Beate Meinl-Reisinger: "Dieses Machtkartell muss zerbrechen"

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger sagt: Die ÖVP presse "den Selbstständigen das Geld für Inserate raus". Sagt aber zum U-Ausschuss: "Haben Sie den Eindruck, dass es mit der SPÖ anders wäre?" Dennoch: Neos würde nach der nächsten Wahl mit beiden Parteien über eine Koalition verhandeln.

von Beate Meinl-Reisinger © Bild: News/ Ricardo Herrgott
Beate Meinl-Reisinger (* 25. April 1978)
Die Juristin aus Wien war zunächst Mitarbeiterin des Abgeordneten Othmar Karas und der ehemaligen Familienstaatssekretärin Christine Marek. 2012 verabschiedete sie sich von der ÖVP und gehörte zum Gründungsteam der Neos. Sie war Nationalratsabgeordnete, 2015 wechselte sie nach Wien, wo sie Landesparteichefin und Gemeinderatsabgeordnete war. 2018 folgte sie Matthias Strolz als Bundesparteichefin der Neos.

Noch zweieinhalb Jahre bis zum regulären Wahltermin. Auch wenn die Opposition das fordert, deutet wenig auf eine vorgezogene Nationalratswahl hin, weil ÖVP und Grüne dabei nur verlieren können. Wie sehr frustriert Sie diese Aussicht?
Um mich geht es ja nicht. Sorgen mache ich mir aber. Wir sind mitten in einer dramatischen Krise, dem Ukraine-Krieg, und auch mitten in der Klimakrise. Aber die Regierung macht nichts. Es gibt einen Stillstand wie zu Zeiten der Großen Koalition. Na gut, die beiden Parteien können jetzt nicht wählen. Aber das ist kein Grund, dass man einander gegenseitig lähmt. Alle Probleme werden von dieser Regierung nur "beobachtet" und in Arbeitskreise verschoben. "Never waste a good crisis" ist eigentlich ein Satz, den ich überhaupt nicht mag, weil er den Betroffenen gegenüber zynisch ist. Aber natürlich müsste man jetzt mehr machen und sich die wesentlichen Fragen stellen: Wo sind die Innovationen? Was ist unsere Rolle in Europa und der Welt? Woher kommt unser Wohlstand, wie finanzieren wir die Sozialsysteme? Was ist mit der Bildung? Was mit der Landesverteidigung - auch der geistigen?

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Wer ist schuld am Stillstand?
Man kann beide Regierungsparteien nicht aus der Verantwortung entlassen. Die ÖVP ist in einer Dauerkrise. Aber ich würde so weit gehen, zu sagen, dass auch die Landeshauptleute einen erklecklichen Anteil am Stillstand haben. Die haben es sich wohlig warm eingerichtet unter der Sonne der Macht. Dass das nicht zu einem Reformschub im Land führt, haben wir in der Pandemie, aber auch schon in den Jahrzehnten davor gesehen.

Die Landeshauptleute hatten immer das Selbstbewusstsein, zu glauben, sie wissen besser, wie Politik geht - egal, wer gerade in der Bundespolitik am Werk ist. Ihr Krisenmanagement während Corona hat sie aber entzaubert.
Es hat kein Krisenmanagement gegeben. Subsidiarität ist eine tolle Sache, wenn sie wirklich gelebt wird und die Dinge dort entschieden und umgesetzt werden, wo sie hingehören. Das ist in Österreich nicht so. Da ist viel historisch gewachsen und verflochten und eigentlich bewegt sich nichts. Siehe Bildung und Gesundheit. Im Bereich des Pandemiemanagements hat die österreichische Realverfassung nur dazu geführt, dass sich Bund und Länder gegenseitig den "Schwarzen Peter" zugeschoben haben. Man denke an den Schutz der Pflegeheime und die vielen Toten dort in den ersten Monaten der Pandemie. Der Gesundheitsminister hat die Verantwortung zu den Ländern geschoben, diese weiter zu den Trägern. Dieser Föderalismus ist verantwortungslos und zudem auch noch teuer. Ich frage mich angesichts der explodierenden Staatsschulden, ob wir uns das leisten können.

