Allahs Abtrünnige

Frauen begehren gegen den Islam auf: aktuell mit Protesten im Iran und zunehmend auch in Saudi-Arabien. Dort ging eine junge Frau durch die Hölle. Auf ein lächerliches Vergehen folgten eine drakonische Strafe, Haft, 600 Stockschläge und eine Entscheidung: Der Bericht einer Bekehrten.

von Ausland - Allahs Abtrünnige © Bild: Knaur Verlag/Thomas Duff

Es ist doch nur ein Stück Stoff. Etwas, dem zu viel Bedeutung beigemessen wird. Die Oma hat es auch schon getragen, also was soll 's? Wenn es um das Kopftuch geht, machen es sich manche im Westen sehr leicht. Und dann sind da plötzlich diese Bilder. Sie zeigen Frauen im Iran. Wie sie in Städten im ganzen Land auftauchen, ihren Schleier ablegen, ihn an einen Stock binden und als Fahne schwenken. Es ist ein Akt der Befreiung, des Triumphs, aber auch der Bedrohung. Denn Dutzende dieser Frauen, die damit auf ihre weit über das Tuch hinausreichende Unterdrückung und eine durch den Islam legitimierte Schlechterstellung in der Gesellschaft aufmerksam machen, wurden schon verhaftet. Sie landeten in den Gefängnissen, nur weil sie es gewagt hatten, dem Regime der Kleriker zu widersprechen. Sie stellten sich damit gegen Regeln, welche vorsehen, dass Mädchen sich schon ab dem Alter von neun Jahren zu verhüllen haben.

Im Griff der Tugendwächter

Kholoud Bariedah ist fasziniert und betroffen zugleich, wenn sie die Bilder aus dem Iran betrachtet. Denn sie ist eine derer, die wissen, was es heißt, als Frau im Namen der Religion eingesperrt zu werden. "Diese Frauen sind so mutig und tapfer, sie riskieren so viel, damit wir hinsehen und begreifen, wie das Leben in einem religiösen Regime aussieht", sagt sie.

Von diesem Wie kann die 32-jährige Kholoud viel erzählen -und das aus einem Land, das auf uns noch fremder und verborgener, verschlossener und verbotener wirkt als der Iran: Saudi-Arabien. Die Erdöldiktatur am Golf, die vom Wahhabismus bestimmt ist. Dieser sei die reinste und unverfälschteste Form des Islam, sagen dessen Anhänger. Und zugleich die extremste, denkt der, der Kholoud Bariedahs Geschichte hört. Sie wächst in einer begüterten Familie in der als liberaler geltenden Hafenstadt Dschidda auf und gewöhnt sich rasch daran, zwischen zwei völlig verschiedenen Welten zu wechseln. Dem Drinnen und dem Draußen. "Was du daheim machst, kümmert erst einmal keinen. Aber sobald du rausgehst, hörst du als Frau auf, ein gleichwertiges Wesen zu sein. Allein oder mit Freundinnen unterwegs zu sein, ist ausgeschlossen. Immer hat dich dein Vormund zu begleiten. Das ist bei jüngeren Frauen entweder der Vater, der älteste Bruder oder der Onkel. Und später eben dein Mann."

Das war Kholouds ganz normale Welt, in der es ihr gelang, sich trotzdem Freiräume zu schaffen. Bis eines Nachts das Drinnen und das Draußen ihre Rolle tauschten. Sie war 19, feierte mit Freunden, Frauen wie Männern, in einer Wohnung. So, wie es damals viele in Saudi-Arabien taten und es bis heute tun. Ein Dasein im Geheimen, im Verborgenen, das an dem kratzt, was der Staat an Grenzen vorgibt. Kholoud und ihre Freunde hörten Musik, plauderten, lachten, scherzten und freuten sich ihres Lebens. Das nie mehr dasselbe sein würde, als plötzlich jemand die Tür aufbrach.

"Wir sind vom Amt zur Förderung der Tugend und zur Verhütung des Lasters", schrien die bärtigen Männer, deren Wut in den Augen sich in Kholouds Erinnerung für immer einbrannte. Sie stürmte damals davon, glaubte, es könnten Räuber oder gar Terroristen sein, trat nach einem der Tugendwächter und hetzte ohne Schleier raus auf die Straße. In Sicherheit, wie sie glaubte. Ins Verderben, wie sie später erfuhr. Vier Jahre Haft und 2.000 Hiebe mit dem Stock, das sollte die Strafe sein, die der Richter der geschockten Kholoud verkündete. "Für das Feiern im Beisein der Männer? Für meinen Widerstand? Für die Flucht auf die Straße? So genau sagen kann das keiner, da die Gesetze der Sittenpolizei nirgends niedergeschrieben sind."

