Fromme Lämmer, reißende Wölfe

Die Grauen Wölfe gelten als rechtsextreme und gewaltbereite Bewegung aus der Türkei. In Österreich präsentieren sich deren Anhänger zwar als bestens integriert und sogar vernetzt bis in die höchsten Reihen der heimischen Politik. Tatsächlich aber predigen sie den politischen Islam

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Chronik - Fromme Lämmer, reißende Wölfe

Von allen Wesen, die in bekannten Volksmärchen vorkommen, hat niemand ein derart schlechtes Image wie der Wolf. Wir kennen ihn als "bösen Wolf". So tritt er einmal als hinterlistiger Gewalttäter auf, der am Ende eine Pensionistin samt ihrer Enkelin "Rotkäppchen" verschlingt. Ein andermal taucht er als räuberischer Betrüger auf, der seine Opfer, sieben kleine Geißlein, täuscht, indem er seine Stimme mit dem Verzehr von Kreide manipuliert. Oder er gebärdet sich als Einbrecher und stürmt die Residenz von "Drei kleinen Schweinchen" - allerdings wenig erfolgreich: Am Tatort verbrüht er sich versehentlich im Kochwasser und verendet. All diesen Märchen gemeinsam ist: Stets versteckt sich das Raubtier in einem harmlosen Kostüm. In einem Tarnanzug sozusagen.

Einen solchen tragen mitunter auch seine Namensvettern in menschlicher Gestalt, die Grauen Wölfe in Österreich. Auch deren Wolf -genauer: eine Wölfin - stammt aus den Tiefen der Mythologie, in diesem Fall der türkischen.

Und dieser Wolf ist äußerst aktiv in Österreich. Erst dieser Tage brachte die Wiener Wochenzeitung "Falter" Bilder an die Öffentlichkeit, die belegen, dass in den Räumlichkeiten der türkischen Ultranationalisten schon mit Kindern deren faschistischer Wolfsgruß eingeübt wird. Die Empörung darüber ist groß, doch die sich dahinter verbergenden Machenschaften der Grauen Wölfe in Österreich sind noch weit größer. Denn die Organisation ist, wie News-Recherchen belegen, weit einflussreicher als bisher bekannt. So betreibt sie als Österreichisch-Türkische Föderation allein 22 Moscheevereine im Land und sitzt daher mit Gruppierungen wie der Atib und Millî Görüş unter dem Dach der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ), also der offiziellen Vertretung der Muslime in Österreich.

Tausende Wolfsgrüße

Die IGGiÖ äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht zu diesen Vorwürfen. Und das, obwohl die Werte der Wölfe äußerst besorgniserregend sind, besteht doch deren erklärtes Ziel in der Eliminierung politischer Gegner wie Kurden, Juden und Aleviten. Die Wölfe sind ultranationale, rechtsextreme und mittlerweile auch als islamistisch einzustufende türkische Migranten, die man an zwei speziellen Symbolen erkennt: dem schon angesprochenen faschistischen Wolfsgruß, einer Handgeste, die den Heavy-Metal-Fingern ähnelt, aber ideologisch mit dem Hitlergruß der Nationalsozialisten zu vergleichen ist. Daumen, Mittel-und Ringfinger werden so zusammengeführt, dass sie ein Wolfsschnäuzchen bilden, der abgespreizte Zeige-und der kleine Finger sollen die Wolfsohren darstellen. Ihr zweites wichtiges Erkennungszeichen ist eine Flagge: drei weiße Mondsicheln auf rotem Hintergrund. Diese schwingen sie bei Pro-Erdoğan-Demonstrationen, etwa mitten am Wiener Heldenplatz oder bei Konzerten rechter Musiker.

Doch warum weiß man trotzdem so wenig über sie? Wieso können die Grauen Wölfe bis heute ungestört ihren Aktivitäten in Österreich nachgehen? Und was haben Österreichs Politiker damit zu tun?

Der Name bedeutet laut Gründungsmythos so viel wie "Idealisten". Diese Bewegung, die sich mit ebenjenem Wolfsgruß schmückt, verschreibt sich der Verfolgung politisch Andersdenkender und träumt bis heute von einem großtürkischen, vom Balkan bis Zentralasien den halben Kontinent umspannenden Osmanischen Reich. In Österreich tritt sie in den frühen Neunzigern erstmals in Erscheinung. Die ersten Vereine gründen sich, aber niemanden stört es.

