Lars von Trier: "Ich bin Opfer
von Twitter geworden."

Kult-Regisseur nach sieben Jahren Bann wieder auf Festival vertreten

Manche Zuschauer empfanden Lars von Triers neues Werk, "The House That Jack Built" über einen Serienkiller, in Cannes als so grausam, dass sie die Vorführung verließen. Er versuche nun einmal in seinen Werken, so weit wie möglich zu gehen, sieht der dänische Skandalregisseur im dpa-Interview das Ganze gelassen. Der Film mit Matt Dillon und Bruno Ganz wurde außerhalb des Wettbewerbs gezeigt.

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Filmfestspiele Cannes - Lars von Trier: "Ich bin Opfer
von Twitter geworden."

APA: Wollten Sie mit dem Thriller schockieren?
Lars von Trier: Ich versuche immer, so weit wie möglich zu gehen. Das Publikum kann aus der Vorführung gehen oder nicht. Aber Dinge, die im wahren Leben passieren, sind schlecht, übel und böse. Und das sollte in Filmen erzählt werden, gleich ob Fiktion oder nicht.

Es stört Sie also nicht, wenn die Zuschauer vorzeitig Ihre Filme verlassen?
Von Trier: Das ist gut so, denn das bedeutet, dass der Film etwas bewegt, zu denken gibt.

Sie wurden vor sieben Jahren wegen Ihrer Aussage, dass Sie ein "ein bisschen" mit Adolf Hitler sympathisieren, in Cannes zur "Persona non grata" erklärt. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Von Trier: Ich denke, ich bin Opfer von Twitter geworden. Das war sehr schmerzlich. In meiner Heimat hätte man mich richtig verstanden. Ich war naiv, denn Frankreich hat große Probleme mit seiner Vergangenheit und dem Vichy-Regime. Ich hätte das wohl eher noch in Deutschland sagen können, nicht aber in Frankreich.

Hat Sie das überrascht, dass Sie seit diesem Skandal im Jahr 2011 wieder nach Cannes geladen wurden?
Von Trier: Damit habe ich nicht gerechnet. Das war ebenso überraschend wie zur Persona non grata erklärt zu werden. Aber eigentlich bin ich sogar etwas stolz darauf, denn ich kenne niemanden außer mir, der diesen Status erhalten hat. Nicht mal Harvey (Weinstein).

Was halten Sie von der #MeToo-Debatte, die das diesjährige Festival bestimmt und immer größere Kreise zieht?
Von Trier: Niemand kann fehlerfrei durchs Leben gehen. Jeder hat irgendwann einmal etwas zu bedauern. Aber das ist eine gute Idee, dafür ist auch das Internet gemacht. Ich sehe darin aber auch Gefahren. Menschen werden schuldig gesprochen ohne Richter.

Ist Ihr aktueller Film mehr noch als die vorherigen ein Selbstporträt?
Von Trier: Er ist nicht als Selbstporträt gedacht. Aber ich finde mich in allen Charakteren wieder. In dem des Serienkillers Jack am meisten. Er glaubt, dass er ein Künstler ist, und das glaube ich auch von mir.

Info zur Person:
Lars von Trier wurde am 30. April 1956 in Kopenhagen geboren. Der Filmregisseur und Drehbuchautor ist Mitbegründer der Dogma-Bewegung. Er gehört zu den bedeutendsten, aber auch umstrittensten zeitgenössischen Regisseuren. Zu seinen preisgekrönten Filmen gehören "Dogville", Melancholia" und "Dancer in the Dark", für den er in Cannes 2000 die Goldene Palme erhielt.

Zum Film:

Außerhalb des Wettbewerbs platziert, ist Lars von Trier mit "The House Jack Built" eine monumentale Serienmörderparabel gelungen - selbstreferenziell, manisch, groß.

Minutenlange stehende Ovationen waren die Quittung nach der Weltpremiere Montagnacht im Palais des Festival - und einige Buhs, mutet von Trier seinem Publikum mit "The House That Jack Built" doch gewohntermaßen viel zu, in diesem Falle körperliche Brutalität. Das standen nicht alle Zuseher bis zum Ende hin durch.

Dämonisch-schwarze Komödie

Auf der ersten Ebene ist die zweieinhalbstündige Arbeit eine dämonisch-schwarze Komödie über den titelgebenden Serienmörder, gespielt von Matt Dillon. Der mordet sich ungeachtet aller Erschwernisse dank seines Putzzwangs durch die Jahre und sammelt Dutzende Leichen in seinem Kühlhaus. Als erste muss Uma Thurman ihren Kopf für einen Wagenheber hinhalten, bevor die nächste Frauenleiche so lange über eine Straße geschleift wird, bis ihr Gesicht verschwunden ist. Wem da noch nicht flau im Magen ist, für den hat von Trier noch ein Entenküken, dem ein Bein abgeschnitten wird, und zwei Kinder, die vom Hochstand aus gejagt werden, in petto.

Bisweilen schildert von Trier einzelne Sequenzen quälend lange, in anderen Fällen scheint er das vermeintlich Wesentliche zu überspringen. Über den Gang der Erzählung hinweg wird Jack gleichsam ein Forrest Gump der Serienmörder, in seiner Abartigkeit dennoch eine Art All-American und als Mr. Sophistication Medienstar. Und doch belässt es der Regisseur nicht bei der vermeintlich oberflächlichen Ebene eines Thrillers, sondern strukturiert seine Erzählung gewohntermaßen in Kapitel, verwickelt sie in ein Spiel mit Stil und Philosophie.

So greift der Regisseur in seine mittlerweile reich gefüllte Schatzkiste, die Jumpcuts und bewusste Unschärfen aus der Dogma-Zeit ebenso umfasst wie das breite Tableau. Er vermengt philosophische Diskurse, Krimispannung und dunkelsten Humor mit Arthaussymbolismus.

So groß wie manisch

Mit der lange offen gehaltenen Figur Verge, gesprochen von Bruno Ganz, sinniert Jack im Off über die Familie und den Mord als Kunst, über die Parallelen zwischen körperlichem Verfall und der Weinproduktion, die Ikonografie von Ruinen und den großen Diktaturen. Zugleich ironisiert von Trier diese Exkurse, zitiert aus seinen alten Filmen, relativiert die Positionen in dem Moment postmodern wieder, in dem er sie aufbaut. Und damit ist von Trier ein ebenso großes wie manisches Werk gelungen, das dabei immer auch über sich selbst lachen kann.

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