Während Corona sind diese Schwächen offensichtlich geworden. Auch Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker hat gemeint, man müsse prüfen, ob der Föderalismus ein Hemmschuh war. Glauben Sie, es wird sich etwas ändern?
Ich glaube, dass die Regierung, aber insbesondere die Altparteien noch gar nicht verstanden haben, was die Uhr schlägt. Es ist bei ganz vielen Fragen fünf vor zwölf. Klima. Bildung. Innovationskraft. Wettbewerbsfähigkeit. Korruptionsbekämpfung. Ich habe nicht den Eindruck, dass diese Parteien verstanden haben, dass sie sich selber erneuern müssen, um das Land erneuern zu können. Ich fürchte, dass auf absehbare Zeit nichts passieren wird. Zum Beispiel bei der kalten Progression. Ich halte es für wichtig, diese abzuschaffen. Gerade in Zeiten einer Inflation ist das ein Körberlgeld, das man im Politikverständnis des vorigen Jahrhunderts dann gnädig verteilt. Das ist Zukunftsraub und ein obrigkeitshöriges Verständnis vom Staat. Der Finanzminister hat unter Druck die Abschaffung in den Raum gestellt, aber ich glaube, das wird in den Mühlen einer Arbeitsgruppe zermahlen werden.

Wirtschaftsforscher Christoph Badelt sagt, ein Automatismus bei der Abschaffung der kalten Progression wäre schlecht. Man müsse das Zurückgeben der Einnahmen politisch gestalten können.
Das ist ein sehr etatistischer Zugang. Dem kann ich nicht viel abgewinnen. Ich glaube nicht, dass Österreich daran krankt, dass wir zu wenig Steuereinnahmen haben. Und es gibt durchaus nicht zu wenig Fantasie der Politiker und Politikerinnen, wofür sie sie ausgeben könnten. Woran Österreich krankt, ist die Bereitschaft, das Land so zu reformieren, dass man auch ausgabenseitig etwas tut und den Menschen wieder mehr finanzielle Freiheit gibt. Das ist der Kern des Problems.

Haben wir es uns nicht auch in den Coronajahren ein bisschen bequem gemacht unter einem Etatismus? Der Staat soll alles regeln: Er sagt uns, wann wir Masken tragen sollen. Und er soll Milliarden-Hilfspakete schnüren. Erst gegen Corona, jetzt gegen die Inflation.
Das stimmt. Ich habe das auch immer kritisch gesehen. Der Staat muss etwas tun. Aber das darf nicht zu einem Mentalitätswandel führen. Wir müssen auf Eigenverantwortung setzen. Es kann nicht nur eine Politik des "Koste es, was es wolle" geben. Das ist ja auch unehrlich. Der Staat kann diese Inflation nicht an der Wurzel bekämpfen, aber er kann und muss sie abmildern. Man wird dabei nicht alles kompensieren können. Es muss also auch in Österreich wieder ein Bewusstsein geschaffen werden, dass durch unternehmerische Tatkraft, Innovationskraft, die Tüchtigkeit der Menschen, die jeden Tag anpacken, wieder etwas entstehen kann. Das ist der Kern des Österreich-Bildes, das ich habe, und nicht, dass der starke Staat alles richtet.

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Muss der Staat allen helfen? Oder soll er sagen, es gibt Menschen oder Unternehmen, die genügend Reserven haben, um das durchstehen zu können?
Man muss den sozial schwächsten Haushalten unbedingt helfen, weil diese von Preissteigerungen bei Energie, Mieten und Lebensmitteln stärker betroffen sind. Da passiert etwas, wenn auch meiner Meinung nach zu wenig und zu wenig treffsicher. Bei der Abschaffung der kalten Progression bin ich der Meinung, dass man die für alle Tarifstufen machen soll, nicht nur für die unteren Steuerstufen.

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»Man kann nicht alles abfedern und das unternehmerische Risiko abnehmen«

Und Energiezuschüsse etc.?
Bei den Menschen muss der Zugang sein, ihnen mehr Geld in den Börsen zu lassen, und diese sollen selbst entscheiden, wofür sie es verwenden. Bei den Unternehmen ist es eine grundsätzliche Frage, wie man mit externen Einflüssen auf das unternehmerische Risiko als Staat umgeht. Die Industrie in Europa hat in der Vergangenheit auch gut davon gelebt, dass es günstige Energiepreise gab. Man kann nicht alles abfedern und das unternehmerische Risiko abnehmen. Das wäre ja nicht liberal. Ich finde aber, dass man über Anreize nachdenken muss, damit die Energiewende schneller passiert, und speziell der Mittelstand braucht Unterstützung.