Seit' an Seit' mit Neonazis

Dabei beginnt die Geschichte dieser Bewegung in Europa eigentlich viel früher, in den 1970er-Jahren, und zwar in Deutschland. Damals traten die Wölfe als "türkische Schlägertrupps" in Erscheinung. Man sah in ihnen an das Heimatland gebundene, überpatriotische, rechts gesinnte Gastarbeiter, die sozusagen die Auslandsvertretung der türkischen, rechtsextremen Mutterfraktion der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) stellen. Dort fungierten die Grauen Wölfe auch als eigener paramilitärischer Arm der Partei. Während am Bosporus knapp 700 tödliche Attentate auf Aleviten, Juden oder Kurden verübt wurden, organisierten ihre in Europa angesiedelten Wolfsjünger etwa 1981 einen Anschlag auf Papst Johannes Paul II., drei Jahre später auf die türkisch-kurdische Jusstudentin Seyran Ateş in Berlin. Doch das alles hinderte weder die bayerische CSU noch die deutsche Nachfolgerpartei der Nationalsozialisten, die NPD, daran, die türkischen "Idealisten" mit finanziellen Mitteln auszustatten. Jahrzehntelang arbeiteten Neonazis und Graue Wölfe Seite an Seite und Hand in Hand gegen dasselbe Feindbild und hielten sogar gemeinsame Kampfcamps ab.

Dann kam der 11. September 2001. Al Kaida steuerte vollbesetzte Passagiermaschinen in das New Yorker World Trade Center. Dieses Datum sollte auch für die Grauen Wölfe etwas grundlegend verändern. Denn der plötzlich weltweit virulente islamistische Terror zieht bei ihnen unheilvolle Veränderungen nach sich: sie islamisieren sich, demonstrieren nun also auch den radikalen Islam. Die Freundschaft mit den hiesigen Rechtsextremen zerbricht. Die neue religiöse Komponente macht sie zum Freund der einen und Feind der anderen.

In der Isolation verschwinden die Wölfe in Österreich aber keineswegs. Die Rechten mögen sie als Unterstützer verloren haben, Ersatz finden sie dafür reichlich in der heimischen Politik. So lud erst im April die Innsbrucker Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer im Vorfeld der jüngsten Bürgermeisterwahl zu einer Wahlkampfveranstaltung ins Vereinslokal der Grauen Wölfe. Während die einstige ÖVP-Politikerin aus ihrem Wahlprogramm der Liste "Für Innsbruck" rezitierte, versammelte sich um sie die lokale Prominenz der türkischen Rechtsextremen. Im Hintergrund hing das Emblem des Graue-Wölfe-Dachverbands und ein Bild von Alparslan Türkeş, dem Gründer der türkischen Mutterpartei MHP. Dass derlei Verhalten von Doppelzüngigkeit zeugt, zeigte sich auch an einer geplanten Großveranstaltung der Grauen Wölfe ein paar hundert Meter weiter in der Innsbrucker Olympiahalle im vergangenen Jahr. Diese wurde damals noch großtönig abgesagt, Oppitz-Plörer unterstützte die Entscheidung, verwies auf die extremistische Ausrichtung des Events. Offenbar konnte sie sich nun nicht mehr daran erinnern.

Derlei Vorfälle kennt man aber nicht nur aus der Kommunalpolitik. Politologe und Co-Autor des 2012 erschienen Buches "Grauer Wolf im Schafspelz" Thomas Schmidinger berichtet von einem Foto des ehemaligen oberösterreichischen VP-Landeshauptmanns Josef Pühringer. Darauf zu sehen: der lächelnde Landesfürst bei einem Fußballspiel, umringt von Jugendlichen, die den Wolfsgruß machen. "Die Politiker wissen meistens nicht, mit wem sie es da zu tun haben. Oder sie ignorieren es, weil die türkische Minderheit billiges Stimmvieh für sie ist", erklärt Experte Schmidinger.

Holocaust-Verhöhnung

Letzteres, also Stimmenfang, dürfte wohl auf die Linzer SPÖ zutreffen. Hier hat die Zusammenarbeit mit den Grauen Wölfen bereits Tradition. Jahrelang marschierten die Sozialdemokraten gemeinsam mit dem örtlichen Ableger der türkischen Faschisten am 1. Mai auf. Man stellte ihnen das Linzer Rathaus für Veranstaltungen zur Verfügung, förderte sie mit Subventionen und Sitzen im Integrationsbeirat. Umgekehrt ließen die oberösterreichischen Roten auch kaum eine Veranstaltung der selbsternannten "Idealisten" aus. Stutzig wurde man erst, als im März 2016 ein Foto des Linzer Graue-Wölfe-Schriftführers auftauchte, auf welchem er mitten auf dem Gedenkstein des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen posiert -natürlich mit Wolfsgruß.

