Bootcamp oder Ponyhof?

Der tragische Tod eines jungen Rekruten in Horn lässt erneut die Ausbildung beim Bundesheer hinterfragen. Was geschieht hinter den Kasernentoren wirklich? Und wo verläuft die Grenze zwischen Schulen und Schinden? Der Versuch einer Aufklärung.

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CHRONIK - Bootcamp oder Ponyhof?

Drei Kilometer lang hält Toni P. durch. Dann wird ihm schwindlig. Der 19-jährige Rekrut bricht bei einem Marsch am Gelände der Kaserne Horn zusammen. Als Erste-Hilfe-Maßnahmen nicht wirken, wird er in die Truppenunterkunft zurückgebracht. Noch am Weg dorthin verliert er das Bewusstsein. Ein Notarzt bringt P. ins Krankenhaus. Doch auch dort können die Ärzte nichts mehr für den jungen Wiener tun. Er stirbt noch am selben Tag. Woran genau, ist noch nicht endgültig geklärt. Zunächst ist von einer Infektion die Rede, dann von Hitzetod. Immerhin herrschten in Niederösterreich zum Zeitpunkt des Marsches 36 Grad Außentemperatur. Eine Obduktion ergibt: Toni P. hatte einen akuten Infekt. In seinem Blut wurden Bakterien vom Typ Haemophilus influenzae Typ B und Streptokokken gefunden. Diese Erkrankung führte zu einer Sepsis und letztendlich zum Herzstillstand.

Hitze verstärkte Sepsis

"Eine solche Sepsis ist auch für junge, körperlich fitte Menschen bedrohlich, und die hohe Außentemperatur hat die Krankheitsentwicklung zusätzlich verstärkt", erklärt Umweltmediziner Hans-Peter Hutter von der Medizinischen Universität Wien. Von einer Sepsis, umgangssprachlich auch "Blutvergiftung" genannt, spricht man, wenn sich Krankheitserreger ausgehend von einer lokalen Entzündung über das Blut im ganzen Körper ausbreiten und dort lebenswichtige Organe angreifen. Rund 7.500 Menschen sterben in Österreich jährlich daran. Eine Sepsis könne mitunter relativ schnell auftreten, sagt Hutter, dennoch hält er es für möglich, dass P. bereits vor Beginn des Marsches erkrankt ist. "Es ist wahrscheinlich, dass er schon geschwächt losgegangen ist."

Hatte P. also ein anfängliches Schwächegefühl unterschätzt? Hätten Ausbildner früher auf seinen Zustand aufmerksam werden müssen? Inwieweit das Bundesheer Mitverantwortung für den Tod von Toni P. trägt, wird man erst Ende August wissen, wenn der Endbericht der Untersuchungskommission vorliegt. Bis dahin wird sich auf politischer Ebene das Karussell der Schuldzuweisungen wohl weiterdrehen. Während manche nun über neue Feedbacksysteme beim Heer schwadronieren und andere einmal mehr das Konzept der Wehrpflicht in Frage stellen, gilt es für Familie und Freunde von Toni P. eine ganz andere Frage zu klären: Wie weitermachen, wie umgehen mit dem Verlust des geliebten Menschen?

Denn eigentlich hätte es so laufen sollen: rasch den Wehrdienst hinter sich bringen und dann ab auf die Uni, sagt ein Freund und Wasserball-Teamkollege. Fünf Jahre lang haben er und P. im selben Verein in Wien gespielt. "Toni wollte so schnell wie möglich studieren gehen. Deshalb hat er auch das Bundesheer und nicht den Zivildienst gemacht", erzählt er. Toni P. sei sehr ehrgeizig gewesen - auch in der Schule. Das Sporttraining hatte er zuletzt öfter ausgelassen, zu wichtig war ihm die Matura. Für seinen Freund war er aber da. "Toni hat mir nie abgesagt." Von P.s Tod erfuhr der Wasserball-Kollege aus der Zeitung. "Ich konnte es nicht glauben, habe es immer wieder durchgelesen. Dann habe ich Tonis Vater angerufen, um zu fragen, ob es wirklich er ist." Immerhin kannte der Freund P. als topfitten Sportler, der nie gesundheitliche Probleme hatte. Dem Bundesheer macht er nun Vorwürfe: "Sie hätten dort besser auf ihn aufpassen sollen."

Denn dass die sommerliche Hitze schon den gesunden Körper sehr anstrenge, einen kranken aber doppelt belaste, betont auch Mediziner Hutter. "Auf Hitze reagiert der Körper, indem er schwitzt. Die dadurch entstehende Flüssigkeit kühlt." Um uns aber zum Schwitzen zu bringen, muss die Haut entsprechend durchblutet werden. "Das Herz muss dazu bis zu doppelt so oft pumpen wie bei normaler Temperatur." P.s Körper dürfte mit den Erregern im Blut und der Temperaturbelastung in Summe überfordert gewesen sein, sodass sein Herz schließlich aufhörte, zu schlagen.

