Tierhaltegesetz:
Will er nur spielen?

Ein Kleinkind stirbt durch den Biss eines Rottweilers, ein anderes wird von einem Dackel lebensbedrohlich verletzt und die Politik will eine Verschärfung des Tierhaltegesetzes. Wird das Zusammenleben mit den Vierbeinern dadurch sicherer? Auf den Spuren eines Konfliktes, der Wien spaltet

von Chronik - Tierhaltegesetz:
Will er nur spielen? © Bild: Getty Images

Es wird geschmust, gejoggt, geradelt und gespielt. Der Prater bietet Platz für unterschiedlichste Freizeitaktivitäten. Ganz besonders beliebt ist der Park im Herzen Wiens aber bei Hundebesitzern, die hier ihre haarigen Begleiter Gassi führen. Auch an diesem sonnigen Herbsttag hat vom deutschen Schäferhund, dem winzigen Chihuahua, der trendigen französischen Bulldogge, dem hyperaktiven Jack-Russell-Terrier, dem schwer atmenden Mops bis hin zur cleveren Promenadenmischung in unterschiedlichen Farben und Formen alles Freigang. Man könnte meinen, es ist ein friedliches Nebeneinander, ein idyllisches Hecheln und Schnüffeln, Seite an Seite. Doch der Schein trügt.

Denn seit dem tragischen Tod eines einjährigen Buben, der von einem Rottweiler in den Kopf gebissen wurde, ist ganz Wien in Alarmstimmung.

Nüchterne Einschätzung

Nachdem bekannt wurde, dass die Besitzerin jenes Rottweilers 1,4 Promille Alkohol im Blut hatte, reagierte die Politik sofort. FPÖ-Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein fordert die Verschärfung des Wiener Tierhaltegesetzes. Stadträtin Ulli Sima (SPÖ) kündigt ein gemeinsames Maßnahmen­paket mit der Polizei an. Und FPÖ-Tierschutzbeauftragte Philippa Strache schießt nach, es solle einen Hundeführschein für alle Rassen geben. Aus dem Ministerbüro heißt es: „Derzeit gibt es in den Bundesländern verschiedene Ver­ordnungen. Das Ziel sind österreichweit einheitliche Standards, um so einen Vorfall künftig zu vermeiden.“

Konkret soll neben der Einführung eines Alkohollimits von 0,5 Promille an einem runden Tisch diskutiert werden, ob es eine Maulkorb- und (statt oder) Leinenpflicht sowie einen verpflichtenden Hundeführschein für alle Hunderassen geben soll. Und zwar österreichweit. Bisher gibt es nur in Wien, Niederösterreich und Oberösterreich eine Liste mit Hunderassen, die strengeren Regelungen unterliegen. Zu diesen insgesamt elf Rassen zählen sogenannte Kampfhunde, wie Stafford­shire Terrier, Dogo Argentino, Rottweiler, Tosa Inu oder Bullterrier sowie Mischlinge dieser Züchtungen.

Laut Wiener Tierhaltegesetz muss der Besitzer für deren Haltung älter als 16 Jahre sein und darf keine Vorstrafen besitzen. Er muss aber auch die „erforderliche Eignung in körperlicher Hinsicht“ aufweisen, um in der Lage zu sein, das Tier zu kon­trollieren.

Bisher werden diese Eigenschaften sowie der Umgang mit dem Listenhund bei der verpflichtenden Hundeführscheinprüfung abgefragt. „Es werden Grundlagen über Hundeverhalten und -haltung abgeprüft“, sagt Ursula Aigner von der Hundeschule Canis sapiens, die selbst die Prüfungen durchführt. Für den theoretischen Teil müssen 24 von 30 Fragen richtig beantwortet werden. Ein Fragenkatalog mit 150 Fragen rund um Körpersprache und Erziehung des Hundes steht zur Vorbereitung online zum Download zur Verfügung.

„Dann kommt der praktische Teil, bei dem der Besitzer einerseits zeigen muss, dass er die Ohren, Zähne und Pfoten des Hundes in Ruhe anschauen kann, woran man schon erkennen kann, wie der Mensch mit dem Tier umgeht“, sagt Aigner. Auch die Maulkorbakzeptanz, ein Ruhekommando und wie sich Hund und Begleiter bei der Konfrontation mit anderen Hunden oder Radfahrern verhalten, werden beobachtet – wobei auch das Vermeiden eines drohenden Konfliktes zum Bestehen reicht. „Jeder Hund ist anders. Es geht bei der Prüfung darum, abzuschätzen, ob der Besitzer seinen eigenen Hund so weit ­einschätzen kann, dass ein konfliktfreier Alltag möglich ist.“

