„Wir zeigen keine Pornos in Schulen“

So werden Österreichs Schüler und Schülerinnen heute aufgeklärt

Die Zeiten, in denen Schüler dadurch aufgeklärt werden, dass der Biologie-Lehrer eine Overheadfolie mit anatomischen Darstellungen an die Wand projiziert, sind vorbei. Heutzutage geht es, unter anderem, um sexuelle Vielfalt und Akzeptanz. Und das stößt nicht überall auf Begeisterung.

von Aufklärungsunterricht - „Wir zeigen keine Pornos in Schulen“ © Bild: shutterstock

Sexuelle Aufklärung bereits in der Volksschule? Eine Familie aus Basel hielt das für zu früh und klagte. Sie hatte 2011 beantragt, ihre damals siebenjährige Tochter vom Unterricht freizustellen. Die Klage ging bis an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der dieser Tage das Urteil fällte: Abgelehnt. Sexualkunde muss verpflichtend bleiben. Doch wie ist es um den Aufklärungsunterricht an österreichischen Schulen bestellt?

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Antwort darauf gibt der „Grundsatzerlass Sexualpädagogik“ vom Bundesministerium für Bildung und Frauen. Sexualpädagogik als Bildungsaufgabe ist in allen Lehrplänen verankert. Von „früher Kindheit“ ist auch hier die Rede, wenn es um zeitgemäße Sexualpädagogik als Form der schulischen Bildung geht. So bietet beispielsweise das Österreichische Institut für Sexualpädagogik bereits Workshops für Schüler und Schülerinnen ab neun Jahren an. „Altersgerecht“ und „an der Lebensrealität von Kindern und jungen Menschen orientiert“ lauten hier aber die Schlagworte. Kommt Sexualkunde als inhaltlicher Schwerpunkt in der Volksschule im Fach „Sachunterricht“ vor, wird er an einer AHS im Zuge von „Biologie und Umweltkunde“ behandelt. Wer nun aber denkt, es handle sich dabei um die Vermittlung einer rein naturwissenschaftlichen Definition von Geschlechtsverkehr, der irrt.

Neue Standards der Sexualpädagogik

Laut des Bundesministeriums für Bildung, sei es nämlich Aufgabe der Schule, zusammen mit Lehrern und Eltern, Schüler und Schülerinnen in ihrer gesamten Persönlichkeit zu fördern. Da sexuelle Entwicklung ein Teil dieser ist, folgt auch die Sexualpädagogik einem ganzheitlichen und folglich fächerübergreifenden Anspruch - und geht weit über den grundlegenden Erwerb von biologischem Basiswissen hinaus. Wurden früher ausschließlich physische Aspekte von Sexualität unterrichtet, bedeutet Aufklärung heute auch etwas über die kulturellen, emotionalen und sozialen Aspekte zu lehren.

»Sexualaufklärung trägt zu einem sozialen Klima bei, das sich durch Toleranz, Offenheit, und Respekt gegenüber Sexualität, verschiedenen Lebensstilen, Haltungen und Werte auszeichnet.«

So soll sich Sexualpädagogik auch am Prinzip der Gleichstellung der Geschlechter sowie der Vielfalt der Lebensformen orientieren und zum kritischen Denken anregen. Die Anerkennung von unterschiedlichen sexuellen Orientierungen spielt dabei genauso eine Rolle wie die Akzeptanz verschiedener Geschlechtsidentitäten. „Sie trägt zu einem sozialen Klima bei, das sich durch Toleranz, Offenheit, und Respekt gegenüber Sexualität, verschiedenen Lebensstilen, Haltungen und Werte auszeichnet“, schreibt die Weltgesundheitsorganisation als ersten Punkt ihrer Zielsetzungen der Sexualaufklärungsstandards.

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Staatliche Sexualerziehung problematisch?

Heftige Kritik zu den Inhalten des Grundsatzerlasses kommt vonseiten der „Initiative für wertvolle Sexualerziehung“. Sie befürchten bei dem „stark ideologisch gefärbten“ Erlass, die Auflösung der traditionellen Familie als Grundbaustein der Gesellschaft. „Die sexuelle Vereinigung wird oftmals nur als für den Augenblick wichtiger und die Lust befriedigender Akt dargestellt“, heißt es in einer Broschüre, die sich an die Eltern richtet. Diese Art von Unterricht sei eine „Gehirnwäsche an Kindern“ und „Indoktrination“ , die verboten gehöre.

»Immer wieder rufen besorgte Eltern bei uns an, die glauben, dass im Unterricht Liebespraktiken vermittelt und Pornos geschaut werden.«

Beim Bildungsministerium ist diese Kritik nicht nachvollziehbar. „Wir bekennen uns zur Vielfalt und halten uns an alle gesetzlichen Vorgaben“, erklärt die stellvertretende Abteilungsleiterin Dr. Beatrix Haller gegenüber News. Die Schulpsychologin erzählt, dass viele Unwahrheiten verbreitet und Dinge oft absichtlich missinterpretiert werden: „Immer wieder rufen besorgte Eltern bei uns an, die glauben, dass im Unterricht Liebespraktiken vermittelt und Pornos geschaut werden. Das stimmt natürlich nicht.“ Wer sich selbst davon überzeugen will, kann hier den Grundsatzerlass einsehen.

Fakten-Box: Zielsetzungen der WHO „Standards zur Sexualaufklärung“

• Sie trägt zu einem sozialen Klima bei, das sich durch Toleranz, Offenheit und Respekt gegenüber Sexualität, verschiedenen Lebensstilen, Haltungen und Werte auszeichnet.

• Sie fördert die Achtung vor der Vielfalt und Verschiedenheit der Geschlechter sowie das Bewusstsein für sexuelle Identität und Geschlechterrollen.

• Sie befähigt die Menschen, informierte Entscheidungen zu treffen und entsprechend eigen- und partnerverantwortlich zu handeln.

• Sie trägt bei zum Bewusstsein für und zu Kenntnissen über den menschlichen Körper, seine Entwicklung und Funktionen, insbesondere in Bezug auf Sexualität.

• Sie unterstützt und fördert die psychosexuelle Entwicklung des Menschen. Dies bedeutet, Gefühle und Bedürfnisse ausdrücken zu können, Sexualität lustvoll zu erfahren und seine sexuelle und geschlechtliche Identität auszubilden.

• Sie stellt angemessene und evidenzbasierte Informationen bereit über die körperlichen, kognitiven, sozialen, emotionalen und kulturellen Aspekte der Sexualität, über Verhütung und die Prävention von sexuell übertragbaren Infektionen, HIV und sexueller Nötigung.

• Sie vermittelt die nötigen Lebenskompetenzen, um mit allen Aspekten von Sexualität und Beziehungen umgehen zu können.

• Sie verbreitet Informationen über den Zugang zu Beratungs- und medizinischen Leistungen, insbesondere bei Problemen und Fragen zur Sexualität.

• Sie regt eine Reflexion über Sexualität und unterschiedliche Normen und Werte hinsichtlich der Menschenrechte an, damit eine eigene kritische Haltung entwickelt werden kann.

• Sie unterstützt die Fähigkeit, (sexuelle) Beziehungen aufzubauen, die sich durch gegenseitiges Verständnis und Respekt für die Bedürfnisse und Grenzen des Gegenübers auszeichnen, und gleichberechtigte Beziehungen zu führen. Dies trägt dazu bei, sexuellem Missbrauch und sexueller Gewalt vorzubeugen.

• Sie befähigt, über Sexualität, Emotionen und Beziehungen zu kommunizieren und unterstützt die Entwicklung der dafür notwendigen Sprachkompetenz.