Georg Willi: "Derzeit schminken
wir in Österreich die Krise zu"

Österreichs Landeshauptstädte sind auch heuer gefordert, dem Druck der Corona-Krise standzuhalten. Wo gibt es Probleme, was sind die größten Herausforderungen 2021? Der Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi (Grüne) erklärt, wie Österreich derzeit die Krise zuschminkt und warum die ÖVP seiner Ansicht nach das Gesicht vor den eigenen Wählern verliert.

von Bürgermeister im Gespräch - Georg Willi: "Derzeit schminken
wir in Österreich die Krise zu" © Bild: Franz Oss
Klaus Luger (* 6. Mai 1959 in Innsbruck) ist ein österreichischer Politiker (Die Grünen) und seit Mai 2018 amtierender Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck. Er ist gleichzeitig der erste Bürgermeister der Grünen in einer österreichischen Landeshauptstadt.

Wie stehen Sie zur auferlegten Testpflicht des Bundes für Tirol?
Um für die Tiroler Seite zu sprechen: Es ist eine Gleichzeitigkeit eingetreten, wo die Maßnahmen des Bundes schwer nachvollziehbar waren. Wir haben seit langem sinkende Zahlen, wir haben auch ein sehr gutes Contact-Tracing, wir halten in Tirol derzeit bei einer 7-Tages-Inzidenz unter dem Durchschnitt Österreichs. In Innsbruck ist die Inzidenz sogar unter 50. Das heißt, wir haben immer bessere Zahlen.

Daher war die Erwartungshaltung riesengroß, den Lockdown mit 8. Februar endlich beenden zu dürfen. Und da kam dann plötzlich die Hiobsbotschaft, es komme eine viel ansteckendere Viren-Mutation aus Südafrika. Diese Mutation gab es in Tirol schon seit Ende Dezember und schlug sich auch nicht den Zahlen wieder.

Es ist allerdings eine plausible Entscheidung der Regierung, die Einschränkungen weitgehend aufrecht zu erhalten, weil der Impfstoff Astrazeneca weniger Wirksamkeit gegen diese Variante zeigen soll. Diese Abstimmung zwischen Land und Ministerium war leider etwas verzögert, jetzt ist sie aber da und das ist gut so.

»Im Rückblick sind wir immer alle g'scheiter«

Wie ist Innsbruck bis jetzt durch die Krise gekommen?
Wir sind sehr gut durch die Krise gekommen. Wir sind ja ein Ballungsraum und waren hinsichtlich Infektionszahlen trotzdem fast immer besser als der Durchschnitt in Tirol. Wir haben sehr früh erkannt, dass wir das Contact-Tracing professionell und ausreichend personell ausgestattet aufsetzen müssen.

Innsbruck gilt da als Vorbild, auch für den Rest des Landes. und es waren Bei den Massenimpfungen, die ja in Tirol zum erstmöglichen Termin durchgeführt worden sind, waren Vertreter anderer Bundesländer anwesend und sehr angetan von der Professionalität, mit der wir arbeiten.

Wie groß sind dennoch die Einschnitte, die Sie bis jetzt hinnehmen haben müssen?
Uns brechen die Einnahmen natürlich weg, was die Kommunalsteuer und die Abgabenertragsanteile betrifft. Das macht bei uns in Summe 60 Millionen Euro aus, das sind ungefähr 15 Prozent unseres Jahresbudgets. Wir bekommen gewisse Kompensationszahlungen, da ist das Land Tirol mit seinen Gemeinden großzügiger als andere Bundesländer. Von der Bundesmilliarde haben wir auch 13 Millionen Euro erhalten, also konnten wir die erwähnten Ausfälle reduzieren auf 43 Millionen Euro. Das sind aber trotzdem noch fast 11 Prozent unseres Jahreshaushalts.

Sind Sie mit dem Krisenmanagement des Bundes prinzipiell zufrieden?
Für uns alle gilt der Satz: „Man kann immer alles besser machen“. Aber ich orte bei dem Wissensstand, den die Entscheider jeweils hatten, ein ganz hohes Bemühen das Beste zu versuchen. Im Rückblick sind wir immer alle g‘scheiter und würden manches anders machen.

