Die Cannabis-Lüge:
"Kiffen als Medizin ist absurd"

Suchtmediziner warnt vor Verharmlosung der gesellschaftsfähig gewordenen Droge

Cannabis hilft, es ist gesund, es ist gesellschaftsfähig: Vor allem auf die medizinische Wirkung bauen viele Menschen, auch in Österreich. Aber was kann die Pflanze wirklich, wogegen wirkt sie? Kiffen ist bei weitem nicht so harmlos wie es propagiert wird, warnt Suchtmediziner Kurosch Yazdi in seinem neuen Buch "Die Cannabis-Lüge". Er verdammt nicht das Kiffen per se, sondern die Verharmlosung - und das Millionengeschäft mit dem grünen Gold auf Kosten von Menschen.

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Marihuana - Die Cannabis-Lüge:
"Kiffen als Medizin ist absurd"

Laut dem österreichischen Drogenbericht 2015 haben 30 bis 40 Prozent zumindest einmal in ihrem Leben Cannabis konsumiert. Die Cannabispflanze enthält über 100 nachgewiesene Cannabinoide, die zwei bekanntesten Wirkstoffe der Pflanze sind Cannabidiol (CBD) und Tetrahydrocannabinol (THC). Während CBD antipsychotisch, antiepileptisch und angstlindernd wirkt, gilt THC als schmerzstillend, muskelkrampflösend, appetitanregend - und berauschend. Medizinisch gesehen sind diese Eigenschaften durchaus nützlich, dennoch ist für Buchautor und Mediziner Kurosch Yazdi nicht alles im grünen Bereich:

Sie schreiben "Kiffen gehört zum guten Ton". Wie sehr hat sich diese Droge in Österreich bereits etabliert?
Natürlich haben viele Bevölkerungsgruppen gar nichts mit Kiffen zu tun. Aber ich sehe schon einen Wandel, speziell bei Jugendlichen. Beim Kiffen ist gerade in den letzten drei, vier Jahren zu beobachten, dass es viele Jugendliche für harmloser halten als in den Jahren davor. Und es gibt zunehmend 16- bis 18-Jährige die wirklich regelmäßig kiffen, also ein bis zweimal die Woche. Das trifft mittlerweile genauso auf Studenten zu. Bei manchen Gruppen stellt sich eher die Frage: "Wer kifft da nicht? Und wie kann ich noch zugehörig sein?"

Dr. Yazdi
© Christoph Gantner Suchtmediziner Kurosch Yazdi
»Ich frage meine Patienten auch nicht: "Hätten sie lieber Aids oder Krebs?"«

Österreichs legale Volksdroge ist der Alkohol. Was wäre anders, wenn Marihuana an der Stelle von Alkohol stehen würde?
Ich habe prinzipiell überhaupt kein Problem mit irgendeiner Droge, solange sie in einem Ausmaß konsumiert wird, in dem ich mir oder anderen keinen Schaden zufüge. Ich habe unter diesem Kriterium kein Problem, wenn jemand in geringen Mengen Alkohol konsumiert, obwohl die meisten meiner Patienten alkoholkrank sind. Ich habe kein Problem, wenn jemand einmal im Jahr Kokain konsumiert, solange er sich und anderen damit nicht schadet. Ich bin ja kein Polizist, sondern Mediziner. So gesehen habe ich auch als Mediziner mit dem Kiffen kein Problem. Aber man soll generell nicht ein Übel mit dem anderen vergleichen. Ich frage meine Patienten auch nicht: "Hätten sie lieber Aids oder Krebs?". Der Vergleich hinkt.

Ab welcher Menge ist Kiffen nicht schädlich?
Für die meisten Menschen ist seltenes Kiffen, einmal im Monat oder ein paar Mal im Jahr, medizinisch gesehen kein Problem. Solange man sich danach ein paar Tage lang nicht hinters Steuer setzt oder sich selbst und anderen anderswie schadet. Es gibt aber ein paar Prozent der Bevölkerung, die auf Cannabis sehr stark psychotisch reagieren können. Für sie kann es längerfristig zu einem Problem werden. Leider wissen wir im Vorhinein nicht, wer diese paar Prozent sind.

Was bewirkt der regelmäßige Konsum?