Jeder Biss ist einer zu viel

Vorbildhaft zeigt sich das bei Golden-Retriever-Rüde Camillo und dessen Besitzer Fritz Luger. Aber: „Es hat viel Zeit und Geld gekostet, ihn so weit zu bringen, und es ist natürlich auch eine Frage der Rasse“, sagt er sichtlich stolz. Mindestens dreimal am Tag geht er mit dem Tier spazieren, ohne Leine, ohne Maulkorb, „die brauchen wir nicht. Aber ich gehe mit ihm auch nicht auf der Kärntner Straße spazieren. Da hat er ja auch nichts davon.“ Hunde­zonen meidet er tunlichst. Dort sei Camillo bereits zweimal von einem Schäferhund gebissen worden. „Das sind Orte der Aggression und Infektion.“ Sein Hund und dessen Wohlbefinden sind Fritz viel wert. 400 bis 450 Euro gebe er im Monat für ­seinen treuen Gefährten für Futter, Unterbringung, Hundesteuer und Tierarzt aus. „Wer bestimmte Anforderungen nicht hat, tut dem Hund nichts Gutes“, und das ge­höre einfach gut überlegt, sagt er. Eine Verschärfung der Vorschriften hält er ­jedenfalls für „Anlasspopulismus“.

Laut dem Kuratorium für Verkehrs­sicherheit (KFV) mussten im vergangenen Jahr in Österreich rund 3.600 Personen nach einem Hundebiss im Krankenhaus nachbehandelt werden. Knapp 17 Prozent der durch Hundebisse Verletzten sind unter 14 Jahre alt. In Österreich leben rund 600.000 Hunde, allein in Wien 55.740. Kinder von zehn bis 14 Jahren weisen laut KFV generell die höchste Unfallquote auf. Auch zwischen null und zehn Jahren liegt sie höher als bei den meisten Erwachsenen. Als „unfallverursachende Produkte bei Haushalts- und Freizeitunfällen“ rücken Hunde dabei laut Verletzungsstatistik des KFV aber weit in den Hintergrund und sind etwa gleich gefährlich wie die Kategorie „bearbeitete Oberfläche im Außenbereich“ oder „Schuh, Sandale, Pantoffel, Schlapfen, Stiefel.“ Dass jeder einzelne Beißunfall einer zu viel ist, steht dennoch außer Frage.

Wie die Frau so der Wauwau

Hundebesitzer Luger ist der Meinung: „Wenn ein Hund gut abgerichtet ist, gibt es kein Problem. Wenn er es aber nicht ist, ist er eine Gefahr. Und zwar jede Rasse.“

Das zeigte kürzlich auch der Fall eines Dackels, der ein Kleinkind in Mödling schwer verletzte, weil es zu dem Hund unter den Tisch gekrochen war. „Kinder sind sehr unberechenbar in ihrem Verhalten. Sie rennen schnell mal los, schreien plötzlich auf. Das können Auslöser sein, auf die Hunde reagieren“, sagt Hundetrainerin Sandra Pfaffinger. „Dass ein Hund nach vorne geht und einem Kind in den Kopf beißt, ist kein normales Verhalten.“ Vor allem aber wäre es für den grundsätzlich konfliktscheuen Hund immer die letzte Option, die erst auf mehrere Beschwichtigungssignale folgt (siehe Grafik). „Das Problem ist: Gerade Kinder können diese Drohgebärden oft nicht lesen. Dafür braucht es Erwachsene, die das können.“

Dass auch sie oft erschreckend wenig über fremde oder sogar über ihren eigenen Hund wissen, zeigt sich in Wien an jeder Ecke: Da wird an der Leine gezerrt, geschrien und sogar geschlagen, und den frustrierten Besitzern ist nicht klar, „dass Hunde Schmerzen wie einen Leinenruck mit dem verbinden, was sie in dem Moment sehen“, sagt Hundetrainerin ­Pfaffinger. Dass ein Hund bei wieder­holtem Malträtieren in Reichweite von Kindern irgendwann Aggressionen gegen sie entwickelt, könnte daher oftmals ein hausgemachtes Problem sein.

Dass das nicht so sein muss und sich selbst Kinder mit Hunden bestens vertragen können, beweist die frischgebackene Mutter Manu. Mit Kinderwagen und Aus­tralian-Shepherd-Hündin Enja spaziert sie durch den Prater: „Mein Kind lernt den Umgang mit dem Hund. Ich erwarte aber auch von anderen Müttern, dass sie ihren Kindern sagen, dass sie nicht jeden Hund einfach angreifen dürfen. Nur weil er meinem Kind nichts tut, heißt das nicht, dass er andere Kinder auch in Ruhe lässt.“ Den Hundeführschein hat Manu freiwillig gemacht, um ihren Hund und seine Körpersprache besser kennenzulernen.

