Autoritäre Herrscher: So mächtig
sind Putin, Erdogan und Co.

Wie die Strategie der Autokraten aussieht und was die Zukunft bringen könnte

Sie herrschen mit starker, eiserner Hand: Autoritäre Machthaber wie Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan haben sich weit von demokratischen Werten entfernt. Welche Macht sie besitzen.

von
Politik - Autoritäre Herrscher: So mächtig
sind Putin, Erdogan und Co.

1. Erdogans Präsidialsystem

Der türkische Präsident spaltet sein Land: Seit 15 Jahren regiert er die Türkei. 2003 wurde er erstmals zum Regierungschef gewählt, 2014 übernahm er dann das Präsidentenamt. Unter der Regierung seiner islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) hat das Land einen beispiellosen Wirtschaftsboom erlebt. Doch der zunehmend autoritäre und repressive Kurs des 64-Jährigen ist in der türkischen Gesellschaft nicht unumstritten.

Vor kurzem hat Erdogan Neuwahlen ausgerufen: Statt im November 2019 wird jetzt am 24. Juni ein neuer Präsident gewählt. Und der wird wohl wieder Erdogan heißen. Tritt dieser Fall ein, kommt der AKP-Chef zu noch mehr Macht. Denn mit den Wahlen tritt das im April 2017 per Referendum gebilligte Präsidialsystem in Kraft, das die Befugnisse des Präsidenten erheblich ausweitet.

Das neue System bringt folgende Änderungen mit sich, die Erdogans Macht stark ausbauen:

  • Der Präsident wird nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Das Amt des Ministerpräsidenten entfällt. Der Präsident darf künftig einer Partei angehören.
  • Der Präsident ist für die Ernennung und Absetzung von einer von ihm selbst zu bestimmenden Zahl von Vizepräsidenten, von Ministern und von allen hochrangigen Staatsbeamten zuständig. Das Parlament hat kein Mitspracherecht.
  • Der Präsident kann in Bereichen, die die Exekutive betreffen, Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen, die mit Veröffentlichung im Amtsanzeiger in Kraft treten. Eine Zustimmung durch das Parlament ist nicht nötig.
  • Parlament und Präsident werden künftig am selben Tag für die Dauer von fünf Jahren vom Volk gewählt.
  • Neuwahlen können sowohl das Parlament als auch der Präsident auslösen, im Parlament ist dafür eine Dreifünftel-Mehrheit notwendig.
  • Die Amtszeiten des Präsidenten bleiben auf zwei beschränkt. Die Regierungspartei AKP hat aber eine Hintertür eingebaut: Sollte das Parlament in der zweiten Amtsperiode des Präsidenten Neuwahlen beschließen, kann der Präsident noch einmal kandidieren.
  • Die Zählung der Amtszeiten würde unter dem neuen Präsidialsystem neu beginnen. Erdogan wäre also nach einem Wahlsieg im Juni in seiner ersten Amtsperiode.
  • Mit der Hintertür (und bei entsprechenden Wahlerfolgen) könnte er theoretisch bis 2033 an der Macht bleiben.
  • Der Präsident bekommt mehr Einfluss auf die Justiz: Im Rat der Richter und Staatsanwälte kann er künftig vier der 13 Mitglieder bestimmen, das Parlament sieben weitere.
  • Gegen den Präsidenten kann nicht nur wie bisher wegen Hochverrats, sondern wegen aller Straftaten ermittelt werden. Dazu ist eine Zweidrittelmehrheit aller Abgeordneten im Parlament notwendig.

Für die Opposition könnte die Wahl die letzte Chance sein, um die von ihr befürchtete Ein-Mann-Herrschaft zu verhindern. Allerdings sehen Politik-Experten Erdogan als Favoriten. Die islamisch-konservative AKP hat kürzlich mit Bahcelis ultranationalistischer MHP ein Wahlbündnis geschlossen. Dies soll der MHP den Sprung über die Zehn-Prozent-Hürde garantieren und Erdogan einen Sieg in der ersten Runde der Präsidentenwahl sichern. Die Opposition hatte zudem nur zwei Monate Zeit sich auf die vorgezogenen Wahlen vorzubereiten. Zudem spielt der nach dem Putschversuch vom Juli 2016 verhängte Ausnahmezustand dem Regierungslager in die Hände. Eine Chance hat die Opposition trotzdem: Sollte Erdogan in der ersten Wahlrunde keine absolute Mehrheit erhalten, könnte sie sich in der Stichwahl noch hinter dem stärksten Gegenkandidaten zusammenschließen.