Noch einmal zur Föderalismus-Reform: Als Radikalansatz wird oft die Abschaffung der Bundesländer genannt. Wo stehen die Neos?
Wenn man den Staat am Reißbrett planen würde, völlig neu auf der grünen Wiese, würde man sicher anders in Regionen denken. Aber so ist es ja nicht. Und die Bundesländer waren schon da, da hat es Österreich noch gar nicht gegeben. Ich bin eine Anhängerin der Subsidiarität. Es sollen auf lokaler Ebene Dinge entschieden werden, aber das muss mit finanzieller Verantwortung für Einnahmen und Ausgaben einhergehen. Es braucht eine Aufgabenreform, da liegen seit dem Verfassungskonvent sinnvolle Vorschläge in den Schubladen der Republik. Und es braucht in weiterer Folge Steuerautonomie für Länder und Kommunen, das schafft Verantwortung.

Also: Weg mit Doppelzuständigkeiten wie bei Gesundheit und Bildung?
Zu viele Zuständige bedeuten: Niemand ist zuständig. Die Frage ist ja: Wer fühlt sich in diesem Land wirklich für etwas verantwortlich? Da habe ich nicht den Eindruck, dass es in der Bundesregierung viele Vertreter gibt, die sagen: "Ich bin verantwortlich dafür, dass ich etwas weiterbringe."

In den Bundesländern ist die Macht oft jahrzehntelang in den Händen einer Partei. Nun sehen wir in Vorarlberg die Auswüchse solcher Parteimonopole. Es gibt einen Skandal um Inseratengeschäfte des ÖVP-Wirtschaftsbundes, das Geld floss zumindest teilweise in die Parteikasse. Korrumpiert Macht jedenfalls mit fortschreitender Dauer?
Ja, definitiv. Die Frage ist ja auch: Warum gibt es diese Monopole? Es ist deshalb so wichtig, nach Vorarlberg zu schauen, weil dort einfach ein brutales Schutzgeldsystem aufgebaut wurde. Die Wirtschaftspartei ÖVP presst Selbstständigen das Geld für Inserate raus, um damit einen feudalen Funktionärsstadl und die Partei zu finanzieren und die Macht abzusichern. Wenn der Landeshauptmann das System kannte, dabeigesessen ist und nicht ausschließen kann, selbst Gefälligkeiten in Aussicht gestellt zu haben, dann geht sich das nicht mehr aus für ihn. Dann muss er zurücktreten.

Macht korrumpiert und Korruption festigt Macht?
Liberale Demokratien leben nicht nur davon, dass ich jemanden frei wählen kann. Sie leben auch davon, dass Macht begrenzt wird: örtlich, durch Kompetenzen, durch Kontrollrechte, zeitlich -und durch die Möglichkeit, jemanden abzuwählen. Machtwechsel ist wesentlich, damit kein korruptes System entsteht. Es tut einfach nicht gut, wenn eine Partei zu lange an der Macht ist.

In den Ländern sind sie es mit wenigen Ausnahmen - Salzburg, Steiermark, Kärnten - seit Jahrzehnten.
Österreich ist nach dem Zweiten Weltkrieg durch ÖVP, SPÖ und durch die Sozialpartnerschaft, die ja sogar im Verfassungsrang steht, wieder aufgebaut worden. Das war der Grundstock für die Stabilität, die wir gebraucht haben. Aber dieses rot-schwarze Machtkartell ist jetzt der Hemmschuh dafür, dass unser Land nach vorne geht und Modernisierung und Fortschritt schafft. Das heißt: Dieses Machtkartell muss zerbrechen, damit etwas Neues entstehen kann. Und das passiert auch schon. Es bröckelt und bröselt ja an allen Ecken und Enden. Dieses System wird nur noch mit sehr viel Steuergeld, das überall herausgepresst wird, am Leben erhalten. Und -News thematisiert das ja auch -dadurch, dass Medien von Parteien über Inserate gefüttert werden.

Wann, glauben Sie, wird sich dieses System ändern?
Ich hätte eine Wunschvorstellung

