"Talent ist unbedeutend"

Letzte Woche trat die Tennis-Elite zum ATP-Turnier in der Wiener Stadthalle an. Mittendrin: Dominic Thiem, Österreichs bester Tennisspieler seit Thomas Muster. Wie hat er das geschafft? Sein Trainer Günter Bresnik kann alles erklären

von Sport - "Talent ist unbedeutend" © Bild: News Gergely Stefan

Sie stehen seit mehr als dreißig Jahren fast jeden Tag auf dem Tennisplatz. Was fasziniert Sie an diesem Sport so, Herr Bresnik?
Die archaische Auseinandersetzung Mann gegen Mann, eins gegen eins - und das in einer der kultiviertesten Formen, die es gibt. Tennis ist für mich eine schöne Metapher für viele Belange des Lebens.

In Ihrem soeben erschienenen Buch "Die Dominic-Thiem-Methode" bezeichnen Sie Profitennis als "Labor unserer Gesellschaft". Im Tennis gibt es immer einen Sieger. Ist es im Leben nicht manchmal klüger, Kompromisse zu machen?
Ich bin kein Freund von Kompromissen. Meine Konfliktbereitschaft ist sehr groß, und es gibt gewisse Dinge, wo ich finde: Man sollte keinen Kompromiss eingehen, weil es für beide Seiten ein Schaden wäre. Aber mit "Labor unserer Gesellschaft" meine ich zum Beispiel auch den Umgang mit Erfolgen oder Niederlagen. Jeder gewinnt oder verliert irgendwann in seinem Leben. Zwischen Spitzensport und der freien Marktwirtschaft gibt es große Parallelen.

Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, ein Buch zu schreiben?
Das hat sicher auch damit zu tun, dass ich privat ein ereignisreiches Jahr hinter mir habe. Innerhalb von einem knappen Monat habe ich meinen Neffen durch Selbstmord und meinen Vater verloren. Wenn Sie so möchten, habe ich das Schreiben auch ein bisschen als Therapie verwendet. Aber selber wäre ich nie auf die Idee gekommen. Laura Seifert, die Verlegerin, hat gesagt: "Machen Sie das, ich lese immer Ihre Interviews, die sind so interessant und so anders als vieles andere, was ich lese" - da fühlt man sich natürlich geschmeichelt. Aber ich habe extrem unterschätzt, wie viel Arbeit das ist.

Das Buch ist eine Mischung aus Autobiografie und Erfolgsratgeber. Wie würden Sie es definieren?
Lehrbuch soll es keines sein. Ich beschreibe den Werdegang vom Dominic - in Verbindung mit meiner Entwicklung als Trainer: meine Lehrjahre, Gesellenjahre und Meisterjahre.

Sie kennen Dominic Thiem, seit er acht Jahre alt ist. Wann haben Sie erkannt, dass das was werden kann?
Ob ein Sportler das erreicht, was er sich vorstellt, hängt von so vielen Faktoren ab, auch Glück gehört dazu. Aber dass der Dominic grundsätzlich die Qualitäten hat, die ich bei erfolgreichen Menschen für ausschlaggebend halte, habe ich bei ihm schon zwischen zehn und zwölf erkannt. In seinen Zielen war der Bursche nie bescheiden. Aber in der Art und Weise, wie er daran herangegangen ist, war er sehr bescheiden. Ich habe auch gesehen, wie geduldig er ist. Und Geduld ist für einen erfolgreichen Sportler extrem wichtig - weil es immer Rückschläge geben wird. Ich erinnere nur an die nicht erkannte Krankheit, die ihn zwischen 16 und 19 stark geschwächt hat. Da hat man gesehen, wie hoch sein Durchhaltevermögen ist. Auch dass er es mit mir als Trainer schon 15 Jahre lang aushält, ist ein Qualitätskriterium, das man nicht hoch genug schätzen kann. Das ist mir beim Schreiben des Buches immer wieder bewusst geworden.

»Ich hatte schon früh den Spieler im Kopf, der er jetzt fast schon ist«

Sind Sie so ein harter Trainer?
Ich habe dem Kleinen schon extrem viel abverlangt. Vor allem ab dem Zeitpunkt, als ich gesagt habe, dass er zumindest ein Top-100-Spieler werden soll. Wobei ich in meinem Kopf schon sehr früh den Spieler skizziert habe, der er jetzt fast schon ist.

Gibt es einen Karriereplan: heuer Top Ten, nächstes Jahr Top Five?
Es gibt natürlich Ziele, aber die mache ich nie an Ranglistenpositionen fest. Da geht es um körperliche und spielerische, auch menschliche Entwicklungen. Die legen wir gemeinsam fest. Wenn ich mir für heuer etwas vorgestellt hätte, wäre das ein Platz zwischen 15 und 20 gewesen. Das hat er bei Weitem übertroffen.