Der Besitzer haftet

Die Wiener Tierschutzombudsfrau Eva Persy meint: „Es wäre super, wenn mehr Leute dieses Angebot nutzen würden. Viele glauben nämlich noch immer, wenn der Hund wedelt, freut er sich. Das ist ein Blödsinn. Er wedelt, weil er erregt ist. Das kann Freude sein, aber auch zeigen, dass ihm etwas nicht geheuer ist.“

Allein dieses Wissen könnte sehr viel verhindern, ist sie sich mit Tiertrainerin Sandra Pfaffinger einig. Der Präsident des Österreichischen Hundehalterverbands, Hans Mosser, fordert gleich den Hundeführschein für alle Rassen – nicht zuletzt deshalb, weil die meisten Unfälle mit Hunden zu Hause passieren, „da nützt die Maulkorb- oder die Leinenpflicht wenig“, sagt er. Bevor man neue Regelungen macht, sollte man analysieren, warum Unfälle passieren. Von „politisch motivierten Schnellschüssen“ halte er wenig. „Bestehende Gesetze und Verordnungen sind ausreichend. Sie müssen nur eingehalten werden.“ Auch Tierschutzombudsfrau Eva Persy ist der Meinung: „Man durfte seinen Hund auch bisher schon laut Gesetz nur führen, wenn man ihn ganz sicher unter Kontrolle hat. Wenn man betrunken ist, ist das natürlich nicht der Fall, genauso wenig wie mit einem Gipsfuß. Aber anscheinend brauchen manche Leute noch weitere ­Vorgaben.“

Das zeigt jedenfalls der Lokalaugenschein quer durch die Stadt – vom Prater bis nach Favoriten. Überall sind Übertretungen der bestehenden Vorgaben zu beobachten, die mit „meiner tut ja eh nichts“, „er will ja nur spielen“ oder „es gibt keinen Maulkorb, der ihm passt“ abgetan werden.
Dass die Wogen zwischen Besitzern und besorgten Bürgern hochgehen, liegt auf der Hand. „Da spielen sich zivilrecht­liche Dramen ab, wenn der Hund ein Auto anpinkelt“, sagt Rechtsanwalt Meinhard Novak, „der Hundebesitzer haftet grundsätzlich für die ordnungsgemäße Verwahrung des Hundes und man haftet für alles, was der Hund beschädigt.“ Eine Haftpflichtversicherung ist daher zwingend – auch wenn sie nicht vor strafrechtlichen Klagen schützen kann. Eine „defensive Haltung“ schlägt der Rechtsanwalt daher grundsätzlich vor. „Man sollte einfach vorsichtig sein und sich bewusst sein, dass man ein potenziell gefährliches Tier in der Hand hat. Der Hund ist Ausdruck des ­Besitzers, wenn der einen Vogel hat, hat der Hund auch einen.“ Das bestätigt eine Studie der Uni Wien, die beweist, dass „die Eigenschaften des Halters und das gelebte Beziehungsmuster das Stressmanagement beim Hund beeinflussen“.

Statussymbol Hund

Dass viele Probleme, die der Hund zeigt, am anderen Ende der Leine liegen, weiß auch Hundeführschein-Prüferin Ursula Aigner: „Manche Leute holen sich schnell einmal einen Staff (Staffordshire Terrier, Anm.) aus den falschen Motiven, zum Beispiel als Statussymbol.“ Davor sollte die behördlich geführte Liste mit den Kampfhunderassen und deren strengeren Auflagen eigentlich abschrecken. „Das Problem mit den Listen ist aber, dass genau diese Rassen dann für bestimmte Personengruppen erst interessant werden.“ Sieht man sich den Datensatz der MA 6 mit den gemeldeten Hunderassen nach Bezirken sortiert an, wird deutlich, dass die meisten Listenhunde in sozial schwächeren Bezirken wie Favoriten oder Floridsdorf leben. Aber auch in Donaustadt, dem dichtesten Hundehalterbezirk Wiens, leben allerhand gelistete Rassen. „Andererseits glauben die Leute, dass alle anderen Rassen völlig ungefährlich sind. Und daraus entstehen Probleme“, sagt Aigner.