Wenn man ein Achterl Wein am Abend trinkt, hat man am nächsten Tag in der Früh schon null Alkohol im Blut. Jemand, der ein- bis zweimal die Woche kifft, hat durchgehend THC im Körper. Angenommen Sie rauchen einen ganzen Joint, kann ganz sicher noch 5 Tage später THC im Körper nachgewiesen werden. Wenn jemand regelmäßig kifft, beispielsweise am Freitag, Samstag und Sonntag, kann der Wirkstoff nach drei Wochen ohne Konsum immer noch nachgewiesen werden. Warum? THC ist fettlöslich, es verteilt sich im Fettgewebe und kommt dann langsam aus dem Fettgewebe wieder heraus. Der Mensch ist nicht 3 Wochen lang high. Auch wenn er es nicht spürt, seine Konzentration, seine Gedächtnisleistung und seine Fahrtüchtigkeit sind vermindert.

»Heutzutage ist es ein ganz anderes Zeug als in den 1970ern, nur nennen wir es gleich.«

Ist der vermehrte und gesellschaftsfähige Konsum von Cannabis als eine Art Revival der Flower-Power-Zeit zu sehen?
Ich wünschte es wäre so. In den 1970er Jahren ist kaum jemand durch das Kiffen psychotisch geworden. Damals hatte das normale Marihuana in Europa etwa 1 bis 2 Prozent berauschendes THC und vom gesunden Cannabidiol ungefähr 0,5 Prozent. In den 1980er und 1990er Jahren waren es rund 2 bis 4 Prozent THC, heute sind es 10 bis 15 Prozent in Europa. In Amerika verkaufen einzelne Marken legal Marihuana mit bis zu 38 Prozent THC. Wenn die Leute in den 70ern psychotisch werden wollten, haben sie LSD oder Psilocybin, narrische Schwammerln, genommen. Das Cannabis heutzutage ist ein psychodelisches. Insofern ist es kein Revival, weil es ein ganz anderes Zeug ist. Wir nennen es nur gleich.

Warum enthält das medizinisch eingesetzte Cannabis in den USA so viel an dem berauschenden Stoff THC?
Der erste, undifferenzierte Grund ist, dass die medizinische Freigabe in Amerika nur eine Hintertür ist, damit die Leute legal kiffen können. In Kalifornien ist Cannabis nur für chronische Erkrankungen medizinisch zugelassen. Laut Statistiken liegt das Durchschnittsalter bei 23 Jahren. Heißt das, in Kalifornien sind alle 23-Jährigen chronisch krank? Das ist absurd. Der zweite Punkt ist, dass CBD und THC gewisse medizinische Effekte haben. THC ist muskelkrampflösend, das betrifft beispielsweise Patienten mit Multiple Sklerose. Und es wirkt appetitanregend, zum Beispiel bei Aids-Erkrankten oder gegen Übelkeit während Chemotherapie bei Krebs-Patienten. Ich bin kein Fanatiker. Ich sage nicht: "THC ist böse". Dort, wo es nichts Besseres gibt, soll man es unbedingt einsetzen. Nur dafür braucht man nicht kiffen. Das THC gibt es schon in Tabletten und Tropfenform, auch in Österreich.

»Eine genaue Dosierung ist beim Kiffen nicht möglich«

Wenn sie den prinzipiellen medizinischen Einsatz von Cannabis befürworten. Was spricht dann gegen das Kiffen als Medizin?
Kiffen als Medikament ist absurd. Eine genaue Dosierung ist in der Medizin seit Jahrzehnten Standard, weil man eine Dosis will, die gerade ausreicht die Erkrankung zu behandeln, aber nicht viele Nebenwirkungen hat. Bei jedem Medikament geben Ärzte Milligramm genau an, wie viel sie von einem Stoff wollen. Das ist beim Kiffen nicht möglich. Man weiß nicht wie viel Prozent THC enthalten sind, wie tief jemand inhaliert oder ob er einen Filter verwendet oder nicht.

