Anwesenheitspflicht statt
Ausgangssperre für Asylwerber

Die von der türkis-blauen Bundesregierung geplante nächtliche Anwesenheitspflicht für Flüchtlinge beziehungsweise Asylwerber in staatlicher Betreuung sorgt für Aufregung.

von

Die Regierung plane eine nächtliche Anwesenheitspflicht für Flüchtlinge beziehungsweise Asylwerber in staatlicher Betreuung. Umgesetzt werden soll eine solche Anwesenheitspflicht im Rahmen der Hausordnung von Flüchtlingsquartieren, erklärte Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) Sonntagabend im ORF-Talk "Im Zentrum".

Strache und FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus hatten sich nach Mordfällen in Innsbruck und Steyr, bei denen afghanische Asylwerber unter Tatverdacht stehen, für ein Ausgehverbot ausgesprochen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wies darauf hin, dass ein Ausgehverbot rechtlich nicht möglich sei, der Innenminister aber "klarere Regeln" bei den Hausordnungen ausarbeiten soll.

»Das muss man verlangen können von Menschen, die Schutz suchen«

"Das muss man verlangen können von Menschen, die Schutz suchen und rund um die Uhr betreut werden", sagte Strache am Sonntag in der ORF-Sendung "Im Zentrum". Nächtliche Zusammenrottungen, Herumlungern, exzessiver Alkoholkonsum und Gewalttaten könnten so verhindert werden. Eine Anwesenheitspflicht sei jedenfalls zumutbar und rechtlich machbar. Strache sprach von einer Hausordnung wie "beim Bundesheer" oder "in einer Kuranstalt".

Verstärkte Kontrolle der Hausordnung

Nun hat das Innenministerium erklärt, dass in den Betreuungseinrichtungen des Bundes verstärkt über die Hausordnung informiert und die Einhaltung der Nachtruhe kontrolliert werden soll. Bei Verstößen gibt es Sanktionen, die bis zum Ausschluss aus der Grundversorgung führen können.

Das Innenministerium verwies darauf, dass für jede Betreuungseinrichtung des Bundes eine Hausordnung "zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit" gilt, insbesondere der Nachtruhe. Punkt 6 der aktuellen Hausordnung sieht dabei vor, dass für die Zeit zwischen 22.00 und 6.00 ein Verlassen und Betreten der Einrichtung zu unterlassen ist. In dieser Zeit ist dies nur nach Rücksprache und Anmeldung beim Tordienst möglich.

Harmonisierung der Ausgehzeiten für Jugendliche

Minderjährige Bewohner brauchen für ein Ausbleiben während der Nachtruhe die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Ausgehzeiten für Jugendliche sind Länderkompetenz. Der Bund will nun im Rahmen der Bund-Länder-Koordinationsrates eine Harmonisierung der Ausgehzeiten auch in Bezug auf minderjährige Asylwerber diskutieren. Ziel sei es, die bereits in den Betreuungseinrichtungen des Bundes umgesetzte Hausordnung auch auf die Einrichtungen des Landes umzusetzen. Dies bedeute, dass den Jugendlichen das Betreten bzw. Verlassen zwischen 22.00 und 6.00 Uhr untersagt ist. Es bleibe aber letztendlich eine Entscheidung der Bundesländer, heißt es im Statement des Innenministeriums.

Weiters werde aktuell nicht nur eine verstärkte Anwesenheitskontrolle geprüft, sondern auch ein Konzept, das verfassungsmäßig und den gesetzlichen Vorgaben entsprechend im Rahmen der Hausordnung eine Anwesenheitspflicht während der Nachtstunden festlegt. In allen Bundeseinrichtungen soll außerdem ein "Infotag" über die Bedeutung der Hausordnung und die Einhaltung der Nachruhe stattfinden. Dies soll auch verstärkt kontrolliert werden.

Bei Verstößen gegen die Nachtruhe soll das Grundversorgungsgesetz "strikter" gehandhabt werden. So gibt es Sanktionen, die von Ermahnungen, Taschengeldentzug bis hin zu einem Ausschluss aus der Grundversorgung führen können.

Vorarlberger Landesrat dagegen

Der Vorarlberger Sicherheits- und Asyllandesrat Christian Gantner (ÖVP) hält eine nächtliche Anwesenheitspflicht für Asylwerber in staatlicher Betreuung über eine verschärfte Hausordnung für rechtlich bedenklich. Im Land finde man "das Auslangen mit den bisherigen Instrumenten", erteilte Gantner den Plänen der FPÖ-Regierungsspitze eine Absage.

In den Quartieren des Landes gebe es Hausordnungen, die kontrolliert würden. Betreffend der Ausgehzeiten gebe es keine Vorschreibungen, allerdings sei zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr eine Ruhezeit auszuhalten. "Verstöße gegen die Hausordnungen werden strikt sanktioniert", betonte Gantner. In einzelnen Fällen seien bereits Hausverbote ausgesprochen und Personen aus den Quartieren entlassen worden.

Zudem stehe man in ständigem Austausch mit den Sicherheitsbehörden. In der Nacht würden die Quartiere entweder von den Betreuungsorganisationen selbst oder vom österreichischen Wachdienst überwacht. Auffällige Personen würden den Behörden von den Betreuungsorganisationen gemeldet, auf sie werde ein besonderes Augenmerk gelegt.