Der plötzliche Tod des jungen Rekruten bringt die Frage der Ausbildung beim Bundesheer zurück in die Öffentlichkeit. Auf sozialen Medien und in Zeitungen machen Schilderungen einstiger Grundwehrdiener die Runde, die einem Tagebuch der Torturen gleichen.

Männer, die die Kaserne längst hinter sich gelassen haben, berichten im Netz von ihren Erlebnissen beim Heer, das darin eher wie ein Bootcamp voller Schikanen und Schinder wirkt. Zu Recht? "Ja, aber nur, wenn wir 1987 und nicht 2017 schreiben würden", sagt Stefan Fuchs. Er ist Oberst des Generalstabs und Kommandant der Panzergrenadierbrigade im oberösterreichischen Hörsching. Ihm unterstehen 1.300 Berufssoldaten, die für die Ausbildung junger Grundwehrdiener in weiten Teilen Ober und Niederösterreichs zuständig sind. "Der Fall in Horn hat uns sehr betroffen gemacht", sagt er, "der dort angesetzte Marsch war mit sieben Kilometern und zwölf Kilo Gepäck eigentlich harmlos. Aber wenn du krank bist, ist schon ein Kilometer zu viel. Es gilt daher, herauszufinden, ob sich unser Kamerad schon vorher schlecht fühlte und ob er dies gemeldet hat."

Heer
© News 2004: Rekruten mimen Geiseln in Freistadt
Heer
© News 2005: Soldaten werden in Wels verprügelt

20 Kilometer marschieren

Der 41 jährige Fuchs ist seit 23 Jahren beim Heer und überzeugt, dass vieles von dem, was in der Öffentlichkeit an Anekdoten kursiert, mit der Wirklichkeit in heimischen Kasernenhöfen kaum noch etwas zu tun habe. "Natürlich sind Märsche Teil der Ausbildung", erklärt er, "wie lange bei welcher Witterung marschiert wird, ist eine Frage des gesunden Menschenverstands. Die Ausbildner kennen ihre Truppe und wissen, was sie ihr zumuten können." Habe sich diese nach den ersten Wochen daran gewöhnt, liegt die Grenze für Märsche bei maximal 20 Kilometern. Ist es, wie dieser Tage, sehr heiß, müsse das Gepäck reduziert, zusätzlich Wasser und ein Notfallsanitäter mitgenommen werden.

Und trotzdem schrecken die Geschichten von drangsalierten Grundwehrdienern auf. Sie wecken Erinnerungen an Skandale der Vergangenheit, die etwa die Kasernen in Wels und Freistadt in Verruf brachten (siehe Infokasten). Pro Jahr gibt es in Österreich rund 47.000 Stellungspflichtige, von denen 34.000 für tauglich befunden werden. Etwas mehr als die Hälfte entscheiden sich für den sechs Monate dauernden Präsenzdienst. Und viele von ihnen fragen sich, wo dort die Grenze zwischen Schulen und Schinden liegt. Etwa bei den notorischen Liegestützen, die gern zur Ertüchtigung eingesetzt werden? "Als Strafe oder Disziplinierungsmaßnahme und zur Belustigung der Truppe sind sie jedoch ein absolutes Tabu", sagt Oberst Fuchs. Auch der berüchtigte "Maskenball" diene nicht der Schikane. Gemeint ist damit das ständige Wechseln der Adjustierung und das Packen des Marschgepäcks unter Drill. "Das zu wiederholen und zu üben, macht Sinn und ist Teil der Ausbildung", sagt Fuchs, "da der Soldat im Einsatzfall auch im Dunkeln und unter Stress belastbar sein muss." Ihm ist aber wichtig, dass Ausbildner den Sinn und Zweck verdeutlichen. "Als ich 1994 einrückte, lag noch vieles im Argen. Ich kann so etwas auch als Schikane gestalten, indem ich das die Leute sieben Stunden lang machen lasse. Seither hat das Bundesheer aber, teils schmerzhaft, dazugelernt und die Ausbildung der Rekruten einen hohen Standard erreicht."

Schreie und Schikanen

Dennoch ist auch Fuchs klar, dass selbst heute längst nicht alle diesem hehren Bild des Heeres folgen. Es gibt sie weiterhin. Die Ausbildner, die schinden und schikanieren, schreien und schleifen. "Bei 16.000 Soldaten, von denen 2.500 tagtäglich Grundwehrdiener ausbilden, sind darunter natürlich schwarze Schafe", sagt er, "aber ständiges Fehlverhalten lässt sich irgendwann nicht mehr verbergen, die Kontrollmaschen sind eng, und man braucht nicht glauben, dass sich die jungen Leute das heute noch gefallen lassen. Sie wissen genau, was ihre Rechte sind." Fuchs weist darauf hin, dass etwa der von den Grünen angeregte Feedbackbogen für Rekruten in der Praxis bereits seit 2014 flächendeckend im Einsatz ist. Zusätzlich können sich Soldaten intern beim Kompaniekommandanten beschweren oder die parlamentarische Bundesheerkommission bei Missständen einschalten. Die Zahl solcher Beschwerden ist von noch 504 im Jahr 2011 auf 144 im Jahr 2016 gesunken.

