Nach "Ratten-Gedicht": Strache
zu Van der Bellen zitiert

Präsident: "Hetze gegen Mitmenschen inakzeptabel" - SPÖ will Misstrauensantrag

Bundespräsident Alexander Van der Bellen warnt nach dem ausländerfeindlichen "Ratten-Gedicht" eines Braunauer FP-Funktionärs vor einer Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas. Wie der Bundespräsident in einer Aussendung sagte, hat er darüber am Dienstag ein Gespräch mit FP-Chef Vizekanzler Heinz Christian Strache geführt. "Hetze gegen Mitmenschen werden wir in Österreich niemals akzeptieren." Die SPÖ will indes, dass der Nationalrat Strache das Misstrauen ausspricht. Kanzler Kurz und Vizekanzler Strache verteidigten ihre Reaktion.

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Causa "Ratten-Gedicht" - Nach "Ratten-Gedicht": Strache
zu Van der Bellen zitiert

"In den letzten Tagen und Wochen sind Aussagen öffentlich geworden, mit denen gezielt Hetze gegen einzelne Menschengruppen betrieben wurde. Solche Aussagen führen zur Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas in unserem Land", warnt Van der Bellen in der Aussendung am Mittwoch. Der Bundespräsident lobt darin die "klare Reaktion" von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und nimmt zur Kenntnis, dass im Fall der FPÖ Braunau Konsequenzen gezogen wurden.

Strache zu Gespräch gebeten

Wie Van der Bellen nun berichtet, hat er ebenfalls am Dienstag FP-Chef Strache zu einem Gespräch in die Hofburg gebeten und dabei festgehalten, "dass alle Politikerinnen und Politiker, besonders aber die Funktionäre einer Regierungspartei Verantwortung für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft tragen und für ein Klima des Respekts zu sorgen haben".

Van der Bellen fordert neuerlich "Achtsamkeit beim Gebrauch der Sprache". Als Bundespräsident habe er den Willen und das Wohl aller im Blick zu haben: "Das ist selbstverständlich auch eine zentrale Aufgabe der Bundesregierung unter Führung von Bundeskanzler Kurz und Vizekanzler Strache. Sie sind es, die als Vertreter Österreichs in besonderem Maße für das Ansehen unserer Heimat in der Welt und für den Wirtschaftsstandort Österreich Sorge zu tragen haben."

Dazu interessant: Die lange Liste der "rechten Einzelfälle" der FPÖ

SPÖ bereitet Misstrauensantrag vor

Die SPÖ will, dass der Nationalrat Vizekanzler Heinz-Christian Strache das Misstrauen ausspricht. Einen entsprechenden Antrag wird man in der heute startenden Plenarwoche einbringen, kündigte Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner in einer Pressekonferenz an. Anlass sind jüngste Vorwürfe bezüglich rechtsextremer Verbindungen der FPÖ.

Für Rendi-Wagner trägt hier Strache als Parteichef die Verantwortung. Zudem hatte der Vizekanzler erst jüngst einen Beitrag einer Internet-Seite geteilt, auf der auch schon der Holocaust geleugnet wurde.

Auch Kurz für "Dringliche" in Nationalrat gebeten

Dafür verantwortlich, dass es die FPÖ in die Regierung geschafft hat, ist für die SPÖ freilich Kanzler und ÖVP-Obmann Sebastian Kurz. Daher wird dieser entweder heute oder morgen zu einer "Dringlichen Anfrage" in den Nationalrat gebeten, in deren Rahmen der Regierungschef ein Bekenntnis dazu abgeben soll, dass er Rechtsextremismus in all seinen Formen zu bekämpfen gedenke.

Das Problem an der Sache ist bloß, dass Kurz heute zu einer Reise nach China aufbricht, sich also vertreten wird lassen. Für SPÖ-Klubvize Jörg Leichtfried ist es freilich eine Missachtung des Parlaments, dass Kurz dienstlich immer dann weg sei, wenn das Plenum tage. Angesichts der aktuellen Lage solle er seine China-Reise verschieben, forderte Leichtfried.

Verbindungen zu Rechtsextremen so dramatisch

Was die Situation für die SPÖ so dramatisch macht, sind eben Verbindungen von Freiheitlichen zu rechtsextremen Bewegungen. Dafür hat man Dossiers zu Mitarbeitern in den Ministerien angelegt mit großteils bekannten Fakten, etwa engen Verbindungen zu den Identitären. Für Rendi-Wagner sind in den vergangenen 15 Monaten unter der aktuellen Regierung "Dämme gebrochen", sei einer der Koalitionspartner doch mit Rechtsextremen Netzwerken verbunden.

