Warum es in Österreichs
Gefängnissen rumort

Drei Suizide, eine Rauchgasvergiftung, eine Vergewaltigung und viel Trubel. Die jüngsten Ereignisse in den Justizanstalten sind keine Einzelfälle. Sie machen einmal mehr deutlich, dass das österreichische Vollzugssystem an seine Grenzen stößt

von Chronik - Warum es in Österreichs
Gefängnissen rumort © Bild: News Deak Marcus E. Auftrag

Ein Häftling der Grazer Justizanstalt Karlau ist in der Nacht auf Dienstag tot in seiner Einzelzelle aufgefunden worden. Der Mann könnte möglicherweise an den Folgen von Drogenkonsum gestorben sein.“ Die Meldung schafft es vor zwei Wochen nur an den Rand weniger Zeitungen. Genauso geht ein weiterer Vorfall fast gänzlich an den medialen Scheinwerfern vorbei, der sich am selben Tag, im selben Gefängnis zugetragen hat: „Ein Häftling steckt seine Matratze in Brand und erleidet eine Rauchgasvergiftung.“ Rund 200 Kilometer entfernt, in der Justizanstalt Stein an der Donau sterben gleich zwei Insassen innerhalb von 48 Stunden; ein anderer wird brutal von einem Mithäftling vergewaltigt. Was ist innerhalb österreichischer Gefängnismauern nur los? Gehören diese Vorfälle bereits zur Normalität? Und: warum können sie in einem permanent überwachten Umfeld nicht verhindert werden?

Mangelnde Hygiene und Betreuung

Ein langjähriger Insasse meldet sich aus der Justizanstalt Graz-Karlau und beschreibt die Lage gegenüber News: „Wir haben Zustände im Vollzug, die sind beängstigend.“ Auch wenn es seiner Ansicht nach früher wohl mehr Brutalität gegeben hat, habe „zumindest der Rechtsstaat noch funktioniert. Heute reagieren die Behörden abgehoben, machen, was sie wollen, und keiner kontrolliert was.“ Häftlinge würden bestmöglich ganztägig (bis zu 23 Stunden) in den Hafträumen eingeschlossen werden, was wiederum zu Streitereien führt. Viele Räumlichkeiten wären renovierungsbedürftig; Zellenfenster und -türen seien morsch oder undicht, Brauseräume würden in unhygienischen Zuständen mit Folgen wie etwa Fußpilz oder Hautausschlägen versauern. „Nur wenn Vorführungen oder Fernsehaufnahmen stattfinden, wird äußerlich sauber geputzt“, so der Häftling. Diverse Freizeiträume seien zu Gunsten der Fassungskapazität an Insassen geopfert worden. Alltägliche Belange und Bedürfnisse der Strafgefangenen wie Duschen, Telefonieren oder Wäschewaschen würden zunehmend ignoriert, eine Kontrolle, ob jeder seine Tagesration Essen erhält, finde kaum statt. Vereinzelte Justizwachebeamte wären seit geraumer Zeit besonders feindlich gegenüber ausländischen Insassen und würden ganz offen damit drohen: „Der Betreuungs- und Kuschelvollzug ist vorbei. Jetzt weht ein anderer Wind.“ Der Insasse will auch beobachtet haben, dass die therapeutische und psychologische Betreuung der Strafgefangenen in den vergangenen Monaten verringert wurde. Die Anstaltspsychologen würden eher als Beamte als als Psychologen agieren, sodass kaum ein Vertrauensverhältnis zwischen ihnen und den Häftlingen bestehe. Außerdem würden „massenweise Psychopharmaka“ an Häftlinge verschrieben und deren Einnahme nicht kontrolliert werden. „Viele tauschen die Psychodrogen untereinander aus, verpulvern oder vermischen sie zu schärferen Mitteln. Das kann oft aggressive Auswirkungen haben“, sagt er.

