Theresa May muss sich
Misstrauensvotum stellen

Die britische Premierministerin Theresa May muss sich einem Misstrauensvotum stellen.

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Brexit - Theresa May muss sich
Misstrauensvotum stellen

Die britische Premierministerin Theresa May muss sich wegen ihres Brexit-Kurses noch an diesem Mittwochabend im Parlament einer Abstimmung über ihr Amt als Chefin der konservativen Regierungspartei stellen. Das teilte der Vorsitzende eines einflussreichen Parlamentskomitees, Graham Brady, in London mit.

Sollte May die Misstrauensabstimmung verlieren, wäre auch ihr Posten als Premierministerin nicht mehr zu halten. Die Abstimmung war zwischen 19 und 21 Uhr MEZ im Parlament geplant. Noch am späten Abend, gegen 22 Uhr MEZ, sollte das Ergebnis veröffentlicht werden.

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Entscheidenden Einfluss auf den Misstrauensantrag hatte der erzkonservative Hinterbänkler Jacob Rees-Mogg. Er hatte der Premierministerin bereits kurz nach der Veröffentlichung des Brexit-Abkommens sein Misstrauen ausgesprochen. Ein erster Versuch, die für eine Abstimmung notwendigen 48 Misstrauensbriefe zusammenzubekommen, war aber gescheitert. Rees-Mogg steht einer Gruppe von rund 80 Brexit-Hardlinern in der Fraktion vor.

Welche Chance hat Theresa May?

Unklar ist, ob die Rebellen May wirklich stürzen können. Sie brauchen dafür eine Mehrheit der 315 konservativen Abgeordneten. Eine Misstrauensabstimmung kann nur einmal pro Jahr stattfinden. Sollte May als Siegerin hervorgehen, wäre ihre Position zunächst gefestigt.

Sollte sie verlieren, müsste der Parteivorsitz rasch neu besetzt werden. Gibt es nur einen Kandidaten, kann das sehr schnell gehen. Bewerben sich mehrere, gibt es mehrere Wahlgänge. Bei jedem Mal scheidet der jeweils Letztplatzierte aus, bis nur noch zwei Bewerber übrig sind. Sie müssen sich dann einer Urwahl unter der Parteimitgliedern stellen. Die Prozedur dauert mehrere Wochen.

Ausgelöst wurde der "Putschversuch" durch den Streit über das Brexit-Abkommen, das die Unterhändler Großbritanniens und der EU in Brüssel ausgehandelt haben. Die Brexit-Hardliner um Rees-Mogg fürchten, dass Großbritannien durch das Abkommen dauerhaft eng an die Europäische Union gebunden wird. Am 29. März soll das Land aus der Staatengemeinschaft ausscheiden.

Wie das parteiinterne Misstrauensvotum gegen May abläuft

Was muss passieren, um May den Parteivorsitz streitig zu machen?


Im ersten Schritt müssen 15 Prozent der konservativen Parlamentsabgeordneten in einem Brief an den zuständigen Ausschuss ein Vertrauensvotum fordern. Die Tories zählen im Unterhaus 315 Abgeordnete. Daher bedarf es 48 Stimmen für das Verfahren. Nach Aussagen des Ausschussvorsitzenden Graham Brady wurde die Mindestgrenze nun erreicht.

Was passiert bei einer Vertrauensabstimmung?

Alle konservativen Parlamentarier können abstimmen. Um May von der Spitze der Tories und damit auch aus der Position der Regierungschefin zu drängen, sind derzeit mindestens 158 Abgeordnete nötig. Sollte May das Votum überstehen, kann sie für zwölf Monate nicht mehr herausgefordert werden.

Wie schnell kann die Tory-Abstimmung stattfinden?

Sehr schnell. Die Abgeordneten stimmen noch am Mittwochabend ab zwischen 19.00 Uhr und 21.00 Uhr (MEZ). Das Ergebnis soll unmittelbar danach verkündet werden.

Was passiert, wenn May die Abstimmung verliert?

Sollte May das Tory-Vertrauensvotum verlieren, würde ihr Nachfolger durch einen parteiinternen Wettbewerb bestimmt. Der Sieger würde Premierminister. Neuwahlen sind nicht vorgeschrieben.

Bei mehreren Kandidaten müssten die konservativen Abgeordneten zunächst in geheimer Abstimmung das Feld verkleinern. Dabei würden in jeder Runde die Bewerber mit den wenigsten Stimmen aussortiert. Zwischen den beiden letzten verbliebenen Kandidaten müssten dann die Tory-Mitglieder im Land entscheiden.

Das jüngste Beispiel war 2016. Damals trat Premierminister David Cameron nach dem EU-Referendum zurück. Fünf Kandidaten bewarben sich. Übrig blieben May und die damalige Staatssekretärin Andrea Leadsom. Leadsom zog ihre Bewerbung zurück, so dass May freie Bahn hatte.

