Boris Becker: Spiel, Satz, Knast

Der einstige Tennis-Held Boris Becker muss wegen Insolvenzverschleppung zweieinhalb Jahre hinter Gitter. Sein ehemaliger Trainer Günter Bresnik versucht, die immense Finanz-Malaise des gefallenen früheren-Sport-Millionärs zu erklären.

von Boris Becker © Bild: IMAGO images/ZUMA Wire

Die schmerzhafteste Niederlage seines Lebens musste Boris Becker auf keinem Center Court, in keiner Tennishalle einstecken, sondern in einem stickigen Londoner Gerichtssaal. Am Southwork Crown Court verkündet die als knallhart verschrieene Richterin Deborah Taylor am 29. April das niederschmetternde Urteil: "Zweieinhalb Jahre Gefängnis." Das zeigt Wirkung. Nach der Strafmaßverkündung fällt Becker nach vorne und muss sich laut Gerichtskiebitzen an der Anklagebank abstützen. Dann bindet er sich die Schuhe, greift nach seiner Sporttasche und verlässt aufrecht und stoisch den Gerichtssaal in Richtung Sicherheitstrakt. Von dort aus wird er noch am Abend in das Wandsworth-Gefängnis - unter Häfenbrüdern als Screw-Jail bekannt -gebracht.

Es war indes nicht Beckers erster hautnaher Kontakt mit der Justiz. Das Landgericht München verurteilt ihn im Oktober 2002 wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, allerdings auf Bewährung.

Millionenbeträge verheimlicht

Tennis-Coach Günter Bresnik, 61, kümmert sich bereits seit 1986 darum, dass seine Schützlinge in der Tennis-Weltrangliste so weit wie möglich nach oben kommen. Das ist ihm auch mit Becker gelungen, als er den Deutschen ab den US Open 1992 ein Jahr lang trainierte und von Platz neun auf Platz zwei in der ATP-Liste brachte. News erreicht den Wiener Erfolgstrainer unmittelbar, nachdem der Schuldspruch online ging. Er ist hörbar entsetzt: "Dass er wegen eines reinen Wirtschaftsverbrechens ins Gefängnis muss, und wenn ich mir dann anschau, mit welch milder Strafe Gewaltverbrecher davonkommen, dann steht das in keiner Relation. Die Haftstrafe für Boris ist unangebracht."

Eine Jury aus Laienrichtern sah das anders. Seit März des Jahres musste Becker, der in London lebt, Insolvenzverwaltern sein Vermögen offenlegen, nachdem er 2017 gerichtlich für zahlungsunfähig erklärt worden war. Sein Gedächtnis dürfte ihm allerdings einen Streich gespielt haben, denn er verschwieg nach Einschätzung des Gerichts wichtige Geldwerte, beispielsweise ein Immobilie in seinem Geburtsort Leimen im Wert von 1,2 Millionen Euro oder eine Darlehensschuld in Höhe von 825.000 Euro -um nur die wichtigsten zu nennen. Folge: Becker wurde im folgenden Prozess in vier von 24 Anklagepunkten schuldig gesprochen, die zusammengerechnet eine verschleierte Summe in Millionenhöhe ergab.

Viel konnte der im Tenniszirkus höchst angesehene Bresnik zum Thema Sport erzählen und erklären. Etwa, wie sich das Herrentennis im Lauf der Jahrzehnte verändert hat, warum das eine Talent an die Spitze kommt, das andere aber nicht. Auch, warum er, der eigentlich Arzt werden wollte, eben zum Tennistrainer umswitchte: "Als mich der damals aufstrebende Horst Skoff 1987 gefragt hat, ob ich mit ihm fünf Wochen auf Südamerika-Tour gehen würde, habe ich gleich Ja gesagt. Das gefällt dir halt mit 26. Aber es wurde ja bekanntlich mehr als das ursprünglich geplante eine Semester Auszeit." Bei der Evaluierung der Aktiva und vorrangig Passiva seines ehemaligen Schützlings aus Leimen tut sich Bresnik ungleich schwerer, den derart schwindelerregenden Schuldenberg -in britischen Medien kursierten Summen bis zu 50 Millionen Euro -zu erklären. Eines ist ihm freilich in bester Erinnerung: "Als ich mit Boris gearbeitet habe, hat er gut verdient. Und damit meine ich: richtig gut."

Sportlich lief es für Boris Becker in dieser Zeit ausgezeichnet. Er holt Titel in halb Europa und Amerika. Diese Erfolge haben sich in seiner aktiven Zeit zwischen 1984 und 1999 in klingender Münze bezahlt gemacht. So soll er gut 25 Millionen US-Dollar allein an Preisgeldern erspielt haben.

Schuld am Reichtum des Boris Becker war ein Rumäne mit schwarzer Löwenmähne, einem gewaltigen Schnauzbart und einem, nennen wir es so, richtig glück lichen Händchen für Geld. Nach einer kurzen Eishockey-Laufbahn und einer gar nicht so unerfolgreichen als Tennisspieler (mit dem damaligen rumänischen Tennisstar Ilie Nastase gewann er 1970 das Doppel der French Open) wechselte der in Kronstadt geborene Ion Tiriac die Seiten und wurde Coach und Manager. Sein Freund, der ebenfalls in Kronstadt geborene Günther Bosch, damals Nachwuchstrainer beim Deutschen Tennis Bund, machte ihn auf einen schlaksigen rothaarigen Burschen, gerade 15 Jahre alt, aufmerksam. Tiriac erinnert sich in einer Tennis-Website an den ersten Kontakt mit Jung-Boris: "Ich sah einen Burschen, der nur so über den Platz gestolpert ist. Er konnte keinen Fuß vor den anderen setzen, seine Beinarbeit war so schlecht. Aber dafür waren seine Schläge unglaublich, und ich konnte in seinen Augen diesen unbändigen Willen sehen. Er hatte ein Gier, die nicht gewöhnlich war."

