"Er kann stur sein"

Autor Peter Ames Carlin im Interview über seine Springsteen-Biografie - Teil 1

von
Bruce Springsteen - "Er kann stur sein"

NEWS.AT: Zunächst einmal: Gratulationen zu Ihrem informativen sowie fesselnden Werk „Bruce“. Wie lange haben Sie dafür gebraucht?
Peter Ames Carlin: Danke erstmal, das ist immer schön zu hören. Formell hat die Arbeit im Herbst 2009 begonnen, als ich den Buchdeal abgeschlossen habe. Die finalen Änderungen habe ich im Sommer 2012 vorgenommen, also im Ganzen hat es mehr oder weniger drei Jahre gedauert. Aber die informelle Recherche hat quasi schon 1978 begonnen, als ich noch ein Freshman an der High School war. Damals kam gerade „Darkness on the Edge of Town“ heraus und ich war ein großer Fan. Seither habe ich Springsteens Karriere verfolgt, mir viele Konzerte angesehen, alle Alben gekauft, Artikel gesammelt und so weiter.

NEWS.AT: Was war die größte Herausforderung?
Carlin: Springsteens Leben ist ein wirklich großes Themengebiet mit vielen wichtigen Aspekten: Amerikanische Geschichte, politische Geschichte, Popkultur, Rock’n’Roll, amerikanische Literatur und so weiter und so fort. Ich wusste also immer, dass es eine Menge zu bearbeiten gab und dass ich dann alles noch in Kontext zu den Dynamiken in Bruces Leben und Arbeit stellen musste. Also lag die Herausforderung darin, dies alles auszuarbeiten und es dann in eine schlüssige Erzählung zu verpacken, die genau und fair, aber auch interessant zu lesen ist.

NEWS.AT: Warum haben Sie sich für Bruce Springsteen entschieden?
Carlin: Wie gesagt, dem gesamten Prozess gingen 31 Jahre an informeller Recherche voraus. Ich bewundere seine Arbeit sehr, sie hat mich sowohl auf emotionaler, als auch auf intellektueller Ebene berührt. Ich war und bin immer noch sehr glücklich darüber, dass ich meine Zeit damit verbringen durfte, herauszufinden, wie sich alles entwickelte.

»Bin mir sicher, dass ihm das Retuschierte nicht gefallen hätte«

NEWS.AT: Was sich auch bestätigt, wenn man Ihr Buch liest. Wie schwer war es, als Bewunderer gleichzeitig kritisch und objektiv zu bleiben?
Carlin: Gar nicht! So sehr ich seine Arbeit respektiere und seine Musik als Rock’n’Roll-Fan, der ich selbst bin, schätze, hat doch vieles davon mit seiner Ehrlichkeit über sein eigenes Scheitern und seinem Verständnis von menschlicher Schwäche zu tun. Auch wenn ich einen sehr langen Fanbrief schreiben hätte wollen (was ich nicht gemacht habe), bin ich mir sicher, dass ihm das Überschwängliche oder gar Retuschierte gar nicht gefallen hätte. Wenn ich also eines seiner Alben nicht mochte oder über eine ganz und gar nicht schmeichelhafte Geschichte gestoßen bin, hatte ich kein Problem damit, dies auch so zu sagen oder die Geschichte zu verwenden. Und Springsteen hat das auch klar gemacht, dass er nicht weniger von mir erwartete.


NEWS.AT: Es gibt unzähliche Bücher und Biographien über Springsteen. Warum denken Sie, dass Jon Landau (Springsteens Manager, Anm.) gerade Sie auserwählt hat und Ihnen Zugang zu Bruce und seinem gesamten Umfeld gewährte?
Carlin: Ich habe bereits eineinhalb Jahre an dem Buch gearbeitet, bevor mich Jon anrief. Ich kontaktierte das Team bereits ganz zu Beginn meiner Recherchen, als ich, wie das so üblich ist, bei Bruces Pressesprecher um ein Interview anfragte. Allerdings bekam ich damals auch die übliche Standard-Absage. Ich hatte aber immer vor, so viel wie möglich zu recherchieren, mit jedem zu sprechen, der irgendwie mit ihm gearbeitet hat oder ihn sonst irgendwie kannte. Ich denke, er war beeindruckt, dass ich so viel Arbeit in die Sache steckte, also hat er Jon gesagt, es wäre ok, mir gewisse Einblicke zu gewähren. Dennoch hat es danach immer noch neun Monate gedauert, bis Springsteen bereit war, sich persönlich mit mir zu unterhalten.