Und wenn der Joint vom Arzt selbst kommen würde?
Selbst dann ist eine Dosierung nicht möglich. Was sagen Sie dem Patienten? Ziehen Sie jede Minute 7 Sekunden lang an? Da sind Schwankungen von zighundert Prozent dazwischen. Es kommt auch darauf an, wie fest jemand anzieht, welche Verbrennungstemperatur entsteht. Und noch ein Argument spricht medizinisch gesehen gegen das Kiffen. In der Marihuana-Pflanze sind ganz viele andere Substanzen enthalten, von denen wir nicht einmal ungefähr wissen, ob sie etwas tun oder was sie tun. Wie rechtfertigt ein Arzt, dass er etwas verschreibt, von dem er nicht weiß, wie es auf Dauer wirkt?

»Ein Cannabis-Empfehlungsschreiben kostet den Arzt circa fünf Minuten Zeit und er bekommt 40 bis 100 Dollar dafür.«

Wer verdient in den Ländern, wo es den Joint auf Rezept gibt, an der Cannabis-Maschinerie?
Von den kleinsten Unternehmen bis hin zur Tabakindustrie, die sich auf das Thema stürzt, verdienen alle daran: Es verdienen lizensierte Abgabestellen, Zwischenhändler, Biologen, die das Cannabis züchten, und die Ärzte. Gerade in gewissen US-Bundesstaaten wie Kalifornien gibt es viele Hausärzte, sogenannte Green-Doctors, die nichts anderes mehr tun, als Cannabis zu verschreiben. Ein Cannabis-Empfehlungsschreiben kostet den Arzt circa fünf Minuten Zeit und er bekommt 40 bis 100 Dollar dafür. Ich habe es selbst erlebt in Kalifornien. An den populären Stränden gibt es kleine Standln, ähnlich einem Würstelstand, in denen ein verschlafener Hausarzt mit Bermudahemd, Badehose und Flip-Flops sitzt. Dort gehen Leute hin und sagen: "Ich brauche eine Cannabis-Erlaubniskarte." Der Arzt fragt: "Was hast du denn?". Dann antwortet man, dass man dauernd Kopfweh hat. Fertig, damit ist das erledigt. Daneben ist gleich der nächste Stand, eine geschäftstüchtige, lizensierte Abgabestelle für Cannabis. Sieben gut angezogene Mitarbeiter stehen dort und beraten einen, was am besten hilft - nicht gegen die Kopfschmerzen, woher sollen die Angestellten das wissen. Sondern sie sagen: "Von dem sind sie total benebelt, von dem nur halb so viel". Was hat das bitte mit Medizin zu tun? Die Wirtschaft wird dadurch belebt, aber zu welchem Preis?

Was sagen Behörden und Politik dazu?
Das absurde in Amerika ist, wie jetzt auch in Deutschland seit kurzem, dass die FDA, die amerikanische Arzneimittelbehörde, Cannabis-Medikamente eigentlich für zwei Indikationen zugelassen hat. Die Politik hat aber eine Liste von Erkrankungen wie Schlafstörungen oder Kopfschmerzen erstellt. Für sie darf ein Arzt Cannabis verschreiben und bei allen anderen Zuständen, für die es der Arzt passend findet. Was ist das für eine Zulassung? Bei keinem anderen Medikament der Welt würde es die Politik wagen, der Arzneimittelbehörde dreinzureden. Die Politik agiert so, weil sie Angst hat Wähler zu verlieren. Sogar die CDU in Deutschland, die bisher gegen das Kiffen war, traut sich mittlerweile nichts mehr zu sagen.

Seit 1. März bekommen in Deutschland schwer Erkrankte Cannabis auf Rezept. Wie stehen Sie zu der Gesetzesänderung?
Das deutsche Gesetz hat nicht detailliert gesagt, was Cannabis bedeutet. Es ist einem deutschen Arzt völlig freigestellt, ob er die bereits bekannten Medikamente verschreibt oder Haschisch und Marihuana. Das Gesetz sagt auch, dass eine staatliche Agentur die Konzentrationen von THC in Cannabis kontrollieren soll, wobei festgesetzte Konzentrationen von THC wieder nicht im Gesetz stehen. Und die europäische Arzneimittelbehörde, die eigentlich für die Zulassung von Medikamenten zuständig wäre, hat das Kiffen für keine Indikation medizinisch zugelassen. Ich habe die Sorge, dass Österreich dem deutschen Gesetz, das völlig unzureichend ist, nacheifert.

