Showdown in der Causa Ischgl

Die Prozesslawine um Schadenersatz für Corona-Opfer aus Ischgl startet. 15 Klagen sind bereits eingebracht, knapp 40 liegen bei der Finanzprokuratur, mehr als 200 weitere sind in Vorbereitung. Vor der nahenden Wintersaison kommen die Gerichtstermine für die heimische Tourismuswirtschaft zur Unzeit. Denn das internationale Medieninteresse an der Gerichtsverhandlung ist gewaltig

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Chronik - Showdown in der Causa Ischgl © Bild: annie_zhak/Shutterstock

Am kommenden Freitag, dem 17. September, richten sich die Augen zahlreicher internationaler Medienberichterstatter wieder einmal auf Österreich: Der Anlass ist allerdings kein positiver -und der Zeitpunkt kommt kurz vor dem Start der Wintersaison für die angeschlagene Tourismuswirtschaft höchst ungelegen. Im Landesgericht für Zivilrechtssachen in Wien startet nämlich die Prozesslawine in der Causa Ischgl. Vermutlich mehr als 6.000 Personen aus 45 Staaten hatten sich im März 2020 im Tiroler Party-Ski-Hotspot (sowie in St. Anton am Arlberg) mit dem Coronavirus infiziert, sind zum Teil schwer erkrankt und auch daran gestorben. Sie beziehungsweise ihre Hinterbliebenen fordern nun im Rahmen einer Amtshaftungsklage von der Republik Österreich Schadenersatz, weil die österreichischen Gesundheitsbehörden rechtswidrig ihren Pflichten nicht nachgekommen sei und schuldhaft zu spät sowie zu wenig umfassend gehandelt haben soll. Die Causa hätte bereits im April verhandelt werden sollen, war damals aber Lockdown-bedingt verschoben worden.

Sieglinde und Ulrich Schopf sind die Ersten, deren Fall jetzt verhandelt wird. Sie sind die Witwe und der Sohn des renommierten Journalisten Hannes Schopf, der vom 7. bis 13. März mit Freunden in Ischgl auf Skiurlaub war und sich dort beziehungsweise bei der behördlich verordneten und chaotisch abgelaufenen Abreise im Bus angesteckt hat. Er ist Anfang April 2020 mit 72 Jahren an der Infektion verstorben. Witwe und Sohn fordern nun 101.881 Euro Schadenersatz.

Bereits 15 Klagen eingebracht

Die Forderung von erst-und zweitklagender Partei setzt sich zusammen aus Schmerzensgeld, Pflege-und Begräbniskosten, Schock- und Trauerschaden. "Grundsätzlich unterteilen wir die Fälle je nach Krankheitsverlauf in leichte, mittlere, schwere und solche mit Todesfolgen. Danach und ob es zusätzlich zu einem Verdienstentgang gekommen ist, orientiert sich die Höhe der Schadenersatzforderung", sagt Anwalt Alexander Klauser, der die Opfer im Auftrag der Verbraucherschutzvereins (VSV) vertritt: "Und bei allen Klagen gibt es ein Feststellungsbegehren zu allfälligen Spätfolgen der Infektion, also Long Covid." Immerhin leiden rund fünf Prozent all jener, die sich im März 2020 in Tirol angesteckt haben, unter Spätfolgen; mehr als drei Prozent mussten im Krankenhaus behandelt werden, 32 Personen verstarben. Aus den vier Amtshaftungsklagen, die vor rund einem Jahr einbracht wurden, sind mittlerweile 15 geworden, die News zum Teil vorliegen. An die 40 weitere liegen derzeit als sogenannte Aufforderungsschreiben, in denen die Kläger Schadenersatz fordern, bei der Finanzprokuratur. Diese fungiert als Anwalt der Republik und hat bisher alle Ansprüche von Opfern und Hinterbliebenen abgelehnt.

"Es besteht keinerlei Bereitschaft, die Fehler, die im Februar und März 2020 auf Gemeinde-, Bezirks-, Landes-und Bundesebene passiert sind, einzugestehen und Verantwortung zu übernehmen", kritisiert Klauser: "Im Wesentlichen ist der Standpunkt der Finanzprokuratur nach wie vor derselbe wie der von Tirols Ex-Gesundheitslandesrat Tilg, der in einem "ZIB 2"-Interview erklärte, man habe alles richtig gemacht."