NEWS.AT: Wie viele Publikationen haben Sie vorab gelesen und wie haben diese Ihre eigene Arbeit beeinflusst?
Carlin: Lassen Sie es mich so sagen: Viele und noch mehr. Dave Marshs „Born to Run“, das ich zu Weihnachten 1979 bekam, hat mein Gefühl für Bruce verändert und mir die Möglichkeiten von Kultur und Musik neu aufgezeigt. Ich liebe auch Jim Cullens kulturelle Analyse von Bruces Arbeit und auch Eric Altermans sozio-politische Interpretationen in „It Ain’t No Sin To be Glad You’re Alive“. Zudem ist die Website brucebase unbezahlbar in Bezug auf detailliert, chronologische Informationen, etc., etc.,...

»Er konnte überraschend offen sein«

NEWS.AT: Wie fühlte es sich an, schlussendlich mit Springsteen persönlich zu sprechen? Wie sehr hat er sich Ihnen geöffnet?
Carlin: Es war toll. Er ist ein sehr warmherziger Typ und vor allem gut darin, einem die Nervosität zu nehmen. Außerdem ist er sehr smart und lustig. Als wir einmal im Gespräch waren und über Bands geredet haben, war es einfach, wie mit irgendeinem coolen Typen zu quatschen. Als wir uns dann heiklen und emotionalen Themen näherten, wie zum Beispiel seiner Kindheit, konnte er überraschend offen sein. Manches Mal spürte ich, dass er mir Dinge erzählte, über die er kaum je zuvor mit irgendwem gesprochen hatte.
Seine Intelligenz ist sehr ausgeprägt, wenn es darauf ankommt, mit Schreibern zu sprechen. Hatte ich eine Frage halb gestellt, konnte ich sehen, wie es in ihm zu arbeiten begann. Er hat versucht, herauszufinden, warum ich genau diese Frage stellte und welche zwei oder drei nächsten Fragen das nach sich ziehen würde. Dennoch musste ich die Frage zu Ende stellen, während ich versuchte herauszufinden, wie er reagieren würde – und gegebenfalls die Frage so hinbiegen, um ihn bei Laune zu halten. Währenddessen musste ich mir auch bewusst machen, in welche Richtung er das Gespräch lenken wollte. Also ja, es hat zwar immer Spaß gemacht, aber auch einiges an mentaler Energie gefordert. Ich war immer ganz schön k.o., als wir für den Tag Feierabend machten.

NEWS.AT: Wie würden Sie Springsteen als Mensch beschreiben, welchen Eindruck hat er auf Sie gemacht?
Carlin: Bruce ist ziemlich genau der, der er vorgibt zu sein. Auf mich hat er immer sehr kompliziert gewirkt: Ein von Natur aus gutmütiger Typ, der einerseits unglaublich talentiert aber andereseits auch sehr gequält ist. So viele seiner Songs handeln von der Dunkelheit und dem Kampf, diese hinter sich zu lassen. Er ist in seinem Leben schon sehr weit gekommen diesbezüglich, aber ich bin mir nicht sicher, ob man so etwas jemals ganz hinter sich lassen kann. Es war mir klar, dass all diese Dämonen immer noch ihren kleinen Platz in ihm wahren. Er kann sehr stur und barsch sein sowie auch ein wenig kühl unter gewissen Umständen. Aber so sind Menschen nun einmal, oder?

NEWS.AT: Sie haben mit so vielen Menschen in seinem Umfeld gesprochen: Wer hat Ihnen die interessantesten Einblicke in Springsteens Leben gewährt?
Carlin: Definitiv Bruces Mutter, seine Tanten und seine beiden Schwestern. Sie waren sehr mitteilsam und entgegenkommend sowie gar nicht scheu, auch unschöne Dinge Preis zu geben. Dennoch war die Liebe zu ihrem Familienmitglied immer gegenwärtig. Sehr mitteilsam waren auch die Jungs der E Street Band. Als sie einmal das OK hatten, mit mir zu sprechen, waren sie alle sehr erleichtert und plauderten ausführlichst.

Hier geht es weiter zum zweiten Teil des Interviews mit Peter Ames Carlin.

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