© News Gergely Stefan

Im Juni, nach den French Open, lag er auf Rang sieben, derzeit ist er Nummer zehn. Wenn die Jahre mit Thiem Ihre Meisterjahre waren, ist er dann Ihr Meisterstück?
Das zu sagen, wäre dem Dominic und seinen Eltern gegenüber unfair. Er ist das Meisterstück seiner Eltern oder vom lieben Gott. Die Arbeit mit ihm ist mein Meisterstück.

Sie vergleichen sich im Buch mit einem Bildhauer, der aus einem Marmorblock eine Skulptur formt.
Ja, aber der Dominic ist eben ein Marmorblock und kein Kieselstein – das ist schon einmal außergewöhnlich. Und dieser Marmorblock war manchmal auch noch weich wie Sandstein, sodass er sich gut bearbeiten ließ. Sagen wir so: Der Dominic war ein Marmorblock, der schon wusste, wie er ausschauen möchte.

Hat man bei so einem Projekt als Trainer nicht auch viel Verantwortung?
Ja, die hat man. So ein kleiner Bub hört dir wahrscheinlich mehr zu als den Eltern. Und wenn ich was sage, ist das wichtiger als das, was der Lehrer in der Schule sagt. Wenn man da ein paarmal böse danebengreift, kann das zu einem dauerhaften Schaden führen. Da muss man schon aufpassen.

Als Thiem elf war, haben Sie sein Spiel radikal umgestellt. Von da an hat er ein paar Jahre lang nur noch verloren, davor hatte er fast immer gewonnen.
Ja, aber was er gewonnen hat, war bedeutungslos. Viele Eltern und auch manche Trainer glauben, dass das was Besonderes ist, wenn einer in Österreich Kreismeister wird. Aber mit diesen Siegen wird nur die Hoffnungslosigkeit überschattet. International kannst du damit gar nichts anfangen. Ich habe zu Dominic gesagt: "Wenn du mit 15 verlierst, ist mir das egal. Wichtig ist, was du mit 20 gewinnst."

»Als Talente gelten Leute, die weniger machen und mehr erreichen«

"Talent ist unbedeutend", schreiben Sie. "Übung macht den Meister, nicht Begabung." Könnte also theoretisch jeder in die Top Ten kommen, wenn er nur konsequent genug arbeitet?
Meiner Theorie zufolge, ja. Als Talente gelten bei uns Leute, die weniger machen und trotzdem mehr erreichen. Und das gibt es einfach nicht. Das gibt es in keinem Beruf - und schon gar nicht im Sport. Im Endeffekt sind immer die die Besten, die über eine längere Zeitspanne richtig trainieren.

Könnte man die Dominic-Thiem-Methode so zusammenfassen: Es braucht einen Trainer, der es wirklich weiß, und einen Spieler, der es wirklich will?
Ja, wobei "wollen" ein sehr dehnbarer Begriff ist. Beim Versuch, ein Ziel zu erreichen, wird das Ziel von vielen Menschen zum Wunsch degradiert. Und die Erfahrungen, die man als Trainer nach 30 Jahren mitbringt, sind natürlich schon ein riesiger Vorteil. Dazu kommt in diesem Fall die optimale Mitarbeit der Familie.

Mit seinen 23 Jahren ist Thiem der jüngste Spieler in den Top Ten. Hinter ihm gibt es aber ein paar Jüngere, die ihm auf den Fersen sind, etwa der 21-jährige Australier Nick Kyrgios oder der 19-jährige Deutsche Alexander Zverev. Wie stehen Thiems Chancen, einmal Nummer eins der Weltrangliste zu werden?
Ich glaube, dass der Sport in den nächsten zehn Jahren nicht mehr so von einem Spieler dominiert werden wird wie zuletzt von Federer oder Djokovic. Da gibt es eine Gruppe von fünf bis zehn Spielern, die sich die Vormachtstellung ausmachen werden. Und ich glaube, dass der Dominic einer davon ist. Kyrgios hat spielerisch das größte Potenzial, Zverev hat vom Gesamtkonzept her wahrscheinlich die besten Chancen.

Das Tennis wurde in den letzten zehn Jahren von den sogenannten "Big Four" dominiert - Federer, Nadal, Djokovic und Murray. Sie waren meistens noch eine Klasse besser als alle anderen. Was zeichnet diese Spieler aus? Sie spielen ja nicht besser Tennis, oder?
Doch, die spielen besser Tennis.

