AGES: Wie eine Pharmalobbyistin an einen Spitzenposten kam

Eine Interessenvertreterin der Pharmaindustrie soll künftig im Auftrag des Ministeriums ihre angestammte Branche kontrollieren. Möglich ist das auch, weil Postenvergaben in der AGES unter dem Radar verlaufen.

von AGES Mödling, UVC-Schleuse © Bild: AGES/Felice Drott

Seit genau einer Woche dreht sich in Wien das Karussell der Krisenkommunikation. Dabei schicken Vertreter von Gesundheitsministerium, der AGES und der pharmazeutischen Industrie Journalisten mit ihren Fragen im Kreis. Der Anlass:

Vergangenen Freitag wurde öffentlich, was unter der Tuchent bereits einige Tage zuvor in der Gerüchteküche österreichischer Pharma-Insider vorgewärmt worden war. Eine viele Jahre in der Interessenvertretung der pharmazeutischen Industrie tätige Expertin für Arzneimittelzulassung soll bis zum Sommer die Seiten wechseln und die Leitung der Medizinmarktaufsicht (MEA) der staatlichen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) übernehmen. Die Abteilung hat 300 Mitarbeiter und vor allem: Bedeutung.

Spätestens mit Beginn der Covid-Krise rückten Medizinprodukte und Pharmazeutika ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Angefangen bei Schutzausrüstung über hochkomplexe Beatmungsgeräte bis hin zu Impfstoffen und Medikamenten. Und dies nicht nur bei Covid. Aufgabe der Medizinmarktaufsicht ist es, all diese Produkte -oder, präziser: deren Hersteller -im Zulassungsprozess zu begleiten und später zu kontrollieren. In einem Imagevideo, das die AGES zu Anschauungszwecken bei Tagungen, Fortbildungen und Vorträgen zeigt, beschreibt die aktuelle Chefin der Abteilung, Christa Wirthumer-Hoche, die Aufgaben ihres Teams.

7 Mrd. Euro

Summe der jährlichen Ausgaben von öffentlicher Hand und Privathaushalten für Pharmazeutika und medizinische Verbrauchsgüter

Diese beginnen demnach "mit der Beratung während der Entwicklung eines Arzneimittels bis hin zur Bewertung der Zulassungsunterlagen". Damit enden die Aufgaben der MEA jedoch nicht. Sind die Pharmazeutika erst einmal am Markt, überprüft die Einheit laufend Sicherheit und Nebenwirkungen und führt auch Inspektionen vor Ort, nämlich direkt bei den Herstellern, durch. Die Gutachten der MEA entscheiden also unmittelbar über die Geschäftszahlen einer Industrie, die künftig eine Expertin aus dem eigenen Stall an dieser verantwortungsvollen Schlüsselposition sitzen haben wird.

Seit 2020 im Lobbyingregister

Wenn die bisherige Leiterin, eine Biochemikerin, nach fast 40 Jahren im Bundesdienst nächsten Sommer in den Ruhestand tritt, wird ihr Helga Tieben folgen. Tieben ist seit 27 Jahren in der Pharmig tätig. Die Interessenvertretung der Industrie spricht für knapp 95 Prozent der österreichischen Marktteilnehmer und hat sich selbst erst im Jahr 2020 im Lobbyingregister der Republik registriert. In der dort hinterlegten Selbstbeschreibung findet man Sätze, die bei naiver Betrachtungsweise fast auf einen philantropischen Selbstzweck der Organisation schließen lassen. Da steht zum Beispiel:

"Oberstes Ziel des Verbandes und der Pharmaindustrie ist es, eine optimale Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten sicherzustellen."

Erst ein Blick auf die Marktdaten offenbart, was der Satz auch bedeutet. "Optimale Versorgung", also möglichst einfacher Zugang zu Medikamenten, führt unmittelbar auch zu optimalen Umsätzen. Laut den aktuellsten Aufzeichnungen der Statistik Austria gab die öffentliche Hand für Pharmaprodukte zuletzt 4,2 Milliarden Euro im Jahr aus. Aus privaten Haushalten kamen noch einmal 2,8 Milliarden Euro hinzu. Weil diese Daten das Jahr 2019 abbilden, sind die Covid-Jahre 2020 und 2021 noch gar nicht erfasst.

Und für die amtliche Kontrolle dieses gigantischen Marktes soll künftig also eine langjährige Mitarbeiterin der Industrie tätig sein.