Damit begründete die SPÖ-Vorsitzende auch, warum sie sich in einem Brief an Bundespräsident Alexander Van der Bellen gewandt hat, damit dieser als moralische und politische Instanz eingreifen möge. Was das Staatsoberhaupt genau tun soll, überlässt Rendi-Wagner diesem. Van der Bellen könne die ihm zur Verfügung stehenden Mittel nützen, meinet sie vage auf entsprechende Nachfragen.

Eher einsilbig reagierte Rendi-Wagner auf Fragen zur Zusammenarbeit ihrer Partei mit den Freiheitlichen im Burgenland und in Linz. Die SPÖ-Chefin verwies einerseits darauf, dass eine Koalition im Bund eine andere staatspolitische Dimension habe, andererseits betonte sie, dass die SPÖ auch auf lokaler Ebene keine Verstrickungen mit rechtsextremen Netzwerken dulde.

"Rote Linien" für Kurz nur "Gummiringerl, die man endlos dehnen kann"

Ob Kanzler Kurz im Bund die ganze Sache im Griff hat, bezweifelte die SPÖ. Denn wenn der ÖVP-Chef "rote Linien" ziehe, seien diese nichts andere als "Gummiringerl, die man endlos dehnen kann", ätzte Leichtfried.

Kurz und Strache verteidigen Reaktion

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) haben ihre Reaktion auf das "Ratten-Gedicht" indes verteidigt. Beide sehen aber auch die SPÖ in der Pflicht, wenn es um Konsequenzen bei Verfehlungen geht. Sie verwiesen am Mittwoch nach dem Ministerrat auf die Beschäftigung von Paul Pöchhacker.

Pöchhacker war jenes SPÖ-Kampagnenmitglied im Nationalrats-Wahlkampf, das manipulierte Facebook-Seiten gegen ÖVP-Chef Sebastian Kurz betrieben haben soll. Im Rennen um die Bundespräsidentschaft hatte er dem nach einem Sportunfall behinderten FP-Nationalratspräsidenten Norbert Hofer Helmut Qualtingers "Krüppellied" gewidmet. Laut Medienberichten ist Pöchhacker mit seiner Firma wieder für die SPÖ tätig.

"Rendi-Wagner fehlt jedwede moralische Legitimation" für Kritik

Wenn es nun um die Kritik an "Einzelfällen" in der FPÖ geht, fehle SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner "jedwede moralische Legitimation", bezog Strache sich auf das Engagement Pöchhackers ("Zeremonienmeister der Hetze"). Auch will sich der FPÖ-Obmann keine anderen Verfehlungen "in die Schuhe schieben lassen", wie Vereine, die mit der FPÖ nichts zu tun hätten. Bei der SPÖ regierten derzeit "Diffamierung", "Denunziation" und "Hetze".

Kurz erinnert an SPÖ-Koalitionen

Kurz stellt sich bei der Kritik an der SPÖ hinter seinen Vize und erinnerte an die Koalitionen der Sozialdemokraten mit der FPÖ in Linz und im Burgenland. Auch will sich der Bundeskanzler laut eigener Aussage immer dann zu Wort melden, "wenn ich das Gefühl habe, dass es notwendig ist". Dies betreffe jede Form von Extremismus und Antisemitismus. Sollte dies ein Regierungsmitglied betreffen, will Kurz auch von seinem Durchgriffsrecht Gebrauch machen.

Regierungsvertreter zufrieden mit Konsequenzen

Auch Regierungsvertreter haben sich mit den Konsequenzen nach dem "Ratten-Gedicht" zufrieden gezeigt. Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP) sah am Mittwoch die Koalitionsarbeit nicht gefährdet. Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) ortete eine Schieflage bei der Beurteilung solcher Fälle.

Blümel: "Arbeit läuft sehr gut"

Blümel stellte sich bei der Beurteilung der Causa hinter Bundeskanzler Sebastian Kurz und Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (beide ÖVP), die klar gemacht hätten, " dass so etwas nicht infrage kommen kann". Aber auch die FPÖ habe die Konsequenzen aus der Veröffentlichung des Gedichts gezogen. "Die Koalitionsarbeit läuft sehr, sehr gut", betonte Blümel und verwies auf diverse Gesetzesvorhaben, die in einer anderen Koalition nicht möglich gewesen wären.

Faßmann: "Schwieriges Thema" - aber zufrieden mit Reaktion

Als "schwieriges Thema" bezeichnete Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) den Vorfall. Er sei "nicht nur überrascht, sondern auch entsetzt" über das Gedicht gewesen, betonte er. Aber auch Faßmann zeigte sich mit der Reaktion durch die FPÖ-Spitze zufrieden und verwies auf rote Linien, die nicht überschritten werden dürften. Die Empörung der SPÖ sieht er differenziert, sei diese doch anderswo ebenfalls in einer Koalition mit den Freiheitlichen.