Im Frauenkerker von Mekka

Was hingegen feststand, war der Ort ihrer Bestrafung. Das Mädchen-und Frauengefängnis der heiligen Stadt Mekka. Eine Stadt, die Christen nie zu Gesicht bekommen werden, da sie "rein" bleiben soll und ihnen daher der Zutritt verwehrt ist. Kholoud landete dort am Anfang in Einzelhaft. Und erlebte Szenen, die sie noch Jahre später in ihren Träumen verfolgen würden. So lange, bis sie das Erlebte und Erlittene zu Papier bringt und als Buch herausgibt: "Ich hatte nur so getan, als hätte ich sie vergessen, jene Frauen, deren Lärm mich nie hatte schlafen lassen. Wie sie endlos an die Türen schlugen und Tag und Nacht schrien und heulten. Selbst wenn sie aus unerfindlichen Gründen lachten, klang es, als würden sie Tierstimmen nachmachen", schreibt sie darin.

Und dann, jeden zweiten Freitag, immer nach dem Gebet, sollte die Strafe an ihr vollzogen werden. Jeweils 50 Schläge mit dem Stock. Sie, Kholoud, auf dem Bauch liegend, einer über ihr, der den Rohrstab schwang, und drei Bärtige, die zuschauten und es überwachten. "Es ist die pure Demütigung, die reinste Erniedrigung, die dich als Frau brechen soll. Schreist du oder weinst du, beginnen die Schläge von vorne. So lange, bis du schweigst." Doch nicht Kholoud, eine Frau, die stärker ist als der Stab, der sie bändigen sollte.

Sie fand Zuflucht im Koran. Ja, genau in dem Buch, aus welchem die Richter die Rechtfertigung für ihre Bestrafung abgeleitet hatten. Sie las ihn. Sure für Sure. Seite für Seite. Denn schon als sie in Mekka ankam, war ihr gesagt worden, dass sich darin ihr einziger Weg nach draußen verbergen könnte. "Der Koran ist kein böses Buch", sagt Kholoud heute, "aber auch nicht die göttliche Offenbarung. Damals spendete er mir Trost und gab mir Halt. Es findet sich darin viel Menschliches. Doch in einem 1.400 Jahre alten Buch Regeln für heute zu suchen, ist abstrus." Kholoud vermag, lange und versiert darüber zu sprechen, wie sich aus dem Koran das eine und zugleich das andere ableiten lässt. Wie es möglich sein kann, dass er jenen, die den Islam als Religion des Friedens preisen, ebenso Stütze ist wie denen, die damit Unterdrückung, Gewalt und Terror rechtfertigen. Denn Kholoud hat den Koran auswendig gelernt.

Guter oder böser Koran?

"Die Interpretation des Koran ist die eine Sache", sagt sie, "Passagen sind oft zweideutig formuliert, manche widersprechen einander sogar. Viel wichtiger ist aber, was in den Familien daraus gemacht wird. Für Konservative und Radikale lässt sich aus dem Koran alles erklären. Das Schlagen und Züchtigen von Frauen ebenso wie das Töten von 'Ungläubigen'. Es sind immer die Familie, das Umfeld, die Moschee oder der Imam, die darin eine göttliche Bestätigung für ihr Handeln suchen und auch finden."

Nach 18 Monaten in Haft und 600 Hieben mit dem Stock war Kholoud am Ende. Ihr war es als erster Inhaftierter in Saudi-Arabien gelungen, den Koran komplett auswendig zu lernen. Ihr "Deal mit Allah", wie sie es nennt, war aufgegangen und verschaffte ihr die vorzeitige Entlassung. Und eine weitere Erkenntnis. "Es gab Frauen, die im Gefängnis bleiben mussten, obwohl sie ihre Strafe abgesessen hatten. Denn sie waren in der Zwischenzeit von ihren Familien verstoßen worden und wurden daher von ihrem Vormund einfach nicht mehr abgeholt."