Was sagen Sie jenen Österreichern mit chronischen Schmerzen, die kiffen, weil die Krankenkasse eine teure Therapie mit Cannabis-Medikamenten nicht übernimmt und sich die Patienten diese daher nicht leisten können?
Ich leite eine Suchtabteilung. Was glauben Sie, wie viele Anfragen wir von Menschen haben, die gelesen oder gehört haben, dass Cannabis gegen ihre Erkrankung hilft. Diese Leute machen richtig Druck. Wenn einmal die Erkrankung tatsächlich dazu passt und ich mir denke, in diesem Fall könnte Cannabis helfen und ich will das Medikament verschreiben, sagt der Patient: "Nein, nein. Ich will Marihuana". Dann sage ich, dass ich das gar nicht verschreiben darf in Österreich. Und darüber bin ich froh, weil ich dem Patienten sonst stundenlang erklären müsste, warum ich es ihm sicher nicht verschreibe. Der Patient geht hinaus und denkt sich: "Der Arzt ist ein Trottel". Aus meiner Erfahrung heraus sind das meistens Menschen, die vorher nicht schon alle anderen zugelassenen Medikamente für ihre Erkrankung ausprobiert haben. Ich frage den Patienten: "Sie haben noch nichts probiert, warum wollen sie dann Cannabis?". Er sagt, er hat gehört, dass es so gut hilft. Ich sage darauf: "Nein, das ist nicht wahr". Und er sagt: "Doch Herr Doktor, ich habe es schon probiert, das ist so, glauben Sie es mir". Ich verstehe, dass man zu allem bereit ist, wenn man einen Leidensdruck hat. Und es geht einem kurzfristig besser, wenn man kifft. Aber das heißt nicht, dass meine Erkrankung besser wird. Viele Patienten haben laut Studien immer noch Schmerzen, geben aber an, dass es ihnen trotzdem besser geht. Das ist klar, mit Alkohol wäre es genau dasselbe. Ich kann jedem Schmerzpatienten Alkohol geben und es geht ihm kurzfristig besser, weil Alkohol schmerzstillend ist.

Und was ist mit dem finanziellen Aspekt?
Wenn die Diagnose richtig ist, von einem Facharzt erstellt wurde und andere Medikamente nicht helfen, sollte die Krankenkasse die Kosten für Cannabinoide in Arzneimitteln übernehmen.

Wie lautet Ihr Fazit?
Wenn es tatsächlich neuropathische Schmerzen (bei Schädigungen oder Erkrankungen des Nervensystems; Anm. der Red.) sind, könnte es sein, dass Kiffen auch einen medizinischen Effekt hat. Das gilt aber für Heroin genauso. Der Junkie, der sich Heroin spritzt, behandelt gleichzeitig eventuelle Schmerzen. Heroin ist eines der stärksten Schmerzmittel. Ich sage nur, man muss an Cannabis als Medizin die selben Maßstäbe ansetzen, wie bei jedem anderen Medikament: genaue Dosierung, Beachtung der Nebenwirkungen, Aufklärung über die Nebenwirkungen und wenn es ein Medikament mit Suchtpotential ist, muss es beschränkt werden. Und man darf nicht so tun, als würde es gegen jede beliebige Erkrankung helfen. Wenn ich Cannabis google, bekomme ich den Eindruck als wäre es ein Allheilmittel. Es gibt 10 Mal mehr Kochbücher über Cannabis als aufklärende Bücher.

Buchcover die Cannabis-Lüge
© Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag GmbH


Dr. Kurosch Yazdi
"Die Cannabis-Lüge"
Warum Marihuana verharmlost wird und wer daran verdient
256 Seiten | Broschur
ISBN 978-3-86265-633-2
​14,99 Euro



Zur Person:
Dr. Kurosch Yazdi wurde 1976 im Iran geboren und ist Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin. Er studierte in Wien Medizin und absolvierte in Salzburg seine Facharztausbildung. Seit 2012 leitet er die Abteilung für Suchtkranke der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg in Linz. "Die Cannabis-Lüge" ist sein zweites Buch. Sein erstes Buch erschien 2013 und trägt den Titel "Junkies wie wir - Spielen. Shoppen. Internet. Was uns und unsere Kinder süchtig macht".