Aber wie gibt es das? Trainieren die Spitzenspieler nicht alle gleich viel?
Nein, da gibt es große Unterschiede. Ein Beispiel: Im September, beim Turnier in Metz, waren Trainingszeiten am Center-Court nur vor neun Uhr in der Früh zu haben. Und wissen Sie, wer von 7:45 bis 8:45 Uhr trainiert hat? Der Dominic und der David Goffin, die Nummer eins und die Nummer zwei des Turniers. Die anderen sagten sich: Wir schlafen lieber ein bissl länger und trainieren am Abend. Aber am Abend hat der Dominic noch einmal trainiert!

Ich dachte, es geht eher darum, dass die Besten in entscheidenden Phasen einfach cooler sind.
Warum sind sie cooler? Weil sie besser vorbereitet sind. Der Amerikaner Richard Savitt, Wimbledon-Sieger 1951, hat mich einmal gefragt: "Günter, was hältst du von positivem Denken?" Habe ich gesagt: "Das ist grundsätzlich in Ordnung. Aber mir ist wichtiger, ordentlich Vorhand und Rückhand zu trainieren." Sagt er: "Du bist mein Mann! Statt positiv zu denken, habe ich jeden Tag 200 Bälle auf Dosen serviert -und ich wusste: Wenn's im Tiebreak fünf zu fünf steht, ist die Wahrscheinlichkeit bei mir höher, dass ich den Ball reintreffe, weil ich's öfter geübt habe." Das ist für mich ganz klar: Wenn einer das Handwerk seines Berufs besser beherrscht, kann er es auch unter Druck besser anwenden.

Ihre Eltern waren Ärzte, und auch Sie haben acht Semester lang Medizin studiert. Warum sind Sie kein Arzt geworden?
Ich habe schon während meines Studiums in der Südstadt Trainerstunden gegeben und hatte dort Kontakt zu Spitzenspielern. Einer davon war der Horst Skoff. Und der hat mich 1987 gefragt, ob ich mit ihm reisen würde. Angefangen hat es gleich mit einer fünf Wochen langen Südamerika-Reise. Das gefällt dir mit 26 einfach. Zuerst wollte ich mir nur ein Semester Auszeit nehmen, aber mein Vater hat mir gleich prognostiziert, dass ich dabei hängen bleiben werde.

Haben Sie im Medizinstudium etwas gelernt, was Sie als Tennistrainer brauchen können?
Für einen Trainer ist ein solides Wissen über den menschlichen Körper sicherlich ein Vorteil. Und bei Verletzungen oder Erkrankungen weiß ich sofort, wo ich mich hinwenden muss. Durch meinen Vater kenne ich viele Ärzte. Auch das ist sicher ein Vorteil.

Aber selbst behandeln tun Sie nicht?
Nein, ich bin weit davon entfernt, ein Arzt zu sein. Aber bei Menschen, die in Ausnahmezuständen arbeiten müssen - und da gehören Spitzensportler dazu - ist es wichtig, zu verstehen, dass das gesamtheitliche Wohlbefinden nicht nur körperliche, sondern auch seelische Aspekte hat. Das ist etwas, was mir mein Vater von Kindheit an mitgegeben hat.

Klingt, als wäre Ihr Vater ein guter Arzt gewesen.
Für mich war mein Vater der beste Arzt. Weil er kein Symptombehandler war, sondern ein Ursachenforscher. So zu denken ist nicht nur in der Medizin wichtig.

Ihr Vater ist heuer mit 90 gestorben. Das Buch liest sich ein wenig wie eine Hommage an ihn.
Das ist es auch. Mir ist nur erst zu spät aufgefallen, dass meine Mutter, die schon 2002 verstorben ist, in dem Buch zu kurz kommt. Sie hat mich natürlich genauso geformt. Aber dass man als Sohn zum Vater ein besonderes Verhältnis hat, ist auch klar. Oft denke ich heute noch: Was hätte mein Vater in der Situation gemacht?

War er streng?
Ich bin nie geschlagen worden. Aber ein Nein war damals noch ein Nein. Auch, weil mein Vater sich ein Nein immer gut überlegt hat.

Sie schreiben, dass Sie schon als Fünfjähriger von Tennis fasziniert waren - vor allem vom "Plopp-Plopp" der Schläge. Noch heute wissen Sie den Klang eines sauber getroffenen Balls zu schätzen. Könnten Sie bei einem Match blind sagen, wie es ausgeht?
Ich glaube schon - wenn ich weiß, wer auf welcher Seite spielt.

Sie sind schon lange im Geschäft. Wird da nicht vieles zur Routine?
Nein, aber ich bin natürlich privilegiert. Ich weiß nicht, ob ich noch die gleiche Begeisterung für den Job hätte, wenn ich seit 30 Jahren nur mit Kindern oder mit Hausfrauen arbeiten würde und wüsste: Jeden Mittwoch um 17 Uhr kommt die Frau Maier, und dann ist der Karli dran. Ich hatte das Glück, dass ich die Erfolgsleiter des Trainers nach oben gestolpert bin.