2. Putins eiserne Hand

In 18 Jahren Herrschaft über das größte Land der Welt hat Putin die Macht auf sich zugeschnitten. Im Saal sitzen die Männer und wenigen Frauen, die Russland für ihn kontrollieren: sein Sprecher Dmitri Peskow die Medien, Ministerpräsident Dmitri Medwedew die Regierung, Verteidigungsminister Sergej Schoigu die Armee. Gazprom-Chef Alexej Miller sichert den lebenswichtigen Rohstoff Gas, Rosneft-Chef Igor Setschin das Öl. Alle verdanken sie Macht und Geld nur der Nähe zu ihm. Russland wird von einem "Ein-Mann-Netzwerk" geführt, wie die US-Wissenschaftler Fionna Hill und Clifford Gaddy mitteilten.

Vor sechs Jahren stand Putin schwächer da. 2012 nahmen ihm viele Russen seine Rückkehr in den Kreml übel, den abgekarteten Ämtertausch mit Medwedew nach einer Auszeit als Regierungschef. Es gab große Demonstrationen, Putin ließ sie niederschlagen und die Organisatoren streng verurteilen. Weil Putin die Anstifter im Ausland vermutete, legte er auslandsfinanzierte Nicht-Regierungsorganisationen an die Leine. Und er gewann seine Popularität wieder, indem er 2014 die Halbinsel Krim, einen russischen Sehnsuchtsort, zurückholte - auch um den Preis eines Zerwürfnisses mit den westlichen Ländern.

Bei der jüngsten Wahl im März wurde Putin ein Rekordergebnis von fast 77 Prozent der Stimmen zugeschrieben. Selbst wenn am Ergebnis gedreht wurde, war die große Zustimmung der Russen zu ihrem Präsidenten unbestreitbar. Aber am Tag der Inauguration sitzen Hunderte junge Oppositionelle in Polizeigewahrsam, weil sie am Samstag "Nieder mit dem Zaren!" geschrien haben. Die Gewalt, mit der Polizei und irreguläre Kosaken vorgingen, lässt für die neue Amtszeit nichts Gutes erahnen. Zwischen der Führung und einem Teil der jungen Generation klafft eine Lücke, die immer breiter zu werden droht. Auch außenpolitisch drohen unruhige Zeiten. "Zwischen Russland und dem Westen ist keine Entspannung in Sicht", warnt das Institut International Crisis Group. Aus westlicher Sicht haben sich Putins Übergriffe gehäuft: die Ukraine, der brutale Krieg in Syrien, die Einmischung in Wahlen in den USA und Frankreich, der Giftangriff auf den Ex-Agenten Sergej Skripal in Großbritannien.

Die beherrschende Frage über Putins neuer Amtszeit ist aber: Was kommt danach? Laut Verfassung muss er 2024 abtreten, er wird dann 71 sein. Ein Nachfolger ist derzeit nicht in Sicht. Putin könnte Klarheit schaffen, schreibt der Experte Konstantin Gaase vom Moskauer Carnegie-Zentrum: Er bräuchte nur einen starken Regierungschef zu ernennen und ihm später die Macht zu übergeben. Doch absehbar wird Putin den bei der Bevölkerung unbeliebten Medwedew halten. Er selbst wird bei der Vereidigung im Kreml stehen, mitten in seinem Hofstaat und dennoch hervorgehoben, alleiniger Träger der Macht in Russland. So wie zuletzt der chinesische Präsident Xi Jinping die in der Verfassung festgelegte Begrenzung der Amtszeit auf zwei fünfjährige Mandate aufheben hieß, könnte auch Putin durch eine Verfassungsänderung die Präsidentschaft auf Lebenszeit anstreben.

3. Orbans "hybrides Regime"

Ungarn ist nach Ansicht des Politologen Peter Kreko mittlerweile kein liberale Demokratie mehr, sondern ist zu einem "hybriden Regime" geworden. "Das Ziel des Orban-Regimes ist die Maximierung der nepotistischen Korruption", sagte Kreko mit Verweis auf das mit staatlichen Aufträgen und EU-Geldern aufgebaute Klientensystem von Freunden und Verwandten des Premiers. Für den "pragmatischen Politiker" und ungarischen Regierungschef Viktor Orban sei die Ideologie nur Mittel zum Zweck zur Erhaltung der Macht.

Für Osteuropa besitze der Machthaber Vorbildfunktion: "Orban ist das Modell der Region, er gilt als 'der' erfolgreichste Politiker. (...) Alle wollen von ihm lernen", sagte der Experte. In Westeuropa wiederum sei er "der große Meister und das Symbol der Rechtsaußen-Kräfte". Kreko sieht es durchaus als möglich an, dass der ungarische Premier versuchen wird, in Zukunft auch international eine größere Rolle zu spielen. So seien Orbans Facebook-Videos praktisch alle auf Englisch untertitelt.

