Bildschirmgesicht mit Hörfunkstimme

Seit 1981 führt der ORF "Sommergespräche" in variierten Fernsehformen. Die längsten politischen TV-Interviews des Jahres sind mehr denn je Quotenhits. Doch Julia Schmuck und Tobias Pötzelsberger haben es heuer besonders schwer. Wie auch die Parteichefs.

von Medien & Menschen - Bildschirmgesicht mit Hörfunkstimme © Bild: Gleissfoto

Ein "Tatort" und eine "ZiB 2" kamen 2021 in die Top 30 der meistgesehenen Sendungen: Regelmäßig verschafft aber ausschließlich die "Zeit im Bild" ORF2 eine siebenstellige Publikumszahl (abgesehen von der Summe für neun "Bundesland heute"). Entsprechend logisch wirkt die frühzeitige Bewerbung einer Reihe, die immer wieder an der Millionenschwelle kratzt: Die "Sommergespräche" sind mehr Quotenhit denn je. Folgerichtig setzt der ORF an den fünf Montagen ab 8. August auf Tobias Pötzelsberger (39) als Fragesteller. Der im Landesstudio Salzburg Bewährte hat sich seit seiner bundesweiten Entdeckung im Zuge des Ibiza-Skandals als jüngstes Gesicht der "Zeit im Bild" profiliert. Die Reichweite seines "Sommergesprächs" 2019 mit Sebastian Kurz wurde nur von dessen hitzigem Talk mit Tarek Leitner 2017 übertroffen. Hans Bürgers Befragung von Heinz Christian Strache 2017 komplettiert den Millionenklub.

Überraschend hingegen wirkt, dass der Paar-Moderationen gewohnte Pötzelsberger nun auch bei den längsten Politiker-Interviews jeden Jahres nicht allein die Fragen stellt. Ihm zur Seite sitzt Julia Schmuck (35) von Ö1. Der ORF betont, dass erstmals in der 41-jährigen Sendungsgeschichte ein Duo von TV und Radio durch die Gespräche führt. Das ist mehrfach spannend. Als internes Signal an die im trimedialen Newsroom integrierten Fernseh- und Hörfunk-Redaktionen weckt es die Frage nach Emanzipation des Dritten im Bunde - der Online-Abteilung. Immerhin ist Digitalisierung auch beim ORF zumindest Devise Nr. 1. Daneben erscheint ein Stilvergleich reizvoll. Der Kamera-Erprobte mit der darob unvermeidlichen Spekulation auf Bildschirmwirkung und die auf hartnäckig-höfliche Nachfrage ausschließlich mit Stimmeinsatz Getrimmte. Im Ö1-Format "Im Journal zu Gast" liegt das beste Trainingsrevier dafür. Auch abgesehen von dieser Samstagreihe brauchen die Radio-"Journale" den Vergleich mit der TV-Info nicht zu scheuen. Sie hatten an den Wochentagen 2021 im Schnitt mehr als 700.000 Zuhörer. Und es gibt auch ein Beispiel, wie flott der Sprung vom Hörfunk zum Fernsehen funktionieren kann. Die heutige Leiterin der "Journale" und stellvertretende Radio-Chefredakteurin Gabi Waldner moderierte 2006 die "Sommergespräche" nur zwei Monate nach ihrem Bildschirmdebüt in einer "Pressestunde". Dagegen hatten die "Zeit im Bild"-Redakteure unter Danielle Spera und Tarek Leitner noch protestiert. Doch Waldner saß bald "Im Zentrum" und war 3,5 Jahre Gesicht und Co-Leiterin des "Report", bevor sie zurück ins Funkhaus ging. Es ist nun bald ebenso Geschichte wie diese Anekdote. Nicht von ungefähr sind die "Sommergespräche" 2022 auf der Terrasse des neuen Newsrooms auf dem Küniglberg. Es gibt also einige Premieren, während mit Kurz und Strache die historisch stärksten Zugpferde fehlen. Herbert Kickl hat als Zweiter 2021 aber die sechsthöchste Reichweite seit 1981 erzielt. Nur 2018 fragte bisher ein Mann-Frau Duo: Hans Bürger und Nadja Bernhard. 1990 war Elisabeth Ludl die erste weibliche Bereicherung eines Interviewer-Trios, 1997 sorgte Margit Czöppan für die feminine Single-Uraufführung.

Mittlerweile wird das Format derart zelebriert, dass die folgende Analyse mit Politikwissenschaftler Peter Filzmaier in der "ZiB 2" schon in Quotenkonkurrenz zum eigentlichen Ereignis steht und auch ORF III sich mit "Sommer(nach)gesprächen" anhängt. Dass die Ausstrahlung nach "Liebesgeschichten und Heiratssachen" ein Erfolgsgeheimnis ist, bleibt aber meistens als solches gehütet. Unabhängig davon werden die Karten heuer auf beiden Seiten neu gemischt. Für Karl Nehammer wäre es ein weiterer Imageschaden, wenn das Interesse an Pamela Rendi-Wagner größer wäre als an ihm. Kickl hingegen steht als Reichweitenfavorit lediglich in einer Sensationslustreihe mit Strache und Jörg Haider. Für Pötzelsberger und Schmuck ist die Herausforderung allerdings am größten. Sie müssen einen Weg finden, das traditionell eher leichtere Format der "Sommergespräche" mit der aktuell notwendigen Relevanz anzureichern: Das Publikum will vor allem Antworten zur Krisenbewältigung.