Das Geschäft mit dem Kick

Die Fußball-WM ist nicht nur ein sportliches, sondern auch ein finanzielles Großereignis. Sportwetten-Anbieter und Buchmacher scheffeln Umsätze in Millionenhöhe. Ein Blick hinter die verdunkelten Fenster der Wettlokale

von Chronik - Das Geschäft mit dem Kick © Bild: Matt Observe

Mit großen, bunten Schriftzügen und grellem Neonlicht macht ein Wettlokal am Wiener Naschmarkt auf sich aufmerksam. Und doch nehmen es die meisten Leute kaum wahr. Es ist schließlich nur eines von vielen – eines von insgesamt 286 in Wien registrierten, um genau zu sein. Damit gehört es zum Stadtbild. Mit einem Unterschied: Die Fenster sind nicht einsehbar. Die Scheiben sind mit einer Folie beklebt. Auf ihnen sind junge, schöne Menschen abgebildet, die Spaß, Reichtum und Freundschaft versprechen – zumindest nach außen hin. Denn dieses Bild täuscht.

Wer sich in das Lokal hineinwagt, sieht das schnell: Drinnen strahlen nämlich keine Gesichter, sondern lediglich der Tresen und die Barhocker in Gold. Die ausgelassene Stimmung, die draußen prophezeit wird, sucht man vergeblich. Der Kellner bemüht sich dennoch um ein eingerostetes Grinsen. Es ist ruhig und dunkel, der schöne Sommertag bleibt samt Hitze draußen. Jahreszeiten gibt es hier keine, es ist immer gleich kühl. Auch die Uhrzeit spielt kaum eine Rolle. Denn egal ob morgens oder abends: Die Zeit wird im Wettbüro sowieso nur in Hundertsteln, Halbzeiten oder Dritteln gemessen. Rund 15 Männer unterschiedlicher Altersklassen und Herkunft starren auf Bildschirme. Jeder auf seinen eigenen, so scheint es, jeder für sich. Augenkontakt mit anderen Gästen wird vermieden, man sucht schließlich keine Gespräche. Anonymität und Diskretion, wird uns auch sogleich erklärt, sind beim Wetten wichtig.

Wahrscheinlich Zufall

Dabei müsste man das Wetten eigentlich nicht verstecken. Schließlich sind Sportwetten in Österreich legal und gelten hierzulande – im Gegensatz zu vielen anderen EU-Ländern – nicht als Glücksspiel.

Das bedeutet aber nicht, dass man kein Glück braucht, um etwas für sein einbezahltes Geld zu bekommen. Dieser Meinung ist sogar Georg Weber, Geschäftsführer der Österreichischen Sportwetten Gesellschaft, die unter der Marke Tipp3 zu den größten heimischen Anbietern von Sportwetten gehört. „Ich wette selber, bin aber nicht besonders erfolgreich“, sagt Weber. Dabei weiß er nicht nur, worauf es als Kunde ankommt, sondern auch, was sich im Hintergrund des Sportwetten-Business abspielt.

Die wichtigsten Menschen in einer Wettfirma sind die Buchmacher. „Die Hauptaufgabe eines Buchmachers ist es, das Risiko im Auge zu behalten, sodass man nirgendwo zu viel verliert.“ Das gelingt ihm durch logisches Denken, Mathematik und sportliches Know-how. Je mehr Information ihm vorliegt und je exklusiver diese ist, desto besser kann er die Quoten legen, nach denen die Wetten abgeschlossen und die Gewinne ausgeschüttet werden. „Wenn ich zum Beispiel weiß, dass der beste Spieler eines Teams verletzt ist und nicht antreten wird, kann ich die Quote für dieses Team senken und somit mein Risiko minimieren, zu viel Geld auszahlen zu müssen“, so Weber.