Neun weitere Termine fixiert

Ungeachtet dessen sind zusätzlich 200 Klagen von Opfern aus Deutschland, Großbritannien, der Schweiz, Belgien und den Niederlanden in Vorbereitung. Neben der Schopf-Klage sind bis Dezember bereits Verhandlungstermine von acht weiteren Betroffenen fixiert. Der "Fall Schopf", bei dem am 17.9. das Prozessprogramm festgelegt wird, habe Präzedenzfall-Charakter, sagt der Anwalt: Im Mittelpunkt des Verfahrens steht zunächst der Grund des Anspruchs, also "die Frage, ob die Behörden ihre Handlungspflicht so gravierend verletzt haben, dass Schadenersatz zusteht" sowie "die Kausalität der Ereignisse und der daraus resultierenden Folgen."

Für Verbraucherschutzverein, Anwalt und Opfer liegen die Zusammenhänge indes klar auf der Hand: nämlich, dass "die zuständigen Behörden -teils in Tirol und teils in Wien -es in rechtswidriger Weise unterließen, die gesetzlich gebotenen hoheitlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus im Paznauntal und damit die Infektion des Klägers zu verhindern", wie es in der Klage eines deutschen Skiurlaubers heißt. Es seien "auch aktiv rechtswidrige hoheitliche Handlungen" gesetzt worden, "die zur Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus im Paznauntal beitrugen".

Die Klagen stützen sich im Wesentlichen auf den 703 Seiten starken Bericht der Expertenkommission unter Vorsitz von Ex-OGH-Vizepräsident Ronald Rohrer, der zahlreiche Fehleinschätzungen der Behörden und Kommunikationsfehler seitens des Bundes, insbesondere bei der Verhängung der Quarantäne über Ischgl und St. Anton, bemängelt. VSV-Obmann Peter Kolba sieht dadurch die Kausalität der Ereignisse als gegeben: "Der Bericht zeigt ein Multiorganversagen der Behörden, das Ischgl zum Superspreader gemacht hat."

Untätigkeit trotz Kenntnis

"Obwohl die Behörden bereits von der Gefährlichkeit des Virus und seiner hohen Infektionsrate wussten, unterließen sie es mehrere Tage lang rechtswidrig und schuldhaft, die nach der EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention, Anm.) und dem Epidemiegesetz unverzüglich gebotenen Maßnahmen zu treffen -möglicherweise auf Druck der mächtigen Tiroler Tourismuslobby", heißt es in der Klage.


Die Gesundheitsbehörden hätten bereits am Mittwoch, dem 4.3.2020, nachweislich Kenntnis von der Tatsache, dass sich mehrere Ischgl-Urlauber aus Island während ihres Urlaubs mit dem Virus infizierten, gehabt. Das Land Tirol spielte die Gefahr tags darauf aber in einer Pressekonferenz herunter und behauptete, die Urlauber hätten sich beim Rückflug angesteckt. Kolba: "Dabei waren die 15 Personen in drei verschiedenen Flugzeugen unterwegs und drei hatten bereits in Ischgl Symptome."

Auch in den folgenden Tagen hätten die Behörden Kenntnis von weiteren Infektionsfällen erlangt. Und weiter heißt es in einer Klage: "Selbst nachdem die Behörden, wenn auch zu spät und zu zögerlich, erste Anordnungen zur Eindämmung der Verbreitung des Virus im Paznauntal erlassen hatten (z. B. die Schließung von Après-Ski-Bars), verabsäumten sie es pflichtwidrig, die betreffenden Ge-und Verbote auch durchzusetzen. Die Behörden tolerierten noch tagelang Menschenansammlungen auf engstem Raum." Auch Ski-und Tourismusbetrieb wären noch eine Woche lang ungehindert weitgelaufen: "Hätten die Behörden die betreffenden Ge-und Verbote pflichtgemäß durchgesetzt, hätten sich Tausende Touristen, so auch die Kläger, selbst wenn sie ins Paznauntal angereist wären, mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht infiziert." Man hätte zumindest eine Reisewarnung erlassen müssen, um den Urlauberschichtwechsel am Wochenende zum 7. März zu vermeiden, so Kolba. Anwalt Klauser verweist auf den 15.000 Seiten starken Ermittlungsakt der Staatsanwaltschaft Innsbruck: "Aus der behördeninternen E-Mail-Korrespondenz wissen wir, dass man es als wichtig erachtete, Ischgl aus dem Schussfeld zu bekommen."