Die lautet wahrscheinlich: bei der nächsten Wahl. Aber was ist die realistische Vorstellung?
Ich glaube, dass es, realistisch gesehen, eine andere Sorge gibt: den Konflikt zwischen einem autoritären Politikzugang und dem liberalen Politikzugang. Dieser Kampf wurde gerade in Frankreich bei der Präsidentschaftswahl ausgefochten. Und er ist im Kern ein Grund für den Krieg Wladimir Putins gegen die Ukraine und gegen Europa -denn es ist ein Krieg gegen Europa. Es ging darum auch während der Präsidentschaft von Donald Trump. Es erstarken die Rechtspopulisten - wobei, es gibt auch auf der extrem linken Seite ein autoritäres Politikverständnis. Das bereitet mir große Sorge. Wir müssen es schaffen, wieder auf Augenhöhe mit den Menschen an der Erneuerung des Landes zu arbeiten - aufbauend auf die Tüchtigen, auf Leistung, auf Aufstiegschancen, auf Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeitsdebatte müssen wir bei der Bildung führen, aber auch beim Zugang zu Ämtern. Auch da gibt es viel Korruption, wenn man ehrlich ist. Wenn man es da nicht schafft, einen Fortschritt zu machen, darf man sich nicht wundern, wenn autoritäre Tendenzen zunehmen.

Beate Meinl-Reisinger
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Der Fortschritt wäre?
Wir Neos erheben einmal im Jahr den Freiheitsindex. Da kommt schon sehr klar heraus, dass die Einstellung zur liberalen Demokratie dann gut ist, wenn du selber das Gefühl hast, wirksam zu sein. Wenn man sich einbringen kann, in der Familie, in der Schule. Wenn man das Gefühl hat, man kann etwas bewegen und den Aufstieg schaffen, dass es einen Unterschied macht, ob man arbeiten geht oder nicht. Jetzt ist die große Angst, dass das alles nicht mehr funktioniert, weil in Österreich vieles nicht angegangen oder nur an kleinen Schräubchen gedreht wurde. Das bewirkt ein Ohnmachtsgefühl. Und dieses führt wiederum dazu, dass sich viele offensichtlich nach einem starken Mann sehnen.

Trotz diesem in die Jahre gekommenen Machtkartell von ÖVP und SPÖ halten beide Parteien in Umfragen derzeit immer noch bei einem halbwegs soliden Wählerstock von plus/minus 25 Prozent. Die müssten ja nach Ihrer Analyse schon weg sein. In manchen Ländern, siehe Frankreich, ist das klassische Parteiensystem erodiert.
Ich glaube, dass Österreich ein Parteienstaat ist, der mit unfassbar viel Steuergeld - nicht nur über die Parteienförderung, sondern auch über Vorfeldorganisationen, über Vereine, über Medien -am Leben gehalten wird. Quasi beatmet. Das schafft Abhängigkeiten. Eine hohe Staatsquote hilft da auch nicht gerade. News hat ja gerade über die - wie ich es manchmal nenne - "Volksrepublik" Burgenland berichtet. Man kann ja der Meinung sein, dass da ein Landeshauptmann ist, der sagt: "Ich tue etwas." Aber das Problem mit der Verstaatlichung von so vielen Lebensbereichen ist halt, dass du immer mehr Menschen schaffst, die vom Land abhängig sind. Das schau ich mir an, wie frei sich dort neue Parteien gründen können und du deine Meinung sagen kannst. Dieser Zugang ist nicht nur ökonomisch gefährlich, sondern auch, weil er die Freiheit einschränkt.

Neos wurden vor zehn Jahren gründet und wollten genau diese Strukturen durchbrechen. Das Gründungsteam hatte eine Nähe zur ÖVP und ist frustriert neue Wege gegangen. So wie die ÖVP derzeit beisammen ist, wundert man sich, dass derzeit in den Umfragen nicht mehr als rund zehn Prozent drinnen sind.
Es sind ja viele von der ÖVP zu uns gewandert.

Seit dem Abgang von Kurz ist die ÖVP von 37 Prozent bei der Nationalratswahl auf derzeit 24 Prozent in Umfragen abgesackt. Da sind viele Wählerinnen und Wähler am Markt. Wo sind die?
Die sind derzeit nirgends oder im Protestpotenzial. Es tut gut, demütig am Boden zu bleiben. Dennoch hat keine Partei so eine Erfolgsgeschichte wie Neos. Wir sind jetzt zehn Jahre alt, in zwei Landesregierungen und in den Umfragen um oder über zehn Prozent. Bei der letzten Nationalratswahl waren wir bei acht Prozent. Wir wachsen also kontinuierlich. Das Zweite ist: Auch wir sind 2013 mit einer großen Protestwelle ins Parlament gewählt worden. So etwas kann relativ schnell passieren. Wir haben aber im Gegensatz zu anderen, wie etwa dem Team Stronach oder ähnlichen politischen Strohfeuern, es hart erarbeitet, dass wir nicht zerbröselt sind. Wir haben uns konsolidiert, weil wir ein gutes, stabiles Sinnangebot machen. An Menschen, die bei uns aktiv sind, und auch an Wählerinnen und Wähler.