Der Vorarlberger Sicherheitslandesrat hatte sich bereits zuvor gegen das von FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus in den Raum gestellte nächtliche Ausgangsverbot für Asylwerber ausgesprochen. Im ORF Vorarlberg sagte er, ein derartiges Verbot sei in Vorarlberg nicht nötig. Außerdem fehle dafür eine Rechtsgrundlage.

Verfassungsjuristen skeptisch

Die Verfassungsjuristen Bernd-Christian Funk und Theo Öhlinger sind skeptisch, was die nächtliche Anwesenheitspflicht betrifft. Laut Öhlinger könnte es sich um einen Eingriff in die persönliche Freiheit handeln.

"Maßgeblich ist, ob die Personen freiwillig in einem Heim wohnen oder dort mit behördlicher Verfügung eingewiesen werden. Wenn sie freiwillig dort sind, müssen sie sich der Hausordnung beugen", diese dürfte aber nicht schikanös sein, erklärte Öhlinger. "10 Uhr (abends, Anm.) ist indiskutabel für erwachsene Menschen", setzt er nach. Schwierig werde es, wenn Personen in ein Heim zugeordnet werden: "Dann wäre ein Ausgehverbot ein Eingriff in die persönliche Freiheit, für den ich nirgendwo eine verfassungsrechtliche Grundlage sehe", so der Verfassungsjurist.

Auch für Funk könnte eine Anwesenheitspflicht als Freiheitsbeschränkung wirken, wie er im Ö1-"Mittagsjournal" am Montag erläuterte. Entscheidend sei, wie eine solche konkret durchgeführt werde: "Wird der oder die Betreffende ausfindig gemacht, zwangsweise in das Heim verbracht, vielleicht mit der Polizei gesucht?" Ein genereller "Misstrauensvorschuss" bedeute, es handle sich um gefährliche Menschen, die für eine Zeit weggesperrt werden: "Und das ist es ja und das läuft auf eine unzulässige Beschränkung der persönlichen Freiheit hinaus."

Von den NEOS kam Kritik an den ÖVP-FPÖ-Plänen. Eine Hausordnung sei üblich und in Ordnung, ein Ausgangsverbot jedoch ein "grundloser Freiheitsentzug" und damit eine schwere Menschenrechtsverletzung, erklärte Stephanie Krisper in einer Aussendung. Sie forderte hingegen Beschäftigung für Asylwerber, das würde tatsächlich mehr Sicherheit bringen, zeigte sie sich überzeugt.

Hitzige Debatten

In der ORF-Sendung anlässlich des ersten Jahrestags der Bildung der ÖVP-FPÖ-Koalition lieferten sich Regierung und Opposition einen teils hitzigen Schlagabtausch. Während Strache und ÖVP-Regierungskoordinator Gernot Blümel die bisherige Regierungsarbeit verteidigten, gab es von den Oppositionschefinnen heftige Kritik an Türkis-Blau. SPÖ-Obfrau Pamela Rendi-Wagner warf ÖVP und FPÖ vor, mit ihrer Politik die Gesellschaft zu spalten.

Inhaltlich drehte sich die Diskussion über weite Strecken um soziale Themen und Migration. Dabei gerieten vor allem Strache und Rendi-Wagner sowie Blümel und NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger aneinander. Beim Thema Mindestsicherung warfen sich Strache und Rendi-Wagner etwa gegenseitig "Unwahrheiten" vor. Der Vizekanzler ortete gar "Fake-News" auf SPÖ-Seite. Rendi-Wagner reagierte darauf mit einem "da redet der Richtige".

Blümel: Mindestsicherung wurde zur "Hängematte"

ÖVP-Kanzleramtsminister Blümel erklärte, dass die Mindestsicherung für viele zu einer "Hängematte" geworden sei und in Wien überhaupt zu einer Art "bedingungslosem Grundeinkommen". Für Leistungsträger sei dies nicht gerecht, deshalb die Reform. NEOS-Chefin Meinl-Reisinger meinte indes, dass es der Regierung vor allem darum gehe, Ausländer schlechter zu stellen als Österreicher und die Reform keinerlei Leistungsanreize setze. Liste Jetzt-Chefin Maria Stern monierte, dass die Regierung mit ihren Plänen das Leben von Alleinerzieherinnen und Kindern verschlechtere.

Österreichs Ausstieg aus dem UNO-Migrationspakt beurteilte NEOS-Chefin Meinl-Reisinger als den größten Fehler rund um Österreichs EU-Vorsitz. Die ÖVP habe dabei das "Narrativ rechtsextremer Medien in den Mainstream geholt". Nun brüste man sich auch noch, dass andere Länder dem schlechten Beispiel Österreichs folgen. Die ÖVP mache sich zum Steigbügelhalter der nationalistischen Politik der FPÖ, so Meinl-Reisingers. Strache und Blümel wiesen die Vorwürfe zurück. "Wir haben Haltung gezeigt", meinte der Vizekanzler. Blümel plädierte für eine differenzierte Migrationspolitik.

Kommentare