Das Phänomen greift aber gar noch höher. Auch im Bund taktiert man regelmäßig mit den türkischen Nationalisten, wohl um sich die Zustimmung in der Community zu sichern. Österreichs Ex-Bundeskanzler Christian Kern traf sich etwa noch am Vorabend der Nationalratswahl im vergangenen Oktober mit Vertretern von Millî Görüş und hiesigen Erdoğan-Fans. "Wahrscheinlich waren auch Graue Wölfe dabei", sagt Autor Thomas Rammerstorfer. Als Kritiker des politischen Islams wirkt eine solche Wahlkampf-Visite des damaligen Kanzlers doch recht merkwürdig.

Kanzler-Selfies

Apropos Kanzler: Der jetzige Regierungschef Sebastian Kurz posierte nur kurz vorher, im August 2017, bei einer Veranstaltung in Ried im Innkreis mit einer Gruppe junger Männer, von denen drei den Wolfsgruß in die Kamera zeigten. Die ÖVP selbst verbreitete das Bild sofort mittels Social Media, löschte es aber wieder. Politisches Kalkül will sich die ÖVP in einer Anfrage von News jedoch nicht unterstellen lassen. Man habe nichts mit türkischen Radikalen zu tun. Bei so einer Veranstaltung käme es nun mal zu jeder Menge Selfies. Die Burschen hätten im Nachhinein erklärt, dass sie nichts über die Bedeutung des Wolfsgrußes gewusst und lediglich einen deutschen Moderator nachgeahmt hätten. Titel der Sendung: "Circus Halligalli".

Trotzdem würden solche Fotos die Glaubwürdigkeit derartiger Vereine nicht schmälern, sondern sogar erhöhen, meint Historiker Heiko Heinisch von der Universität Wien: "Für die Vereine ist das wie Weihnachten und Ostern zusammen, deswegen posten sie auch gerne Bilder von Politikertreffen. Hochrangige Kontakte ziehen in solchen Communitys."

Normalerweise stellen ja Kinder beim Spielen die berühmte Frage: Wer hat Angst vorm bösen Wolf? Wälzt man die Verfassungsschutzberichte der vergangenen Jahre, lässt sich sehr deutlich festhalten: Die österreichischen Behörden jedenfalls haben keine Angst. Mehr noch, sie schenken der rechtsextremen Gruppierung so gut wie keine Beachtung. In den Reports der Staatsschützer wird das Treiben der Wölfe kaum erwähnt. Ein Hinweis findet sich gerade einmal im Jahr 2009, und da nur im Jahresbericht für Suchtmittelkriminalität. Im Unterkapitel "türkische Tätergruppen", seien die Grauen Wölfe im Bereich des Heroingroßhandels in Erscheinung getreten, dies wird allerdings nicht näher spezifiziert. Auf die Nachfrage von News bei einer Sprecherin des Innenministeriums mit der Bitte um aktuelle Informationen zu den Grauen Wölfen klingt zuerst ein unsicheres "Zu wem?" durch den Telefonhörer.

Ahnungslose Behörden

Lediglich die Grünen starten immer wieder Versuche, den Nebel um die Grauen Wölfe zu durchbrechen. David Stögmüller beispielsweise, grüner Bundesrat aus Oberösterreich, wandte sich erst vor wenigen Tagen mit einer parlamentarischen Anfrage an Innenminister Herbert Kickl (FPÖ). Die Fragen sind beinahe ident mit jenen, die er ziemlich genau vor zwei Jahren bereits an dessen Vorgänger Wolfgang Sobotka aussandte. Er fragt nach Mitgliederzahlen, nach Sicherheitseinschätzungen und laufenden Ermittlungen des Verfassungsschutzes sowie nach rechtsextremen Symboliken. In der damaligen Anfragebeantwortung durch das schwarze Innenministerium reihen sich Aussagen wie die folgenden aneinander: "Entsprechende Statistiken bzw. Aufzeichnungen werden nicht geführt." Oder: "Entsprechende Informationen liegen nicht vor."