Aus heutiger Sicht war für Innsbruck beispielsweise die Sperre der öffentlichen Parks im ersten Lockdown ein völliger „Topfen“. Das würde ich nicht mehr machen, sondern nur darauf achten, dass Menschenansammlungen durch Kontrollen unterbunden werden. Und ob eine Gemeindequarantäne, wie sie damals verhängt worden ist, sinnvoll ist, wage ich heute auch zu bezweifeln.

Und welche Entscheidung war richtig?
Als Grüne finden wir es jedenfalls sehr gut, dass Österreich antizyklisch sehr viel Geld in die Hand genommen hat, um die Wirtschaft zu stützen. Das Kurzarbeitsmodell kostet zwar viel Geld, aber es beugt einer breiten Verarmung vor. Die Leute verdienen zwar weniger, aber immer noch so viel, dass sie damit halbwegs auskommen. Die Betriebe kommen über die Runden, das sieht man auch an den Schließungen von Firmen, die nicht exorbitant zugenommen haben.

»Derzeit schminken wir in Österreich die Krise zu«

Verzögert man das Problem damit eigentlich nicht nur - oder verschlimmert es sogar?
Stimmt, aber in der Abwägung, ob der Schaden größer wäre, wenn man das nicht macht oder größer, wenn man es macht, komme ich zu einer klaren Aussage: Nachdem der Staat sich leicht refinanzieren kann und sogar nur Minuszinsen bezahlen muss, ist es besser, die gegenwärtigen Maßnahmen zu setzen. Die Alternative wäre es, die Wirtschaft verfallen zu lassen und eine noch breitere Arbeitslosigkeit in Kauf zu nehmen.

Unser Finanzdirektor hat einmal ein sehr schönes Bild gebraucht: Derzeit schminken wir in Österreich die Krise zu. Das heißt, wir decken mit einem Haufen Staatsgeld zu, wie es darunter aussieht. Das kann funktionieren. Nur wenn die Krise noch sehr lange andauern würde, könnte es trotzdem den Punkt geben, an dem alles zusammenbricht. Stand heute wird dieser Fall nicht eintreten - wir wissen allerdings auch nicht, wie sich die Mutationen auf die Dauer der Pandemie auswirken werden.

Was wäre insbesondere als Stadt Innsbruck Ihr Appell an die Regierung?
Der Bund sollte stärker darauf achten, dass die Gemeinden ihren Aufgaben nachkommen können, weil sie so wichtige Motoren der Wirtschaft vor Ort sind. Und zweitens sollte das Bewusstsein für den Mangel an Kultur geschärft werden. Einerseits geht es den Leuten für das eigene Wohlbefinden enorm ab und andererseits steckt eine große Gruppe Kulturschaffender dahinter, die Arbeit braucht. Kulturelle Aktivitäten sind gerade auch in der Stadt mit der Wertschöpfung anderer Unternehmen verbunden und daher umso wichtiger.

Wenn Ihr neu gewählter erster Stellvertreter aus der FPÖ kommt, gibt das allen demokratischen Grundsätzen zum Trotz ein komisches Bild ab. Sind die stabilen Verhältnisse bereits in Sicht, die Sie seither angekündigt haben?
Wenn wir eine Vierer-Koalition sind und bleiben wollen, dann muss die Vizebürgermeisterin auch aus der Koalition kommen. Ziel ist daher ein Abwahlantrag, den die Grünen einbringen werden, und somit eine Neuwahl dieses Amtes.

Man kann eigentlich nur zu dem Schluss kommen, dass das Wahlergebnis die Retourkutsche der Liste FI für die Abberufung von Frau Oppitz-Plörer war, oder?
So empfinde ich es, ja.

Nach der Vizebürgermeister-Wahl haben Sie zuletzt Neuwahlen ausgeschlossen. Glauben Sie, dass sich das bis zum nächsten Wahltermin 2024 durchhalten lässt?
Das hängt ganz davon ab, wie wir die nächsten zwei Monate gestalten. Gelingt es, dass eine Vizebürgermeisterin aus der Koalition gewählt wird, sind wir in der alten Konstellation. Dann kann sich das wieder einrenken und durchaus bis 2024 gehen.

