Warum steigt die Arbeitslosigkeit
unter Älteren so stark an?

Liberaler Think Tank sieht Senioritätsprinzip als Grund - IHS-Studie widerlegt das

Sind ältere Arbeitnehmer zu teuer? Um die Beschäftigung Älterer zu erhöhen hat der wirtschaftsliberale Think Tank "Agenda Austria" in der Studie "Jung, älter, arbeitslos" kürzlich vorgeschlagen, das Senioritätsprinzip, nach dem das Einkommen mit zunehmendem Alter steigt, abzuschwächen und Ältere stattdessen nach "Leistungsprinzip" zu bezahlen - sprich deren Löhne zu senken. Eine aktuelle Studie des IHS sagt freilich das Gegenteil. Demnach habe die stark zunehmende Arbeitslosigkeit unter Älteren rein gar nichts mit dem Senioritätsprinzip zu tun.

von Debatte - Warum steigt die Arbeitslosigkeit
unter Älteren so stark an? © Bild: © Corbis. All Rights Reserved.

Fakt ist: Wer seinen Job einmal verloren hat, der findet ab 50 Jahren meist erst später eine neue Arbeitsstelle. Viele müssen auch Abstriche beim Gehalt hinnehmen: Bei 61 Prozent der Älteren liegt das neue Gehalt unter dem Niveau des Einkommens vor der Arbeitslosigkeit. Und die Wahrscheinlichkeit, aus der Arbeitslosigkeit heraus einen Arbeitsplatz zu finden, sinkt mit zunehmendem Alter deutlich und liegt bei männlichen Angestellten zwischen 55 und 59 Jahren nur mehr bei rund 30 Prozent.

Um die Beschäftigung Älterer zu erhöhen hat "Agenda Austria" vorgeschlagen, das Senioritätsprinzip abzuschwächen. Derzeit könne das Gehalt von Älteren in Beschäftigung praktisch nur durch sogenannte "Änderungskündigungen" gesenkt werden. Die Studienautoren Michael Christl, Denes Kucsera und Hanno Lorenz schlagen vor, die Löhne Älterer stärker am "Leistungsprinzip" zu orientieren und damit die Lohnkurven abzuflachen. Es wäre "zu überlegen, ob eine Lohnanpassung entsprechend der Leistungsentwicklung nicht im Interesse der Arbeitnehmer wäre", heißt es in der Studie. Dadurch würden die Beschäftigungschancen älterer Menschen, die an Erwerbsarbeit interessiert seien, erhöht.

Für Pensionsautomatik

Auch im Pensionsrecht sollten Änderungen vorgenommen werden. Die Denkfabrik macht sich für eine Einführung einer Pensionsautomatik unter Berücksichtigung der steigenden Lebenserwartung stark.

Eine höhere Beschäftigung der Älteren würde den Jüngeren auch keine Jobs wegnehmen, heißt es in der Studie. "Unsere empirische Analyse zeigt, dass eine höhere Beschäftigung älterer Arbeitnehmer keine negativen Effekte auf jüngere Arbeitnehmer mit sich bringt."

Die Industriellenvereinigung (IV) fordert dennoch den Abbau von gesetzlichen und kollektivvertraglichen Senioritätsregelungen, eine Lohnnebenkostensenkung sowie mehr betrieblichen Gestaltungszeitraum bei der Arbeitszeit.

Eine aktuelle Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS) widerspricht dem "Agenda Austria"-Papier jedoch entschieden. Die stark zunehmende Arbeitslosigkeit Älterer habe weniger mit dem Senioritätsprinzip zu tun, sondern mehr mit der Bevölkerungsentwicklung, da derzeit viele Beschäftigte über 50 Jahre alt seien.

Hundstorfer setzt auf mehr Unterstützung

Die Studie entkräfte die Behauptungen, dass das Senioritätsprinzip, also eine bessere Bezahlung nach längerer Beschäftigung, für Arbeitslosigkeit Älterer verantwortlich sei, sagte Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) bei der Studienpräsentation am Dienstag. "Agenda Austria" legt wiederum Wert auf die Feststellung, man habe nie behauptet, dass das Senioritätsprinzip die Arbeitslosigkeit Älterer erhöhe. Sehr wohl erschwere es aber den Wiedereinstieg Älterer, die ihren Job verloren haben.

Hundstorfer setzt dennoch auf eine Ausweitung der Unterstützung Älterer, etwa durch Beschäftigungsförderung, Bildungsmaßnahmen, Arbeitsstiftungen und spezielle Beratung und Betreuung für arbeitssuchende ältere Menschen und Qualifizierungsförderung. Dafür werden von 2015 bis 2017 insgesamt 720 Mio. Euro zur Verfügung gestellt. Im ersten Halbjahr 2015 wurden 9.896 Personen mit Beschäftigungsbeihilfen in den ersten Arbeitsmarkt eingegliedert, 4.683 Älteren wurde eine Beschäftigung im 2. Arbeitsmarkt ermöglicht. Derartige Lohnsubventionen, die zu neuer Beschäftigung führen, seien wesentlich besser als der Bezug von Sozialleistungen, argumentiert Hundstorfer.

Insgesamt sind in Österreich 25 Prozent der unselbstständig Beschäftigten über 50 Jahre alt. Die Zahl der Arbeitslosen dieser Altersgruppe ist im Vorjahresvergleich um 16,2 Prozent gestiegen. Die durchschnittliche Verweildauer in Arbeitslosigkeit ist bei den Älteren mit 152 Tagen deutlich höher als insgesamt mit 119 Tagen, das heißt die Älteren finden später wieder einen neuen Job. Die Beschäftigungsquoten der Älteren sind zwar in den letzten Jahren (1. Halbjahr 2012 zu 1. Halbjahr 2015) gestiegen, vor allem bei Männern ab 60 liege die Quote aber noch deutlich unter dem Ziel für 2018 von 35,3 Prozent, so der Minister.