Das Bundesheer ist auch zum Spiegelbild der gesellschaftlichen Veränderung geworden. Vieles, was noch vor Jahrzehnten stillschweigend hingenommen wurde, führt heute zu Disziplinarverfahren bis hin zur Kündigung. "Besonders gilt das für Beschimpfungen von Rekruten", sagt Fuchs, "in solchen Fällen gibt es keine Toleranz, das hat in Kasernen nichts verloren und schadet dem Image des Heeres." Ob das Bundesheer jedoch auch als Anlaufstation für eher zartbesaitete Burschen taugt, vermag Fuchs nicht zu beantworten. Letztendlich sei die Wahl zwischen Zivil-und Präsenzdienst eine Gewissensentscheidung. "Eines ist klar: Der Grundwehrdiener wird zum Soldaten ausgebildet, denn sonst können wir uns das Ganze sparen. Daher ist ein gewisses Maß an körperlicher Leistungsfähigkeit und Durchhaltevermögen sicherlich nötig." Ob das Heer diese im Falle des verstorbenen Rekruten Toni P. richtig einzuschätzen vermochte, wird die Staatsanwaltschaft zu ermitteln haben.

Chronologie - Skandale beim Bundesheer

Dezember 2003: Scheinhinrichtungen in Bludesch-Kaserne

Im Zuge einer Geiselübung in der Vorarlberger Bludesch-Kaserne wurden Kadersoldaten Scheinerschießungen ausgesetzt. Zu diesem Zeitpunkt wurde bekannt, dass es bereits im Jahr 2000 derartige Vorfälle in Langenlebarn gab. Dort wurde sogar mit Platzpatronen auf die Rekruten geschossen.

Dezember 2004: Folter-Affäre in der Kaserne Freistadt

Rund 80 Grundwehrdiener der Kaserne Freistadt wurden im Rahmen einer Ausbildung Opfer einer inszenierten Geiselnahme. Nach einem zweitägigen Marsch über 40 Kilometer mussten die Soldaten Plastiksäcke über ihre Köpfe ziehen und neben einem Komposthaufen im Dreck robben.

Februar 2005: Grundwehrdiener in Wels blutig geschlagen

Im Zuge einer Übung zur Eindämmung von Krawallen mussten Grundwehrdiener in Wels Demonstranten darstellen. Ohne jegliche Schutzkleidung wurden sie von Kadersoldaten mit Schlagstöcken verprügelt. Platzwunden, Schulter-, Waden-und Fingerprellungen waren die Folge.

August 2005:: Trauriger Höhepunkt einer Selbstmordserie im Burgenland

Bei einem Assistenzeinsatz an der burgenländisch-ungarischen Grenze erschoss sich ein 22-jähriger Rekrut aus der Steiermark mit seinem Sturmgewehr. Es ist der fünfte Selbstmord eines Soldaten im Burgenland innerhalb eines Jahres.

Oktober 2009: Soldat stirbt bei Schießübung in Allentsteig

Während einer Bundesheerübung am Truppenübungsplatz Allentsteig in Niederösterreich explodierte eine Granate im Inneren einer Panzerhaubitze. Ein 20-jähriger Berufssoldat wurde getötet, ein Grundwehrdiener erlitt schwere Verletzungen.

März 2010: Soldat stürzt bei Fallschirmsprung bei Lienz in den Tod

Weil sich sein Fallschirm und Reserveschirm nicht öffneten, starb ein 28-jähriger Soldat aus dem Burgendland bei einer Jagdkommandoübung in Nikolsdorf bei Lienz. Auch 2005 sowie 1998 kam es zu tödlichen Fallschirmunfällen beim österreichischen Bundesheer.

Juli 2012: Ausbildungsfahrt mit Panzer in Allentsteig endet tödlich

Bei einer Ausbildungsfahrt am Truppenübungsplatz Allentsteig stürzte ein Schützenpanzer in ein Schlammloch und versank fast vollständig. Der 21-jährige Fahrer und Berufssoldat aus Niederösterreich kam dabei ums Leben. Der 27-jährige Kommandant wurde verletzt.

August 2017: Rekrut stirbt nach Stationsmarsch in Horner Kaserne

Für einen 19-jährigen Grundwehrdiener aus Wien endete ein Stationsmarsch am Übungsplatz der Horner Kaserne tödlich. Die Obduktion ergab einen akuten Infekt, der zu einer Sepsis und schließlich zum Herzstillstand führte. Die Untersuchungen laufen noch.