Dragan und Cemal wollen von solche n nichts wissen. Dragans Welpe ist ein Staffordshire-Terrier-Mischling, „genau so einen hat sich mein Sohn gewünscht“. Davor, dass er einmal ein solches Muskelpaket wie Cemals Staffordshire Terrier Tyson wird, hat er keine Angst. Auch Cemal sieht keinen Grund zur Panik. Er habe schließlich den verpflichtenden Hundeführschein absolviert, und Tyson sei ein „braver Familienhund“. Dass er ihn sogar innerhalb der Hundezone im Fortunapark im zehnten Bezirk sehr knapp an der Leine hält, zeugt aber nicht gerade von seinem blinden ­Vertrauen dem Tier gegenüber. Doch: „Ich kann ihn halten, weil ich stark bin“, sagt der durchtrainierte Cemal. Trotzdem sei er absolut für ein Alkoholverbot: „Alkohol und Hunde vertragen sich einfach nicht.“ Eine Frage stellt sich aber auch Cemal: Wie und von wem soll so ein mögliches Alkohol­verbot zukünftig kontrolliert werden?

Außer Kontrolle

Von Jänner bis einschließlich Juli des laufenden Jahres wurden bei der Polizei Wien pro Monat durchschnittlich rund 143 Organstrafverfügungen aufgrund von Übertretungen des Maulkorb- oder Leinenzwanges verhängt. „Die Zahl der entsprechenden Abmahnungen ist mindestens doppelt so hoch“, sagt Polizeisprecher Paul Eidenberger. Das Einschreiten der Beamten nach dem Wiener Tierhaltegesetz sei eine „Assistenzleistung“ für das eigentlich zuständige Magistrat 6 und erfolge im Streifendienst – sprich nebenbei. Ob die derzeitigen Kapazitäten für eine zusätzliche Kontrolle des Alkoholpegels bei Gassi­gehern also ausreichen würden? „Das ist eine Grundsatzdiskussion auf politischer Ebene, die die Polizei nicht kommentiert“, sagt Eidenberger.

Das bisherige Ausmaß an Kontrollen ­beruhigt die beiden Mütter Johanna L. und Johanna S. jedenfalls nicht. Mit ihren Kindern Julia und Fabian fühlen sie sich im Fortunapark oft unsicher. „Wir machen immer einen großen Bogen um die Hunde.“ Sie finden: „Spielplatz und Hundezone sollten generell nicht so nahe beieinander sein.“ Am anderen Ende der Stadt im Prater fühlt sich ­Millionenerbin Kathi Stumpf selbst hoch zu Ross unwohl: „Mir schnürt es jedes Mal die Kehle zu, wenn ich einen frei laufenden Hund sehe, seit wir einmal einen Reitunfall hatten“, erzählt sie. Ein kleiner Windhund habe dem Pferd ins Bein gebissen, sodass es samt Reiter Alexander Meyer-Hiestand gestürzt sei. Deshalb ist Stumpf „absolut für eine strengere Regelung der Maulkorb- und Leinenpflicht“. Der kleine Jack-Russel-Misch­ling ihres Freundes Alexander zeigt das (noch) nicht gerade vorbildlich. „Wir haben ihn erst vor zwei Wochen aus dem Tierheim geholt“, sagt Alexander, „wir machen dann eh mit ihm die Hundeschule.“

Die Öffis machen’s vor

Sowohl für die 91-jährige Susanne, die ihrem Chihuahua Jack gemächlich auf der Prater Hauptallee hinterherspaziert, als auch für Anna und ihren Mops Ebbie, die beim Würstelstand Stadion die Herbst­sonne genießen, macht die Verschärfung der Gesetze keinen Sinn. „Vielleicht“, ­kichert Anna, „bräuchte die Regierung ­einmal einen Maulkorb.“ Auf die Mopsschnauze ihres Ebbie jedenfalls „passt keiner drauf, er hat ja gar kein Schnauzerl“, sagt sie. Dieses Argument kennen Security-Beamte der Wiener Linien nur zu gut: „Den Maulkorb für den Mops gibt es sehr wohl, er muss aber maßangefertigt werden“, sagt Pressesprecherin Doris Rauh, „da gibt es oft Diskussionen.“ Die gebe es aber sogar mit Kinderwägen oder Ikea-Kästen in der U-Bahn. „Bei uns sind Maulkorb und Leine aus Sicherheitsgründen einfach Pflicht“, ein Verstoß koste, nach Verwarnung, genauso viel wie Skateboardfahren oder Rauchen am Bahnsteig: 50 Euro.

Ungefähr 30 solcher Strafen werden in Wien täglich im Zusammenhang mit Hunden verhängt. Bei 2,5 Millionen Fahrgästen pro Tag ist das allerdings eine verschwindend geringe Zahl, die wohl auch mit der Kontrolltätigkeit der Beamten zu tun hat. Daran könnte sich die Politik zukünftig ein Beispiel nehmen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 41 2018