"Ich bin eine Quotenfrau
und stolz darauf"

Mit Renate Anderl wird ein Vollprofi in Sachen Arbeitnehmervertretung zur neuen Arbeiterkammer-Präsidentin gewählt. Derzeit ist die ÖGB-Vizepräsidentin der breiten Öffentlichkeit noch relativ unbekannt. In Kürze wird sie aber die Rechte von 3,6 Millionen Arbeitnehmern verteidigen müssen.

von Arbeiterkammer - "Ich bin eine Quotenfrau
und stolz darauf" © Bild: News/Ricardo Herrgott

Der neue Arbeitsweg wird alte Erinnerungen wecken. Schon als 17-jährige Handelsschulabsolventin ist Renate Anderl auf dem Weg zu ihrer ersten Stelle am Gebäude der Wiener Arbeiterkammer vorbeigekommen. Die Bürokauffrau ist dann aber, von der Prinz-Eugen-Straße kommend, in die Plößlgasse eingebogen. Ein paar Meter weiter auf der linken Seite -dort, wo heute ein großer Wohnkomplex steht -hat sich lange Zeit das Haus der Metall-Gewerkschaft befunden, jener Interessenvertretung, der Anderl ihre Sozialisierung zur Arbeitnehmervertreterin verdankt. 29 von 38 Berufsjahren lang hat sich das berufliche Leben der Wienerin ausschließlich in der Teilgewerkschaft abgespielt - erst als Bürokauffrau, dann als Betriebsratschefin, später als Spitzenfunktionärin. Und auch als die Metaller schon lange ins Catamaran-Gebäude am Wiener Handelskai gezogen waren, wechselte Anderl das Stockwerk erst 2014, als sie zur Bundesfrauenvorsitzenden und ÖGB-Vizepräsidentin gewählt wurde.

Die Zwillinge

Sie bewegt sich aber nicht nur räumlich ein gutes Stück weg von ihren Wurzeln. Denn auch wenn die freiwillige Gewerkschaftsbewegung und die gesetzlich verankerte Arbeiterkammer als Zwillinge der Arbeitnehmervertretung gesehen werden, ist der Arbeitsbereich ein anderer. Allerdings aber auch wieder einer, der der 55-Jährigen bereits gut bekannt ist. Immerhin ist sie bereits seit fünf Jahren im Vorstand der Bundesarbeitskammer, ein Jahr lang war sie auch schon AK-Vizepräsidentin. Ob sie also an der Arbeiterkammer etwas überraschen wird? "Nein, das glaube ich nicht", sagt Anderl: "Aber vielleicht überrasche ich die Arbeiterkammer mit ein paar neuen Ideen." Dass sie es ist, die Amtsinhaber Rudolf Kaske mit Ende April an die Spitze von Bundesarbeitskammer und Arbeiterkammer Wien nachfolgen wird, und nicht der im Vorfeld genannte Leitende Sekretär des ÖGB, Bernhard Achitz, könnte aber gerade damit zu tun haben, dass Anderl trotz ihrer Funktion als Bundesfrauenvorsitzende, ihres ÖGB-Vizes und ihres SPÖ-Bundesratsmandats außerhalb der Gewerkschaft ein relativ unbeschriebenes Blatt ist. Als ihr Name erstmals als Kaske-Nachfolgerin genannt wurde, war die häufigste Reaktion: "Kennst du die? Wie ist die so?" Doch genau diese Skandalfreiheit könnte ihr bei ihrer künftigen Tätigkeit helfen. Anderl hat jedenfalls vor, zumindest eine Periode (fünf Jahre) im Amt zu bleiben.

Die Mentoren

Wer die Frau Präsidentin in spe bereits kennt, spricht jedenfalls in den höchsten Tönen von ihr. Sie wird als kompetent, offen und teamfähig beschrieben. Aber auch als Kämpferin für das, was ihr wichtig ist. "Es gibt kein Anliegen, das zu klein ist", sagt ein Wegbegleiter. Derzeit sind es die Frauenagenden, die ihr besonders am Herzen liegen -aktuell der Anteil an Frauen in den Aufsichtsräten: "Hier geht ohne Quote leider gar nichts." Diese Vorgehensweise findet die Gewerkschafterin aber auch gar nicht schlimm: "Ich bin selbst eine Quotenfrau und stolz darauf." Natürlich habe sie mit der Zuordnung anfangs auch Probleme gehabt: "Allerdings nur so lange, bis ich draufgekommen bin, dass das ja nicht bedeutet, dass ich minderqualifiziert bin." Und Quoten gebe es auch für Männer, so Anderl, nur nenne man sie da anders. "Und ohne Mentor geht sowieso kaum etwas, auch ich hatte einen Mentor." Es war der frühere Metaller-Gewerkschaftsboss Rudolf Nürnberger, der ihr eine Leitungsfunktion zutraute und sie außerdem ins Metaller-Präsidium holte.

Anderl setzt sich aber nicht nur für Karrierechancen ein, sondern allgemein für eine verbesserte Akzeptanz von Frauenarbeit: "Wir müssen die Rahmenbedingungen verbessern. Der erste Schritt dazu ist der Ausbau der Kinderbetreuung." Als Best-Practice-Modell schwebt ihr der beitragsfreie Wiener Kindergarten vor: "Das bedeutet natürlich, Geld zu investieren. Doch das muss es uns wert sein." Denn je weiter man in den Westen des Landes schaue, desto schlechter stehe es um die Betreuungsmöglichkeiten: "Und viele Teilzeitjobs enden ja auch nicht um zwölf."

Es ist ihr aber wichtig, dass jede Frau selbst über das Ausmaß ihrer Arbeitszeit bestimmt, das gelte auch für Vollzeitmütter: "Das ist etwas sehr Positives, wenn die Rahmenbedingungen passen. Auch ich bin eine Vollzeitmutter gewesen." Dieses Detail passt zur Biografie der Renate Anderl, die sich selbst als "Familienmenschen, naturliebend und kommunikativ" bezeichnet. Ihr Ehemann, ihr Sohn, ihr Enkel und ihre Freunde sind ihr viel wert: "Der Kontakt zu echten Menschen ist mir wichtiger als der über Social Media."

Der Paarlauf

Über zu wenig persönlichen Umgang wird sich Anderl wohl kaum beschweren können. Als Österreich-Chefin der Interessenvertretung aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist sie für die Anliegen von 3,6 Millionen Menschen zuständig. Und in dieser Funktion wird sie sich dann wohl öfter als bisher lautstark zu Wort melden müssen. "Die Präsidentschaft wird sicherlich eine große Herausforderung", bestätigt auch Anderl selbst: "Auch wenn es meinem Arbeitsverständnis nicht entspricht, dass nur eine Person allein vorne steht." Der Job wird ihr jedenfalls zugetraut: "Was die Renate sich vornimmt, schafft sie auch", sagt eine SPÖ-Politikerin. Nachsatz: "Und bei ihr passiert das, ohne dass sie dabei über Leichen geht."

Dass es in dieser Funktion aber zu politischen Konfrontationen kommen wird, ist auch Anderl klar: "Die AK ist der Regierung ein Dorn im Auge." Hat doch die ÖVP/FPÖ-Koalition bereits jede Variante einer Schwächung der Sozialpartnerschaft - von der Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft bis zur Beitragsreduktion -angedacht. Die designierte AK-Chefin setzt dabei aber auch auf ihre Vergangenheit, um die Zukunft zu bewältigen: "Ich bin sicher, es wird einen weit stärkeren Paarlauf mit der Gewerkschaft als bisher geben."

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 9/2018)