Kickl ortet "Schieflage in Wahrnehmung"

Auch für den blauen Innenminister Kickl ist es wichtig, wie man mit "Einzelfällen" wie diesem umgeht. Die eigenen Mitglieder dahin gehend verstärkt zu beobachten bedeute allerdings eine "Stasi innerhalb der Partei", betonte er. Auch Kickl nahm die SPÖ in die Pflicht, aus deren Reihen ebenso Vergleiche der FPÖ-Wähler mit Ratten gekommen seien. Kickl ortet dahin gehend eine "gewisse Schieflage in der öffentlichen Wahrnehmung".

SPÖ-Kritik für ÖVP "unglaubwürdig"

Für ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer ist die Kritik der SPÖ an der Regierungszusammenarbeit mit den Freiheitlichen "unglaubwürdig". Und zwar so lange, bis die Sozialdemokraten ihre Koalition mit den Freiheitlichen im Burgenland und in Linz nicht beendet haben, so Nehammer in einer Aussendung.

"Es bleibt abzuwarten, ob sie dort auch auf die Hilfe des Bundespräsidenten hofft", meinte der ÖVP-Generalsekretär in Anspielung auf den Brief von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner an Bundespräsident Alexander Van der Bellen, in dem sie das Staatsoberhaupt um Unterstützung ersucht hatte. Die Volkspartei habe nach dem "widerwärtigen Gedicht" des Braunauer Vizebürgermeister "klar eine Grenze gezogen", argumentierte Nehammer.

"Mangelnde politische Hygiene" in SPÖ

Der Generalsekretär der Volkspartei ortete wiederum in den Reihen der SPÖ "mangelnde politische Hygiene". Schließlich stehe "jener Mitarbeiter, der gemeinsam mit Silberstein die antisemitischen und rassistischen Fake-Facebook-Seiten betrieb nach wie vor im Dienste der SPÖ", meinte Nehammer in Bezug auf einen entsprechenden Bericht der "Presse" vom Mittwoch. Hier seien Rendi-Wagner und ihr Bundesgeschäftsführer Drozda "mehr als gefordert".

Bürgermeister bereits zurückgetreten und aus Partei ausgetreten

Der Rücktritt des Braunauer Vizebürgermeisters Christian Schilcher ist mittlerweile offiziell vollzogen, ebenso sein Parteiaustritt. Das gab Bezirksparteiobmann Landtagsabgeordneter David Schießl am Mittwoch auf APA-Anfrage bekannt. Ein Nachfolger soll kommende Woche bestimmt werden.

Wer Schilchers Agenden künftig wahrnehmen wird, stehe noch nicht fest, so Schießl, das sollen die zuständigen Gremien nun beraten. Er rechne damit, dass Anfang oder Mitte kommender Woche der Nachfolger feststehen werde. Dieser soll dann in der nächsten Gemeinderatssitzung am 23. Mai offiziell das Amt übernehmen. Auf der Homepage der Stadt Braunau ist derzeit nur ein - statt zuvor zwei - Vizebürgermeister vermerkt, jener der ÖVP.

Noch ein Brief an Van der Bellen

Die oberösterreichische SPÖ-Vorsitzende Landesrätin Birgit Gerstorfer hat am Montag indes wie angekündigt einen Brief an Bundespräsident Alexander Van der Bellen geschickt, in dem sie ihn ersucht, sein "ganzes politisches Gewicht einzusetzen, um diesen unerträglichen Zustand, der nicht nur meinem Bundesland, sondern ganz Österreich enormen Schaden bereitet, zu beenden". Sie verwies in einer Aussendung auf "die Verbindungen zahlreicher FPÖ-Funktionäre und -Mitarbeiter zur rechtsextremen Szene sowie das widerliche 'Ratten-Gedicht'". Man könne "jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen und so tun, als sei alles erledigt, nur weil der eigentliche Autor des Gedichts offensichtlich zum Rücktritt gezwungen wurde", so Gerstorfer.

Rendi-Wagners Brief an Van der Bellen

Pamela Rendi-Wagner wählte gestern einen eher ungewöhnlichen Weg im Kampf gegen die Regierung. Sie schrieb einen Brief an Bundespräsident Alexander Van der Bellen, in dem sie das Staatsoberhaupt um Unterstützung ersuchte.

Bezug nehmend etwa auf das umstrittene "Ratten-Gedicht" schreibt sie: "Wir erleben, dass die Grenzen des politischen und menschlichen Anstands laufend ohne Konsequenz überschritten und damit immer weiter verschoben werden." Daran dürfe sich Politik nie gewöhnen. Es müsse Grundkonsens bleiben, dass Menschen nie beleidigt, herabgesetzt oder gedemütigt werden dürfen.

Fakt sei jedoch, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nicht willens oder in der Lage scheine, diese Entwicklung zu beenden. Deshalb ersuche sie Van der Bellen als wichtige moralische und politische Instanz, Einfluss geltend zu machen, um entsprechenden Entwicklungen Einhalt zu gebieten.

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