ablenkung: „Die Familie verbringt viel Zeit zusammen, sie macht unspektakuläre Dinge wie Gesellschaftsspiele und lesen“, sagt Anwalt Thier, „aber es ist natürlich nicht einfach für sie. Da ist Florida schnell nicht mehr so schön, wenn man so ein schweres Damoklesschwert über sich schweben hat.“

Dennoch hat sich inzwischen so etwas wie Normalität in den Familienalltag geschlichen: „Unser Tagesablauf hat sich ziemlich eingependelt. Der Radius, in dem wir uns bewegen dürfen, ist sehr begrenzt, aber es gibt hier zwei Orte, die wir gerne besuchen und wunderschöne Naturparks“, sagt Mutter Lena, „wir kochen die meiste Zeit selber, weil Leo gerne kocht und wir eine Beschäftigung brauchen.“ Und selbst Leo findet ein bisschen Entspannung: „Wir borgen uns jeden Tag zwei Filme aus, das ist dann mein Highlight am Abend. Da kann ich dann für einige Zeit richtig abschalten“, sagt er.

Abschied mit blauem Auge

Doch die nächste Probe steht der Familie bald bevor. Da beide Eltern berufstätig sind, muss Mutter Lena Florida bald verlassen: „Unsere Arbeitgeber sind sehr verständnisvoll, wir konnten unseren Urlaub für das nächste Jahr im Vorschuss nehmen. Ich muss aber spätestens nächste Woche nach Hause fliegen“, sagt die Mutter, „Rudolf bleibt dann bei Leo.“ Und nicht nur berufliche Sorgen lasten immer schwerer auf den Schultern von Leos Eltern. Trotz der großzügigen Spenden, die die bisherigen Aufenthalts- und Rechtsvertretungskosten decken, macht sich Leos Mutter Sorgen: „Wenn sich der Fall, was wir sehr hoffen, bald erledigt, kommen wir mit einem blauen Auge davon. Wenn es sich aber noch länger hinzieht, sind die Kosten nicht absehbar.“ Doch Leos Anwalt ist zuversichtlich: „Wir erwarten schon, dass der Staatsanwalt uns einen Deal anbieten wird. Ob wir den annehmen oder nicht, hängt allerdings vom Angebot ab und ist letztlich auch Leos Entscheidung.“ Nach Einschätzung des Anwalts soll es innerhalb der kommenden zwei Wochen Gewissheit geben.

Bis dahin wünscht sich die Familie nur eines: „Ohne Angst einzuschlafen und am Morgen, wenn wir die Augen öffnen, zu Hause zu sein.“ Ob Leo seine Amanda jemals wiedersehen wird, bleibt weiterhin fraglich. Dass er sie wiedersehen will, ist jedoch glasklar.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 39 2018