Grünes Gold

Das Kiffer-Image wird die Hanfpflanze nicht so schnell los, doch das legale Geschäft mit dem Hanf blüht auf. Ob bei Krebs, chronischen Schmerzen, Menstruationsbeschwerden, Schlafstörungen oder Nervosität: Immer mehr Ärzte und Wissenschaftler setzen auf die Behandlung mit Cannabis.

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Cannabis - Grünes Gold

Als Stefan G. vor zwei Jahren einen schweren Radunfall hatte, dachte er, er könne nie wieder schmerzfrei sein. Diagnose: Wirbelbruch. Dazu kam eine Hirnblutung. Sechs Wochen musste er im Krankenhaus bleiben, dazu kam ein längerer Reha-Aufenthalt. Das lange Liegen führte zu Verspannungen, das Mieder zur Stabilisierung seiner Wirbelsäule stach und schmerzte ihn den ganzen Tag.

Nichts schien zu helfen. Dann kam der 42-Jährige auf die Idee, jenes Kraut, das er früher zum Spaß geraucht hatte, als Behandlungsmethode in Erwägung zu ziehen. Doch: Die Medikamente sind sehr teuer, kaum ein Arzt in Österreich verschreibt sie. "Die haben zu viel Angst vor der Kassa", glaubt der Projektmanager. "Viele Ärzte schalten auch auf stur und sind nicht gesprächsbereit, wenn es um Cannabismedizin geht."

Er konsultierte einen der wenigen österreichischen Experten im Bereich der Cannabismedizin, Allgemeinmediziner Kurt Blaas. Nach etlichen Terminen, bei denen Stefan G.s Krankengeschichte analysiert wurde, erhielt er endlich ein Rezept.

Um seine Schmerzen in den Griff zu bekommen, bekam er dank ärztlicher Verschreibung Dronabinol verabreicht: Die Tropfen nahm er verdampft, mittels Vaporisator, ein. "Ich hatte das Gefühl, dass sich mein Geist und die Muskulatur zunehmend entspannen konnten, somit der ganze Körper. Die Anspannungen ließen nach." Man wisse zwar immer noch, dass man Schmerzen habe, aber man gehe anders damit um, schildert Stefan G. "Die Lebensqualität hat sich definitiv verbessert, und die Schmerzen haben nachgelassen." Heute ist der Projektleiter wieder gesund und schmerzfrei. Die Medikamente muss er heute nicht mehr einnehmen.

Gesetzliche Grauzone

Obwohl immer mehr Forschungsarbeiten und Studien die schmerzlindernde, entzündungshemmende Wirkung von Cannabinoiden bestätigen, bleiben nationale Gesetze lückenhaft, was die Verwendung betrifft. Das Suchtmittelgesetz regelt Anbau, Besitz und Konsum von Cannabis in Österreich und ist hauptsächlich als Strafgesetz bekannt. Was genau ein Suchtmittel ist, ist in der Suchtgift-Grenzmengenverordnung geregelt. Diese gibt vor, wie hoch die Reinsubstanzen eines Wirkstoffes sein dürfen.

Der Anbau von Hanf ist in Österreich unter bestimmten Bestimmungen erlaubt. Aber ab dem Zeitpunkt, an dem die Pflanze zur Blüte gebracht und geerntet wird, geht der Staat von Suchtmittelgewinnung aus.

Wenn dieser nicht legal aufgrund einer behördlichen Bewilligung erfolgt, ist der Umgang mit Cannabis unter Strafe verboten, erklärt der Anwalt Paul Kessler. "Der Strafrahmen des Suchtmittelgesetzes reicht von Geldstrafen bis Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren", so Kessler. Dabei werden privater Konsum und Besitz von Cannabis weniger streng geahndet als Anbau und Verkauf. Trotzdem kann nicht von einer Legalisierung des angepriesenen Heilkrauts gesprochen werden. Denn immer noch werden Menschen verurteilt, die sich die teuren Therapien mit Cannabisprodukten nicht leisten können und sich deshalb mit illegalem Cannabiskonsum behelfen. "Die Therapien können bis zu 400 Euro pro Monat kosten", erklärt Kessler. Denn die Kassa übernimmt die Kosten in den seltensten Fällen. "Oft wird Cannabis dann entweder illegal angebaut oder gekauft und dann geraucht."

Keine Legalisierung

Insgesamt wurde allein im Jahr 2016 eine Tonne an illegalen Cannabisprodukten sichergestellt. "Somit ist Cannabis die mit Abstand am weitesten verbreitete Droge in Österreich", so Kessler. Bei Weitem nicht alle Menschen rauchen aus medizinischen Gründen. Aber die, die es ohne Genehmigung tun, treffen die Strafen ebenso hart. Kessler wollte mit rechtlichen Argumenten gegen die Bestrafung von Menschen vorgehen, die nachweislich allein zu medizinischen Zwecken konsumieren oder anbauen. "Das Suchtmittelgesetz bietet für solche Fälle aber keine Grundlage. Der Umgang mit Cannabis als Suchtmittel ist unter Strafe verboten, egal, zu welchem Zweck." Das sei aus rechtlicher Sicht auch richtig, nur differenziert das Gesetz hier zu wenig.

