Christine Nöstlinger: "I hab net
gwusst, dass Sterben so schwer ist"

Letzte Worte einer Weltliteratin: Skepsis, soziales Mitleid und das Wissen um die eigene Endlichkeit bestimmen Christine Nöstlingers späte Gedichte. Ihre Tochter erinnert sich an die letzten gemeinsamen Tage.

von Letzte Worte - Christine Nöstlinger: "I hab net
gwusst, dass Sterben so schwer ist" © Bild: News Reich Sebastian

Das Interview war schon beendet, und es war schwer vom Schmerz des Abschiednehmens. Sie verstehe die Kinder nicht mehr, hatte Christine Nöstlinger geklagt, und werde daher für Kinder nichts mehr schreiben. Ob sie Wehmut verspüre? Ja, so könne man das schon ausdrücken. "Mein Herz und meine Lunge sind krank. Ich habe die Lungenpest COPD und darf mich darüber nicht beschweren, nachdem ich 60 Jahre geraucht habe. Ich kann gerade noch für einen Besucher den Aufzug rufen, und manchmal muss ich zum Arzt fahren. Sonst sitze ich auf meiner Dachterrasse, und es fehlt mir an nichts. Wehmütig bin ich schon. Aber nicht, weil ich keine Kinderbücher mehr schreibe." 18 Tage später , am 28. Juni 2018, war es vorbei.

»Wehmütig bin ich schon. Aber nicht, weil ich keine Kinderbücher mehr schreibe«

Das Gespräch war telefonisch geführt worden. Für Besuche, hatte Christine Nöstlinger beschieden, reichten momentan ihre Kräfte nicht. Aber mit einem Mehrwert wolle sie, den Prinzipien der Gastfreundschaft folgend, doch aufwarten: einem der "bösartigen Dialektgedichte", mit denen sie sich die langen Wochen des Wartens auf Besserung verkürze.

"Zwenig gaunga, vü z vü gesessn, blad gfressn.
Z wenig denkt, vü z vü gschiran, la im Hian.
Z wenig gwand, vü z vü glochd, zu nix brochd.
Z wenig zweifet, vü z vü´vatraut, nix duachschaut.
Z wenig griagt, vü z v´ü heagem.
Owa sunst: A schenes Lem!"
,

diktierte sie am Telefon, und das waren nun tatsächlich die letzten öffentlichen Worte der weltliterarisch relevanten Schriftstellerin Christine Nöstlinger.

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Die pretiosenhaften Gedichte sind nun in einem Bändchen von 77 Seiten erschienen, womit sich der Kreis zur frühen Dialektlyrik schließt. Der Blick auf das soziale Elend unterprivilegierter Frauen hat an Kraft und Klarheit des Mitleidens nichts verloren. Aber der Titel -"Ned, dasi ned gean do warat" - belegt schon, dass sich ihre Gedanken zusehends auf die eigene, schmal bemessene Lebenszeit zu konzentrieren begannen.

Christine Nöstlingers Tochter, die Graphikerin Barbara Waldschütz, hat das Bändchen illustriert, und ihre Erinnerungen bieten der Literaturgeschichtsschreibung wertvolle Hinweise. Verzweiflung gehörte wohl nicht zum Gefühlsrepertoire der Mutter. Resignation in eigener Sache auch nicht. "Aber resignativ war sie aus politischen Gründen, definitiv. Sie hatte nach dem Krieg gedacht, dass alles besser wird. Und jetzt dieser Backlash nach rechts und das Wissen, dass sie die Änderung des Zustandes nicht mehr erleben wird." - "Die paar Jahr, die i noch leb', werd ich das nimmer erleben, dass diese Krippln nimmer an der Macht sind" - Das ist genuine, aller Sentimentalität abgeneigte Nöstlinger-Diktion. "Grantig" könne man die Gefühlslage im Angesicht des Endes am ehesten benennen, sagt Barbara Waldschütz.

»Die paar Jahr, die i noch leb', werd ich das nimmer erleben, dass diese Krippln nimmer an der Macht sind«

Am Ende war die Mutter auf den Rollator angewiesen. Verrichtungen des Alltags -etwa die mit Ehrgeiz betriebene Zubereitung komplizierter Gerichte -mussten, quälender Rückenschmerzen halber, über den Tag verteilt oder ausgesetzt werden. Eine Zeitlang, erinnert sich Barbara Waldschütz, habe sie selbst während ihrer regelmäßigen abendlichen Besuche das Kochen übernommen. "Aber das hat die Mutti sofort wieder abgeschafft, als es ihr besser ging. Es war ihr wichtig, dass sie das noch zusammenbringt." Am Ende war sie auf den Rollator angewiesen. "Aber mit dem ging sie nicht außer Haus", umreißt die Tochter das Dilemma. "Sie war zu stolz dazu, und das kann ich auch verstehen, weil ein Teil des Alters ja die Scham ist. Es ging ihr ja nicht darum, um die Ecke zu gehen und sich die Milch zu holen. Das hätte jederzeit jemand machen können. Aber ihr wäre es darum gegangen, in die Stadt zu gehen und Geschäfte anzusehen." Mode, die schönen Dinge des Lebens habe sie geschätzt und am Ende vermisst.

"... dass Sterben so schwer ist."

Beim Sterben im Krankenhaus standen ihr beide Töchter zur Seite. "Ich bin froh, dass ich dabei war", sagt Barbara Waldschütz heute. "Die Mutti war ja immer jemand, der viel zu wenig Aufhebens um seine Probleme gemacht hat. Sie wollte nicht darüber reden, einmal hat sie explizit zu mir gesagt:,Wenn ich dir ständig erzähle, was heute nicht gegangen ist, geht es mir erst wirklich schlecht.'" Ein paar Tage vor dem Ende, als es immer bedrohlicher auf und ab zu gehen begann, sagte sie: "A paar schöne Jahr' hätt ich schon noch gern g'habt", und dann: "I hab net gwusst, dass Sterben so schwer ist."

Jetzt haben sich die Töchter gegen das Kurzzeitgedächtnis der Zeit verbündet. Der Routine folgend, wird ja unermesslich lamentiert, wenn sich ein Großer oder weniger Großer verabschiedet. Und dann geht es hurtig ans Vergessen. Deshalb haben Barbara Waldschütz und ihre Schwester, die als Psychologin in Antwerpen praktiziert, "Christine Nöstlingers Buchstabenfabrik" gegründet. Die Mutter habe ja in der ihr eigenen Unbekümmertheit die materiellen Belange ausgeblendet. Nun ist professionelle Nachlassverwaltung zu betreiben, Abdruck-und Bühnenrechte wollen bewertet und beschieden werden. Diese Aufgaben hat eine Managerin übernommen, und was sie einspielt, soll in soziale, tunlichst pädagogische Projekte investiert werden.

Am Ende ihres Lebens schrieb Christine Nöstlinger schmerzvoll sarkastische Kurzgedichte, die nun erschienen sind. Das Buch "Ned, dasi ned gean do warat: Gedichte" finden Sie hier.*

Der Beitrag erschien im News der Ausgabe 16/2019.

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