Ich merke schon, dass alle Leute ein bisschen angespannt, schneller beleidigt oder gekränkt sind und sich oft missverstanden fühlen. Das ist eine Stimmung, die man wegen Corona in der ganzen Gesellschaft wahrnehmen kann und die sich auch auf die Politik auswirkt. Ich arbeite darauf hin, dass wir alle wieder entspannter sind, wenn die Durchimpfungsrate steigt, es wärmer wird und die Fallzahlen dann hoffentlich gegen Null gehen.

Auch ausgeschlossen haben sie bis vor kurzem ein freies Spiel der Kräfte. Warum eigentlich?
Es wäre mir lieber, wenn es gelänge, eine andere koalitionäre Bindung zustande zu bringen, die eine Mehrheit hinter sich hat - da würde ich jetzt die Neos an Bord holen. Gelingt das nicht, bleibt als letzte Rückfallsebene das freie Spiel der Kräfte.

»Gegen die Corona-Stimmung brauchen wir Optimismus«

Was sind Ihrem Ermessen nach derzeit die größten Sorgen der Innsbruckerinnen und Innsbrucker?
Eine der größten Sorgen ist sicher der Bildungsbereich, weil es eine junge Generation gibt, die aktuell fast ein ganzes Schuljahr verliert. Und das aufzuholen ist eine enorme Anstrengung für alle - für die Schülerinnen, die Lehrenden, aber auch für die Eltern, die da dranhängen. Das ist schon eine große Gruppe, die unter Strom steht.
Darüber hinaus gibt es natürlich die latente Sorge um die eigene Zukunft. Das ist die Ungewissheit, wie es mit sich selbst und der Familie weitergehen wird und man bekommt im eigenen Umfeld auch mit, wie es Leuten zunehmend schlechter geht. Gegen diese Corona-Stimmung brauchen wir Optimismus, dass wir mit Zusammenhalt durch die Krise durchkommen. Das gehört mit Aktivitäten vor Ort gestützt.

Was möchten Sie heuer für Innsbruck unbedingt erreichen?
Das oberste Ziel für mich ist natürlich, dass wir wirtschaftlich halbwegs gut durch die Krise kommen, weil das unsere Einnahmen stärkt. Wir tragen als Stadt mit einem Investitionspaket von 80 Millionen Euro für die nächsten drei Jahre dazu bei.

Dann würde ich gerne die Betonung auf kulturelles Leben legen. Es ist für das Gesicht der Stadt und für uns alle enorm wichtig, das wieder zu ermöglichen. Ich mache mir schon große Sorgen um die Kulturschaffenden und die Wirkung dessen, was Kultur ausmacht.

Auf welches Projekt Ihrer Stadt sind Sie besonders stolz?
Wir haben gerade den Rad-Masterplan verabschiedet. Das ist die Möglichkeit, mit vielen kleinen Maßnahmen einen großen Schritt gegen den Klimawandel zu machen. Mitten in der Stadt bekommen wir auch eine S-Bahn-Haltestelle mit einer traumhaften Begegnungszone, wo wir erstmals ein Stück Straße in einen Teil eines Parkes zurückbauen. Darüber hinaus gehen wir die Schritte konsequent weiter, um Innsbruck zu einer Smart City auszubauen. Die Kommunalbetriebe greifen dabei nach allen freien Dachflächen, um Photovoltaikanlagen zu installieren.

Gibt es umgekehrt ein Projekt in anderen Landeshauptstädten, das Sie in ähnlicher Form auch gerne für Ihre Stadt sehen würden?
Es gibt ein Projekt in Vorarlberg, wo die VOGEWOSI (Anm.: gemeinnütziger Wohnbau) begonnen hat, Wohnungen anzumieten und diese leerstehenden Objekte günstig bekommt. Der Vermieter hat die Sicherheit durch die VOGEWOSI, aber der Mietzins ist ausreichend niedrig, dass die Weitervermietung zu leistbaren Mieten führt. So ein öffentliches Anmietmodell würde mir für Innsbruck auch gefallen, weil wir hier viel leerstehendes „Betongold“ haben. Eine Realisierung ist im Detail aber viel komplizierter als es auf den ersten Blick scheint.