Neos als Sammelbecken für enttäuschte ÖVP-Wählerinnen und -Wähler. Sehen Sie sich noch so?
Wir sind in den letzten Jahren sicher breiter geworden. Ich habe diese Zuschreibung aber ohnehin nie verstanden.

Jetzt gäbe es aber viele dieser Enttäuschten.
Was wollen die Leute? Sie wollen eine saubere Politik. Die kriegen sie mit uns. Daran muss und wird man uns messen können. Was bekommt man noch? Bildungsgerechtigkeit, Aufstiegschancen und einen Leistungszugang. Der Mittelstand soll sich aus eigener Kraft etwas aufbauen können. Und wir haben ein grundsätzliches Verständnis von Freiheit, das auch mit Verantwortung gekoppelt ist. Das ist unser Angebot. Das ist kein Angebot für Frustrierte, sondern an Lustvolle, die sagen, es muss etwas weitergehen, damit es gut weitergeht.

Oft heißt es, die Neos seien nach links gerückt.
Wir sind und waren immer in der Mitte.

In den Umfragen sieht man, dass SPÖ, Grüne und Neos im selben Teich fischen und sich die oft zitierte "progressive Mehrheit ohne ÖVP" dadurch nicht ausgeht. Ein strategisches Problem?
Ich würde ausschließen, dass wir im selben Teich fischen. Und: Es ist nicht mein strategisches Problem. Das ist das Problem jener, die sich eine Mehrheit links der Mitte wünschen. Wir machen ein Angebot für die Mitte. Nie in die Extreme hinein. Das wird es mit uns nicht geben. Wir sind eine Zentrumspartei. Das ist der erfolgreichere Weg.

Und bei der nächsten Regierungsbildung warten Sie einfach ab, mit wem mehr geht: mit der ÖVP oder mit der SPÖ?
Meine Idealvorstellung ist, dass keine der beiden Seiten und auch keine Große Koalition eine Mehrheit ohne uns hat.

Wir haben jetzt über Ihren Anspruch einer sauberen Politik geredet. Die Neos würden - bei allem, was wir derzeit bei der ÖVP sehen - nach der nächsten Nationalratswahl den Steigbügelhalter für die ÖVP machen?
Die Frage ist doch: Was bietet die SPÖ in diesem Bereich? Da können wir schon auch Tacheles reden. Es gibt gerade einen ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss. Fein. Das gehört dringend gemacht. Und ich lasse die Ausrede der ÖVP nicht gelten, die SPÖ hätte das auch immer so gemacht. Das stimmt zwar, aber es sind eben die Schwarzen erwischt worden und ihre Machenschaften stehen schwarz auf weiß in diversen Akten. Aber haben Sie den Eindruck, dass es besonders viel Einsicht bei der SPÖ gibt und dass das mit ihr anders wäre?

»Eine Clique hat gesagt: 'Der Staat bin ich, wir bedienen uns.'«

Sie offenbar nicht.
Ich finde, beide Parteien müssen vor ihrer eigenen Tür kehren. Sie haben beide diese Systeme geschaffen. Die ÖVP hat es, weil sie auf Bundesebene seit 1986 durchgehend an der Macht ist, auf die Spitze getrieben. Da gibt es eine Clique, die gesagt hat: "Der Staat bin ich und wir bedienen uns." Aber ich glaube, man muss auch die SPÖ in die Pflicht nehmen.

Und mit wem regieren?
Die ÖVP hat ein echtes Thema. Die müssen sich erneuern, aber das ist nicht mein Problem. Wie gesagt: Macht gehört auch zeitlich begrenzt, und die ÖVP ist schon sehr lange in der Regierung. Sie steht weder für Leistungsgerechtigkeit noch für Reformen oder niedrige Steuern, noch ist sie eine Wirtschaftspartei, sie presst Selbstständige aus. Vielleicht täte es ihr gut, sich einmal in der Opposition zu erneuern. Aber aus meiner Sicht - wenn ich sage, ich möchte in Österreich Fortschritt, Freiheit und Gerechtigkeit schaffen und anpacken - ist es mir am liebsten, wenn wir wie die FDP in Deutschland sagen können, es gehen sich verschiedene Varianten aus und wir verhandeln, wo wir am meisten für die Bürgerinnen und Bürger, für Österreich und Europa herausholen können.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 17/2022 erschienen.