Angesichts dessen, dass deutsche Sicherheitsbehörden schon seit Jahren Alarm schlagen, in einem Bericht sogar von einer "Parallelgesellschaft in Europa" sprechen und besonders in jüngster Zeit den innerhalb der Gruppierung grassierenden Antisemitismus mit Sorge betrachten, irritieren solche Aussagen aus Österreich. Immerhin pflegt auch die rockerähnliche Vereinigung der Osmanen Germania, die sich zwar in Kutten, aber nicht wie Hells Angels auf Motorräder wirft, engste Naheverhältnisse zu den Grauen Wölfen. Einzelne Mitglieder wurden im Vorjahr beispielsweise in Vorarlberg verurteilt, die Delikte sind szenetypisch: Raub, Drogen, Waffen. Für den Kopf dieser Bande lautete das Urteil sogar auf versuchten Mord, 15 Jahre Gefängnis. Aber auch Vereinsräume kurdischer PKK-Ableger in Österreich sollen in jüngster Zeit immer wieder mit Brandanschlägen mutmaßlich vonseiten der Grauen Wölfe attackiert worden sein. Dies legen unter anderem Youtube-Videos nahe.

Und dann wäre da ja noch die islamistische Komponente der Bewegung. Diese weist in vielerlei Hinsicht auch Parallelen zur Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf. Auch der lockte immer mehr Jugendliche als "coole" Subkultur. "Die jungen Kids bezeichnen sich als Graue Wölfe, weil es 'in' ist und ein Symbol der Stärke und Kampfbereitschaft", sagt Autor Rammerstorfer. Sie tragen T-Shirts mit den typischen Symbolen wie den drei Sicheln und dem heulenden Wolf, machen den Wolfsgruß und hören Bozkurt-Rap. Diese Musik im Gangsterrap-Stil entsteht in heimischen Kinderzimmern und beinhaltet nationalistische und militaristische Botschaften. Darin wird dem türkischen Vaterland gehuldigt, das Feindbild der Kurden geschürt und Gewalt verherrlicht. Zu Textzeilen wie "Ich bin stolz auf mein Vaterland" und "Wenn es sein muss, geh ich in den Tod" laufen Bilder von Panzern und Soldaten in kämpferischen Posen. Dazwischen erscheint immer wieder der blutrünstige Wolf.

Salafistische Kämpfer

In den vergangenen Jahren flossen zudem in die Jugendkultur der Grauen Wölfe zunehmend Elemente des Salafismus ein. Das zeigt sich nicht nur am sogenannten Tauhīd-Finger (s. Grafik li.), der immer öfter statt des Wolfsgrußes verwendet wird. Die Geste, bei der der Zeigefinger nach oben gestreckt wird, galt ursprünglich als harmlos, da sie den "Einen Gott" in der Form Allahs symbolisiert, wurde allerdings vom IS vereinnahmt und wird deshalb mittlerweile als "IS-Finger" bezeichnet. Diese gefährliche Verschmelzung führt laut Rammerstorfer so weit, dass sich junge Graue Wölfe mit salafistischen Gruppen in Syrien verbünden und gemeinsam kämpfen.

Aber zurück nach Österreich. Das finanzielle Geflecht ist nicht nur für die Behörden bis dato schwer zu durchschauen. Ein von den Grauen Wölfen für 700.000 Euro erworbenes Anwesen im Bezirk Braunau lässt Autor Rammerstorfer aufhorchen: "Ich nehme an, dass das nicht nur aus den Mitgliedsbeiträgen türkischer Gastarbeiter kommt." Politologe Schmidinger verweist auf Sponsoren innerhalb der Community und Großveranstaltungen als Einnahmequelle. Inwiefern und in welche Richtung Geldströme zwischen der Türkei und Österreich fließen, sei unklar. Gegenüber News versichert Baki Uslu von der wölfischen Österreichisch-Türkischen Föderation, zugleich Generalsekretär der IG-GiÖ: "Wir beziehen keinerlei Geldmittel von irgendwelchen Organisationen."

Das fast gelähmt anmutende Vorgehen der Behörden gegenüber der rechtsextremen und islamistischen Gruppierung stört Rammerstorfer: "Die bestehenden Paragrafen - wie Verhetzung - wären ausreichend." Man müsste sie nur anwenden. Aber vielleicht läuft das in Österreich ja doch wie im Märchen: Und wenn der Verfassungsschutz nicht hinschaut, dann walten die Wölfe noch heute.