Aufstiegsgefährdet

Österreich leistet sich ein teures Bildungssystem. Viel Zählbares kommt dabei nicht heraus, attestierte gerade der Kanzler. Also versuchen wir es mit einem neuen Schulfach.

von Kathrin Gulnerits © Bild: News/Matt Observe

Der Befund fällt denkbar schlecht aus. "Es braucht eine Schule, die den Ansprüchen der Zeit gerecht wird . .., es braucht eine Schule, wo es selbstverständlich ist, wenn Kinder diese verlassen, auch Deutsch tatsächlich auch können." - Originalzitat aus dem Transkript der "Rede zur Zukunft der Nation". Gemeint sind österreichische Schulen. Absender ist der Bundeskanzler höchst persönlich. Seine Vision von Schule im Jahr 2030: Schulen, die auf das Leben vorbereiten und nicht auf Arbeitslosigkeit. Der Adressat dieser bemerkenswerten Bestandsaufnahme im Jahr 2023? Vielleicht der Bildungsminister, die Lehrerinnen und Lehrer, die Eltern. Wir alle. Vielleicht ist damit aber auch niemand so richtig gemeint. Wie das halt so ist mit Vorhaben, die mit "Es braucht . .." beginnen. Im Bildungssystem fällt dieser Satz häufig. Und das in einem Land, das bei den Ausgaben pro Schüler im internationalen Spitzenfeld liegt. Die Leistungen hingegen sind, nun ja, durchschnittlich. Die neueste Idee der Politik darauf? Coding ab der 5. Schulstufe. Und inhaltslose Stehsätze: "Mit dem Schwerpunkt auf Coding werden wir konsequent den nächsten Schritt setzen, um Österreichs Schulen zu Digitalvorreitern in ganz Europa zu machen", sagt der Bildungsminister, der prompt eine eigene Arbeitsgruppe ins Leben gerufen hat. Das wird nicht reichen. Bevor wir übertrieben euphorisch in die Zukunft blicken, sollten wir zuerst zurückblicken und uns zum Beispiel daran erinnern, dass in der Corona-Pandemie hierzulande in Sachen Schule ein besonders restriktiver Kurs gefahren wurde. Zwischen März 2020 und Juni 2021 waren von den rund 39 Wochen (ein Schuljahr umfasst 36 Wochen) die Schulen etwas mehr als die Hälfte der Zeit teilweise oder gänzlich geschlossen. Es gab Zeiten, da waren zwar die Baumärkte offen, Schulen aber zu. Leidtragende waren und sind Kinder aus bildungsfernen oder sozial schwachen Elternhäusern. Aber nicht nur sie. Die Antwort der Politik? Ein paar Millionen für Förderstunden, die in der Praxis oft nicht abgerufen wurden und ein zaghaftes "Sorry". Vor allem aber tun wir einfach so, als ob das ganz normale Schuljahre waren. Also weiter wie bisher. Wer den Anschluss verpasst hat, hat eben Pech gehabt.

»Wir haben zwar eine Schulpflicht, wurschteln uns aber bei der Ausbildungspflicht durch«

Das passt in die Erzählung von Schule in Österreich, die in vielerlei Hinsicht eine beträchtliche Schieflage aufweist -im Kleinen und im Großen. So drückt der Bildungsminister regelmäßig den angehenden Maturanten für ihre Prüfungen die Daumen. Ähnliche Worte bekommen jene, die eine Lehrabschlussprüfung hinlegen, nur selten zu hören. Wir leisten uns "Resteschulen", sind stolz auf eine frühe Trennung und nehmen schulterzuckend die horrenden Summen zur Kenntnis, die Eltern in die Nachhilfe für ihre Kinder investieren. Und im Zweifel gibt es noch die Zuwanderer, die Ausländer -leistungs-und integrationsunwillig. Was sonst, wer sonst? Irgendwer muss schuld sein.

Aber wo ist der Diskurs über die gesellschaftliche Verantwortung der Schule? Die Zukunftserzählung? Wie lassen sich veränderte Familienstrukturen und zunehmende Migration abfedern, und warum produzieren und akzeptieren wir noch immer Schulabbrecher? Wie viele Abstriche sind gerade noch okay? Wann sollten endlich die Alarmglocken schrillen? Diese ehrlichen Debatten fehlen, dabei sind Kinder und Jugendliche unsere Zukunft. So platt das klingt. Arbeitskräfte und Steuerzahler. Was wir in vergleichsweise lächerlichen, weil wenigen Schuljahren verabsäumen, zahlen wir später und jahrzehntelang als Gesellschaft drauf. Weil wir zwar eine Schulpflicht haben, uns aber bei der Verpflichtung zur Ausbildung ohne Rücksicht auf Verluste durchwurschteln. Auch im Jahr 2023.

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