May will um ihr Amt kämpfen

Die britische Premierministerin Theresa May will sich im Brexit-Streit dem Misstrauensantrag in ihrer konservativen Fraktion mit ganzer Kraft entgegenstellen. "Ich werde mich diesem Votum mit allem, was ich habe, entgegenstellen", sagte May am Mittwoch in London. Im Falle ihrer Niederlage rechnet sie wie auch Justizminister David Gauke mit einem verzögerten EU-Austritt Großbritanniens.

Ein Nachfolger "hätte keine Zeit, um eine Rücktrittsvereinbarung neu auszuhandeln und die Gesetzgebung bis zum 29. März durch das Parlament zu bringen", sagt sie. Daher müsste der Artikel 50, der den Brexit-Ausstiegsprozess regelt, verlängert oder aufgehoben werden. Das verzögere den EU-Austritt oder halte ihn sogar auf.

»Die Zukunft des Landes aufs Spiel setzen«

Ein Führungswechsel wird ihrer Ansicht nach nichts an den Grundsätzen der Brexit-Verhandlungen und den schwierigen Mehrheitsverhältnissen im Parlament ändern. Die Wahl eines neuen Parteichefs würde "die Zukunft des Landes aufs Spiel setzen und Unsicherheit schaffen, wenn wir sie am wenigsten brauchen können", sagte May.

Die Premierministerin sprach zudem von Fortschritten bei den Verhandlungen mit EU-Spitzenvertretern am Dienstag. Ein Deal mit der EU sei erreichbar, sagt sie in London. Durch das Misstrauensvotum gegen sie werde jedoch die Zukunft aufs Spiel gesetzt.

May rechnet sich gute Chancen aus

Theresa May darf sich gute Chancen bei der Misstrauensabstimmung um ihr Amt als Chefin der konservativen Regierungspartei ausrechnen. Sie musste am Abend 158 der 315 Tory-Abgeordneten für sich gewinnen. Britischen Medien zufolge hatten bereits am Nachmittag mehr als die Hälfte der konservativen Parlamentarier May ihre Unterstützung zugesagt.

Nach einer Zählung der Nachrichtenagentur Reuters hatten bis zum Nachmittag 185 konservative Abgeordnete öffentlich erklärt, May bei dem Votum zu unterstützen und damit im Amt zu halten. Allerdings ist die Wahl geheim, und Kommentatoren der BBC berichteten, Abgeordnete, die sich öffentlich zu May bekannt hätten, hätten im vertraulichen Gespräch gesagt, gegen die Parteichefin stimmen zu wollen. Der als Brexit-Hardliner geltende Umweltminister Michael Gove sagte, er sei "absolut sicher", dass May die Abstimmung gewinnen werde.

Rücktritt nach Brexit geplant

Kurz vor dem Beginn des Wahlgangs hatte sich die Regierungschefin mit einer Ansprache an ihre Parteifreunde gewandt. "Kraftvoller und bewegender Moment", schrieb ein konservativer Abgeordneter auf Twitter über den Auftritt Mays hinter verschlossenen Türen. Die Premierministerin habe klar gemacht, dass sie zurücktreten werde, sobald der Brexit vollzogen sei. "Sie hat gesagt, dass sie nicht plant, den Wahlkampf 2022 anzuführen", sagte der Tory-Abgeordnete Alec Shelbrooke. Laut Teilnehmerkreisen sagte May, dass nun ein sehr schlechter Zeitpunkt sei, den Regierungschef auszutauschen. Der Brexit müsse vollzogen werden, und zwar zum angekündigten Termin.

Die möglichen Nachfolger von Premierministerin May

BORIS JOHNSON

Der frühere Außenminister gehört zu Mays härtesten Kritikern. Im Juli trat er aus dem Kabinett zurück, um gegen ihre Brexit-Politik zu protestieren. Johnson, der von vielen Euro-Skeptikern als das Gesicht der Brexit-Kampagne 2016 betrachtet wurde, hielt im Oktober eine viel beachtete Rede beim Parteitag. Der 54-Jährige forderte die Konservative Partei auf, zu ihren traditionellen Werten wie niedrigen Steuern und einer harten Linie bei der inneren Sicherheit zurückzukehren.

JEREMY HUNT

Der 52-Jährige löste Johnson im Juli als Außenminister ab und forderte die Konservativen auf, ihre Brexit-Differenzen beizulegen und sich gegen den gemeinsamen Feind, die EU, zu vereinigen. Hunt stimmte beim Referendum 2016 für den Verbleib in der EU. Er wirkte sechs Jahre lang als Gesundheitsminister. In dem Amt hat er sich bei vielen Mitarbeitern des staatlich finanzierten National Health Service unbeliebt gemacht. Hunt kündigte an, May bei der Vertrauensabstimmung zu unterstützen.