Entkriminalisierung wäre das richtige Stichwort. Ob diese im Zuge des Berichtes zum therapeutischen Einsatz von Cannabis in der Medizin, mit dem der Gesundheitsausschuss des Nationalrates Ministerin Beate Hartinger-Klein kürzlich beauftragt hat, forciert oder zurückgedrängt wird, bleibt abzuwarten.

Ergänzung statt Ersatz

"Es geht nicht um die Frage, wie gut oder schlecht Haschisch für die Gesellschaft ist", erklärt Fachmediziner Martin Pinsger. "Eine Legalisierung würde die Medikation ja nicht beeinflussen." Entscheidend könnte sich die Entkriminalisierung aber auf die Rückerstattung der Behandlungskosten auswirken.

Der Facharzt für Orthopädie, Schmerztherapie und Allgemeinmedizin im Schmerzkompetenzzentrum in Bad Vöslau gilt als Pionier im Bereich der Cannabismedizin und einer der wenigen, die auch Seminare für jene Ärzte anbieten, die ihr Wissen erweitern wollen. Von den rund 44.000 Ärzten in Österreich beschäftigen sich nur 300 bis 400 genauer mit dem Thema, meint Pinsger. "Viele wissen nichts über die Behandlungsmöglichkeiten mit Cannabis. Dabei ist es eine tolle Methode, auch für Ärzte", so der Mediziner. Denn so könnte man Patienten endlich einen Ausweg aus der Schmerzspirale bieten.

Cannabis wird bei vielen chronischen, onkologischen Erkrankungen, Schmerzen, Verspannungen, Schlafstörungen und Entzündungen eingesetzt, erklärt der Experte. Auch bei Angststörungen, Depression und Epilepsie habe man bereits gute Resultate erzielt. "Chronische Schmerzen stören das Wohlfühlsystem. Wenn man nur mehr leidet, Schmerzen hat und nicht mehr schlafen kann, dann hat man ein gestörtes endocannabinoides System."

»Viele Ärzte wissen nichts über die Behandlungsmöglichkeiten mit Cannabis«

Dieses endocannabinoide System ist ein Teil des körpereigenen Nervensystems. Cannabinoide wie Cannabidiol, kurz CBD, aktivieren die Cannabinoid-Rezeptoren, man fühlt sich entspannt und beruhigt. CBD ist nicht psychoaktiv, beeinflusst die menschliche Psyche also nicht in dem Ausmaß wie das bekanntere Cannabinoid Tetrahydrocannabinol (THC). Je nach Wirkstoff und Konzentration sind die Präparate rezeptpflichtig oder in Growshops und Apotheken rezeptfrei erhältlich. Kostenpunkt der CBD-Öle: zwischen 50 bis 80 Euro für zehn Milliliter.

"Man greift in ein System ein, das alles im Körper mit beeinflusst, kann aber nicht punktuelle Probleme lösen." Eine Behandlung mit Cannabispräparaten ersetzt keine Operation, und man kann damit auch keine direkte Heilung erzielen, aber das erziele man mit Schmerzmitteln ja auch nicht, erklärt Pinsger. "Wenn Menschen zu mir in die Praxis kommen, die bereits 15 Bandscheibenoperationen hatten und immer noch über Schmerzen klagen, dann kann man das so in den Griff bekommen."

Obwohl manchen Cannabinoiden sogar nachgesagt wird, den Körper bei der Zerstörung von Krebszellen unterstützen zu können und die Tumorbildung zu hemmen: Cannabis kann keine medizinischen Wunder vollbringen und ist auch kein Allheilmittel. Aber es kann einen Beitrag dazu leisten, dass ein kranker, schmerzgeplagter Mensch wieder mehr Lebensqualität bekommt und die Schmerzspirale beendet wird. "Viele Patienten mussten die Erfahrung machen, dass klassische Behandlungen nur bedingte Erfolgschancen hatten", meint Klaus Hübner von der Arge Canna. Es komme zunehmend zu einem Paradigmenwechsel, bei dem Natur-und Schulmedizin komplementär eingesetzt werden.