Chaos wegen Kanzler Kurz

Nicht protokolliert im Strafakt ist hingegen der Wortlaut des Inhalts jenes Telefonats, das Kanzler Sebastian Kurz am Vormittag des 13. März mit Tirols Landeshauptmann Günther Platter führte. Denn Tirol wollte zu dem Zeitpunkt den Ski-und Hotelbetrieb am Wochenende schließen und den Urlaubern so genug Zeit für eine geordnete Heimreise ermöglichen. Kurz soll in dem Telefonat Platter jedoch gesagt haben, dass das Paznaun und St. Anton am Arlberg bereits am selben Tag isoliert würden und der Bund die Kommunikation der Maßnahmen übernehme.

Der Bundeskanzler verkündete jedenfalls am selben Tag auf einer Pressekonferenz um 14 Uhr vorzeitig eine Quarantäneverordnung der Bezirkshauptmannschaft Landeck, die erst um 19.30 Uhr in Kraft trat. Tausende Urlauber, die da oft noch auf den Pisten waren, gerieten in Panik und reisten daraufhin unkontrolliert ab. Die mit den lokalen Behörden nicht abgestimmte Ankündigung habe "die chaotische und fluchtartige Abreise von in-und ausländischen Gästen" verursacht: "Wer sich bis dahin noch nicht angesteckt hatte, infizierte sich nun in überfüllten Skibussen, Taxis und Zügen. Touristen, deren Rückflug in ihre Heimat erst am Folgetag stattfand, nächtigten in Hotels und Gasthäusern in der ganzen Region. All dies trug vorhersehbar zur rasanten Verbreitung des Virus in Österreich und zahlreichen anderen Ländern bei", heißt es in der Klage.

Ministerium entscheidet über Anklage

Parallel zu den Zivilrechtsprozessen leitete auch die Staatsanwaltschaft Innsbruck heuer im Frühjahr strafrechtliche Ermittlungen ein, nachdem ein Wiener Anwalt und der Verbraucherschutzverein Sachverhaltsdarstellungen zu den Vorkommnissen in Ischgl im März 2020 eingebracht hatten. Im Juni wurden die Erhebungen abgeschlossen; der Akt rund um den Vorwurf der Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten umfasst 15.000 Seiten an Protokollen, Berichten, dokumentierten Abläufen und sonstigem Beweismaterial. Unter die Lupe genommen wurden insbesondere die Maßnahmen nach Bekanntwerden der ersten Infektionsfälle, die Erlassung und Umsetzung von Verordnungen über Schließung von Lokalen, des Skibetriebs und die weiteren Verkehrsbeschränkungen in Ischgl bzw. die Quarantäne im Paznauntal. 27 Personen wurden vernommen, auch der Untersuchungsbericht der vom Land Tirol eingesetzten Expertenkommission unter dem Vorsitz von Ex-OGH-Vizepräsident Ronald Rohrer wurde berücksichtigt.

FÜNF BESCHULDIGTE. Fünf Personen wurden schließlich als Beschuldigte namhaft gemacht -darunter als ranghöchster Beamter der Tiroler Landesamtsdirektor Herbert Forster. Dieser war als Leiter des Tiroler Krisenstabs im März 2020 von Landeshauptmann Günther Platter mit der Ausarbeitung eines Quarantänekonzepts beauftragt worden. Ebenfalls als Beschuldigte geführt werden der Bürgermeister von Ischgl Werner Kurz, der Bezirkshauptmann von Landeck sowie zwei Beamte der BH.

Das Ergebnis der Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft in einem mehr als 70-seitigen Vorhabensbericht zusammengefasst, der mittlerweile von der Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck an das Justizministerium weitergeleitet wurde. Dort wird der Vorhabensbericht aktuell geprüft. Dabei wird entschieden, ob Anklage erhoben wird oder nicht.

ÜBERRUMPELT. Grundsätzlich strafbar mache sich jedenfalls jemand, der eine Handlung begangen hat, die geeignet gewesen wäre, die Gefahr der Verbreitung von Covid-19 herbeizuführen oder zu vergrößern. Das Gleiche gilt, wenn derjenige etwas nicht tut, obwohl er dazu nach der Rechtsordnung verpflichtet wäre, und es erst dadurch zu einer Ansteckungsgefahr bzw. zu einer Vergrößerung der Gefahr kam.

Landesamtsdirektor Forster soll in seiner Einvernahme im April gesagt haben, er sei von der sofortigen Quarantäne-Verhängung durch Bundeskanzler Sebastian Kurz in einer Pressekonferenz überrumpelt worden. Ischgls Bürgermeister Kurz wiederum erklärte gegenüber News schon im Vorjahr "vor Ort seien "sämtliche Maßnahmen nach Vorgabe und in Absprache mit den Landes-und Bundesbehörden getroffen" worden.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr 36/21

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