Die Geldmaschine Ion Tiriac

Dieser Hunger wurde auch pekuniär gestillt. Denn Becker spielte immer besser, weil ihn Bosch trainierte und Tiriac, der Verträge und Geld beschaffte, kassierte. Vom Preisgeld bekam er zehn Prozent, von den Werbeeinnahmen 30 Prozent. Becker wurde dennoch locker zum Multimillionär, da vor allem nach seinem Wimbledon-Sieg 1985 als (noch immer) jüngster Spieler der Tennisgeschichte die Geldquellen so richtig zu sprudeln begannen. Und als er 1991 zur Nummer eins der Tenniswelt aufsteigt, kennen Jubel und Einnahmen gleichermaßen keine Grenzen mehr.

Scheidungen waren sein Ruin

"Boris war sicher kein Big Spender", sagt Bresnik in Erinnerung an das goldene Zeitalter von Becker, "aber natürlich war er großzügig, hat Freunde eingeladen, hat feudal gewohnt. Und dann sind plötzlich auch die Schulterklopfer da, die dir noch bessere Geschäftsmodelle vorschlagen, und du bist derjenige, der die anderen finanziert und selber nichts davon hat." Der größte Fehler aber, ist sich Bresnik sicher, war die Trennung von Tiriac. "Mit Ion an seiner Seite wären viel unliebsamen Dinge nie passiert. Ich denke, das weiß auch Boris selbst." Als Aperçu sei hier vermerkt, dass der heute 82-jährige Tennis-Grandseigneur Tiriac inzwischen 1,5 Milliarden Euro schwer ist und damit die Fußball-Superstars Lionel Messi und Cristiano Ronaldo sogar zusammen weit hinter sich lässt. Hat zumindest die englische "Sun" errechnet.

"Auf der anderen Seite", so Bresnik weiter, "verstehe ich, dass ein Wimbledon-Sieger seine eigenen Entscheidungen treffen möchte. Jedoch bei Menschen, die in einem Bereich außergewöhnlich sind, besteht die Gefahr, dass sie sich auch in anderen Sparten für Koryphäen halten."

Endgültig in den Ruin getrieben hätten Becker allerdings die Scheidungen, ist sich Bresnik sicher und stellt eine simple Rechnung an: "Wenn sich reiche Paare scheiden lassen, dann ist zumeist die Hälfte des Vermögens weg. Und dann kann man sich leicht ausrechnen, was passiert, wenn man sich zweimal scheiden lässt." Tatsächlich kamen Becker die Trennungen von seinen Frauen teuer zu stehen. Ehefrau Nummer eins, Barbara (geborene Feltus), mit der er zwei Söhne hat, bekam 15 Millionen Euro zugesprochen. Wie viel es für Ehefrau Nummer zwei, die Holländerin Lilly Becker (geborene Kerssenberg), ist, mit der ihn ebenfalls ein Sohn verbindet, ist nicht bekannt. Unbestätigten Gerüchten verlangt sie 35.000 Euro im Monat für sich und Filius Amadeus. Und dann ist da noch eine Frau, oder sollte man sagen: Mädchen, für die Becker aufkommen muss: Tochter Anna Ermakova, als Ergebnis eines "Quickies in der Wäschekammer" durch die Weltpresse gegangen und somit Grund für Scheidung Nummer eins, soll mit monatlich 5.300 Euro verpflegt werden. Wobei ihre Mutter Angela mit fünf Millionen Euro als einmalige Unterhaltszahlung abgefunden worden sein soll. Statt Dankbarkeit zeigte die Russin aber kurz vor Prozessbeginn Kälte, indem sie britischen Medien verriet: "Boris wollte von mir Geld leihen."

Wirklich verwundert Bresnik ob dieser Zahlen, "dass jemand, nachdem er vor 20 Jahren mit seinem Sport aufgehört hat, so viel Geld verdient hat und dann pleite ist."

Viele Werbeeinsätze nach Karriere

Aber auch nach Ende seiner aktiven Laufbahn lechzten viele Firmen nach dem Werbegesicht Boris Becker: Sportartikelhersteller, Baumarkt oder Internet-Anbieter. Legendär ist in diesem Zusammenhang der Werbespot für AOL: "Bin ich schon drin?" Weiters besaß Becker bis 2017 Beteiligungen an drei Mercedes-Autohäusern und war obendrein Werbebotschafter des schwäbischen Autobauers. Allerdings endete diese Zusammenarbeit ebenso im Dilemma wie seine Geschäftstätigkeit für Boris Becker &Co, in der Beteiligungen und Rechte aller Art gebündelt waren, aus dem Schweizer Steuerparadies Zug. Sein ehemaliger Partner Hans-Dieter Cleven ist heute einer seiner größten Gläubiger.

Becker-Biograf Christian Schommers ("Das Leben ist kein Spiel") bringt die Malaise auf den Punkt: "Boris lebte noch immer so wie zu seinen aktiven Zeiten. Aber er spielt nun nicht mehr in Wimbledon um viele Millionen Preisgeld." Und das Gefängnis werde Becker völlig verändern.

Günter Bresnik glaubt nicht, dass die Haft Becker brechen werde: "Das wird ein schwerer, schwerer Test für ihn, aber er steht das durch. Unter Druck hat er immer das Maximum seiner Qualitäten hervorgeholt." Abwarten, ob Becker auch dieses Ass schlagen kann.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News-Magazin Nr. 18/2022.