Eine Leiche im Keller

Gerichtsmediziner fordert wegen Job-Mobbing Schadenersatz von Republik.

von Fakten - Eine Leiche im Keller © Bild: © Rudi Froese

Meist rief ihn die Polizei mitten in der Nacht zu einem Tatort. Dann musste Johann Missliwetz ein Mord opfer untersuchen. Tagelang forschte er nach forensischen Beweisen, um Täter zu überführen. Anschließend saß er als Sachverständiger vor Gericht und war dabei, wenn Mörder verurteilt wurden. "Das war ein Spektakel mit Unterhaltungswert. Echte Krimis. Das hat mich fasziniert", sagt der 65-jährige Mediziner. Fast vierzig Jahre lang hat er im Department für Gerichtsmedizin der Med-Uni Wien gearbeitet, mehr als 8000 Leichen hat er obduziert. Die Gerichtsmedizin war sein Traumberuf. Jetzt will er die Republik verklagen -wegen Mobbings an seinem Arbeitsplatz. News liegt die Forderungsschrift an die Finanzprokuratur vor.

Rückblende. Im Jahr 2006, Johann Missliwetz war Stellvertreter des Institutsvorstands, beschwerte er sich das erste Mal. "Drei Mitarbeiter hatten gekündigt, weil sie mit den Umgangsformen eines Kollegen nicht klargekommen waren", sagt Missliwetz. Er schrieb einen Brief an den Institutsleiter, aber nichts sei passiert. Ein Jahr später stieg der umstrittene Kollege zum Leiter des Departments auf. Gut erinnert sich Missliwetz daran, wie der neue Vorgesetzte das erste Mal scheinbar grundlos ausflippte. "Du Arschloch, du Parasit!", soll dieser gebrüllt haben. Zunächst lachte Missliwetz über den Vorfall. Denn sie waren gute Kollegen, sogar befreundet.

Das Lachen verging ihm schnell. Johann Missliwetz, der für jede Obduktion einzeln bezahlt wurde, soll fortan unsinnige Arbeitsaufträge bekommen haben. Er erhielt die Anweisung, alle Büroklammern von seinen Gutachten zu entfernen. Dann habe er die Schreibweise eines Geburtsdatums in 60 Akten von 4.2.65 auf 04.02.1965 umändern sollen. Missliwetz und seine Kollegen mussten eine Weisung unterschreiben, dass die Akten bei Fehlern nicht verrechnet würden. Kurz darauf habe der Vorgesetzte auf den Gutachten von Missliwetz die Textzeilen gezählt und bemängelt, dass ein Blatt mit 23 statt 25 Zeilen beschrieben wurde.

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Immer mehr Mobbingopfer

"Systematische, lang anhaltende Schikane eines Betroffenen ist typisch bei Mobbing", sagt Elisabeth Knizak, Leiterin der Mobbingberatungsstelle Work &People in Wien. Laut der "Europäischen Erhebung über die Arbeitsbedingungen", für die im Jahr 2010 knapp 44.000 Menschen in 34 Ländern befragt wurden, hat der Psychokrieg am Arbeitsplatz in den vergangenen Jahren abgenommen -aber nicht in Österreich: 7,2 Prozent der befragten Österreicher gaben an, sie seien am Arbeitsplatz gemobbt oder schikaniert worden. Fünf Jahre zuvor waren es nur fünf Prozent.

Das Innovative Betriebliche Gesundheitsmanagement (IBG) untersucht die Arbeitsbedingungen in Firmen. "Zuletzt wurden wir in ein Unternehmen gerufen, in dem 30 Prozent angegeben haben, zumindest eher stark von Mobbing betroffen zu sein", sagt der Gesundheitsökonom Roland Polacsek-Ernst. Den ansteigenden Trend beobachtet die Psychotherapeutin Elisabeth Knizak in ihrer Praxis seit Jahren. "Der Ursprung von Mobbing ist häufig ein Konflikt, der nicht gelöst wird und eskaliert. Angst, Neid oder Rache können Gründe sein", sagt sie. "Mobbing wird häufig auch als Instrument verwendet, um teure und ältere Mitarbeiter sowie Mitarbeiter mit Kündigungsschutz wegzubekommen. Das sind dann rein wirtschaftliche Gründe."

Johann Missliwetz soll über sechs Jahre lang von seinem Chef drangsaliert worden sein. Er hielt durch. Schließlich hatte er gerade erst ein Haus gekauft und dafür einen Kredit aufgenommen. Und das Stellenangebot für Rechtsmediziner ist in Österreich begrenzt. Wo sollte er in seinem Alter noch einen neuen Job finden? Der Ton im Institut sei rauer geworden. Nicht nur gegen Missliwetz. Auch die Kollegen sollen von dem Vorgesetzten beschimpft worden sein, sagt er. "Inkompetenter Trampel" habe er die Ehefrau eines Kollegen genannt, die im Department als Sekretärin arbeitete.