JACOB REES-MOGG

Der extravagante Millionär kultiviert das Image eines englischen Gentlemans alter Prägung. Er hat diejenigen hinter sich geschart, die für eine radikalere Abkehr von der EU sind. Am Tag nach der Veröffentlichung des Entwurfs für das Brexit-Abkommen gab der 49-Jährige bekannt, ein Misstrauensvotum gegen May eingereicht zu haben. Aber will er auch deren Job? Zuletzt hatte Rees-Mogg gesagt, sich nicht für den Posten zu bewerben.

DOMINIC RAAB

Der britische Brexit-Unterhändler hat die Regierung vergangene Woche aus Protest gegen das Austrittsabkommen verlassen. Raab war nur fünf Monate lang Brexit-Chef. Der 44-Jährige hatte zuvor in mehrere Ministerien gearbeitet. Beim Referendum 2016 entschied er sich für den EU-Austritt. Raab besitzt den schwarzen Gürtel in Karate.

SAJID JAVID

Der ehemalige Banker gilt als Verfechter freier Märkte. Er hat bereits verschiedene Rollen im Kabinett gehabt und ist bei den konservativen Parteigängern beliebt. Das Kind pakistanischer Einwanderer hat ein Porträt der ehemaligen konservativen Premierministerin Margaret Thatcher in seinem Büro hängen. Der 48-Jährige stimmte 2016 für den Verbleib in der EU, gilt aber dennoch als europaskeptisch. Der Innenminister hat angekündigt, May bei der Vertrauensabstimmung zu unterstützen.

MICHAEL GOVE

Er ist einer der bekanntesten Brexit-Aktivisten. Gove hatte sich gute Chancen ausgerechnet, Nachfolger von Premierminister David Cameron zu werden, zog jedoch gegen May den Kürzeren. Der 51-Jährige ist energiegeladen und gilt als eines der effektivsten Mitglieder ihres Kabinetts. Er ist zu einem überraschenden Verbündeten für May geworden und unterstützt ihre Brexit-Strategie bisher. Gove tat sich während der Brexit-Kampagne 2016 mit Boris Johnson zusammen, versagte ihm im letzten Moment aber die Gefolgschaft, als Johnson an die Regierungsspitze strebte. Gove kündigte an, May bei der Vertrauensabstimmung zu unterstützen.

DAVID DAVIS

Er leitete zunächst die Brexit-Verhandlungen für Großbritannien, trat aber 2018 von diesem Posten zurück. Damit wollte der 69-Jährige gegen Mays Pläne für eine langfristige angelegte gute Beziehung zur EU zu protestieren. Er wird von vielen Beobachtern als möglicher Nachfolger von May gehandelt.

PENNY MORDAUNT

Sie dient in Mays Kabinett als Entwicklungsministerin. Viele hatten erwartet, dass sich die 45-Jährige der Rücktrittswelle anschließen würde, die auf die Veröffentlichung des Brexit-Entwurfs folgte. Mordaunt will May bei der Vertrauensabstimmung unterstützen.

ANDREA LEADSOM

Sie ist eine weitere Pro-Brexit-Aktivistin. Die 55-Jährige hätte May 2016 im Rennen um die Cameron-Nachfolge in die Stichwahl zwingen können, verzichtete aber darauf. Sie führt derzeit die parlamentarischen Geschäfte für die Regierung. Auch Leadsom will für May stimmen.

Kurz gegen Aufschnüren des Abkommens

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) spricht sich weiterhin gegen ein Aufschnüren des Brexit-Abkommens aus. Die Debatte in Großbritannien - Mittwochabend soll ein parteiinternes Misstrauensvotum gegen Premierministerin Theresa May stattfinden - verfolge man natürlich und dies mache die Sache auch nicht einfacher, erklärte Kurz nach dem Ministerrat in Wien.

Der Kanzler reist heute noch nach Brüssel zum letzten Europäischen Rat dieses Jahres und dieser sei von der Brexit-Debatte überschattet. Als EU habe man eine klare Linie, demnach soll das ausverhandelte Abkommen für den Austritt Großbritanniens aus der EU nicht wieder aufgeschnürt werden. Möglich sei jedoch eine Diskussion über die künftige Beziehung und hierzu gebe von allen Seiten das gemeinsame Wollen, eine gute Lösung zustande zu bringen.

Die aktuelle Situation in Großbritannien vereinfach die Lage jedenfalls nicht. Man sei aber auf alle Szenarien vorbereitet, so Kurz. Klares Ziel sei weiterhin, einen "Hard Brexit" zu verhindern und den Austritt "in geordnetem Maße" stattfinden zu lassen.

Die Führungsdebatte innerhalb der konservativen Partei (Tories) laufe bereits seit einiger Zeit und dies mache die Vorbereitungen nicht einfacher, gab der Bundeskanzler zu bedenken. Er trifft heute auch mit EU-Ratschef Donald Tusk zusammen, um das Vorgehen und die gemeinsame europäische Linie zu beraten.

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