Für Kholoud ein weiteres Körnchen Wahrheit in einer Saat, die schon im Gefängnis zu reifen begonnen hatte und sie noch stärker als zuvor hinterfragen ließ, was das eigentlich für ein Glaube sein sollte, der so etwas ermöglicht, und welches Land das ist, das zulässt, Frauen so zu behandeln. "Der Druck in Saudi-Arabien ist enorm. Viele stellen sich längst dieselben Fragen und versuchen, aus diesem System auszubrechen." Das Regime mit dem jungen Thronfolger Mohammed bin Salman an der Spitze setzt daher vorsichtig auf Reformen. Die Macht der Tugendwächter schwand, der Beschluss, dass Frauen fortan selbst Auto fahren dürfen oder Sportveranstaltungen besuchen können, ging um die Welt. "Dabei ist es doch absurd", sagt Kholoud, "ein paar Freiheiten mehr für Frauen. Das klingt wie bei einem kleinen Kind, das ein bisschen länger aufbleiben darf, weil es brav war. Wir sprechen bitte von erwachsenen Frauen. Deren Leben immer noch von der Geburt bis zum Tod von Männern kontrolliert wird."

Kholoud versuchte nach ihrer Entlassung erst noch, all das zu verdrängen. Sie gab sich wieder ihrem Leben in den widersprüchlichen Welten Saudi-Arabiens hin. Pendelte zwischen Bikini und Burka und war doch bald erschöpft, weil die Stimmen in ihren Träumen nicht verstummten. Sie begann zu schreiben, ihr Buch zu verfassen. Mit jeder Zeile, die sie zu Papier brachte, wuchs die Selbsterkenntnis und reifte ihr Entschluss: das Aus für Allah, die Abkehr vom Islam, für ein Leben in Wahrheit und nicht in der Heuchelei. In einem Video, das sie auf Youtube stellte, sprach sie darüber. Sie prangerte darin die Unterdrückung von Frauen im Islam an und rechnete mit dem Regime ihres Landes ab, das darauf sein System stützt. Zum Zeitpunkt, als sie das tat, hatte sie Saudi-Arabien bereits verlassen und saß in einem Zimmer in Istanbul. Sie wusste, dass ihr Entschluss einer für die Ewigkeit sein würde: "Ein Abschied von meiner Familie, meinem Land und allem, was mir lieb ist. Denn auf die Abkehr vom Islam steht in Saudi-Arabien weiterhin die Todesstrafe." Sie tat es, um dem Käfig des Glaubens zu entkommen und fortan als Aktivistin mit Buch und Blog auf Veränderung in ihrer Heimat zu drängen. Umso überraschter war sie, als sie in Berlin ankam und dort erste Erfahrungen mit der muslimischen Gemeinschaft machte. "Ich dachte, in Europa wären die Muslime viel lockerer, da sie ja inmitten einer liberalen Gesellschaft aufgewachsen sind und nicht in einem Staat, der alles auf die Religion zurückführt. Aber ich hatte mich getäuscht. Viele Familien hier sind konservativer als die Menschen in ihren Herkunftsländern. Dabei wäre es nötig, sich auch an die Kultur und Traditionen in ihrer neuen Heimat anzupassen."

Das freie Kopftuch

Kholoud hat genau das getan. Sie ist kaum zwei Jahre in Berlin und spricht bereits sehr gut Deutsch. Angst, dass ihr als Allahs Abtrünniger auch im Ausland Gefahr droht, hat sie keine: "Es geschieht, was geschehen soll. Ich will meine Geschichte erzählen, um Mut zu machen. Denn wenn es Veränderung im Islam gibt, dann kann sie nur von uns Frauen kommen."

Gerade deshalb gibt ihr auch der Protest im Iran Kraft. "Doch für die Frauen dort ist es noch schwieriger. Während das Saudi- Regime Religion für seine Zwecke nur instrumentalisiert, sind die Gegner im Iran die Geistlichen selbst." Auf die Idee, das Kopftuch zu verbieten, käme Kholoud dennoch nie. "Jede erwachsene Frau hat das Recht, zu tragen, was sie will. Nur manche machen daraus eine Provokation oder anderen Vorschriften." Und gerade von Vorschriften hat Kholoud längst genug.

© Knaur Verlag

Ein Buch voller Mut Nicht Wut, sondern Mut treibt Kholoud Bariedah an. Auf 320 fesselnden Seiten schildert sie in "Keine Tränen für Allah"(Knaur; € 17,50) ihr Martyrium im Gefängnis und den Weg in die Freiheit

Der Beitrag erschien ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 07/2017)