Senioritätsregelungen nur bei Angestellten

Die IHS-Experten haben sich die Senioritätsbestimmungen in Österreich im privaten Sektor angeschaut und die 30 wichtigsten Kollektivverträge aus sieben Branchen analysiert . Dabei fanden sie erhebliche Unterschiede in der Ausprägung der Senioritätsregelungen, die im wesentlichen nur bei Angestellten existieren. Bei Arbeitern gibt es in den Kollektivverträgen nur sehr geringe Lohnsteigerungen. Arbeiterinnen und Arbeiter stellen aber circa 70 Prozent aller älteren Arbeitslosen, hier könne die Arbeitslosigkeit also nicht an einer höheren Entlohnung Älterer liegen.

Am stärksten ist laut Studie das Senioritätsprinzip in der Finanz- und Versicherungsbranche ausgeprägt. Gerade dort liegt aber die Arbeitslosigkeit Älterer unter dem Durchschnitt. Generell sei der Beschäftigungsanteil Älterer in Branchen mit stärkerer kollektivvertraglicher Senioritätsentlohnung höher als in anderen Branchen. Im Branchenvergleich konnten die Wirtschaftsforscher jedenfalls keinen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Senioritätsindex und der Arbeitslosenquote Älterer feststellen. Eventuelle höhere Löhne für Ältere wirken sich demnach nicht beschäftigungsmindernd aus. Hingegen sind Personen mit zuvor geringsten Realeinkommenssteigerungen am häufigsten von Arbeitslosigkeit betroffen. Umgekehrt sinke das Eintrittsrisiko Älterer in Arbeitslosigkeit mit der Höhe des Einkommens, die Besser-und Bestverdiener haben also ein geringeres Risiko des Jobverlusts.

"Das Alter selbst ist das größte Hemmnis für Wiederbeschäftigung", resümierte IHS-Experte Marcel Fink, einer der Autoren der Studie. Die Verengung der Debatte zu Arbeitsmarktproblemen Älterer auf höhere Löhne für ältere Beschäftigte sei daher nicht sinnvoll. Vielmehr spielten andere Faktoren eine Rolle, etwa die mangelnde Bereitschaft zu Weiterbildungsmaßnahmen auf Seite der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer. Aktuell spiele die Demografie eine große Rolle, ergänzte IHS-Experte Helmut Hofer: Die zunehmende Arbeitslosigkeit Älterer habe auch damit zu tun, dass in dieser Altersgruppe derzeit einfach mehr Menschen seien.

Kommentare

Ivor Oszkar Abraham
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"Die Industriellenvereinigung (IV) fordert dennoch den Abbau von gesetzlichen und kollektivvertraglichen Senioritätsregelungen, eine Lohnnebenkostensenkung sowie mehr betrieblichen Gestaltungszeitraum bei der Arbeitszeit."

Da sind sie wieder die Bösen Lohnnebenkosten:
https://www.youtube.com/watch?v=mQHHb0l105Y

Natürlich runter damit Wahnsinn wie manche Leute Asozial sind.

higgs70
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und wie so oft hat wieder mal recht, der gute Volker;-)

Harry Dietmayer

In Ö ist es seltsam, dass Arbeitnehmer darum kämpfen müssen, dass sie richtig eingestuft, die Jahre anerkannt & entsprechend bezahlt werden. Ältere bieten sich daher zu günstigeren Konditionen an, um im Hamsterrad zu bleiben. Die Sozialpartnerschaft (Steigbügelhalter d.W.) ist nicht interessiert auf ein gerechtes Umlage- bzw Gehaltskassensystem - wie es bei anderen Berufsgruppen gibt- umzusteigen.

Harry Dietmayer

Die Politik und die Wirtschaft will doch, das die Älteren weniger verdienen. Das hat sich doch die EU auf die Fahnen geschrieben. Da aber nichts billiger wird, wird die Kaufkraft immer mehr reduziert. Das schadet natürlich der Wirtschaft. Aber die EU will drüber fahren, damit nur die stärksten und größten Länder als Sieger übrig bleiben.

Aktive_Arbeitslose
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Wenn "nur das Alter" "schuld" an der Arbeitslosigkeit ist, dann ist das klar als Alterdiskriminierung zu werten, die ja verboten ist! Die TäterInnen ("die Wirtschaft" gehört daher endlich zur Rechenschaft gezogen!

Arbeitslplätze am "zweiten Arbietsmarkt" werden übrigens nicht "ermöglicht" sondern unter Androhung Existenz vernichtender Sanktionen erzwungen oder in Kauf genommen, weil nix da ist!

Oberon
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Bei kfm. Jobs kann man mit 35 Jahren bereits zu alt sein, soviel zum Alter.
Es wird nicht leicht sein, Altersdiskriminierung zu beweisen, da man sie meistens nur vermuten kann, aber ich bin absolut dafür, der Wirtschaft einmal ordentlich Saures zu geben. :-))
Der zweite Arbeitsmarkt - SÖB - dient vorwiegend dazu, zu hohe Al-Gelder zu kürzen, denn nach 28 Wochen(?) in einer Firma...

Oberon
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... wird neu berechnet und entsprechend runter gestuft.
Dass man von den AMS-Schergen vorher(!) nicht darüber aufgeklärt wird, dürfte klar sein.

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junge sollten erfahrung haben, haben sie nicht. alte haben erfahrung, die will man nicht. chaos pur...

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