Horst Skoff, Ihr erster Schützling, ist mit 39 Jahren unter mysteriösen Umständen verstorben. Im Buch fragen Sie sich, ob Sie mitverantwortlich sind an seinem Schicksal. Sind Sie da nicht zu streng mit sich?
Ich glaube, das ist normal. In den drei Jahren, die ich sein Trainer war, hatten wir ein extrem enges Verhältnis, der Skoffie hat sogar bei mir gewohnt - da fragt man sich natürlich, ob man irgendwelche Hinweise nicht erkannt hat. Ich hab den Horst sehr gern gehabt, weil er ganz anders war als ich. Ich bin einer, der alles hinterfragt, der Skoffie war ein impulsiver Mensch, der seine Emotionen viel besser ausleben konnte. Und er war ein Riesentennisspieler, ich verdanke ihm beruflich viel: Wenn in dieser Branche der erste Versuch fehlschlägt, ist es vorbei.

»Die Zeit mit Boris war für mich eine ganz wichtige Lektion«

Später haben Sie mit Boris Becker gearbeitet, der damals in einer Krise war. Die Zusammenarbeit war erfolgreich, wurde aber bald beendet. Warum?
Als Coach ist man ja nicht nur Trainer, das geht auch in private Dinge hinein. Und durch meinen krankhaften Ehrgeiz habe ich damals nicht erkannt, dass ich ihm eine Pause geben hätte müssen. Die Zeit mit Boris war für mich eine ganz wichtige Lektion: Seither weiß ich, dass man seinen eigenen Willen nicht immer durchsetzen darf. Nachgeben war für mich immer eine Schwäche. Aber das stimmt eben nicht: Es gibt Situationen, wo Nachgeben eine Stärke ist.

Immerhin haben Sie Becker in neun Monaten von Platz neun auf Platz zwei in der Weltrangliste gebracht.
Ja, aber man wird als Trainer immer angezweifelt, wenn man mit einem Spieler arbeitet, der schon gut war. Auch bei Becker hieß es: Der kann sowieso Tennis spielen, was hast du denn da gemacht? Deswegen ist es für einen Trainer außergewöhnlich erfüllend, wenn man einen Spieler wie den Dominic vom achten Lebensjahr bis in die Top Ten führt.

Eine Zeit lang haben Sie von Thiem gar kein Geld genommen. Wie ist das heute, kriegen Sie Prozente?
Wir haben vor zwei Jahren eine Abmachung getroffen, aber darüber spreche ich nicht. Sagen wir so: Wenn der Dominic gutes Geld verdient, verdiene auch ich gutes Geld.

Zitat Bresnik: "Es gibt kaum eine Situation, in der man im Trainingsanzug unpassend gekleidet wäre." Gibt es Situationen, in denen Sie etwas anderes anziehen?
Ich ziehe nicht ungern was anderes an, aber ich bin kein Anzugmensch. Und wenn du zehn oder 15 Kilo zu viel hast, sind eine Jogginghose und ein weiter Sweater halt eine extrem angenehme G'schicht.

Günter Bresnik

Der 1961 geborene Bresnik wuchs in einer Perchtoldsdorfer Ärztefamilie auf, brach sein Medizinstudium aber ab, um als Tennistrainer international Karriere zu machen. Er arbeitete u. a. mit Horst Skoff, Boris Becker, Henri Leconte, Stefan Koubek und Ernests Gulbis; Dominic Thiem baute er zum Weltklassespieler auf. Bresnik leitet ein Tennis-Leistungszentrum in der Südstadt bei Wien, er lebt mit Frau und vier Töchtern in Innermanzing (NÖ).

© Union Wagner/Skarwan

Das Buch

Günter Bresnik:
Die Dominic-Thiem-Methode.
Erfolg gegen jede Regel.
Seifert Verlag, € 24,95

Kommentare

Rigi999 melden

"Talent ist unbedeutend" - so einen Schwachsinn schreiben!!! Muster war kein Talent, Sampras usw. war ein Talent!! Nur immer wild auf den Ball dreschen ist kein Talent, da gehört vor allem das Volleyspiel und Spielwitz, Varieren der Schläge,Schlagvielfalt usw. Nur Aufschläger sind keine Talente!

strizzi1949
strizzi1949 melden

Schon lustig, wenn ein Noname wie Sie, einen Spitzentrainer, der schon bewiesen hat, dass er was kann, kritisieren, nicht zu wissen, was er schreibt! Wenn der sagt "Talent ist unbedeutend", dann ist es definitiv so! Aber es gibt ja immer Besserwisser, wie Sie! Komisch nur, dass die keine entsprechenden Jobs haben!

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