Und auch im Land baut Orban sukzessive seine Machtbasis aus: Der 54-jährige Politiker hat den Rechtsstaat geschleift, die Presse- und Meinungsfreiheit ausgehöhlt und sich in der EU vor allem mit fremdenfeindlichen Äußerungen und einer Verweigerungshaltung gegenüber einer fairen Flüchtlingsverteilung an den Rand gestellt. Die Parlamentswahl in Ungarn, die erneut eine Zwei-Drittel-Mehrheit für seine Regierung gebracht hat, hat erste Opfer gefordert: den Rundfunksender "Lanchid Radio" und die Tageszeitung "Magyar Nemzet". Der offensichtliche Grund der plötzlichen Einstellung: Eigentümer Lajos Simicska - seinerseits jahrzehntelang Orbans Busenfreund, seit Anfang 2015 jedoch sein Intimfeind - hatte die Fidesz-Regierung durch kritische Berichterstattung und Aufdeckergeschichten stürzen wollen, ist aber offensichtlich gescheitert. Zudem hatten seine Medien durch den "Krieg" mit Orban in den vergangenen Jahren alle staatlichen Werbeeinschaltungen verloren und waren dadurch defizitär geworden.

Er selbst bekannte sich zu einer "illiberalen" Version von Demokratie. Zu dieser Haltung passt seine offene Sympathie für Russlands starken Mann Wladimir Putin, den er als erster europäischer Regierungschef nach der russischen Annexion der Krim empfing. Von dem früheren Chefberater von US-Präsident Donald Trump, Steve Bannon, wurde Orban in einem Interview mit der "New York Times" als "Held" gefeiert. Er ist einer der Lieblinge der europäischen Rechtspopulisten.

4. Trumps Traum: Lebenslänglich

Auch US-Präsident Donald Trump ist ein Vertreter der sogenannten illiberalen Demokratie. Sie erlaubt zwar reguläre Wahlen, die den Machtanspruch legitimieren, aber essentielle demokratische Elemente wie Meinungsfreiheit oder Menschenrechte werden eingeschränkt beziehungsweise abgeschafft. Trump träumte bereits offen von einer lebenslangen Amtszeit: "Vielleicht sollten wir das eines Tages auch probieren", sagte er jüngst. Und äußerte sich dabei bewundernd für seinen chinesischen Amtskollegen Xi Jinping.

In den USA gilt seit dem Jahr 1951 ein Verfassungszusatz, wonach ein Präsident höchstens zwei Wahlperioden zu je vier Jahren im Amt sein darf. Trump sieht sich offenbar nicht in der Tradition der Vergangenheit, sondern will lieber Xi nacheifern. "Er ist jetzt Präsident auf Lebenszeit, und er ist großartig", sagte der rechtspopulistische Politiker über seinen autoritären chinesischen Amtskollegen. "Und schaut, es ist ihm gelungen. Ich finde, das ist großartig. Vielleicht sollten wir das eines Tages auch probieren."

Seine Stärke demonstriert Trump auch außenpolitisch immer wieder: Seine Machtdemonstration gegenüber dem Nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un gipfelte in dem Tweet: "Würde jemand aus seinem verarmten und ausgehungerten Regime ihn bitte darüber informieren, dass auch ich einen atomaren Knopf habe", schrieb der US-Präsident. "Aber er ist viel größer & mächtiger als seiner, und mein Knopf funktioniert!" Und auch in der aktuellen Debatte um den Nukleardeal mit dem Iran, den Trump kurzerhand aufgekündigt hat, lässt er sich nicht durch Kritik aus Europa beirren. "Die außenpolitischen Konsequenzen schrecken Trump und sein Kriegskabinett nicht vor einem Waffengang gegen den Iran ab", sagte der USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Josef Braml. Sollten Trump und seine Sicherheitsberater zu der Einschätzung kommen, dass der Iran Atombomben baut, werden sie schnell reagieren", teilte er mit. Trumps neuer Sicherheitsberater John Bolton habe schon vor drei Jahren gefordert, den Iran zu bombardieren, um die iranische Atombombe zu verhindern. Auch Trumps neuer Außenminister Mike Pompeo sei in der Iran-Frage ein Hardliner.

Zuletzt kam in Washington auch mehr und mehr die These auf, der US-Präsident wolle einen Machtwechsel in Teheran erzwingen. Ob dies mit nicht-militärischen Mitteln möglich wäre, gilt als sehr fraglich.

Trump-Kenner David Cay Johnston sagte Anfang 2018 in einem Interview über den US-Präsidenten: "Jemand, der sagt, dass unter den Neonazis von Charlottesville 'feine Leute' seien, macht klar, wo er steht." Johnston ist Autor des Buches "Trump im Amt. Ein Präsident, der gerne Diktator wäre". Über rassistische Äußerungen Trumps teilte er mit: Seine diskriminierende Praxis bei der Vergabe von Arbeits- und Mietverträgen und seine rassistische Einstellung seien bekannt, bereits Trumps Großvater sei 1927 bei einem offenen Kampf zwischen dem Ku-Klux-Klan und der New Yorker Polizei verhaftet worden.