Mögliche Nebenwirkungen

Manche seiner Patienten nehmen das Präparat drei bis vier Tage lang ein, andere nehmen es dauerhaft. "Meistens ist es so, dass das Medikament abgesetzt wird, sobald die Patienten entspannt sind." Behandelt wird im Schmerzkompetenzzentrum mit Präparaten in Form von Kapseln oder Tropfen. Entzugserscheinungen oder Suchtgefahr, die bei anderen Tranquilizern wie Benzodiazepinen gegeben sind, bestehen bei Cannabispräparaten in Kapsel-oder Tropfenform nicht. "Wir verabreichen es nicht zum Rauchen", erklärt Pinsger. Denn dass Cannabis überhaupt nicht süchtig macht, stimmt nicht. An dieser Frage scheiden sich oft die Geister. Rauchen führt außerdem oft dazu, dass Menschen nicht mehr arbeits-oder gesellschaftsfähig sind, das ist bei Kapseln und Tropfen nicht der Fall. Die hohe Dosierung in den Kapseln wirkt durch die 20-fache Geschwindigkeit, fällt dann aber schnell ab, so Pinsger. Um jene Wirkung zu erzielen, die ein bis zwei Kapseln haben, müsste man vier bis fünf "Öfen" am Tag rauchen. Ganz unberührt lassen die Präparate den Geist aber nicht. "Mögliche Nebenwirkungen können Mundtrockenheit, Müdigkeit, Benommenheit und eine eingeschränkte Verkehrstüchtigkeit sein. Man nimmt alles langsamer und verzögerter wahr. Manche Patienten sind zu Beginn der Therapie ungeschickter, lassen Dinge fallen." Ambulante Therapien erfolgen mit anfangs geringen Dosen, erklärt der Facharzt. Organische Nebenwirkungen gebe es nicht. Allerdings müssen Menschen, die zu Psychosen neigen, von einer Behandlung ausgeschlossen werden.

»Früher ist man belächtelt worden. Heute greifen Medien und Pharmaindustrien den Trend auf«

"Etwa 40 Prozent brechen die Therapie auch ab", so Pinsger. "Das sind oft jene Menschen, die glauben, immer funktionieren zu müssen."

Anbau in Österreich

Christoph Werdenich leitet das österreichische Unternehmen Biobloom und ist auf den Anbau von EU-zertifiziertem Industriehanf spezialisiert. Auf 130 Hektar wird in einem ehemaligen Schwemmgebiet vom Neusiedler See ab April angebaut. Ende August wird händisch geerntet. Bis zu 100 Erntehelfer pflücken dann die Hanfblüten. Anschließend werden die Blüten getrocknet, gesiebt und weiterverarbeitet.

Angebaut wird bei Biobloom nur Saatgut, das so gezüchtet wurde, dass der THC-Gehalt bei maximal 0,05 liegt. Berauschendes Cannabis kann einen Wert von über 20 haben. Wenn die Pflanzen die Blüten gebildet haben, wird dieser Wert kontrolliert. Erst wenn der Wert passt, dürfen Produkte aus der Pflanze gewonnen werden, erklärt Werdenich.

Um den CBD-Reinstoff zu gewinnen, wird nur der Inhaltsstoff Cannabidiol extrahiert, auf die anderen Inhaltsstoffe wird verzichtet. Bei Biobloom werden Vollextrakte verarbeitet: "Wir verwenden alle Inhaltsstoffe der Hanfpflanze. Die Cannabisforschung spricht hier vom Entourage-Effekt. Der besagt, dass nicht die isolierte Reinsubstanz wie zum Beispiel der CBD-Reinstoff, sondern CBD im Synergieeffekt mit allen anderen Inhaltsstoffen am besten vom Körper aufgenommen wird."

»Viele Patienten mussten die Erfahrung machen, dass klassische Behandlungen nur bedingt helfen«

Im Sortiment: Bio-CBD-Hanftropfen, Bio-Hanfblütentee, Bio-Hanfsamen bis hin zu Bio-Hanföl. Seine Kundschaft: von Menschen, die jahrelang unter Schlafstörungen gelitten haben und endlich wieder schlafen können, bis hin zu Menschen mit Depressionen und chronischen Schmerzen ist alles dabei.

Obwohl der Anbau von Cannabis sativa immer noch vorurteilsbehaftet ist, sei ein Wandel zu bemerken. "Früher ist man belächelt worden, heute greifen Medien und Pharmaindustrien diesen Trend vermehrt auf. Die wissenschaftlichen Fakten können einfach nicht mehr geleugnet werden." Klaus Hübner von Arge Canna geht sogar davon aus, dass Pharmaunternehmen ihren Einstieg ins Hanfgeschäft schon längst vorbereiten. Welche Folgen das für Unternehmen haben könnte, ist unklar. Denn wenn ein Cannabinoid wie CBD ins Arzneimittelbuch aufgenommen wird, fällt ein großer Teil der jetzigen Anbieter von CBD-Produkten am Markt weg, glaubt Werdenich.

Fest steht: Die Hanfpflanze als Heilpflanze hat ein Comeback. Trotzdem sind noch nicht alle Wirkstoffe gänzlich erforscht, Standards, vor allem bei der Qualitätssicherung, fehlen. Außerdem sind Hanfpräparate teuer, und die Kosten werden nur in den seltensten Fällen rückerstattet. Aber: Kaum eine Pflanze wirkt so vielseitig und effektiv bei derart minimalen Nebenwirkungen. Hilft's nicht, so schadet's auch nicht.

Dieser Artikel ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 30/2018 erschienen.