Die Grünen in der Bundesregierung müssen sich zunehmend die Kritik gefallen lassen, dass sie gegen den türkisen Koalitionspartner zahnlos auftreten und klein beigeben. Lässt sich der Imageverlust der Grünen wieder wettmachen?
Wir waren aus dem Parlament draußen und sind fulminant zurückgekehrt. Die Leistungen der Grünen werden in der Öffentlichkeit schon zu schmal dargestellt: Was Rudi Anschober seit einem Jahr leistet, ist kolossal. Er ist derzeit jeden Tag als Gesundheitsminister gefordert. Was Leonore Gewessler mit dem Klimaticket erreicht, hätte vor einem Jahr auch niemand den Grünen zugetraut. Und ihr gelingen wichtige Schritte zur Verbesserung des Klimaschutzes. Auch Alma Zadic kann ein Riesenpaket vorweisen mit den gelösten Problemen in ihrem Ministerium und den heiklen Materien, die sie als Justizministerin durchgebracht hat. Zusammengehalten wird alles von der starken Leistung Werner Koglers.

Aber als Funktionär der Grünen muss man sich gerade nach den Abschiebungen von Kindern und Jugendlichen doch in Grund und Boden schämen für eine Kommissionslösung, die bestenfalls als Notlösung bezeichnet werden kann, oder nicht?
Wer ist daran schuld, dass es diese Möglichkeit nicht gibt, Leute aufzunehmen? Das ist doch eindeutig die ÖVP. Wir Grüne stehen dafür, Menschen auf der Flucht zu helfen und unseren Beitrag zu leisten, dass Leute aus Flüchtlingslagern nach Österreich kommen.

»Die ÖVP verliert ja das Gesicht vor den eigenen Wählern«

Die Grünen dafür verantwortlich zu machen, was die ÖVP als christlich-soziale Partei nicht zu tun bereit ist, das schmerzt mich immer wieder. Denkt man das konsequent weiter, und müssten die Grünen die Koalition verlassen. Aber dann wäre die wichtigste Klimaschutzpartei nicht mehr in der Regierung. Die Klimakrise ist aber langfristig ein noch größeres Problem als die Pandemie. Der Schaden für das Land wäre dann mit einem möglichen Comeback einer FPÖ unterm Strich größer und daher versuchen mit anderen Möglichkeiten, den Druck auf die ÖVP zu erhöhen.

Der Widerstand innerhalb der ÖVP steigt auch schon. Ich kenne genügend Leute, die nur noch den Kopf schütteln und sich fragen: „Wieso lassen wir ÖVPler uns das von Sebastian Kurz überhaupt noch gefallen?“ Die ÖVP verliert ja das Gesicht vor den eigenen Wählern. Da spiele ich den Ball 1:1 zurück an die ÖVP.

Die Grünen nehmen also quasi das „geringere Übel“ in Kauf und wollen das große Ganze im Auge behalten?
So bitter das manchmal ist und so heftige Diskussionen es bei uns intern zu diesem Thema gibt: Das ist für uns alle nicht fein. Aber Politik heißt, zwischen verschiedenen Varianten zu entscheiden. Und wenn die Variante, die Koalition zu verlassen schlechter ist als drinnen zu bleiben und weiter zu versuchen, dass die ÖVP endlich Menschen auf der Flucht nach Österreich lässt, ist es besser sich für die Möglichkeit zu entscheiden, wo man noch gestaltend etwas ändern kann.

Sind auch die Causa Casinos und Gernot Blümel so ein Fall, wo man als Grüner noch an das große Ganze glauben muss?
Das große Ganze ist immer eine gute Option! Doch im Ernst: Auch PolitikerInnen haben das Recht, nicht vorverurteilt zu werden. Wenn sich ein Verdacht im Zuge einer Aufklärung erhärtet, kommt aber für mich der Punkt, wo Politiker sich fragen müssen, ob sie noch weiterarbeiten können. Ich setze auf die Arbeit der Behörden und freue mich, dass die ÖVP nun auch für eine weisungsfreie oberste Staatsanwaltschaft ist - die Grünen haben das ja schon lange gefordert.

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