Chaos, Armut und Krieg im eigenen Land: Jelzins Politik war in Russland nicht beliebt

Amtszeit des Ex-Staatschefs spaltet Russen bis heute

Jelzins Laufbahn, die er als sowjetischer Funktionär begann, war auch von Fehlern gekennzeichnet. Wegen des ersten Tschetschenien-Kriegs Mitte der 1990er verlor er die Unterstützung vieler Demokraten. Vor allem aber mangelnde wirtschaftliche Erfolge kosteten ihn die Popularität der frühen Jahre. Im letzten Amtsjahr kamen auch noch Vorwürfe der Bestechlichkeit und persönlicher Bereicherung hinzu.

Jelzins Politik wirft noch immer Schatten
Die Wirren der Jelzin-Jahre, die der russischen Bevölkerung vor allem als eine Phase der tiefen außenpolitischen und persönlichen Erniedrigung in Erinnerung geblieben sind, werfen bis heute einen Schatten auf das Land. Die pauschale Verurteilung der Zustände in den 1990ern erlaubt es der heutigen Staatsführung, selbst positive Errungenschaften jener Jahre wie Medienfreiheit und politische Vielfalt mit dem Makel von Chaos und staatlicher Ohnmacht zu behaften.

Wenn, wie zuletzt, US-Außenministerin Condoleezza Rice unter Verweis auf die 1990er Jahre dramatische Rückschritte bei den Menschenrechten im heutigen Russland kritisiert, kontert die Staatsmacht routiniert. "Auf diese Errungenschaften aus den Jelzin-Jahren können wir gut verzichten", lautet die Standardformulierung des Kremls, der in dieser Frage eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich weiß.

Putin bracht mit Jelzins Politik
Der von Jelzin ausgewählte Nachfolger Wladimir Putin ging mit Entschlossenheit gegen die so genannte Familie aus Verwandten und Vertrauten Jelzins im engsten Umfeld der Macht vor. Der Altpräsident selbst wurde mit einer gesetzlich garantierten Straffreiheit aufs Altenteil geschickt.

Einflussreiche Oligarchen aus der Jelzin-Ära, die sich dem neuen starken Mann im Kreml zu widersetzen wagten, landeten entweder wie Michail Chodorkowski im Gefängnis oder zogen es vor, wie Boris Beresowski oder Wladimir Gussinski ins Ausland zu fliehen. Ein anderer aufstrebender Großindustrieller aus jenen Jahren, Roman Abramowitsch, arrangierte sich mit der neuen Macht und stieg zum reichsten Mann Russlands auf.

Ansehen schwand im Laufe der Jahre
Im Westen bleibt Jelzin als ein anfangs mutiger Kämpfer für ein neues Russland in Erinnerung. Unvergessen ist der Moment, als Jelzin auf einem Panzer stehend 1991 die Putschisten in die Schranken wies. Doch mit jedem Jahr an der Macht wandelte sich Jelzin immer mehr zu einem unberechenbaren und führungsschwachen Politiker. Berichte über angeblich zügellosen Wodka-Konsum fügten dem Ansehen weiteren Schaden zu.

Trauriger Höhepunkt war der Anblick des wankenden Jelzins, als er 1995 bei einem Gipfel der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) gestützt werden musste. Im Jahr zuvor hatte er bei einer Zwischenlandung in Irland das Flugzeug nicht zu einem geplanten Treffen verlassen. Später sagte der Staatschef, er sei nicht geweckt worden. Beim Abschied für die russischen Truppen in Deutschland fiel Jelzin 1994 als reichlich beschwingter Dirigent einer Militärkapelle aus dem Rahmen.

Zurückgezogen in letzten Lebensjahren
In seinen letzten Lebensjahren zog sich Jelzin aus der Tagespolitik fast völlig zurück. Wenngleich ihm nicht alles an Putins Politik gefiel, ließ der Altpräsident allenfalls leise Kritik anklingen. In der Öffentlichkeit zeigte sich der Ruheständler zuletzt fast nur als Zuschauer bei Tennisturnieren. "Beeilt euch nicht, mir Denkmäler zu setzen, denn ich werde mindestens 100 Jahre alt", scherzte der Rentner vor einigen Jahren. Doch schon damals wusste der Zeit seines Lebens ehrgeizige Jelzin genau, dass er dieses Ziel nach fünf Infarkten, Magengeschwüren und Lungenentzündungen nicht erreichen würde.

(apa/red)