Die Anstaltsleitung Graz-Karlau möchte dazu keine öffentliche Aussage machen, „zu politisch“ sei die Angelegenheit.

Zu viele Insassen, zu wenig Personal

Rudolf Wendlandt ist Vorsitzender der Justizwachegewerkschaft Steiermark. Er will sehr wohl etwas dazu sagen, wie prekär die Lage auch auf der gegenüberliegenden Seite der Gitterstäbe ist: „Der permanente Personalmangel stellt für die Bediensteten eine hohe Belastung dar.“ Karenzierte Abwesenheiten würden unbesetzt bleiben, und Bedienstete, die sich in Ausbildung befinden, würden als Planstellen dargestellt, obwohl sie oft monatelang nicht vor Ort im Einsatz sind. „Dadurch fehlen an den betroffenen Dienststellen oft über Jahre bis zu 25 Bedienstete. Dies führt dazu, dass Anstaltsbetriebe wochenlang geschlossen sind oder nur sporadisch geöffnet werden, wodurch die Beschäftigung von Insassen nur sehr eingeschränkt durchgeführt werden kann.“

Sowohl die Beobachtungen des Insassen als auch des Gewerkschafters sind für Volksanwältin Gertrude Brinek nicht neu: „Wir vermerken in jedem Jahresbericht, dass die Einschlusszeiten überzogen werden, Renovierungsarbeiten hier und dort zu machen wären.“ Da verändere sich trotz parlamentarischer Vorlagen von einem Jahr auf das nächste relativ wenig. Mit besseren Zuständen hinter Gittern lassen sich schließlich schlecht Wählerstimmen gewinnen. Während das Wie und Warum einer Straftat meist auf großes öffentliches Interesse stößt, geht der Verbleib der Täter, sobald sie ihre rechtmäßige Strafe erst einmal angetreten haben, an den meisten Menschen mit einem Schulterzucken vorbei. Das wirkt sich unter anderem auf die Attraktivität des Arbeitsplatzes aus: „Das größte Problem besteht schlicht darin, dass sowohl Justizwachebeamte als auch Fachkräften wie Ärzte und Psychologen fehlen. Die Schwierigkeit ist, dass man das Personal erst einmal finden muss, das erstens geeignet und zweitens gewillt ist, in diesem Umfeld zu arbeiten“, sagt Brinek.

Das Justizministerium nimmt nur knapp Stellung zur Kritik: „Wir können im Moment gar nichts sagen und nur auf die kommenden Personal- und Budgetverhandlungen verweisen.“

Die Kapazitäten sind erschöpft

Aus einer Umfrage der Justizwachegewerkschaft geht hervor, dass 81 Prozent der Justizwachemitarbeiter mit der derzeitigen Form und dem Ausmaß der Diensteinteilung überfordert sind. Anerkennung, Unterstützung und Motivation von Seiten der Anstaltsleitung werden als sehr mangelhaft beschrieben. Außerdem, so der ­Gewerkschafter Wendlandt, würden Überstunden in hohem Maß anfallen und ­könnten Urlaubskontingente kaum erfüllt werden. Die Justizanstalten seien darüber hinaus mit 9.361 Insassen auf 8.837 Plätzen schlicht überbelegt. Häftlinge würden dadurch eher in den gelockerten Vollzug verlegt, in dem Freigänge erlaubt sind: „Mittlerweile lässt man alles raus, was man rauslassen kann. Und da sind auch schon Sachen passiert.“ Zum Beispiel, dass sich ein Gefangener tagsüber frei bewegen konnte, obwohl ihm eine Aufenthaltsgenehmigung für Österreich fehlte.

Es scheint, so lange die Vorfälle innerhalb der Gefängnismauern bleiben, wird sich wenig ändern. Glaubt man Insassen und Bediensteten, ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis das Vollzugssystem aus seinen Nähten platzt und sich die Mängel auch außerhalb bemerkbar machen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 9/2019