Eine andere Mitarbeiterin soll der leitende Gerichtsmediziner als "Hatscherte mit dem fetten Arsch" bezeichnet haben. Eine Kollegin, die öfters die Toilette aufsuchte, habe er aufgefordert: "Lassen Sie sich einen Blasenkatheter setzen." Während einer Sektion soll er dem Assistenten hundert Euro geboten haben, wenn der den Mageninhalt einer Leiche isst. Johann Missliwetz versuchte sich für seine Kollegen einzusetzen, beschwerte sich schriftlich über den Umgangston. Aber nichts passierte, sagt Missliwetz. Die Schikanen gingen nicht spurlos an ihm vorbei. "Am Anfang habe ich mich nur geärgert. Irgendwann konnte ich nicht mehr schlafen und habe die Tage bis zu meiner Pension gezählt", sagt er. Er nahm psychologische Hilfe in Anspruch, bekam Tabletten gegen seinen Bluthochdruck. Er schlitterte in eine Depression.

"Mobbing hat psychische, physische und soziale Folgen. Die schlimmste Folge ist der Suizid, und der ist wahrscheinlich gar nicht so selten", sagt Elisabeth Knizak. "Die Symptome können in Zeiten, wo der Betroffene dem Arbeitsplatz entzogen ist, besser werden, aber kaum ist es Sonntagnachmittag, geht es wieder los." Der Psychoterror kostet nicht nur Nerven. Etliche Betroffene lassen sich lange krankschreiben. Die Fehltage, die durch die psychischen Belastungen entstehen, kosten die österreichische Wirtschaft jedes Jahr 3,3 Milliarden Euro, schätzt die Arbeiterkammer Wien.

Geklagt wird selten

Im November 2013 hielt Johann Missliwetz es nicht mehr aus. Er traf die Entscheidung, vorzeitig in Pension zu gehen. Sein letzter Arbeitstag war der 31. März 2014. Jetzt will er 208.645 Euro Schadensatz. Missliwetz hat die Forderung bei der Finanzprokuratur eingebracht. "In der Causa zeichnet sich ein typischer Fall von Mobbing am Arbeitsplatz ab. Dieser sticht durch die Spitzenposition der Beteiligten hervor", sagt der Rechtsanwalt Adrian Hollaender. Für ihn ist unverständlich, dass der Rektor der Med-Uni Wien nicht früher zum Schutz des Gerichtsmediziners eingegriffen hat.

Der ehemalige Chef von Johann Missliwetz will auf News-Anfrage keine Stellung zu den Vorwürfen nehmen -er spricht von "Diffamierung". Seitens der Med-Uni heißt es: "Professor Missliwetz hatte sich etwa ein Jahr nach seiner selbst eingereichten Frühpensionierung im Jahr 2014 in einem Brief an den ehemaligen Rektor gewandt. Anfang November hat ein Gespräch mit Missliwetz, seinem Anwalt, der Personalabteilung und der Rechtsabteilung stattgefunden, in dem seitens der Med-Uni Wien weitere Gespräche angeboten wurden, die aber bisher leider nicht wahrgenommen wurden."

In Österreich hat der Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht für seine Arbeitnehmer. "Betroffene haben den Vorgesetzten zuerst über das Mobbing zu informieren und Abhilfe zu verlangen. Auch die Einbeziehung des Betriebsrats ist anzuraten", sagt Irene Holzbauer, Arbeitsrechtsexpertin der Arbeiterkammer Wien. Mobbing-Klagen sind hierzulande selten. Opfer müssen beweisen, dass sie über lange Zeit regelmäßig attackiert wurden. "Meistens fehlen die Nachweise", sagt Holzbauer. Eine Lehrerin aus Oberösterreich hatte mit ihrer Klage zuletzt Erfolg. Sie hatte die Republik auf 17.000 Euro Schmerzensgeld verklagt, weil sie vom Direktor gemobbt wurde. Im Mai gewann sie den Prozess. Die Psychotherapeutin Elisabeth Knizak rät Betroffenen, ein Mobbing-Tagebuch anzulegen, in das sie die Angriffe eintragen sollen. "Wichtig ist, dass man sich Hilfe holt. Durch einen Betriebsrat, Vorgesetzte oder Beratungsstellen. Bloß nicht hoffen, dass es einfach so vorbeigeht", sagt Knizak.

Johann Missliwetz muss keine Tabletten mehr schlucken, sein Blutdruck hat sich normalisiert. Mit ein paar ehemaligen Kollegen steht er noch in Kontakt. "Sie würden auch gerne klagen, warten aber erst mal ab, wie es bei mir läuft", sagt Missliwetz. Mit seinem Beruf hat der Gerichtsmediziner abgeschlossen. Krimis sieht er, wenn überhaupt, nur noch im Fernsehen. Aber die sind ihm meistens zu unrealistisch.

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