© Matt Observe „Die Hauptaufgabe ist es, das Risiko im Auge zu behalten, sodass man nicht zu viel verliert“ Georg Weber Geschäftsführer der Österreichischen Sportwettengesellschaft

Irrationales Verhalten

Dadurch, dass es viele verschiedene Wett­anbieter gibt – nicht zuletzt durch den globalen Markt, den das Internet eröffnet – stimmen Buchmacher ihre Quoten nicht nur aufgrund ihres eigenen Wissens ab, sondern über Systeme und Plattformen, die auf Quotenänderungen anderer Wett-Anbieter reagieren. „Einen englischen Riesenanbieter wird es zwar kaum interessieren, was wir bei der WM für Quoten haben“, erklärt Weber, „aber wenn er das österreichische Cupfinale anbietet, wird er vielleicht bei uns nachschauen, weil es ja sein könnte, dass wir da bessere Informationen haben.“

Dadurch würde sich das Ganze unter den Anbietern wie an der Börse nivellieren. Auch dort geht es schließlich um Wissen und darum, dieses unter Beweis zu stellen. Wer schnell reagieren kann, gewinnt. Und genau das ist es, worauf es laut Weber auch beim Wetten ankommt: „Es geht darum, das Expertenwissen des Kunden herauszufordern. Denn das ist für den Kunden die Faszination am Wetten: das eigene Wissen unter Beweis zu stellen.“

Doch das ist längst nicht der einzige Grund, warum viele Leute ihr Glück mit dem Wetten versuchen. Alfred Uhl, Psychologe am Kompetenzzentrum Sucht des Instituts Gesundheit Österreich meint: „Menschen versuchen grundsätzlich immer Gesetzmäßigkeiten in Abläufe hineinzuinterpretieren, weil es das Leben leichter und vorhersehbarer machen kann.“ Aber viele von diesen vermeintlich erkannten Regelmäßigkeiten sind keine „und es gibt viele Leute, die eben nicht sonderlich rational sind“, sagt Uhl.

© Matt Observe Als soziale Aktivität verkauft, ist das Wetten auf Sportereignisse in Wirklichkeit sehr einsam

Am Ball bleiben

Ein großes Problem bei Sportwetten ist laut dem Psychologen: „Dass Sportwetten nicht als Glücksspiel gelten, auch wenn diese sich hinsichtlich der Gewinnchancen nur wenig von Glücksspielen unterscheiden. Die Leute haben deshalb falsche Vorstellungen über das Grundprinzip.“

Dass letzten Endes nämlich auch beim Wetten der Zufall entscheidet und die Quoten für Wetten mit entsprechender Vorsicht von Seiten der Buchmacher angepasst werden, bedenken viele Spieler nicht. „Die Quote ist nichts anderes als die Darstellung der Wahrscheinlichkeit“, sagt Sportwetten-Experte Georg Weber, „um diese festlegen zu können, durchwühlen wir Statistiken, aktuelle Informationen zu Spielern, sowie vorherige Spielverläufe.“

Die Vorbereitungen auf Großereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft beginnen also gleich nach der vergangenen, mit einer Analyse. Ein halbes Jahr vor der nächsten WM werden sie dann intensiver. Ein Buchmacher muss also laufend am Ball bleiben. „Hinzu kommen Überlegungen zum Marketing, Produktdesign und Produktmanagement“, sagt Weber. Broschüren und Listen mit unterhaltsamen quiz­ähnlichen Fragen, wie sie auch über Trafiken angeboten werden, würden nämlich nett aussehen, sind aber laut Weber „eine echte Hack’n“.

Doch um die Kunden muss man sich bemühen, schließlich sitzen die wenigsten Buchmacher in Österreich (sondern meistens in Malta oder Gibraltar) und sind damit steuerlich im Vorteil. Auch wenn die Österreichische Sportwetten Gesellschaft im vergangenen Jahr stolze 44,8 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet hat, gehört sie auf internationalem Level noch zu den Winzlingen. Das weiß Geschäftsführer Weber: „Österreich bewegt sich nur in der Größenordnung eines deutschen Bundeslandes.“

Prunk gegen das Image

Dass der Kunde immer anspruchsvoller wird, weiß auch Tanja Bakalov, Regionalleiterin von Admiral Sportwetten, dem österreichischen Marktführer im filialgebundenen Wettgeschäft. „Heutzutage sind die Kundenschichten bunter. Vom Studenten bis zum Pensionisten, vom Akademiker bis zum Bauarbeiter“, sagt Bakalov, „hinzu kommt, dass gerade die Generation zwischen 25 und 35 ein emotionales Erlebnis mit Freunden haben möchte, dazu wunderschöne Videowalls, perfekten Ton und kühles Bier. Das alles bieten wir an.“ Deshalb hätte Admiral auch keine düsteren Filialen mehr und „in den letzten Jahren großartige Investitionen getätigt“, sagt Bakalov. Diese muss man nur erst einmal verdienen – und das tut die Novomatic-Tochter, mit einem Umsatz von 130,25 Millionen im vergangenen Jahr, allemal.