Die sagenumwobene Kommission

Die geplante Personalrochade erntete viel öffentliche Kritik von Antikorruptions-NGOs wie Transparency International, Compliance-Experten und der Opposition im Parlament. Doch das Problem gründet noch deutlich tiefer, als es die fragwürdige Optik vermuten lässt. Der gesamte Bestellprozess von Spitzenpositionen innerhalb der AGES wird mit voller Absicht vor der Öffentlichkeit verborgen gehalten. Seit vielen Jahren. So sind auch Stellenbesetzungen möglich, die eigentlich den Anforderungen der Position widersprechen. Was bedeutet das?

Im Herbst 2021 schrieb die AGES auf ihrer Webseite und in mehreren Zeitungen die Position der MEA-Leitung aus. Voraussetzung für Interessenten: "Abgeschlossenes Studium der Humanmedizin oder naturwissenschaftliches Studium." Helga Tieben hat Publizistik studiert, verfügt laut Lebenslauf über Zusatzausbildungen in Recht und Wirtschaft. Wie war dieser Spagat möglich? Und wo liegt nun die Intransparenz?

Während Tieben und ihr bisheriger Arbeitgeber, die Pharmig, keine Fragen dazu beantworten, verweist die AGES auf ein "objektives Bewertungsverfahren", in dem die Bewerberin eine "aus internen und externen Teilnehmern zusammengesetzte Hearing-Kommission" von ihrer Qualifikation überzeugen konnte. Wer aber in dieser Kommission saß, also, überspitzt formuliert, der Meinung war, dass ein Publizistikstudium den Anforderungen genauso gut entspricht, ist ein gut gehütetes Geheimnis. AGES, Pharmig und Ministerium schweigen diesbezüglich eisern. Auch Anzahl und Qualifikation der Mitbewerber werden auf Anfrage nicht genannt. Die Taktik ist folgende: Für die schiefe Optik verantwortlich gemacht wird ein Gremium, auf das niemand Einfluss gehabt haben will. Und auch wer in diesem Gremium saß und wer genau seine Mitglieder bestellte, bleibt im Verborgenen.

Die Geschäftsordnung der AGES sieht das nämlich nicht vor. Ein langjähriger Mitarbeiter des Hauses berichtet davon, dass dies einer der Gründe gewesen sei, warum die AGES 2002 als "Firma", genau genommen als GmbH, gegründet wurde. Während Besetzungen von Spitzenpositionen in Ministerien vergleichsweise transparent ablaufen (zumindest müssen die Namen der Kommissionsmitglieder, die Zahl der Bewerber und deren Reihung veröffentlicht werden), unterliegt die AGES nicht einmal dem Anfragerecht von Abgeordneten im Parlament.

Im Büro von Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein sieht man die Verantwortung für die Personalentscheidung deshalb auch allein bei der Hearing- Kommission und der Geschäftsführung der AGES. Diese entscheide frei und ohne Weisung aus dem Gesundheitsressort.

Mücksteins Beamtin war dabei

Ganz so einfach scheint die Verteilung von Verantwortung aber dann doch nicht zu sein. Unsere Recherchen ergaben, dass eine unmittelbar dem Minister unterstellte Spitzenkraft des Ressorts an der Entscheidung mitwirkte: Katharina Reich. Sie ist Sektionschefin für Öffentliche Gesundheit und Co-Vorsitzende der Gesamtstaatlichen Covid-Krisenkoordination (GECKO) und war Mitglied besagter Hearing-Kommission zur Bestellung von Helga Tieben. Eine Information, die das Ministerium auf Nachfrage bestätigte, aber nicht weiter kommentierte.

Für die Version von AGES und Gesundheitsministerium spricht, dass Tieben - auch wenn sie die formalen Anforderungen nicht erfüllte - lange Erfahrung am Sektor der Arzneimittelzulassung hat. Zudem deutet vieles darauf hin, dass es gar nicht so einfach ist, sachkundige Experten aus dem Sektor in staatsnahe Unternehmen zu bringen. Ein Kunststück, das der AGES in anderen Zuständigkeitsbereichen denoch regelmäßig gelingt.

Unabhängig vom Verlauf des Bestellprozesses scheint man sich im Gesundheitsministerium keine Gedanken darüber gemacht zu haben, welches Bild diese Personalentscheidung in einer aufgeheizten Lage macht, in der gesundheitspolitische Entscheidungen im Zusammenhang mit der pharmazeutischen Industrie ohnedies unter genauer Beobachtung des Publikums stehen. Wie eine solche Bestellung gegenüber der Bevölkerung erklärbar sei, wollten wir von Wolfgang Mückstein wissen. Antwort? Keine.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der aktuellen Printausgabe von News (05/2022) erschienen.