Offensichtlich wird dieses gut laufende Geschäft, wenn man die „größte Sportsbar in Europa“ im Wiener Prater betritt. Säulen mit goldenen Hieroglyphenmustern ragen wie in einem Tempel in die Höhe. Hunderte Deckenstrahler bringen sie zum Glitzern. Auch wenn das Gold nicht echt ist, fühlt es sich an, als wäre der Reichtum zum Greifen nahe. Und genau das gehört auch zum Programm. Die Leute sollen sich reich fühlen und nicht, als ob sie etwas Verbotenes tun würden. „Ich halte prinzipiell nicht viel von Verboten, weil ich nach 26 Jahren in der Wiener Wettlandschaft festgestellt habe, dass man die Leute durch Restriktionen nur noch mehr in den illegalen Sektor drängt“, sagt Bakalov.

© Matt Observe „Es gibt bei uns keine düsteren Filialen mehr – es wurden großartige Investitionen getätigt“ Tanja Bakalov arbeitet seit 26 Jahren für Admiral Sportwetten, jetzt als Regionalleiterin

Sozialer Treffpunkt

Dass die Wettlokale attraktiv gestaltet werden, ist für den Psychologen Alfred Uhl auch damit erklärbar, dass sie soziale Begegnungsorte für bestimmte Gruppen sind. Auch oder gerade deshalb gibt es in sozial schwachen Bezirken ein überproportional großes Angebot an Wettgeschäften. In Wien Favoriten sind laut WKO 44 registriert, in der Wiener Innenstadt nur fünf.

Den Psychologen Uhl wundert das nicht: „Viele dieser Lokale sind Treffpunkt für junge Männer mit migrantischem Hintergrund, die sich in anderen Lokalen vielleicht nicht so wohl fühlen.“ Und dort, wo andere spielen, so Uhl, werden die Leute natürlich motiviert, es auch selbst auszuprobieren. Wenn einem bewusst ist, dass das Geld für die Unterhaltung drauf geht, sei dies kein Problem, erklärt Uhl. „Aber wenn man glaubt, dass man auf die Art und Weise zu Reichtum kommen kann, dann ist das genauso irrational, wie wenn man in die Oper geht und hofft, nachher den doppelten Eintrittspreis zurückzu­kriegen.“

Gewohnheit macht süchtig

Irrationalität, Wunschdenken, logische Denkfehler und Ahnungslosigkeit, was statistische Sachverhalte betrifft, nennt der Psychologe als Ursachen dafür, dass viele Menschen (rund ein Prozent der Österreicher) vom Spielen um Geld ohne therapeutische Hilfe nicht mehr loskommen. „Wenn die Leute ausgeglichen sind und keine gröberen Probleme haben, dann ist die Gefährdung nicht so groß, süchtig zu werden“, sagt Uhl, aber selbst dann könne die Gewohnheit schnell überhandnehmen.

Und spätestens dann werden jene Lokale aufgesucht, die alles andere als zum Verweilen einladen: Sie sind in Wien schnell gefunden. Nur ein paar hundert Meter vom glitzernden Admiral-Palast entfernt, am wenig glamourösen Praterstern, befinden sich zwei weitere Wettbüros. Den Eingang des einen versperren Metallschranken, die sich nur durch eine Mitgliedskarte öffnen lassen.

Beim anderen steht zwar die Tür weit offen, doch einladend wirkt es nicht. Tritt man dennoch ein, steht man direkt vor dem Kassierer. Über ihm drei Bildschirme. Einer mit Quoten und zwei mit Fußballspielen. Links und rechts von dieser Rezeption reihen sich sogenannte Terminals – das sind Maschinen, die zwar aussehen wie die alten Slotmaschinen, aber nur Computer sind, an denen die Wette eingegeben werden kann. Hinsetzen kann man sich nicht. Der internationale Anbieter muss sich auch nicht bemühen, es den Kunden gemütlich oder gar schön einzurichten. Die Leute kommen sowieso. Solange es etwas zu wetten gibt.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 25 2018